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Demografische Entwicklung

Demographie – eine ziemlich nutzlose und vielfach missbrauchte Wissenschaft

Das Statistische Bundesamt hat auf der Basis des Zensus 2011 die bisherigen Ziffern zu den Einwohnern in Deutschland und ihrer Altersstruktur korrigiert. Siehe hier.
Auf das Ergebnis sind wir im Hinweis Nr. 1 vom 3.6.2013 schon eingegangen: Es leben rund 1,5 Millionen Menschen weniger Deutschland als bisher angenommen; es gibt weniger Ältere als bisher vermutet und auch die Zahl der Ausländer ist geringer. Diese Erkenntnisse reizen zu einigen Anmerkungen über die in den letzten fünfzehn Jahren modisch gewordene demographische Debatte. In dieser Debatte über den so genannten demographischen Wandel musste man den Eindruck gewinnen, die Wissenschaft von der Demographie habe eine zentrale Bedeutung. Das ist eine bemerkenswerte Fehleinschätzung. Ihre Bedeutung ist vergleichsweise unbedeutend; umso größer ist die Bereitschaft von Demographen, sich für private Interessen einspannen zu lassen und zu diesem Zweck die Entwicklung maßlos zu übertreiben. Albrecht Müller.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Die „demografische Entwicklung“ entpuppt sich als Kaffeesatzleserei

Nach neuesten Schätzungen des Statistischen Bundesamtes hat die Bevölkerungszahl in Deutschland auf 82 Millionen Personen zugenommen. Nach den bisherigen politischen Annahmen über die „demografische Entwicklung“ hätte es einen Bevölkerungsrückgang und eine Verschiebung im Altersaufbau geben müssen. Das „Geburtendefizit“ bleibt zwar bestehen, doch es wird durch die Zuwanderung junger und – gemessen am Bevölkerungsdurchschnitt – deutlich höher qualifizierter Menschen vor allem aus europäischen Ländern mehr als ausgeglichen.
Die von der Politik zum Naturgesetz erhobenen Modellrechnungen über die Bevölkerungsentwicklung stellen sich als „moderne Kaffeesatzleserei“ heraus. Die „Prognosen“ dienten vor allem als ein politischer Hebel für einen radikalen Sozialabbau.
Nehmen wir also jetzt aufgrund der neuen Bevölkerungszahlen, die aufgrund der „demografischen Entwicklung“ politisch als „alternativlos“ betrachteten Einschnitte in die Rente oder das Gesundheitswesen wieder zurück? Oder machen wir so weiter wie bisher und benutzen die beruflich gut qualifizierten Zuwanderer nur als „Reservearmee“, damit die Löhne weiter gedrückt werden können? Von Wolfgang Lieb

Christoph Butterwegge und Albrecht Müller im DLF zur politischen Korruption bei der Privatisierung der Altersvorsorge

Anlässlich des zweiten Berliner Demografie-Forums, einer von der Allianz AG zusammen mit Ministerin Schröder geförderten Einrichtung, berichtete der Journalist Peter Kolakowski für den Deutschlandfunk [Audio – mp3] unter Verwendung von Gesprächen mit Christoph Butterwegge und Albrecht Müller.
Die oben verlinkte Pressemitteilung des Themenportals von ddp offenbart nebenbei eine interessante personelle Verflechtung zwischen Allianz AG und dem ehemaligen Botschafter und Staatssekretär im Auswärtigen Amt Wolfgang Ischinger. Albrecht Müller.

Das Schneeballsystem der privaten Krankenversicherung droht zu kollabieren

Die Finanzkrise hat dazu geführt, dass Risiken neu bewertet werden und das Zinsniveau für als sicher geltende Finanzprodukte, wie beispielsweise deutsche Staatsanleihen, massiv gesunken ist. Was für das Finanzministerium ein Grund zur Freude ist, stellt für die Versicherungsunternehmen ein großes Problem dar. Nicht nur Lebensversicherungen, sondern vor allem die privaten Krankenversicherungen haben ein Geschäftsmodell, das nicht auf eine längere Niedrigzinsphase eingestellt ist. Für das private Krankenversicherungssystem, das ohnehin bereits mit dem Rücken zur Wand steht, könnten die niedrigen Zinsen der Zündfunke sein, der die schon länger tickende Zeitbombe explodieren lässt. Die Leidtragenden sind dabei vor allem die Versicherten selbst. Von Jens Berger

Altersarmut in einem reichen Land

Die Logik eines scheinbaren Widerspruchs haben Gerd Bosbach und Jens Jürgen Korff analysiert.
Altersarmut erscheint in der öffentlichen Diskussion oft als unausweichliche Folge der gesellschaftlichen Alterung. Ein Blick ins vergangene Jahrhundert zeigt allerdings, dass eine solche Entwicklung nicht zwangsläufig ist: Die Lebenserwartung stieg in Deutschland von 1900 bis 2000 um über 30 Jahre, der Anteil der Über-65-jährigen stieg von unter 5 auf über 17 Prozent und zugleich halbierte sich der Anteil der Jugendlichen. Gleichwohl nahm die Altersarmut in dieser Zeit nicht zu, sondern sank sogar rapide; auch wuchs der Wohlstand der Erwerbstätigen, und das trotz kürzerer Arbeitszeiten. Wer ohne Scheuklappen in die Zukunft schaut, wird erkennen: Altersarmut ist keine Folge der demografischen Entwicklung, sondern einer gesellschaftlichen Umverteilung von unten nach oben. Das belegen wir in diesem Aufsatz mit zwei einfachen, leicht nachvollziehbaren Überlegungen…

„Die Vorsorgelüge“ von Holger Balodis und Dagmar Hühne – eine interessante und wichtige Bestandsaufnahme

Man könnte unser Volk heute einteilen in eine große Gruppe von Menschen, die glauben, der demographische Wandel zwänge uns zur Veränderung des Systems der Altersvorsorge, die Privatvorsorge sei sozusagen zwingend, weil – wie jede und jeder wisse – künftig auf immer weniger arbeitsfähige Menschen immer mehr Alte kommen. – Dieser Gruppe, vermutlich die überwiegende Mehrheit in Deutschland, steht eine Minderheit der Ungläubigen gegenüber. Kopfschüttelnd und fassungslos. Albrecht Müller.

Es muss nicht immer Budapest sein

Voriges Jahr kam heraus, dass für die erfolgreichsten Versicherungsvertreter der Hamburg-Mannheimer Versicherung eine Reise nach Budapest mit einer Sex-Party in einem historischen Schwimmbad veranstaltet wurde. 2007 war das und die ca. 83.000 Euro wurden über Umwege auch von uns allen durch Versicherungsbeiträge sowie durch Subventionierungen kommerzieller Altersvorsorgeprodukte mittels Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen finanziert. Später gab es auch ähnliche Reisen nach Jamaica und Mallorca.
Aber es muss nicht immer Budapest, Jamaica oder Mallorca sein. Manchmal reicht auch der Garten einer Frankfurter Apfelweinwirtschaft. Von Martin Betzwieser.

Wie Papageien-Journalismus funktioniert und wie das IAB seine eigenen Studien zu politischen Propagandazwecken missbraucht

„Alterung der Bevölkerung hat sich kaum auf die Arbeitslosigkeit ausgewirkt“ lautet die Überschrift einer jüngst veröffentlichten Studie aus dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) [PDF – 944 KB]. Das eigentlich neue und interessante Ergebnis der Studie ist, dass die Alterung der erwerbsfähigen Bevölkerung auch in Zukunft „nur einen geringen Effekt auf die gesamte Arbeitslosenquote haben“ dürfte.
Dieser Befund widerspricht nämlich fundamental der von der Politik ständig ausgegebenen und von den Medien nachgeplapperten Behauptung, die demografische Entwicklung und dabei vor allem die Alterung der Bevölkerung werde die Arbeitslosenzahlen deutlich sinken lassen.
„Alterung der Bevölkerung wirkt sich kaum auf die Arbeitslosigkeit aus“ hätten also die Schlagzeilen aufgrund dieser Studie lauten müssen, doch die allermeisten Medien fallen auf die politisch motivierte, schönfärberische Pressemitteilung des IAB herein und machen daraus eine Jubelmeldung über die Verdoppelung der Erwerbsquote älterer Arbeitnehmer.
Man müsste also sogar von Papagei-Papageien-Journalismus sprechen. Von Wolfgang Lieb.

Politische Ökonomie der Alterssicherung – Kritik der Reformdebatte um Generationengerechtigkeit, Demographie und kapitalgedeckte Finanzierung

Spätesten seit den 1970er Jahren setzte sich in der tonangebenden sozialpolitischen, ökonomischen und öffentlichen Debatte nach und nach die Überzeugung durch, dass ein über Steuern und/oder Abgaben im Umlageverfahren finanziertes staatlich organisiertes System der Alterssicherung ungerecht, ineffizient und aufgrund demographischer Entwicklungen in Zukunft nicht länger finanzierbar sei. Aufgrund dieser radikalen Kritik an den international so bezeichneten PAYGO-Systemen (hierunter fällt auch die gesetzliche Rentenversicherung in Deutschland) wurde alternativ die private, kapitalgedeckte Organisation und Finanzierung der Alterssicherung favorisiert. Ungeachtet des jeweiligen Verfahrens (als individuelle Altersvorsorge, betriebliche Vorsorge und/oder als ergänzende kapitalgedeckte Komponente im gesetzlichen, umlagefinanzierten System) sei dieser Ansatz prinzipiell viel gerechter und rentabler und würde zudem die drängenden demographischen Probleme effektiver verarbeiten, so zumindest die populäre Überzeugung. Wenngleich die polarisierende Argumentation in den 1970er Jahren noch nicht detailliert ausgearbeitet und öffentlich anerkannt war, trug sie doch maßgeblich dazu bei, die Phase des forcierten Auf- und Ausbaus der PAYGO-Systeme nach 1945 zu beenden und eine Phase der Gegenreform vorzubereiten und ein neues, orthodoxes Reformparadigma zu begründen. Die Zusammenfassung der Doktorarbeit von Christian Christen[*].

Demographische Folgen der Eurokrise

Im Kielwasser der Eurokrise unterwirft sich die Staatengemeinschaft einer selbstmörderischen Sparpolitik. Bereits heute haben die Arbeitslosenzahlen südeuropäischer Staaten einen Wert erreicht, der an die schlimmsten Wirtschaftskrisen vergangener Zeiten erinnert. Dies wird zwangsläufig zu Migrationsbewegungen von der Peripherie ins Zentrum führen, die Europa zwar enger zusammenwachsen lassen, allerdings vor allem die Peripherie noch weiter schwächen. Wenn die europäische Politik diesem Trend nicht entgegensteuert, sondern ihn weiter verstärkt, könnten ganze Staaten vom gemeinsamen Wohlstand abgehängt werden. Von Jens Berger

Bertelsmann-Bevölkerungsprognose: Unseriöse Panikmache!

Schon die Überschrift belegt die Absicht: „2030: Über 80-Jährige in der Überzahl?“ Hier geht es um Stimmungsmache und nicht um seriöse Wissenschaft. Oder glauben die Berichterstatter ernsthaft, dass 2030 die über 80-Jährigen die Mehrzahl der Bevölkerung bilden? Ein kurzer Blick auf die Pressemitteilung 2030: „Über 80-Jährige in der Überzahl? Bevölkerungsprognose mit Daten und Fakten für rund 3.200 Kommunen“ der Stiftung von Gerd Bosbach

Sachverständigenrat – 2070: Rente erst ab Ableben

Zu diesem Ergebnis würde man vermutlich kommen, wenn man die „Prognosen“ des jüngsten Gutachtens des sog. „Sachverständigenrats“ [PDF – 2.6 MB] fortschriebe. 2060 ist der SVR immerhin schon bei einem gesetzlichen Renteneintrittsalters von 69 Jahren angekommen.
Wenn man von vorneherein unterstellt, dass alle anderen Stellschrauben zur Bewältigung des demografischen Wandels festgezurrt sind, dann bleibt eben nur der Ausweg, dass eine älter werdende Bevölkerung eben länger arbeiten muss, egal ob sie das will oder kann. Um die vom SVR ausgemachte „Tragfähigkeitslücke“ für die Sozialen Sicherungssysteme endgültig zu schließen, folgt nach dieser fixen Idee in absehbarer Zeit unausweichlich der Vorschlag den Renteneintritt erst kurz vor dem Ableben festzusetzen. Von Wolfgang Lieb

Bernd Raffelhüschen bläst zur Lobbyisten-Polka

Turnusmäßig meldet sich die neoliberale Mietfeder Bernd Raffelhüschen zu Wort und spielt stereotyp mit den Ängsten vor dem demographischen Wandels und prophezeit wie einst Nostradamus den baldigen Kollaps der gesetzlichen Sozialsysteme. Dabei erfüllt Raffelhüschen eigentlich nur seinen Auftrag, werden viele seiner Studien am Deutschen Institut für Altersvorsorge doch von der Deutschen Bank finanziert, was wiederum perfekt zu seinen Tätigkeiten im Aufsichtsrat der ERGO-Versicherungsgruppe AG und in den neoliberalen Denkfabriken Stiftung Marktwirtschaft und Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft passt. In seiner jüngsten Gefälligkeitsstudie [PDF – 129 KB] prognostiziert Raffelhüschen wieder einmal den Zusammenbruch der Pflegeversicherung. Er malt das Schreckbild einer Vervierfachung der Beiträge bis 2060 (!) an die Wand. Die Rettung für die Pflegeversicherung liegt – wie sollte es bei Raffelhüschen auch anders sein – natürlich in deren Teilprivatisierung. Mit Wissenschaft hat diese Studie jedoch wie so oft nichts zu tun. Jens Berger