Wie “Der Spiegel” zu dem wurde, was er ist

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

Eine Biografie des Chefredakteurs erklärt, warum vom Hamburger Nachrichtenmagazin kaum noch aufklärerischer Journalismus zu erwarten ist: Oliver Gehrs, Der Spiegel-Komplex. Wie Stefan Aust das Blatt für sich wendete. Droemer Verlag.

Eine repräsentative Studie der Forschungsgruppe Journalistik an der Universität Münster fand einmal heraus, dass zwei Drittel aller befragten Journalisten die Anregungen für ihre Arbeit aus dem Magazin „Der Spiegel“ nehmen. Der „Spiegel“ dürfte von allen meinungsbildenden Blättern vermutlich das einflussreichste, sein Chefredakteur Stefan Aust also einer der wichtigsten Meinungsmacher dieses Landes sein. Doch wer ist dieser Mann, dem einige nachsagen, eigentlich gar keine Meinung, sondern nur ein Händchen fürs journalistische Geschäft zu haben? Und wie ist aus dem ehemals Augstein´schen „Sturmgeschütz der Demokratie“ die beliebige Allerweltsschleuder geworden, die die Mauern des Sozialstaates unter Dauerbeschuss nimmt? Der Medienjournalist Oliver Gehrs, selbst 1999 bis 2001 für das Hamburger Magazin tätig, hat das Leben Stefan Austs penibel recherchiert. Herausgekommen ist das Porträt eines fleißigen und begabten, zugleich machtbewussten und prinzipienlosen Journalisten, der sein Fähnchen geradewegs so in den Wind des Zeitgeistes hing, dass er entweder provozieren oder gefallen konnte – jeweils im Dienst der Auflage und der Karriere. Ob er in den 60er Jahren in „Konkret“ das Rezept für LSD verrät oder für die pornographischen „St. Pauli Nachrichten“ gegen den Springer-Konzern agitiert: stets ist die Provokation berechnet und die Empörung einkalkuliert. Die „linke Bügelfalte“, dieser Spitzname sagt viel über den radikalen Publizisten, der gleichzeitig darauf achtet, dass redaktionsintern die Hackordnung gewahrt bleibt. Immer ganz oben: Stefan Aust. Beim NDR-Magazin „Panorama“ macht der Umtriebige sich einen Namen mit seinen Reportagen, als Buchautor nutzt er seine Kontakte in die RAF-Szene. Mit „Spiegel TV“ bot und bietet er den seriösen Magazinen von ARD und ZDF Konkurrenz. Nachdem er gegen den Willen der Redaktion von Rudolf Augstein als Chefredakteur des „Spiegel“ durchgesetzt wurde, zeigte sich, dass Aust auch hier erfolgreich war und ist. Das Blatt ist lukrativ – aber beliebig. Terrorismus und Hitler ziehen als Themen inzwischen mehr als zunehmende Verarmung oder regenerative Energien. Erst wurde das Dosenpfand befürwortet, heute macht sich der „Spiegel“ darüber lustig. Der Berliner Büroleiter Gabor Steingart, der als wichtigster Mann hinter Aust gilt, regiert große Teile der Redaktion nach dem Prinzip „Teile und Herrsche“. Wer sich je wunderte, warum unter großen „Spiegel“-Artikeln bis zu acht Autoren stehen, weiß jetzt, dass Steingart damit sicherstellen kann, dass zum Schluss immer seine eigene Meinung steht und die ist dezidiert neoliberal. Dabei sind Parteienpräferenzen eigentlich egal. Ob Stoiber oder Schröder im Wahljahr 2002 präferiert wurden, hing jeweils damit zusammen, wer gerade in den Umfragen vorne lag. „Immer öfter ist Goliath der Gute“, so fasst ein Redakteur die Tendenz zusammen, die Topmanagern mehr Raum im Blatt einräumt als Vertretern von Randgruppen. Vom großen Geld sind Aust und Steingart ohnehin fasziniert. Austs Bewunderung für Ron Sommer führte zu einer kritiklosen Bejubelung der Telekommunikationsbranche. Aber auch eigene Interessen weiß Stefan Aust in seinem Blatt gut aufgehoben. Er, der einst kämpferisch gegen die Atomkraft Stellung bezogen hatte, lässt heute gegen die Windenergie anschreiben, weil er in seiner näheren Umgebung keine Windkraftanlage haben möchte. Hatte er früher den Springer-Konzern beschimpft, so übt er längst den Schulterschluss – und das nicht nur beim Thema Rechtschreibreform. Ein negativer Artikel über die „Bild-Zeitung“ im „Spiegel“ ist heute kaum vorstellbar. Das Kuscheln mit Springer hat auch konkrete Hintergründe: schließlich wird dem Konzern großes Interesse im Fernsehbereich nachgesagt. Aust mit seinem Steckenpferd „Spiegel TV“ wäre da ein guter Partner. Und auch ein Dritter sitzt mit im großen Medienboot: Frank Schirrmacher, der FAZ-Herausgeber, kooperiert in vielerlei Hinsicht mit Aust, so bei gemeinsamen Interviews für FAZ und „Spiegel TV“ oder dem Vorabdruck des „Methusalem-Komplotts“ im „Spiegel“.

Der Leser dieses von Gehrs glänzend geschriebenen Buches fragt sich, ob hier ein neues Meinungskartell entsteht. So wenig Stefan Aust eigene feste Überzeugungen zu haben scheint, eines, so macht sein Biograph Oliver Gehrs deutlich, ist klar: „Er („der Spiegel“) passt in eine Zeit, wo links fast rechts ist und von der herrschenden Ideologie abweichende Haltungen selten sind, weil sie schnell unter Ideologieverdacht stehen. Stefan Aust wiederum hat sein Leben lang gegen die Mächtigen angeschrieben, nun ist er selbst an der Stelle, wo er den Verlockungen der Macht erliegt.“ Die Redaktion des „Spiegel“ mag nicht immer geschlossen hinter ihrem Chefredakteur stehen, aber gegen ihn wird sie sich nicht stellen – zumindest nicht, solange er wirtschaftlich so erfolgreich ist. Dazu verdienen „Spiegel“-Journalisten einfach zu gut. Die wenigen, die es gar nicht aushalten, ziehen die Konsequenz, und gehen.

Oliver Gehrs, Der Spiegel-Komplex. Wie Stefan Aust das Blatt für sich wendete. Droemer Verlag.

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