Albrecht Müllers Wochenrückblick: Es gibt offenbar so etwas wie Lust an Zerstörung.

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

Die NachDenkSeiten nennen sich im Untertitel „Die kritische Website“. Zur Zeit sind wir beim Umgang mit dem Euro und Europa vermutlich eines der konstruktivsten Medien. Wir beobachteten in der vergangenen Woche mit Staunen und mit Sorge, wie zynisch und leichtfertig Politiker, Wissenschaftler und Medien mit der gemeinsamen Währung und dem erreichten Stand der Vereinigung Europas umgehen. Sie tun so, als könne man eine Währung wechseln wie das Hemd, sie an- und ausknipsen wie ein Licht; sie beachten nicht, welche unglaublichen wirtschaftlichen und politischen Kosten auf jedes ausscheidende Land und auf die verbleibenden Länder zukommen. Sie heizen immer wieder gedankenlos oder aus Absicht die Spekulation an. Sie äußern sich über andere Völker in beschämender Weise. – Wir halten dies für unerträglich, obwohl wir an der Konstruktion Europas und an der Konstruktion der Eurozone mindestens so viel auszusetzen haben wie jene, die jetzt über ihre eigene Konstruktionsfehlleistung herziehen. Wenn eine gesellschaftliche Einrichtung falsch konstruiert ist, dann muss man den Konstruktionsfehler heilen, statt das Ganze zu zerstören. Albrecht Müller.

Die Folgen einer Zerstörung des Euroraums

Am 6.9. erschien eine Studie von UBS Investment Research [PDF – 135 KB], einer Forschungseinrichtung der Schweizer Bank UBS. Titel: „Euro break up – the consequences“. Die Autoren der bisher leider nur in Englisch vorliegenden Studie beschreiben die wirtschaftlichen und politischen Folgen eines Auseinanderbrechens der Eurozone. Nicht nur ein schwaches Euro-Land wie Griechenland hätte mit enormen Kosten zu rechnen, die die Autoren pro Kopf umrechnen – 9500 bis 11.500 € im erstes Jahr nach dem Austritt; auch im Falle des Ausscheidens Deutschlands träten enorme Kosten ein, 20-25 % des BIP schätzen die Autoren.
Noch gravierender sind nach Meinung der Autoren die politischen Folgen: Europa verliere weiter an Einfluss, es könne zu schweren sozialen Problemen und politischen Spannungen bis hin zum Bürgerkrieg kommen.
Die Autoren stellen gleich zu Anfang fest, dass der Euro unter den gegebenen Strukturen nicht funktionieren kann. Entweder das wird geändert oder die Mitgliedschaft ist so nicht zu halten. Sie wenden sich dann aber zugleich gegen die populäre und falsche Vorstellung, ein Land könne bei sich die Ökonomie stimulieren, indem es einfach die Eurozone verlässt, und sie wenden sich gegen die falsche Vorstellung, ein Land könne einfach ausgeschlossen werden, oder ein starkes Land wie Deutschland könne die Eurozone verlassen ohne bemerkenswerte negative Konsequenzen. Aus ihrer Sicht bedarf es einer fiskalischen Union, um den Konstruktionsfehler des Euro-Raums zu heilen. Aus unserer Sicht bedarf es zur Heilung des Konstruktionsfehlers noch einiger anderer Elemente, insbesondere einer Annäherung der Lohnstückkosten und damit der Wettbewerbsfähigkeit der einzelnen Länder.
Im Kern halte ich die Stoßrichtung und die Hauptaussagen der Studie (nicht ede einzelne Berechnung) jedoch für richtig. Die Autoren machen klar, wie leichtfertig und bar jeder Sachkenntnis – auch von der Rechtslage – die Debatten um Austritt, Ausschluss oder Auseinanderbrechen geführt werden.

Zyniker, Populisten und Rechthaber sind unterwegs – Verantwortungslos bis zum Gehtnichtmehr

Man konnte gegen die Einführung des Euro sein – ohne Frage. Man kann beklagen, dass die Konzentration auf den Stabilitätspakt und damit auf Preisstabilität als quasi einziges Ziel der Politik grundfalsch war und ist, usw. Aber gut 10 Jahre nach seiner Einführung immer noch die Kämpfe von damals zu führen, ist lachhaft bis zynisch.
Deshalb verstehe ich nicht, dass die Gruppe Schachtschneider/Hankel/Starbatty/Nölling/Spethmann ihre Kampagne gegen den Euro weiterführt, statt sich auf die Beförderung einer sachlich richtigen und nicht neoliberal geprägten Reform der Konstruktion der Eurozone zu bemühen. Mit ihrer Klage gegen den Rettungsschirm haben sie das Gegenteil erreicht. Das Bundesverfassungsgericht hat das Gewicht der gescheiterten neoliberal geprägten Euro-Stabilitätspolitik noch erhöht. Siehe den Beitrag von Wolfgang Lieb vom 8.9. „Bundesverfassungsgericht hilft Bundesregierung bei der Griechenlandhilfe aus der Patsche und erhebt die Maastricht-Regeln auf Verfassungsrang“.

Das Urteil bestimmte die Debatte zum Thema in der vergangenen Woche.
Mit geradezu grotesken Vorschlägen meldete sich der EU-Kommissar Günther Öttinger zu Wort. Er schlug in der “Bild” vor, die Fahnen jener Euro-Staaten vor EU-Gebäuden künftig auf Halbmast zu setzen, die zu viel Schulden machen. Die CSU droht mit Ausschluss Athens – was gar nicht geht.
Vizekanzler Philipp Rösler, bringe die Staatspleite Griechenlands ins Spiel, schreibt Die Welt. Auch Rösler, immerhin Vizekanzler !, und Die Welt heizen ohne Rücksicht auf Verluste die Spekulation an. Eine Versammlung von verantwortungslosen Irren umgibt uns.

Spekulation wird weiter angeheizt – Weiter mit den falschen Rezepten und den falschen Personen

Griechenland müsse nachsitzen, schreibt meine Regionalzeitung, Die Rheinpfalz. Spiegel-Online schreibt wie die Politiker der Union vom Schlingerkurs der Griechen. Schäuble, die EU und der Internationale Währungsfonds pochen auf noch mehr Sparen, obwohl diese vor gut einem Jahr verordneten Rezepte keinen Erfolg hatten, ja keinen Erfolg haben konnten, weil ein Land, das seine Konjunktur kaputt spart, de facto gar nicht sparen kann. (Siehe dazu unseren Beitrag zu Griechenland vom 9.9.).

Die Debatte wird nicht von sachlichen Erwägungen geprägt. Würde die Bundesregierung Sachzusammenhänge und die Wirkung ihrer Sparkampagne berücksichtigen, dürfte sie so nicht agieren. Sie hätte dann auch harsch und hart auf die Ankündigung des EZB-Chefvolkswirts Stark reagieren müssen. Wer von der mangelnden Qualität dieses „Chefvolkswirts“ noch nichts wusste, kann es an diesem Vorgang sehen. Ein einigermaßen guter Ökonom musste wissen, was eine solche Ankündigung auslöst: Spekulation. Und Beifall. Danach trachten diese „Typen“, Stark wie Schäuble – ohne Rücksicht auf Verluste. Es passt ins Bild von der Abhängigkeit der Bundesregierung von der veröffentlichten Meinung und von den Interessen der Finanzindustrie, dass Staatssekretär Asmussen Nachfolger Starks werden soll. Ein den Interessen der Finanzwirtschaft nachweisbar ergebener und fachlich ausgesprochen „bescheidener“ Ökonom wird Chefökonom. Deutschland produziert eine Hypothek nach der anderen für Europa.

Ein besonders dreistes Stück zur Debatte um den Euro leistete sich das ZDF mit der heute-Sendung vom vergangenen Donnerstag. Darüber berichtet unser Mitstreiter JK treffend:

„Noch ein Hinweis auf einen reinen Propagandabeitrag aus der heute-Sendung des ZDF vom Donnerstag. Beim Ansehen bleibt einem allerdings erst einmal die Spucke weg. Tenor: Deutschland hat im Prinzip nicht vom Euro profitiert und kann/sollte eigentlich aus der Währungsunion aussteigen, bevor es für alle Schuldenstaaten den Zahlmeister spielt, so die heimliche Botschaft. Als Zeugen treten auf  Prof. Renate Ohr, angebliche Expertin für internationale Wirtschaftspolitik an der Universität Göttingen, sowie ein Dr. Matthias Kullas vom Centrum für Europäische Politik Freiburg.
Eine Suche bei Google weist Frau Ohr als klare Eurogegnerin aus. 1998 war sie Mitinitiatorin eines Manifestes verschiedener Ökonomen gegen die Europäische Währungsunion und fällt durch Vorschläge auf, so genannten Schuldenstaaten die Stimmrechte in europäischen Gremien zu entziehen. Selbstverständlich schreibt Frau Ohr auch für den Ökonomen-Blog der INSM.
Zu Herrn Kullas trifft man im Netz auf einen Artikel in der FAZ, der offenbar als Vorlage für den ZDF-Beitrag gedient hat, da dort fast eins zu eins die gleiche Argumentationslinie zu finden ist. In anderen ZDF-Beiträgen zum Thema Schuldenkrise wird Herr Kullas auch schon einmal als Politik-Experte ausgewiesen. Primär ist Matthias Kullas für das Centrum für Europäische Politik tätig, das sich, laut ZDF,  als Think-Tank der Stiftung Ordnungspolitik versteht. Laut Wikipedia handelt es sich bei der Stiftung Ordnungspolitik um eine Institution deren Ziel die Pflege und wissenschaftliche Weiterentwicklung der Ordnungsökonomik, aufbauend auf den Ideen von Walter Eucken und Friedrich August von Hayek, sei. So viel zu den so genannten Experten.
Eigentlich unglaublich, dass in einem öffentlich-rechtlichen Sender eine derartige Meinungsmache und -manipulation möglich ist.
Hier die Quellen: heute/ZDF und FAZ.

Es gab auch Erfreuliches in der vergangenen Woche: Einen ungewohnten Gleichklang von Gregor Gysi und dem Chef von Bosch, Franz Fehrenbach

Wir haben über Gysis Haushaltsrede vom vergangenen Mittwoch berichtet und über einen Bericht des Handelsblatts zu einem Gespräch von Fehrenbach mit Wirtschaftsjournalisten. Beide wandten sich in der vergangenen Woche gegen die Vorherrschaft der von Spekulation und Wetten geprägten Finanzwirtschaft und machen ähnliche Heilungsvorschläge.

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