Nie wieder Fukushima

Ein Artikel von Rainer Roth & Jens Wernicke

Dieser Tage erscheint bei „KLARtext e.V.“ eine Schrift von Rainer Roth und Jens Wernicke mit dem Titel „Der Kernschmelze keine Chance! Vorrang für Kraft-Wärme Koppelung“ [PDF – 875 KB]. Die Autoren zeichnen ein realistisches Bild über die Umweltverseuchung in Fukushima und zeigen die Interessen der Atomlobby auf, außerdem beschreiben sie die Mythen und Legenden der angeblichen „Atomausstiege“ der rot-grünen und schwarz-gelben Bundesregierungen. Die Autoren haben uns die Textauszüge aus dem 120 Seiten umfassenden Bändchen zur Verfügung gestellt. Hier zunächst die Einleitung „Nie wieder Fukushima“.

Nie wieder Fukushima

In drei Blöcken des AKW in Fukushima kam es im März 2011 zu einer Kernschmelze, weil der Strom für die Kühlungssysteme der Reaktorbrennstäbe nach einem Erdbeben und dem anschließenden Tsunami ausgefallen war. Erst zwei Monate nach der Katastrophe gab der Betreiber Tepco die Kernschmelzen zu. Verharmlosung und Vertuschen der Folgen kennzeichnet bis heute die Vorgehensweise von Tepco und der japanischen Regierung.
Die Kernschmelze, d.h. eine unkontrollierte Kettenreaktion, wird in Fukushima noch solange weiter bestehen, bis die 1.500 Brennstäbe der drei Kernreaktoren ausgebrannt sind. Das kann viele Jahre dauern, offiziell zehn Jahre, wahrscheinlich aber mehr. Über noch unbekannte Zeiträume werden also ungeheuere Mengen Radioaktivität freigesetzt, unter anderem über das extrem gefährliche Plutonium-239. Die freigesetzte Radioaktivität übertrifft alles Bisherige um ein Vielfaches. Experten sprechen davon, dass die freigesetzte Strahlung der von 20 bis 30 Atombomben entspricht. Allein die bisher freigesetzte Menge an Cäsium 137 ist 168 mal höher als die der Hiroshima-Bombe (Die Welt 25.8.2011). Berge von Atommüll werden produziert, für die es kein Endlager gibt. Die Folgen der Katastrophe liegen im Moment jenseits aller Vorstellungskraft.

Die Strahlungswerte im havarierten Kernreaktor erreichten im August 2011 bis zu 10 Sievert pro Stunde. Eine gigantische Strahlendosis, die schon nach kurzer Zeit tödliche Folgen haben kann. 10 Sievert entsprechen 10.000 Millisievert (mSv). Die maximale Jahresdosis für die Bevölkerung ist 1 mSv, für Beschäftigte in AKW 20 mSv. Über das ganze Berufsleben dürfen jedoch nicht mehr als 400 mSv zusammenkommen.
In einem Radius von zwanzig Kilometern mussten alle Anwohner evakuiert werden. 100.000 bis 150.000 Menschen haben das Gebiet verlassen und werden nie wieder in ihre Heimat zurückkehren können. Aber auch viele Kilometer weiter ist die Strahlenbelastung extrem hoch. In Fukushima City, rund 60 Kilometer von dem havarierten Kraftwerk entfernt, fand Greenpeace auf einem Spielplatz Werte von bis zu vier Mikrosievert pro Stunde (FAZ.net 12.4.2011). 1 Millisievert entspricht 1.000 Mikrosievert. In nicht einmal vierzehn Tagen ist die jährlich maximal zulässige Dosis von einem 1 Millisievert erreicht. 80 Prozent der Radioaktivität der Bodenproben stammte von Cäsium-Isotopen. Cäsium 137 hat eine Halbwertzeit von rund 30 Jahren, Cäsium 134 eine von zwei Jahren. 80 km von den Reaktoren entfernt maß ein Bauer an seinem Haus 90 Mikrosievert pro Stunde. In nur 9 Tagen erreicht diese Dosis die „zulässige“ Jahresgrenze an Strahlenbelastung (20 Millisievert) von Mitarbeitern in AKW (Frontal 21 vom 11.8.2011). Die Evakuierungszone müsste auf mindestens 80 km ausgedehnt werden.

Verseuchtes Wasser

Die geschmolzenen Kerne werden mit Wasser gekühlt, um zu verhindern, dass sich die heißen Brennstäbe durch den Reaktordruckbehälter und den Betonboden fressen. Im Grundwasser um Reaktor 2 wurden am 18.5. 2011 hohe Strontium-Werte gemessen. Das spricht dafür, dass mindestens ein Kern den Sicherheitsbehälter durchgeschmolzen und nun direkten Kontakt zum Grundwasser hat. Große Mengen radioaktiven Wassers fließen direkt in den Pazifik und ins Grundwasser, weil Druckbehälter, Sicherheitsbehälter und die mit 3.000 Brennstäben gefüllten Abklingbecken ständig gekühlt werden müssen und undicht sind.
Während der Reaktorkatastrophe von Fukushima sind die gesetzlichen Grenzwerte für radioaktives Jod und Cäsium im Meereswasser vorübergehend um das 50.000 bis 200.000-fache überschritten worden (Moldzio u.a. 7.7.2011). Das Meer um Fukushima ist hochgradig verseucht. Die radioaktiven Substanzen verteilen sich weiträumig. Bei aller Verdünnung wird dies langfristig zu einer messbaren Erhöhung des radioaktiven Inventars des Pazifiks und der Weltmeere führen, so wie es auch z.B. durch Tschernobyl und die Atomwaffentests geschehen ist. Bei radioaktiven Substanzen, die dann am Ende der Nahrungskette von unten nach oben von Menschen aufgenommen werden, gibt es keine „unschädliche“ Dosis. Die Dosis bestimmt nur die statistische Wahrscheinlichkeit z.B. an Krebs zu erkranken.
Nordöstlich der Reaktoren liegt eines der fischreichsten Gebiete der Welt. Die dort
aktive japanische Fischerei fängt die Hälfte der in Japan konsumierten Fischprodukte. Fisch ist in Japan ein Grundnahrungsmittel und lässt sich in seiner Bedeutung mit dem Reis vergleichen.

Verseuchte Luft, verseuchte Böden

Die Explosionen in den Reaktoren haben große Mengen Radioaktivität in die Luft freigesetzt. Wind und Regen verteilen die radioaktiven Substanzen über weite Flächen Japans und verseuchen auch die Böden. Fukushima ist eine der fruchtbarsten Regionen Japans. In Obst, Gemüse und Fleisch aus der Präfektur Fukushima wurde stark erhöhte Radioaktivität nachgewiesen. Neben Fukushima wurde auch der Verkauf von Rindfleisch aus den Präfekturen Tochigi, Miyagi und Iwate verboten. Verseuchtes Rindfleisch war in ganz Japan verkauft worden. 60 km von Fukushima entfernt wiesen Shitake-Pilze eine siebenfach höhere Dosis Cäsium 137 auf als „erlaubt“. 80 km von Fukushima entfernt waren Kartoffeln verseucht, wies Reis ein erheblich höhere Belastung auf als die des Grenzwerts. 100 km südlich von Fukushima war der Spinat verseucht. Sogar in 360 km Entfernung wurden die radioaktiven Grenzwerte in grünem Tee erheblich überschritten. Man kann davon ausgehen, dass die radioaktive Belastung von Lebensmitteln in weiten Teilen Japans die Grenzwerte übersteigt. Nahrungsmittel werden zu Atommüll.
Was auch immer hergestellt wird, ist in verstrahlten Regionen radioaktiv zu stark belastet. Sich außerhalb von Gebäuden aufzuhalten, ist insbesondere für Kinder gefährlich.

Verseuchte Menschen

Die japanischen Behörden messen den Grad der radioaktiven Belastung von Gemüse usw., aber nicht den von Menschen. Sie heben lieber Grenzwerte an. 1 mSv pro Jahr ist der zulässige Höchstwert für die Bevölkerung. Für Kindergarten- und Schulkinder wurde er jedoch von 1 mSv pro Jahr auf unglaubliche 20 mSv angehoben, auf die oberste Grenze für Arbeiter in Atomkraftwerken. Die Regierung wollte damit die Schließung von Schulen und Kindergärten vermeiden. Sie verurteilt Kinder lieber zu Krebserkrankungen. Für in Fukushima eingesetzte Arbeiter wurden die Grenzwerte von 50 mSv auf 250 mSv bei einem Einsatz angehoben.
Der Jahresdosis-Höchstwert bezieht sich in Japan nur auf externe Strahlungsquellen, nicht auf Nahrungsmittel, Wasser oder z.B. inhalierten radioaktiven Staub. Über die Aufnahme von Nahrungsmitteln und über das Atmen werden Millionen Menschen in Japan mit unabsehbaren Folgen radioaktiv verstrahlt. Bei Millionen Menschen dürfte der Wert selbst von 20 mSv/Jahr deutlich überschritten werden.
Radioaktive Substanzen schädigen Erbgut und Zellen. Sie können bereits bei kleinsten Strahlungsmengen – mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit – Krebs auslösen und damit zum Tode führen. Auswirkungen können aber auch Missbildungen, Unfruchtbarkeit oder eine erhöhte Anfälligkeit für Krankheiten wie Immunschwäche, Herz- und Gefäßkrankheiten usw. sein, besonders bei Kindern. Weite Teile Japans sind – so gesehen – eigentlich unbewohnbar.

Atomtechnologie ist nicht beherrschbar. Kein anderer Industriezweig erzeugt solche Katastrophen. Wirtschaftsbosse und Bundesregierung/Bundestag aber meinen, dass wir uns in Deutschland noch elf weitere Jahre dem Risiko einer Kernschmelze aussetzen sollten. Wir meinen das nicht.
Alle Atomkraftwerke müssen sofort abgeschaltet werden.

In Japan gibt es 3.000 Talsperren, nur ein Bruchteil dient der Stromgewinnung. Es gibt mehr als 100 aktive Vulkane und über 10.000 heiße Quellen, aber nur 19 Geothermie-Kraftwerke. Nur 0,4 % des Stroms wird aus Windenergie gewonnen. Japans Solarzellenhersteller (vor allem Panasonic und Sharp) waren bis 2000 die weltweit größten und technisch stärksten. Japans Tepco-Regierung setzte jedoch darauf, dass bis 2030 über die Hälfte des Stroms aus Atomkraft kommen sollte (FTD 18.7.2011). Eine Studie im Auftrag von Tepco ergab, dass Japan in der Lage wäre, mit Windkraft, Solarstrom, Geothermik und Maschinen, die Elektrizität aus Ozeanwellen gewinnen, leistungsfähigen Batterien und einem schlauen Stromnetz den gesamten Energiebedarf des Landes zu decken. Tepco verhinderte die Veröffentlichung der Studie (Waßmuth 2011, 53).

Fortsetzung folgt.

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