„Yes we Gauck“ – Springer hat sich durchgesetzt

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Die Präsidentschaft von Joachim Gauck ist ein Produkt der Springer-Presse. Der rechtskonservative Zeitungskonzern hat nicht nur zur Popularität Gaucks wesentlich beigetragen sondern den Kandidatenvorschlag durch FDP, CDU/CSU und SPD sowie durch die Grünen erst möglich gemacht. Mit Gauck hat Schwarz-Gelb einen willkommenen Wahlhelfer gefunden, zumindest aber ist er ein Garant gegen jede Alternative zu einer neoliberal geprägten Politik in Deutschland. Von Wolfgang Lieb.

Es ist ja ein offenes Geheimnis, wer die rot-grünen Parteigranden vor zwei Jahren auf die Idee gebracht hat, Joachim Gauck zu ihrem Präsidentschaftskandidaten zu küren. Es war der damalige Chefredakteur und jetzige Herausgeber des rechtskonservativen Springerblattes „Welt“, Thomas Schmid (Financial Times v. 20.6.2010). Kein Wunder deshalb auch, dass die Springerzeitungen vor zwei Jahren Gauck als ihren Lieblingskandidaten hochjubelten. Und nach dem Abgang von Wulff widmete gestern „Bild am Sonntag“ die ganze Titelseite erneut ihrem Favoriten: „54 Prozent wollen Gauck“. Diese „Nibelungentreue“ der Chefetage der Springerzeitungen zu Gauck dürfte auch eines der tragenden Motive gewesen sein, warum kein anderer Medienkonzern den zurückgetretenen schwarz-gelben Präsidenten Christian Wulff – ganz entgegen der parteipolitischen Bindung an die CDU und die FDP – so unerbittlich verfolgt hat, wie die Springer-Presse. Nachdem sie vor zwei Jahren schon die SPD und die Grünen mit Gauck als Präsidentschaftskandidaten für sich eingenommen hatten, konnten die wirtschaftsliberalen und rechts von christlich-konservativen Positionen angesiedelten Überzeugungstäter aus dem Hause Springer nun auch der Kanzlerin die Grenzen ihrer Macht aufzeigen. Das Signal ist klar: Gegen Springer läuft in dieser Republik nichts.

Dass sich die FDP im Regierungslager gegen Widerstände aus CDU/CSU und wohl auch gegen Merkel durchgesetzt hat, kann nur diejenigen erstaunen, die sich dem Gauck durch die Medien verpasstes Image des rhetorisch begnadeten Freiheitskämpfers haben blenden lassen. Gaucks Freiheitsbegriff ist mit demjenigen der FDP nahezu identisch.
Um das bestätigt zu finden braucht man nur Gauck einmal selbst zu lesen, nämlich seine 2009 erschienenen Erinnerungen „Winter im Sommer – Frühling im Herbst“. Er vertritt dort das abstrakte Freiheitsideal des Liberalismus, das sich auf die bürgerlichen Abwehrrechte gegen den Staat beschränkt und in dem ansonsten jeder seines Glückes Schmied ist. Wie bei den Ordoliberalen à la Friedrich August von Hayek gelten auch für Joachim Gauck solche Gesellschaftsvorstellungen, die auf eine materielle soziale Basis für die Verwirklichung von Freiheit drängen, als tendenziell totalitär.

Ich habe mich mit Gaucks Bekenntnis anlässlich seiner Gegenkandidatur gegen Wulff vor zwei Jahren ausführlich auseinandergesetzt und verweise – um Wiederholungen zu vermeiden – auf meinen damaligen Beitrag „Ein traumatisierter Präsidentschaftskandidat“. Seine Gläubigkeit an die Rationalität der Märkte wurde seither auch durch die Finanzkrise nicht etwa erschüttert, im Gegenteil: Im Gegensatz zu manchen geläuterten Marktradikalen beschimpfte er die Finanzmarktkritiker als „unsäglich albern“. Er bestätigte sein nicht verarbeitetes DDR-Trauma indem er laut Spiegel der Occupy-Bewegung entgegenhielt, der Traum von einer Welt, in der man sich der Bindung von Märkten entledigen könne, sei eine romantische Vorstellung: “Ich habe in einem Land gelebt, in dem die Banken besetzt waren.”

Gauck passt also ganz gut zu Merkels Vorstellung der „marktkonformen Demokratie“.

Der Kanzlerin ist nun, nachdem schon zwei der von ihr ausgewählten Bundespräsidenten abhandengekommen sind, ein Kandidat aufgedrängt worden, der ihr wegen seiner Sicht auf die DDR aus einer Stasi-Perspektive angesichts ihrer eigenen FDJ-Vergangenheit bisher möglicherweise als bedrohlich erschien. Gauck als Bundespräsident dürfte sich jedoch im Hinblick auf die Bundestagswahl 2013 für Merkel und ihre Partei und vor allem auch für die FDP schon bald als Glücksfall erweisen, denn eine höhere amtliche Autorität gegen die SPD und die Grünen, sollten diese Parteien sich im Wahlkampf mit sozialen Themen profilieren wollen, könnte sich Schwarz-Gelb gar nicht wünschen. Denn, wie bekannte Gauck in einem Interview mit der Welt am Sonntag doch freimütig: Er wisse, “dass in beiden Parteien (in der SPD und bei den Grünen (WL)) auch linke Positionen vertreten werden, die nicht völlig zu meinen politischen Grundüberzeugungen passen”. Für ihn sei der Wert der Freiheit von allergrößter Bedeutung. Das sehe „man im linken Spektrum zuweilen doch ganz anders. Dort ist ein Wert wie Solidarität viel wichtiger, und man vertritt eine staatliche Fürsorglichkeit, die mir manchmal viel zu weit geht“.

Nicht nur wegen seiner grundskeptischen Haltung gegenüber sozialstaatlichen Interventionen passt Gauck zum wirtschaftsliberal-konservativen Lager, sondern auch wegen seiner Parteinahme für den herrschenden Sparkurs der Regierung. „Ich finde es richtig zu sparen“. Er ist – seiner asketisch-protestantischen Grundüberzeugung entsprechend – ein „Verzichtsprediger“, der kritisiert, dass das Glück darin bestehe, dass es den Menschen materiell besser gehe als heute. Die Reduzierung des Lebensglücks auf Wohlfahrt und Wohlstand hält er geradezu für „kindisch“.
Solche Predigten als Bundespräsident passen natürlich trefflich zusammen mit der von der Bundesregierung nicht nur in Deutschland sondern für ganz Europa verordneten Austeritätspolitik.

Nicht zuletzt ist Gauck ein Garant gegen jede Alternative zu einer neoliberal geprägten Politik. Albrecht Müller schrieb zu Recht: Gauck „verstärkt und zementiert diese Linie“.
Und schon gar ist Gauck ein Bollwerk gegen die Linkspartei. “Rot-Rot-Grün wünsche ich mir nicht und kann es mir auch überhaupt nicht vorstellen”. Er stärkt damit gleichzeitig auch die rechte SPD-Führung um Steinmeier, Steinbrück und Gabriel.

Gaucks Popularität, an der nun auch die CDU und die FDP (wie zuvor schon die SPD und die Grünen) offenbar nicht mehr vorbeikommen konnten, ist nachweislich ein Resultat der Meinungsmache konservativer Medien und dabei vor allem der Springer-Presse. Gauck ist intelligent genug, dass zu wissen. Mit der Medienkampagne gegen seinen Vorgänger als Bundespräsident dürfte ihm auch klar geworden sein, von wem er in seinem Ansehen in der Öffentlichkeit auch künftig abhängig sein wird. Deshalb sollte er am besten vor jeder Rede in der Chefredaktion der Bild-Zeitung oder beim Vorstandsvorsitzenden der Axel Springer AG anrufen, um sie sich absegnen zu lassen.
Er muss ja nicht unbedingt auf den Anrufbeantworter sprechen.

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