Debattenkultur im WDR

Jens Berger
Ein Artikel von:

Vor einigen Tagen hatte ich für die Nachdenkseiten einen kritischen Artikel über den WDR verfasst. Darin wurde die derzeitige Unruhe in den Redaktionen geschildert, der Niedergang und die Banalisierung in Teilen der WDR-Programme beschrieben. Seitdem ist viel passiert: unter anderem hat sich die Unterschriftenaktion, bei der unter www.die-radioretter.de gegen die Organisationsreform bei der WDR-3-Kulturwelle protestiert werden kann, zu einem vollen Erfolg für die Initiatoren entwickelt. Rund 2.400 Menschen (Stand: 28.2., 16 Uhr) haben sich nach nur wenigen Tagen an dieser Aktion beteiligt und ein Ende ist noch nicht abzusehen. Und auch in der Führungsspitze des WDR scheint die Unruhe groß geworden zu sein. Hörfunkdirektor Wolfgang Schmitz hat uns ein Schreiben zukommen lassen, das wir unseren Lesern hiermit zur Kenntnis geben. Von Erika Fuchs

Siehe dazu: Wolfgang Schmitz: „Occupy WDR? Nein danke!“

Wir geben zu: wir haben uns schwer damit getan, es überhaupt zu veröffentlichen, denn weder ist es ein wirklicher Beitrag zu einer Debatte um die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, noch ist in ihm erkennbar, dass sich der Autor die Mühe macht, inhaltlich auf den Text einzugehen. Aber er ist ein Dokument dafür, dass der Nachdenkseiten-Artikel ins Schwarze getroffen hat und dass es mit einer konstruktiven Diskussionskultur im Sender nicht weit her ist. Schmitz` Reaktion widerspricht auch zu 100 Prozent sämtlichen positiven Rückmeldungen, die ich oder die Redaktion der Nachdenkseiten auf den Artikel „Occupy WDR“ bekommen haben, sei es von Hörern und Zuschauern des WDR oder intern aus WDR-Kreisen. Auch die, sagen wir einmal, „nachdrückliche Art“, mit der von Seiten des WDR auf die Veröffentlichung der Schmitzschen Replik gedrängt wurde, lässt Rückschlüsse zu auf den Druck, der sich innerhalb dieser Sendeanstalt aufgebaut zu haben scheint. Auch die Diktion von Schmitz ist meiner Ansicht nach so selbst entlarvend, dass ich auf eine weitere Replik auf die Replik im Sinne einer sinnvollen Debattenkultur gerne verzichte. Sie spricht für sich selbst.

Wer sich weiter für das interne Klima in der öffentlich-rechtlichen Anstalt interessiert, der lese eine E-Mail aus dem Freien-Forum der WDR:

Vom freien Autoren-Leben
in den Zeiten der WDR-Reformen

 
Es reformelt seit Jahren im WDR. Die 3er Hörfunk-Schiene wird konsequent entpolitisiert (womit der Wegfall kritischer politischer Sendungen gemeint ist) und in Teilen entwortet (was für ein gewalttätiger Ausdruck, er klingt nach „entleibt“, „entseelt“). Nach einer immer konsequent eingehaltenen Pietätspause erfahren dann schließlich auch die freien Autorinnen und Autoren, dass ein neuer Reformblitz auf ihrem Schreibtisch eingeschlagen hat. Letzter Coup: die vorweihnachtliche Mitteilung an die journalistischen Zuarbeiter der Sendereihe Resonanzen, ihre Dienste seien ab März 2012 nicht mehr gefragt.
 
Was sich selbst ein frühkapitalistischer Patriarch kaum trauen würde, ist den Tomatenpflückern und Spargelstechern des WDR offensichtlich zuzumuten: die Kündigung unter dem Weihnachtsbaum. Aber gemach, es kommt noch besser. Am 24. Februar 2012 verschickte der zuständige “Leiter PG Aktuelle Kultur” im WDR 3, Volker Schaeffer, in derselben souveränen Art ein neues Schreiben an seine journalistischen Tagelöhner:

“Heute möchte ich Sie darüber informieren, dass sich der Starttermin für die Veränderungen bei Resonanzen voraussichtlich auf 1. Mai dieses Jahres verschiebt. Wir gehen davon aus, dass Sie einverstanden sind, bis zur Umsetzung der Veränderungen weitere Aufträge der Redaktion WDR 3 Resonanzen zu erhalten. Bei Einwänden bitten wir so schnell wie möglich um Nachricht.”

Es handelt sich bei diesem Hin und Her um die Umkehrung des altbekannten Prinzips vom “Heuern und Feuern”. Der WDR macht daraus das Prinzip: “Feuern und Heuern.” Die nächste Umkehrung oder vielleicht besser Erweiterung, ein nächstes “Feuern” nämlich (und zwar aus allen Rohren), ist ja schon angekündigt.

Ein Wort der Erklärung, des Bedauerns gar für die schnoddrige Ab- und Auf- und bald wieder Abwertung journalistischer Arbeitskraft fehlt dem Schreiben. Wir sind denen da Oben – sorry für den Rückgriff in die semantische Mottenkiste, aber er ist gerechtfertigt – nichts wert, gar nichts, und schon gar nicht so etwas wie Respekt, sagen sich angesichts des zweiten Schaeffer-Schreibens eine wachsende Zahl von Resonanzen-Autorinnen und -Autoren. Auch wenn die Konsequenzen durchaus unterschiedlich sind: Die einen wetzen zornig ihr Spargelmesser und machen sich mit zusammengebissenen Zähnen für zwei Monate wieder auf ins Gemüse, andere haben sich entschlossen, nicht mehr den Ausputzer vor und hinter den Türen zu spielen, die vor den Autorennasen zugeschlagen, aufgedrückt und wieder zugeschlagen werden. Die einen wollen ihr Tagelöhnerüberleben retten, ja sie müssen es ganz einfach, die anderen wollen einfach nicht mehr Hündchen spielen und Stöckchen springen. Und es gibt auch die Dritten, die die gebotene Gelegenheit zu klarer Kante in den Resonanzen nutzen wollen, um das Publikum hören zu lassen, wie wichtig diese Sendung ist – mit aufgeklapptem Spargelmesser und trotz Schaeffer-Stöckchen.
 
So oder so: der Umgang mit den Autorinnen und Autoren zeigt den weiteren katastrophalen Niedergang der Kultur in einer öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt. Die beste Antwort darauf wäre wohl ein geschlossener Streik aller Betroffenen, punktgenau, öffentlich, wenigstens für einige Tage. Denn angesichts der niederdrückenden Reformbestrebungen, der Abschaffung des politischen Feuilletons „Resonanzen“, der Streichung der “Journale” und damit der Abschaffung der politischen Berichterstattung überhaupt auf WDR3 muss man wahrlich um die Zukunft eines profilierten Kulturprogramms WDR3 fürchten. Zu hoffen ist, dass es nicht allzu lange dauert, bis sich diese Furcht in Widerstand wandelt.

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