Rudolf Hickel: Zum Tod von John Kenneth Galbraith am 30.4.2006

Rudolf Hickel
Ein Artikel von Rudolf Hickel

John Kenneth Galbraith, das Ökonomen-Genie aus den USA ist im Alter von 97 Jahren gestorben. Der durch den Börsenkrach von 1929 stark geprägte Ökonom, Sozialkritiker, Berater der Präsidenten Roosevelt und Kennedy sowie Diplomat schrieb über 33 Bücher und eine kaum zu überschauende Flut an Aufsätzen. In seinem berühmt gewordenen Buch „The affluent society “von 1958 warnte er be reits vor einer heute in Deutschland aktuellen Politik der Spaltung zwischen „öf fentlicher Armut und privaten Reichtum“. Auch die ökologischen Folgen des ent fesselten Wirtschaftswachstums kritisierte er bereits in den 1950er Jahren. Als echter Liberaler, der die Chancengleichheit unabhängig vom sozialen Status herstellen wollte, gilt er heute als profiliertester Kritiker des Neoliberalismus.

Zum Tod von John Kenneth Galbraith am 30. 4. 2006

Rudolf Hickel (Direktor des Instituts Arbeit und Wirtschaft (IAW))

Geboren wurde er am 15. Januar 1908 in Iona Station in der kanadischen Provinz Ontario. Nach einem Aufenthalt an der renommierten Universität von Berkley und der Annahme der US-Staatsbürgerschaft 1937 wechselte er an die Eliteuniversität Harvard. Jetzt ist er im Alter von 97 Jahren in einem Krankenhaus in Cambridge im US-Bundesstaat Massachusetts verstorben. Nach der Promotion mit einem Thema aus der Agrarwirtschaft an der Universität von Kalifornien in Berkeley wandte er sich endgültig den großen Fragen der Ent wicklung kapitalistischer Ökonomien zu. 1948 landete er in Harvard und blieb diesem Ökonomenmekka treu. Eine angenehme Abwechselung boten ihm die regelmäßigen Reisen des durch seine Beststeller reich gewordenen Kenneth Galbraith in den Nobelskiort Gstaad in der Schweiz.

Der geniale Provokateur aus Harvard

Mit Superlativen gilt es sparsam umzugehen. Dennoch darf John Kenneth Gal braith als einer der ganz großen Analytiker und Reformer des modernen Kapitalismus bezeichnet werden. Mit einer ungeheuerlichen Schreibwut hat er dessen Triebkräfte aus Vermachtung und Interessengegensätzen sowie dessen Krisenan fälligkeit beschrieben. Zu seinen Publikationen gehören weltweit verbreitete Bestseller. Allerdings ist seine Popularität in den letzten Jahren geschrumpft. Den derzeit übermächtigen Glauben an die Erlösung durch die neoliberal entfesselte Reichtumsmaschine Kapitalismus stören die galbraithschen Botschaften von einer solidarischen Ökonomie. Sein Tod sollte zum Anlass genommen werden, sein Werk für eine politisch gestaltete, solidarische Wirtschaftsgesellschaft neu zu entdecken. Schließlich beschreibt er mit ei­nem Gespür für historischen Wandel wie die Reduktion von Wirtschaft und Gesellschaft auf einzelwirtschaftlichen Eigennutz politische Gestaltung erzwingt.

Der Werdegang von Kenneth Galbraith ist eng mit der Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts verbunden. Neben seiner Forschungs- und Publikationsarbeit drängte es ihn immer wieder in die Politik. In der Politik agierte er allerdings weniger erfolgreich.

Bei dem Versuch während der Präsidentschaft von Roosevelt, Preiskontrollen gegen die kriegsbedingte Inflation durchzusetzen, scheiterte er an der Lobby der Großunternehmen. Diese bittere Erfahrung mit dem politischen Einfluss der ökonomisch mächtigen Unternehmensgiganten sollte später seine Anatomie des wirtschaftlich vermachteten US-Kapitalismus nachhaltig prägen. In der Kampagne für die Präsidentschaft von John F. Kennedy 1960 unterstützte er massiv seinen alten Studienfreund. Dieses Engagement brachte jedoch wohl auch wegen der präsidialen Sorge über den unkontrollierbaren Querdenker keinen Ministerposten im Kennedykabinett. Er wurde von 1961 bis 1963 Botschafter in Indien.

Sein wissenschaftliches Werk hat große Kontroversen ausgelöst. Das Spektrum der Beurteilung reicht vom großen Visionär in der Tradition von Thorsten Veblen, Joseph Schumpeter und John Maynard Keynes bis hin zum marxistisch verblendeten Sozialisten und Populisten. Der Ökono­menpapst Paul A. Samuelson soll dem schlaksigen Zweimeter-Mann aus Harvard abgesprochen haben, überhaupt Ökonom zu sein. Während Samuelson bereits im zweiten Jahr der Vergabe den Nobelpreis für Ökonomie erhielt, wurde diese Ehrung Galbraith nie zu teil. Als Galbraith die harsche Kritik von Samuelson bekannt wurde, kom mentierte er selbstbewusst:

Nichts könnte mich weniger berühren. Ich glaube nicht, dass jemand, der nur Ökonom ist und soziale wie politische Gedanken ausklammert, irgendeine Bedeutung für die reale Welt hat.

Seine Erfolge sind auf zwei Gründe zurückzuführen. Zum einen formuliert er gut lesbar, provozierend, aufklärend, gespickt mit ätzendem Witz. Stolz verkündet er in einem Interview 1999:

Ja ich schreibe für ein breites Publikum, weil es mir schmeichelt, aber auch weil meiner Ansicht nach das Verstehen der Funktionsweise der Wirtschaft – und insbesondere die Tendenz der Privilegierten, ihre eigenen Interessen zu pflegen – eine der wichtigsten Dinge in einer Demokratie ist.

Zum anderen ist es die interdisziplinäre Methode, die Zusammenführung verschiedener Fachdisziplinen. Galbraith ist ein wichtiger Wegbereiter einer evolutorischen Institutionenökonomik. Nach dieser Theorie sind es die institutionellen Veränderungen und großen Strukturen, die einzelwirtschaftliches Handeln prägen. Obwohl er den Theorierevolutionär John Maynard Keynes aus Großbritannien oft wider­sprochen hat, große Übereinstimmungen sind unübersehbar. Galbraith begründet – wie Keynes – die Notwendigkeit politischer Gestaltung zur Vermeidung von Wirtschaftskrisen, zur Versorgung mit öffentlichen Gütern und zur sozialen Absicherung gegen Risiken, die die Märkte für diejenigen schaffen, die vom Erwerbseinkommen existenziell abhängig sind. Wie er im Untertitel seines 1998 vorgelegten Essays zur „solidarischen Gesellschaft“ betont, ordnungspolitisch plädiert er brandaktuell „für eine moderne soziale Marktwirtschaft“.

Anstatt der durch die Neoklassik modellierten Idylle vom vollkommenen Wett bewerb hebt Galbraith die ökonomische Konzentration auf wenige Megaunternehmen hervor. Die Folge ist der Einsatz strategischer Preissetzungsmacht auf den monopolitischen Märkten. Die unsichtbare Hand – die „invisible hand“ -, über die die einzelwirtschaftliche Rationalität hinter dem Rücken der Akteure die gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt optimieren soll, ist längst durch das Shakehand der Unternehmensgiganten abgelöst worden. In einem seiner ersten, 1952 vorgelegten Bestseller zum „American Capitalism“ zeigt er die Folgen der durch ökonomische Monopolmacht geprägten Wirtschaft. Er schlussfolgert wohl auch mit Blick für die realen Machtverhältnisse nicht, die Monopole müssten zerschlagen werden. Viel mehr setzt er darauf, dass ökonomisch geballte Macht Gegenmacht durch Gewerkschaften erzeugt und der intervenierende Staat die Balance („countervailing power“) sichert. Dieses Modell des „organisierten Kapitalismus“ hat jedoch durch den Machtverlust großer Institutionen in den letzten Jahren an Bedeutung verloren. In dem 1967 vorgelegten Bestseller „Der moderne Industriestaat“ („The New Industrial State“) greift er die neueren Entwicklungen im „organisierten Kapitalismus“ auf. Hervorgehoben wird die voranschreitende Trennung der Kapitaleigner – Shareholder – ge­genüber der wachsenden Schicht von Kapitalfunktionären. Aus heutiger Sicht hat Galbraith jedoch den in den letzten Jahren ausgebauten Einfluss der Kapitaleigener gegenüber den Topmanagern unterschätzt. Heute werden die Bosse auf den Vorstandsetagen durch die geballte Macht der Kapitalgeber zur Renditesteigerung getrieben.
Die Anpeitscher sind die Agenten der Shareholder, vor allem die großen Fondsvertreter sowie die kleine Clique hemdsärmeliger Analysten im Machtzentrum der New Yorker Börse.

In seinem wohl wichtigsten Werk „Gesellschaft im Überfluss“ (The Afluent So ciety) steckt Galbraith die für die Wirtschaft wesentlichen Staatsaufgaben ab. Aus dem Skiurlaub im schweizerischen Nobelort Gstaad hat er dieses Werk mitgebracht und 1958 publiziert. Ökonomisch bezahlbare Bedürfnisse – so der Nachweis – werden durch die Profitwirtschaft bedient und vorangetrieben. Während dadurch der Überfluss im privaten Reichtum wächst, verarmen mangels Einkommen nicht nur die zahlungsunfähigen Konsumenten. Vor allem aber verarmt der öffentliche Sektor, weil es keinen entsprechenden Mechanismus zur Sicherstellung seiner notwendigen Produktion gibt. Privatwirtschaftlicher Reichtum innerhalb sich ausbreitender öffentlicher Armut ist die Folge. Dies belegen verwahrloste Städte, eine defizitäre Infrastruktur und riesige Einkommensarmut. Galbraith argumentiert für den Abbau dieses Ungleichgewichts zwischen Staat und Privatwirtschaft. Er will die riesigen Produktionsmöglichkeiten in den Wohlstand für Alle umsetzen und das heißt „Kampf gegen die Armut“. Die Überflussgesellschaft ist heute für Deutschland aktueller denn je. Durch eine reichtumsschonende Steu­erpolitik und Umschichtung der Einnahmen und Lasten im föderalen Bundesstaat konzentriert sich derzeit in Deutschland die öffentliche Armut auf die Gemeinden.

Das 1998 vorgelegte Essay „Die solidarische Gesellschaft“ liest sich wie ein Vermächtnis. Die Ziele seiner „modernen soziale Marktwirtschaft“ sind: Beschäftigung, Aufstiegschancen für alle Menschen, eine gute Bildung, Freiheit von sozialen Unruhen, ein stabiles Netz, Abbau der elenden Bürokratie sowie eine partnerschaftliche und sozialorientierte Außenpolitik.

Das erkenntnisleitende Interesse von Galbraith und damit sein moralisches Fundament formuliert er wie folgt:

Die moralische Rechtfertigung für Ökonomen liegt in der Frage, ob sie die Welt verbessern können, in der sie Leben.

Daran sollten künftig Wirtschaftssysteme und deren ökonomischen Theoretiker, Ideologen sowie Politiker gemessen werden.