Die Griechen befragen sich selbst

Ein Artikel von Niels Kadritzke

Im Folgenden wird eine Debatte dokumentiert, die einen wichtigen Aspekt der griechischen Wirklichkeit widerspiegelt. Diese Debatte setzt sich aus den Auszügen von Leserbriefen zusammen, die auf einen Artikel in der Athener Zeitung „To Vima“ (Die Tribüne) vom 15. März reagieren. Der Text des Journalisten Sifis Polymilis nimmt Bezug auf zwei Ereignisse, die man kennen muss, um die Argumente und Anspielungen der Leserbriefschreiber zu verstehen. Da ist zunächst ein aktueller Skandal von Korruption bei einer Verwaltungsstelle der allgemeinen staatlichen Krankenkasse (IKA) und zum anderen eine provokative Äußerung des Pasok-Politikers Theodoros Pangalos, der behauptete „Gemeinsam haben wir das (Geld) aufgegessen“.
In den Reaktionen der Leser spiegelt sich das ganze Spektrum der innergriechischen Debatten wider, die in unseren Medien fast keinen Widerhall findet. Insgesamt bietet diese Debatte ein authentisches – und meines Erachtens ziemlich repräsentatives – Abbild einer intensiven Selbstbefragung, die für die Zukunft der griechischen Gesellschaft von entscheidender Bedeutung ist. Von Niels Kadritzke.

Das erste Ergebnis ist ein höchst aktueller Skandal, der seit letzter Woche breit und heftig diskutiert wird. Bei der Verwaltungsstelle der allgemeinen staatlichen Krankenkasse (IKA) im Athener Stadtteil Kalithea hat die neu gebildete Sondereinheit für Korruptionsbekämpfung aufgedeckt, dass eine Gruppe von Angestellten seit Jahren große Geldsummen in die eigene Tasche gelenkt hat. In 244 Fällen wurden systematisch falsche Abrechnungen produziert, die zuvor niemals kontrolliert worden waren. Die Zahlungen erfolgten beispielsweise für Entbindungen, die nie stattgefunden haben, für fiktive Operationen oder als Krankengeld für Versicherte, die völlig gesund ihrer Arbeit nachgingen. Die ergaunerten Summen belaufen sich – nach den vorläufigen Ermittlungen – auf 404 000 Euro. Als „Kranke“ oder Begünstigte fungierten Verwandte und Freunde der IKA-Angestellten, die einen kleinen Teil der Summen behalten durften, während der Löwenanteil an die betrügerische Clique zurückfloss.

Der zweite Ausgangspunkt für den Kommentar von Polymilis ist der berühmt-berüchtigte Spruch, den der Pasok-Politiker Theodoros Pangalos schon zu Beginn der griechischen Krise gemacht hat. Mit seinem „Mazi ta fagame“ – was heißt: „Gemeinsam haben wir das (Geld) aufgegessen“ – provozierte der Vize-Ministerpräsident der Regierung Papandreou (und frühere Außenminister der Regierung Simitis) die meisten Griechen schon deshalb, weil sich Pangalos im Lauf seiner politischen Karriere eine Leibesumfang von gut und gerne zwei Metern angefuttert hat. Mit seinem Ausspruch machte er sich zum Buhmann für alle, die der politischen Klasse vorwerfen, sie wolle die „Schuld“ für die gewaltigen Staatsschulden auf die gesamte Gesellschaft abwälzen, um ihre eigene Verantwortung gleichsam zu sozialisieren. Für andere hingegen – auch für den Kommentator Polymilis – stellt das Pangalos-Verdikt eine „Halbwahrheit“ dar, die zur Hälfte eine Lüge ist, zur anderen Hälfte aber eine bittere Realität benennt, wie sie auch in dem IKA-Skandal offenbar wurde.

In den Reaktionen der Leser spiegelt sich das ganze Spektrum der innergriechischen Debatten wider, die in unseren Medien fast keinen Widerhall findet. Einige Leser geben Pangalos sogar Recht und nehmen dessen Polemik zum Anlass einer radikalen Selbstbefragung. Viele Leser wenden sich an den Kommentator selbst und fragen kritisch nach der Rolle der Presse und der Massenmedien. Alle dargestellten Positionen einschließlich der vielen differenzierenden Zwischentönen und sehr persönlicher Bekenntnisse, erscheinen mir auch deshalb interessant und bemerkenswert, weil sie von ihren persönlichen Erfahrungen gesättigt sind.

Die dokumentierten Reaktionen der Leser bilden nur einen zufälligen Ausschnitt des öffentlichen Meinungsstreits ab. Inwieweit die Redaktion die Briefe „ausgewählt“ und intern gekürzt hat, kann ich nicht beurteilen. Ich jedenfalls habe bei der Übersetzung lediglich gestrafft und Stellen ausgelassen, die nur bei ausführlicher Kommentierung verständlich gewesen wären. Dabei habe ich mich bemüht, die Vielfalt der Äußerungen – mitsamt dem breiten emotionalen Spektrum zwischen Verbitterung und hoher Ironie – ebenso zu bewahren wie die Proportionen zwischen Zustimmung, Ablehnung und Differenzierung. Insgesamt bietet diese Debatte ein authentisches – und meines Erachtens ziemlich repräsentatives – Abbild einer intensiven Selbstbefragung, die für die Zukunft der griechischen Gesellschaft von entscheidender Bedeutung ist. Dieser Prozess läuft derzeit auf allen Ebenen – vom Disput im Kafenion (dem griechischen Stammtisch) über Kontroversen zwischen den Parteien und in den Medien bis hin zu akademischen Debatten. Ich will die einzelnen Positionen nicht kommentieren, denn jeder Leser soll seine eigenen Eindrücke gewinnen und überprüfen. Aber vielleicht ist vorweg der Hinweis nützlich, dass in jeder dieser Lesermeinungen – unabhängig vom „Wahrheitsgehalt“ einzelner Behauptungen – ein Aspekt der griechischen Realität zur Anschauung kommt. Den Lesern der NachdenkSeiten könnte diese Dokumentation die Chance bieten, ein Gespür für die existentielle Dimension dieser Debatten zu entwickeln. Und sich damit etwas tiefer in die griechische Situation „hineinzudenken“

Sifis Polymilis über die Behauptung: „Wir haben es gemeinsam gegessen“

Der Ausspruch von Theodoros Pangalos «mazi ta faghame» („gemeinsam haben wir das ganze Geld gegessen“) war gewiss eine der Übertreibungen, zu denen dieser geschwätzige Politiker seit jeher neigt. Aber manchmal verbergen sich in übertriebenen Sprüchen – selbst wenn sie von Herrn Pangalos stammen – auch gewisse Wahrheiten. Die Anklagen gegen das politische System sind nur zu berechtigt, aber diese Schuldzuweisung sollte uns nicht vor einer weiteren Einsicht schützen: Zum Komplizen der ganzen Korruption, die wir heute beklagen, ist auch ein Teil der Gesellschaft geworden.

Die Einzelheiten, die dieser Tage um den Skandal bei der Krankenkassenverwaltung von Kalithea ans Licht kommen, sind absolut bezeichnend für die ungeheure Verschleuderung öffentlicher Gelder, die hierzulande vorkommt und offensichtlich weiter vorkommen wird. Hier zeigt sich nämlich, dass Kontrollmechanismen entweder gar nicht vorhanden, oder eben völlig durchlöchert sind. Niemand wird ernsthaft bezweifeln, dass es solche Seilschaften von Betrügern auch in anderen Zweigstellen der Krankenkasse und in anderen Behörden gibt. Die Damen von Kalithea waren nicht die einzigen, die in diesem System all die Löcher entdeckt haben, durch die das Geld in ihre eigenen Taschen fließen konnte.

Erst vorgestern wurden zwei Angestellte des Wirtschaftsministeriums ertappt, als sie Schmiergelder für ihre Zustimmung zu einer Investition verlangten. Wenige Stunden zuvor hatte man einen öffentlichen Bediensteten verhaftet, der Geld dafür kassieren wollte, dass er die Kontrolle einer bestimmten Firma verhindert.

Die Korruption im öffentlichen Sektor ist derart verbreitet, dass man unter jedem Stein, den man umdreht, etwas finden wird. Erinnern wir uns an die Hunderte von Blinden auf der Insel Zakinthos, die offensichtlich mit Hilfe – und entsprechender Belohnung – von öffentlichen Bediensteten jahrelang finanzielle Zuschüsse und Renten bezogen. Oder an die Schwerbehinderten der Insel Kalymnos, die sich mit ähnlichen Methoden ihren Lebensunterhalt auf Kosten betrogener Steuerzahler finanzierten. Und wer weiß, wieviel weitere Gratiszahlungen dank ähnlicher Methoden vergeben wurden.

Es stimmt natürlich: Ein gewaltiger Teil der Verantwortung liegt beim politischen System, weil es bei der Gewährung von Zuwendungen keine fairen Verfahren etabliert und es unterlassen hat, die öffentliche Verwaltung so zu modernisieren, dass nicht jeder bestechliche und gewissenlose Angestellte seine Position dazu nutzen kann, sich auf Kosten der Gesamtgesellschaft an öffentlichen Geldern zu bereichern.

Verantwortung trägt aber auch ein Teil der Gesellschaft, die entweder solche Praktiken mitgemacht oder aber toliert hat – sei es, um behördliche Abläufe zu beschleunigen, sei es um dem bürokratischen Räderwerk überhaupt zu entgehen. Wie mehreren Studen zeigen, sehen 90 Prozent unserer Bürger die Korruption als ungeheures Problem, und 50 bis 70 Prozent geben zu, in irgendeiner Weise schon mal einen öffentlichen Bediensteten geschmiert zu haben… Das heißt: Ohne unsere Kooperation, ohne unsere Duldung, hätten diese Phänomene nicht die Verbreitung gefunden, die wir alle wahrnehmen.

Ja natürlich, wir haben nicht alle dieselbe Verantwortung, und nicht alle haben in den staatlichen Geldtopf gegriffen. Aber wir lebten und leben in diesem Land und können nicht behaupten, dass wir nichts wussten. Zumindest haben wir diese Erscheinungen toleriert…. Und wenn wir jetzt, da wir in unserem Elend versunken sind und die Rechnung so vieler Jahre abzahlen müssen, wenn wir also jetzt der Korruption kein Ende setzen, dann haben wir unser Schicksal verdient.“

Aus den Leserbriefen:

  1. „Bei all dem, was täglich im Lande geschieht, frage ich mich eines: All diese „Blinden“, all diese falschen „Behinderten“, die illegale Beihilfen und Renten kassieren, all diese Leute mitsamt den Ärzten und andere, die sie begutachtet haben, wird man die wirklich bestrafen? Oder wird man sie wieder amnestieren – angesichts der Wahlen – oder sogar beglückwünschen?“
  2. „Ich sehe mit großem Bedauern,… das die meisten Leute sich selbst die Mitverantwortung für das zuschreiben, was seit so langer Zeit in Griechenland abläuft. Dann aber verstehe ich nicht, warum wir uns empören und gegen die auferlegten (Spar-) Maßnahmen wehren. Denn wenn wir alle gleich schuldig sind, sollen auch alle bezahlen…. Aber mir soll erst mal einer sagen, was ich hätte tun können und nicht getan habe! Ich jedenfalls bin in keiner Weise schuldig und ich werde niemals den Zustand hinnehmen, den man mir jetzt aufgezwungen hat. Ich betrachte mich nicht als Schuldigen, und wenn ich der letzte auf dieser Erde bin, der das glaubt.“
  3. „Wenn du mit diesem Spruch „Aber wir haben doch gemeinsam gegessen“ dich selber meinst oder allgemeiner die Politiker, die Arbeitgeber, die Großunternehmer und die Massenmedien – dann bin ich VÖLLIG EINVERSTANDEN.“
  4. „Schuld an allem ist Siemens. Das müssen wir nimmermüde wiederholen, im Sekundentakt, vor allem wenn wir Schmiergeld fordern. Also: Nicht ich bin schuld, der von dir Geld verlangt, nein Siemens ist schuld.“
  5. „Wenn du das alles behauptest, dann weiß du wohl noch besser Bescheid! Es ist doch klar, dass die Politiker die Schmiergelder nehmen, dass die vom Staat abhängigen Unternehmen sich „Aufträge“ verschaffen, und danach zeigt man auf den bösen „kleinen Mann“, der die Drecksarbeit macht… Also bitte: Rede nicht über die Leute, die Hunger leiden, die in der Arbeitslosigkeit versinken, die keine Hoffnung haben. Schämen solltet ihr euch!“
  6. „Wir? Wir haben doch nicht mit gegessen. Es waren die Zinswucherer, die illegalen Migranten, die Deutschen, die Amerikaner, die Juden, die Gelben, die Grünen, die Blauen, die Engländer, und wer nicht noch alles. Die haben gefressen. Wir niemals … wir Bedauernswerten!“
  7. „Das illegale Ferienhaus am Strand, das hat nicht Giorgakis gebaut (gemeint ist Ex-Ministerpräsident Papandreou), sondern normale Leute. Den Wald hat nicht Kostakis (Karamanlis) angezündet, sondern der Viehbesitzer, um Weideland zu gewinnen. Den Müll schmeißt nicht Antonakis (Samaras) neben den Container, sondern deine Nachbarin. Das fakelaki (Umschlag mit Bestechungsgeld) steckt nicht Vangelakis (Venizelos) ein, sondern der Arzt im örtlichen Krankenhaus. Das denkmalgeschützte Gebäude wird nicht von der Aleka (KKE-Chefin Papariga) abgerissen, sondern von dem Supergriechen, der ein Mietshaus bauen will. Es sind diese tollen Griechen – arme wie reiche – die Griechenland zerstört und die Politiker zu ihren Dienern gemacht haben, damit die ihnen mit Gefälligkeiten aufwarten…. Welche Zukunft haben wir mit einem solchen Volk? Was für ein Jammer! Dass das schönste Land der Welt mit der größten Vergangenheit von derart (selbst)zerstörerischen Menschen bewohnt wird. Die Wahrheit schmerzt.“
  8. „Ich habe es satt, solchen Unsinn zu hören. Warum schreibst du nicht über die Journalisten und das, was ihr in den letzten 20 Jahren zustande gebracht habt? Und über die Verantwortung der Medien? Statt über deine persönliche Schuld in deinem Beruf nachzudenken, versuchst du, die Schuld auf die ganze Gesellschaft zu verteilen und diese mit einer kleinen parasitären Teilgruppe gleichzusetzen. Genau das hat auch der Pangalos gemacht. Alle sollen Schuld haben, damit deine eigene Verantwortung geringer wird. Aber wir haben nicht zusammen gegessen, wir sind weder Faulpelze noch Diebe. Und auf keinen Fall beugen wir schuldbewusst unser Haupt, damit andere ihre Programme durchsetzen können. Schämt euch!“
  9. „Es mag sein, dass jemand Schmiergeld zahlt, damit er eine Genehmigung schneller bekommt, weil er eine kostspielige Verzögerung vermeiden will… Aber auf keinen Fall bedeuten solche Vorfälle, dass wir zusammen gegessen haben. Deshalb darf man das nicht durcheinander werfen. Sonst werden so simplifizierende Ansichten wie die Ihren in Zukunft von all den Leuten übernommen, die sich wegen ihrer Missetaten verantworten müssen.“
  10. „Sie schreiben „ein Teil der Gesellschaft“. Ich aber würde sagen: die ganze Gesellschaft, und mich eingeschlossen… Das mit den Krankenkassen und all das, das wussten wir alle, und niemand hat sich entschlossen, was dagegen zu machen… Also machen sie weiter so: die Betrüger, die den entsprechend großzügigen Staat vorfinden; die Politiker und wir, die wir sie gewählt haben, damit sie ihre Machenschafen fortsetzen können… Mich haben Sie jedenfalls nicht schockiert… Ich finde, dass Sie mit unserem Volk noch außergewöhnlich nachsichtig und milde sind… Ich stimme Ihnen zu, dass die größere Verantwortung diejenigen tragen, die uns das beigebracht haben… Aber wir haben doch unseren Verstand… Und während wir all diesen Zustand bejammern, haben wir ihn zugleich aufrechterhalten. DAS IST DAS ALLERSCHLIMMSTE. Ich habe bei den ganzen Kundgebungen keinen Bürger gesehen, der für uns alle erklärt hätte: Ich akzeptiere, dass auch ich Schuld habe, und ich werde versuchen, für mich und meine Kinder etwas Besseres aufzubauen… Sehn wir mal, wie jetzt das Volks abstimmt, ob es in diesem entscheidenden Moment Reife beweist– oder ob es nur genau so viel wert ist wie seine Politiker.“
  11. „Die Raben und Betrüger, die gibt es seit Gründung des griechischen Staates. Nur dass die sich immer wieder den Bauch voll schlagen, wähend das einfache Volk stets die Rechnung bezahlen muss. Also verwechselt bitte nicht die Betrüger mit dem Volk, das heute zu leiden hat. Etwas Respekt bitte! … Nein, das Volk hat nicht mitgegessen! Die Versuche, das Volk schuldig zu sprechen, werden keinen Erfolg haben.“
  12. „Hör nicht auf diese Leute, Sifis. All die, die sich jetzt bei dir beschweren, gehören irgend wohin (gemeint ist: zu irgendwelchen interessierten Gruppen, NK). Entweder zu den etwa 300 000 öffentlichen Bediensteten, die uns in den letzten 30 Jahren 300 Milliarden gekostet haben; oder zu den Steuerflüchtlingen, die jedes Jahr 20 Milliarden beiseite geschafft haben, was sich auf weitere 300 Milliarden summiert; oder zu den Superpatrioten, die uns 50 Milliarden an Militärausgaben eingebrockt haben; oder zu den Leuten, die bei den Krankenhäusern, den Gemeindeverwaltungen oder den Versicherungskassen abgesahnt haben. Macht zusammen 1 Billion (Euro). Natürlich haben die alle mitgefressen.“
  13. „Wir alle kannten doch Fälle in unserer direkten Umgebung, wo jemand Steuern hinterzogen oder öffentliche Gelder für falsche Zwecke abgezweigt oder seine Stellung ausgenutzt hat, um sich Vorteile zu verschaffen usw. Wir allle haben das gesehen, aber wir haben nichts gesagt. In diesem Sinne haben wir also gemeinsam gespeist. An dem Verbrechen, das an unserem Land begangen wurde, sind wir mit schuldig, weil wir es zugelassen haben.“
  14. „Ich bin dieses Thema inzwischen wirklich leid… Wir haben (das Geld) nicht gemeinsam gegessen; richtig wäre die Aussage „einige haben es gegessen“, und das nicht zu knapp. Aber nicht die zehn Millionen Griechen! Dazu nur eine kleine Information: In Griechenland gab es vor der Krise etwa 2,5 Millionen Bürger mit Einkommen unterhalb der Armutsschwelle, das heißt mit einem Jahreseinkommen von weniger als 6000 Euro, und zwar nach der offiziellen Eurostat-Statistik von 2006. Daher glaube ich, dass dieser Satz nicht uns alle treffen kann! Und all die anderen Behauptungen auf derselben Wellenlänge, dass die Griechen Diebe, Betrüger, Faulpelze undsoweiter sein sollen, das ist doch nur Geschwätz im Kafenion und bei den Auslandsgriechen…“

    (zu diesem Brief gibt es eine Anmerkung von einem anderen Leser: „Was heißt hier ‚offizielle Statistik’, guter Mann, Wir sprechen über Griechenland. Aufwachen bitte!“)

  15. „Also lasst uns alle gemeinsam hungern, statt „alle gemeinsam zu essen“… Und (dann können wir) keine Politiker, Betrüger, Verleger und journalistische Schreiberlinge mehr durchfüttern… Heute hat eure Zeitung geschrieben, dass ein Lohn von 1000 Euro auf 610 Euro schrumpfen wird. Na gut, dann schlage ich vor, dass wir nicht nur aufhören, eure Zeitungen und Zeitschriften zu kaufen, sondern dass wir auch die Produkte boykottieren, für die ihr Werbung macht. Es geht nicht an, dass nur ihr uns verarscht, wir werden euch auch verarschen.“
  16. „Na klar, eine gewaltige Verantwortung tragen die Verleger und die Journalisten, die von dem ganzen Filz … und von der Verführung der Bevölkerung am meisten profitiert haben, Jetzt spielen sie sich als Retter auf, diese Scharlatane. Und was die kleinen Betrüger betrifft, die sind doch nur kleine Fische, die vom Raub des Jahrhunderts ablenken sollen. Das Volk wurde betrogen, und jetzt soll es auch noch dafür zahlen.“
  17. „Herr Polimidis, sie betonen sehr stark die Gier der einfachen Leute und verwähnen nur am Rande die zentrale Verantwortung derer, die mit vollem Bewustsein das Land zum unkontrollierter Selbstbedienungsladen (wörtlich: zum “uneingezäunten Weingarten“) verkommen ließen, der nicht gegen die kriminellen Fresssucht aller möglichen Leute geschützt wurde. Gewiss: Schuld haben die gelegentlichen Diebe (im öffentlichen Dienst und anderswo), aber sehr viel größer und grundsätzlicher ist die Schuld der Leute, die für die Einhaltung der Gesetze sorgen müssten – und die nicht nur ihre Pflichten vernachlässigt, sondern darüber hinaus ihre Macht missbraucht haben und selbst an der Korruption beteiligt waren. Es stimmt zwar, dass ein Teil der Gesellschaft bei der fatalen Party mitgemacht hat, aber der Rhythmus der Musik wurde vom politischen System vorgegeben. Dieses System hat die ganzen unentbehrlichen juristischen Werkzeuge bereitgestellt, hat gezielt und mit voller Absicht für die Ausschaltung der Kontrollmechanismen gesorgt, und dafür, dass all das nicht verfolgt und bestraft wurde… Die Gesellschaft war zwar auch beteiligt, aber das politische System hat dies nicht nur erlaubt und gefördert, sondern vielfach diese Beteiligung sogar erzwungen…. Zudem vermisse ich eine Selbstkritik der Presse, die einen entscheidenden Beitrag zur Fehlentwicklung des Landes geleistet hat….Die Rettung kommt nicht durch irgendwelche Patentrezepte. Und auch nicht durch Halbwahrheiten und kollektive Schuldzuweisungen. Denn es stimmt einfach nicht, dass wir gemeinsam gegessen haben.“
  18. „Nur dass die Party in einem geschlossenen Klub stattgefunden hat, und diejenigen, die nicht beteiligt waren, haben zwar davon gehört, konnten aber nichts dagegen machen. Es sei denn, sie waren mutig genug, etwas auszuplaudern, aber dann riskierten sie eine Anklage wegen Verleumdung.“
  19. „Du und deinesgleichen Journalisten und Politiker könnt eure Sprüche klopfen, dass wir gemeinsam gegessen haben… Ich und meinesgleichen können uns nur darüber schämen, zugelassen zu haben, dass ihr das Geld abzockt und uns dann noch ins Gesicht spuckt…“
  20. „Die Korruption, Herr Sifis, die gibt es nicht nur in Griechenland sondern überall. Und die größten Betrüger, das steht fest, gibt es in den angelsächsischen Staaten. Siehe Siemens und Goldman Sachs. Aber die sind eben untouchable!!!“
  21. „Sehr oft habe ich jetzt gehört, dass an dem, was passiert ist, das Volk schuld sein soll. Aber ich denke, dass gerade das Volk keine Schuld hat. Lasst doch das Volk in Ruhe. Es geht nicht an, dass man uns die Schuld für Diebstahl und Korruption in die Schuhe schiebt, als hätten wir uns für diesen Weg entschieden. Es gibt Gesetze, aber Gesetze müssen angewandt werden. Wenn es also Gesetze gibt, der Staat jedoch schlicht nicht existiert, dann kann man nur eines ganz sicher sagen: das Volk hat keine Schuld.“
  22. „Mit dem was da immer wieder geschrieben wird, dass wir bei Wahlen für unsere Interessen gestimmt haben, bin ich gar nicht einverstanden. Sicher gab es, gibt es und wird es Menschen geben, die auf diese Weise ihre Stimme abgeben, und sicher haben wir gewusst, was da im öffentlichen Dienst läuft. Ich denke aber, dass die meisten Wähler ihre Stimme für einen Rechtsstaat abgegeben haben. Wir sind für die Lügen der anderen nicht verantwortlich. Wir wussten einfach nicht, was die Wahrheit ist und was Lüge. Wie könnte es anders sein? Wir wählen mit der Überlegung, wer uns am besten geeignet erscheint, Griechenland zu einem besseren Land zu machen. So habe jedenfalls ich es gehalten, und die anderen auch, wie ich glauben will. Aber alle (die Gewählten) erwiesen sich als untauglich für die Aufgabe, den Staat zum Rechtsstaat zu machen. Und das haben wir jetzt erst kapiert…. Aber warum soll ich Schuld sein, wenn der eine Schmiergelder nimmt, und der andere einen fakelaki? Weil ich ihn nicht angezeigt habe? Und wenn ich es getan hätte – welche Strafe hätte er bekommen? Wo also war der Staat? Man hätte ja nur einen einzigen ernsthaft bestrafen müssen! Aber bloß ein Monat Gefängnis, mit Bewährung und einer Geldstrafe? Dann ist er im nächsten Monat wieder da! Daran bin ich nun wirklich nicht Schuld, dass die alle straflos ausgehen. Also lasst mich endlich aus dem Spiel, das ihr da mit unserem Gewissen treibt.“
  23. „Was hat der Pangalos eigentlich genau gesagt: ‚Gemeinsam haben wir das (Geld) gegessen, insoweit wir in diesem korrupten politischen System mitgemacht haben. Ihr habt uns gewählt, und wir haben euch (in den Staatsdienst) eingestellt.’ Aber die Journalisten, die selbst an dem großen Fressen … beteiligt waren,…, die haben die ersten drei Wörter (Μαζί τα φάγαμε) abgetrennt und noch das Wort „oloi“ eingefügt. Das Zitat hieß auf einmal: ‚Alle haben wir gemeinsam gegessen…’ Und danach kamen die Opposition und die Gewerkschafter, die ebenfalls bei dem Fressen dabei waren, und haben dieses verfälschte Zitat von Pangalos aus durchsichtigen politischen Gründen weiter verwendet.“
    Warum also sagt ihr nicht, dass das Volk – von der Gründung des griechischen Staates bis heute – vor der Wahl zwischen ehrenhaften und korrupten, verdorbenen Politikern stets für die letzteren gestimmt hat? Dass bei der Wahl zwischen unabhängigen Kandidaten und solchen, die mit Interessen verflochten waren, immer die letzteren gewählt wurden? Warum sagt ihr nicht, dass das Volk immer die zu seinem Repräsentanten bestimmt hat, die mehr und bessere Vergünstigungen geboten haben, und das auf Kosten derer, die keine Beziehungen hatten…“
  24. „Den Steuerberater, den unsere Firma engagiert, wählen wir aus, weil er Zugang zum Allerheiligsten der Finanzbehörde hat, und den Bauingenieur, der die Baugenehmigung für unser Haus organisiert, weil er gute Verbindungen zur Baubehörde hat.“
  25. „Zusammen haben wir gegessen, ausnahmslos alle !!!! Es ist doch egal, wer mehr und wer weniger verschlungen hat. Das System hat doch von denen gelebt, die das wohlbekannte Fressen in den höchsten Kreisen hingenommen haben, damit man ihnen am Ende des Tages ihre eigenen kleinen oder großen Unrechtmäßigkeiten durchgehen lässt. Alle haben sich die ganzen Jahre in diesen Verhältnissen eingerichtet, und jetzt auf einmal müssen sie darauf verzichten. Das Empörende ist dabei, dass die Zeche jetzt die Jungen zahlen müssen, die ihr Leben als Arbeitssklaven beginnen werden. Aber diese Farce musste irgendwann ein Ende haben. Mit diesem Griechen kann es nicht mehr weiter gehen. Wir wollen mit ihm nichts mehr zu tun haben. Fortschritt ist nicht ohne Mühen und Schmerzen zu kriegen. Das Gefälligkeitssystem ist nicht mehr hinnehmbar! Und natürlich müssen sich die Damen und Herren Parlamentarier- mit ganz wenigen Ausnahmen – selbst in den Ruhestand verabschieden – wenn sie noch einen letzten Rest von Würde besitzen.
  26. „Der Pangalos hat eindeutig recht. Denn es gab ja nicht nur die (falschen) Blinden und Schwangeren! Seid ihr einmal die alte Straße von Athen nach Patras lang gefahren? Oder durch die Ebene von Argolis? Oder durch die thessalische Ebene? Wie sind all die Villen entstanden, erbaut von Leuten, die nur zwei oder fünf Hektar Ackerfläche besitzen? Wisst ihr, wieviel Geld von der EU als Fördermittel geflossen ist, an die landwirtschaftlichen Produzenten und an die Genossenschaften für den Bau von gekühlten Lagerhallen usw.? … Wo sind wohl all diese Gelder gelandet? Ganz zu schweigen von dem was bei den Baugenehmigungsbehörden der Inseln gelaufen ist, in Mykonos, Naxos oder Paros.
    Also jetzt mal ganz im Ernst: Mindestens 60 Prozent der Griechen haben gestohlene Gelder verzehrt. Wir brauchen ganz neue Gesetze, die die Konfiskation von Besitztümern und den Entzug politischer Rechte vorsehen. Und dazu müssen alle öffentlichen Bediensteten, die wegen Vernachlässigung ihrer Pflichten oder wegen Amtsmissbrauch oder anderer Vergehen verurteilt wurden, umgehend und ohne Abfindung entlassen werden. Das ist das mindeste. Außerdem müssen nicht nur die Schmiergeldempfänger büßen, sondern auch die, die geschmiert haben. Und auch die Richter müssen verpflichtet werden, ihre Vermögensverhältnisse offenzulegen und von der Finanzpolizei überprüfen zu lassen… „
  27. „Lieber Herr Polymilis, wenn dir dein Steuerberater sagt, dass du nach diesem oder jenem Gesetz (für das dieser oder jener Parlamentarier gestimmt hat, um seiner Clique gefällig zu sein) 5000 Euro an Steuergeldern einsparen kannst, wirst du ihm dann sagen: Nein, ich möchte zahlen, weil ich dem Staat kein Unrecht zufügen will? Und wenn du kein Grieche wärest, sondern Deutscher, Engländer, Franzose, Portugiese, würdest du dann auf das Geld verzichten? Die Antwort lautet NEIN. Du würdest deinen Steuerberater loben und für seine gute Arbeit bezahlen. Also ist es nicht entscheidend, welche Nationalität du hast, entscheidend ist das System, das dich regiert. …Sie schreiben in ihrem letzten Absatz, wir könnten nicht leugnen, dass wir nichts gewusst haben, dass wir (und damit meinen Sie: wir alle) solche Erscheinungen toleriert haben. Aber hier ist zu fragen, Herr Polimilis: Ist es nicht ein Unterschied, ob das alles von Herrn Jedermann gewusst und hingenommen wird, oder von einem Volksvertreter? Und warum sollen wir alle unser Schicksal verdient haben? Sitzen wir etwa alle am selben Tisch? Hat der Sohn von einem Abgeordneten dasselbe Schicksal wie der Arbeitslose?“
  28. „Es geht nicht darum, ob der Staat „faire Verfahren“ etabliert hat oder nicht. Die Gesetze können gut sein, aber sie werden von Menschen angewendet. Und die muss man ausbilden, kontrollieren und bestrafen. Wenn dieser Dreischritt von Ausbildung-Kontrolle-Bestrafung nicht durchgesetzt wird, landen wir unvermeidlich da, wo wir uns heute befinden…
    Es geht auch nicht um die Frage „wer was weiß. “. Schreiben Sie lieber: „Gibt es etwa jemanden, der von nichts gewusst hat, und sei es nur von einem Fall?“ Deshalb ist auch nicht „ein Teil der Gesellschaft“ verantwortlich, sondern unsere ganze Gesellschaft. Und wenn wir damit nicht jetzt Schluss machen, wo wir in der Scheiße sitzen und für die Fehler so vieler Jahre bezahlen müssen, wenn wir die Korruption nicht jetzt beenden, dann haben wir es nicht anders verdient…Und eine letzte allgemeine Bemerkung: In dieser Zeit, in der wir uns um Veränderungen bemühen, bringt es nichts, sich mit der nebensächlichen Frage zu beschäftigen, wer genau Schuld war; denn Schuld waren wir alle, aber natürlich nicht alle im gleichen Maße. Stattdessen sollten wir uns klar machen, wie unsere Verpflichtungen aussehen:

    • Wir alle müssen unsere Mentalität verändern. Das geht nur, wenn jeder an sich selber arbeitet. Es geht nicht an, dass ich dich besser machen will und du mich.
    • Wir müssen endlich diejenigen davon jagen, die in diesem und von diesem dreckigen Regime profitiert haben.
    • Wir müssen uns gegenseitig helfen, damit wir uns gegen den Zustand der Besatzung wehren können, in den uns die Verräter hineingeritten haben…

    Und ganz zum Schluss noch ein Wunsch: Gute Befreiung! Erobert, ja – unterworfen nie!“

  29. „Wenn wir sagen, dass wir das Geld gemeinsam verprasst haben, meinen wir doch folgendes: Bei einem Freiberufler liefen die Geschäfte ziemlich gut, weil die Leute Geld hatten; bei einem Arbeiter oder Angestellten stieg der Lohn in den letzten zehn Jahren um 100 Euro, weil die Geschäfte seines Chefs gut liefen; ein öffentlicher Bedienstete konnte sich seiner Dauerstellung bei anständiger Bezahlung sicher sein. Aber diejenigen, die an der Macht waren, hatten am Ende die Millionen auf ihren Bankkonten. Und heute, wo Europa seine Gelder zurückfordert, treibt der Staat alles von den armen Schluckern ein, über die ganzen Steuern, über Gehaltskürzungen, erhöhte Benzinpreisen usw. Aber die, die sich die Millionen einverleibt haben, die essen weiter mit goldenen Löffeln und trinken auf das Wohl der betrogenen Opfer. Bravo Pangalos! Lang zu, du hast in letzter Zeit abgenommen.“
  30. „Da ihr es gemeinsam verprasst habt, gebe ich euch meine Bankverbindung, damit ihr mir das Geld mit Zinsen zurückzahlen könnt, denn ich zahle dem griechischen Staat mein Leben lang durchschnittlich 30 bis 40 Prozent meines Einkommens.“
  31. „Ist ein bisschen spät, dass ihr das jetzt alles entdeckt. Die Massenmedien hätten diese ungeheuren Umfang von Betrug und Diebstahl unserer Mitbürger schon längst aufdecken müssen. Aber diese Massenmedien, alle ohne Ausnahme, suchten nach den diversen Vergehen immer nur im anderen politischen Lager. Hätten sie wenigstens einmal einen Betrug ihrer eigenen Leute aufgedeckt, dann hätten wir ihnen gratuliert…. Jetzt schreiben sie über all diese Dinge, aber eben erst im Nachhinein.“
  32. „Hören wir endlich auf mit dieser HEUCHELEI, die alle und vor allem die Massenmedien praktizieren! Die „Aufdeckung“ dieses Betrügerzirkels bei der IKA in Kallithea, der beiden Angestellten des Wirtschaftsminissteriums, die abkassiert haben, und der anderen Korruptionsfälle – es macht einen sprachlos. Als seien all diese Dinge unbekannt oder einmalig für die griechischen Verhältnisse! Ohne jede Übertreibung muss man sagen, dass es in diesem Land nicht einen einzigen Bürger gibt – vom Erzbischof und vom Staatspräsidenten bis zum Obdachlosen am Omonia-Platz – der nicht irgendwann Schmiergeld gezahlt hätte, der eine mehr, der andere weniger. … Der Pangalos hat hunderprozentig recht: ALLE ZUSAMMEN HABEN WIR ES VERPRASST. Das wissen wir alle, nur dass wir es nicht sagen; es ist eben unser großes nationales Geheimnis. Deshalb müssen wir diesen Nationalsport aufgeben und endlich erkennen, wer wir sind. Und hoffen, dass wir auf diese Weise eines Tages diesen Komplex loswerden.“
  33. „Wunderbar, Herr Polimilis! Nehmen wir mal an, ihr habt recht mit ihrem Artikel, dass wir alle unseren Teil der Verantwortung haben, mal mehr mal weniger. Aber wo verurteilen Sie Ihre Kollegen, die statt ihren Beruf wahrzunehmen sich nur für die Spielchen ihrer Auftraggeber hergeben, also der Verleger und irgendwelcher Unternehmer, die sie bezahlen, um ihre eigenen Interessen zu fördern. Und sagen Sie mir nicht, dass es solche Leute nicht gibt! Es ist leicht, dem Volk die Schuld zuzuschreiben; dagegen ist es schwer, die eigene Schuld auf sich zu nehmen, lieber Herr Polimilis!“
  34. „Die Betrüger haben gemeinsam gegessen: Minister, Parlamentarier und jede Menge unehrlicher Leute… aber nur die Nicht-Politiker wird man ins Gefängnis schicken oder aus ihrem Job rausschmeißen.“
  35. „Psssst! Sprecht die Wahrheit nicht aus! Weil Pangalos so was gesagt hat, muss es natürlich falsch sein. Das Volk trägt keine Schuld. Für all die diebischen Machenschaften ist nur das politische System verantwortlich. Das Volk beschränkt sich darauf, einen Teil des Plünderguts abzuzweigen – mit dem Segen einer Linken, die rechtspopulistische Sprüche klopft. Warum sollen wir alle, das gemeine Volk, mitschuldig sein? Also geht das Plündern weiter!“
  36. „Bauern mit 100 Olivenbäumen, die 500 gemeldet haben, um Subventionen zu kassieren, … Freiberufler, die ein Jahreseinkommen unterhalb der Besteuerungsgrenze deklarieren, Besitzer von Immoblilien, die ihre Mieteinnnahmen verschweigen, krumme Geschäfte mit Arzneimitteln, mit Waffenlieferungen, mit staatlichen Vergünstigungen, mit Renten, mit Beihilfen, mit EU-Geldern, mit Einstellungen im öffentlichen Dienst… krumme Geschäfte überall. Ein Volk, das sich seit an Betrügereien, an Bestechung und an die Verschwendung von öffentlichen Geldern gewöhnt hat wie an eine Droge. Und das die Abzocker für Schlauberger und gesetzestreue Bürger für Dummköpfe hält.“
  37. „Tatsächlich ist es so, dass viele von euch zusammen mit den Pangalos-Typen gegessen haben. Fragt sich nur, wieviel ihr gewesen seid. Das wird sich an den Stimmen für das blau-grüne Bündniss (also von ND und Pasok) bei den nächsten Wahlen zeigen. Und das werden, nach meiner bescheidenen Meinung, gar nicht so wenig Stimmen sein, egal was die Umfragen heute besagen.“
  38. „Herrje, immer dieselben Argumente… Wenn immer ich Leute sehe, die dem Pangalos zustimmen, packt mich die nackte Wut. Weil ich ein junger Mensch bin, … der bestimmt nicht mit allen anderen „gegessen“ hat. Na schön, Herr Polimilis, wenn Sie von dem Geld was abbekommen haben, können Sie es ja zurückgeben…“
  39. „Die ganze Zeit hat die politische Führung keinerlei Kontrollen bei der Krankenkasse durchgeführt. Jetzt auf einmal haben sie beschlossen, ein paar kleine Angestellte zu schnappen, um uns einzureden, dass wir alle zusammen gegessen haben. Aber selbst wenn die (erwischten Betrüger) ein oder zwei Millionen verdrückt haben, fragt sich doch: Wieviel haben die gegessen, die mit den Geldern der Versicherten auf dem Aktien- und dem Bondsmarkt gezockt haben?“
  40. „Gute Verdauung, Herr Polimilis! Und weil du mit gegessen hast, sollst du auch die Rechnung bezahlen!“
  41. „Fast vierzig Jahre lang waren unsere Politiker unfähig zum Regieren, Sie waren vor allem damit beschäftigt, ihre Wiederwahl zu organisieren. Auf diese Weise haben sie diesen öffentlichen Dienst aufgebaut, der auf Vetternwirtschaft beruht. Welches Desaster dabei rauskommt, sehen wir heute. Denn wenn ein staatlicher Apparat auf Günstlingswirtschaft beruht, wie kann man da Qualität erwarten? Deshalb muss man alle nach Hause schicken. Das politische Establishment samt aller nicht vertrauenswürdigen öffentlichen Bediensteten.“
  42. „Nicht nur, dass wir keineswegs das Geld gemeinsam verspeist haben – dann hätten wir jetzt ja alle einen Wanst (wie Pangalos); aber heute haben wir gar nichts mehr zu essen. Guten Tag.

Und jetzt doch noch zwei Nachbemerkungen:

  1. Um ein Missverständnis zu verhindern: Diese Lesermeinungen dokumentieren keineswegs, dass viele Griechen das, was ihnen heute als „Rettungsprogramm“ aufgezwungen wird, als gerechte Strafe empfinden. Nach meinen eigenen Beobachtungen und Diskussionserfahrungen geht bei den meisten Menschen das Ohnmachtsgefühl, den Zumutungen und Ungerechtigkeiten eines von außen diktierten Programms ausgesetzt zu sein, mit der Einsicht in die Fehlentwicklungen einher, die das eigene Land in diesen Zustand der Abhängigkeit von den eigenen Schulden und den ausländischen Gläubigern gebracht haben. Und gewiss sind die in den Briefen dokumentierten Gefühle – die Verbitterung über die aktuelle Lage, die Wut auf das eigene „System“ und die Entschlossenheit, die eigenen Fehler zu korrigieren – in sehr vielen „griechischen Seelen“ gleichzeitig vorhanden. Die große Frage ist, wie sich diese gemischten Gefühle sortieren, ob sie eine produktive Mischung ergeben und zu welchen Schlussfolgerungen sie drängen (unter anderem bei den kommenden Wahlen). Die Antwort auf diese Frage wird die Zukunft Griechenlands maßgeblich beeinflussen – jedenfalls soweit sie in den Händen der Griechen liegt.
  2. Die Korruption im öffentlichen Gesundheitswesen wird in ihrem vollen Umfang erst allmählich sichtbar. Nachdem sich alle Versicherten, die von der IKA Beihilfen und Renten auf Grund von Behinderungen beziehen, zur Erneuerung ihrer Ansprüche bei der Kasse melden mussten, haben 37 000 (das entspricht etwa 15 Prozent) auf eine Rückmeldung verzichtet. Besonders hoch, bei fast 45 Prozent, lag die „Ausfallquote“ bei den Versicherten, die Beihilfen für die Betreuung behinderter Minderjähriger bezogen. Aber auch bei den Schwerbehinderten haben sich 13, 5 Prozent der 125 000 Rentenbezieher nicht bei der Kassen zurückgemeldet (wobei es sich auch um Verstorbene handeln kann, deren Verwandte die Rente weiter bezogen haben). Durch die Aktualisierung der Liste der Anspruchsberechtigten hat die Kasse auf einen Schlag 111 Millionen Euro eingespart. In einem zweiten Stadium sollen alle Gutachten über Behinderungen überprüft werden. Das Gesundheitsministerium geht davon aus, dass sich daraus eine weitere Einsparung von 120 Millionen Euro ergibt. (Details nach einem Bericht der Zeitung Kathimerini vom 19. März).

Anmerkung WL: Man würde sich wünschen, dass in Deutschland ebenfalls eine so selbstkritische und kontroverse Debatte über die politische Klasse und über die Anpassung des Großteils der Bevölkerung an bestehende Missstände und offensichtliche Fehlentwicklungen stattfände, bevor man – wie die Griechen – mit dem Rücken zur Wand steht.
Dabei müsste es vielleicht weniger um die direkte Korruption und den Klientilismus gehen, das auch, denn auch bei uns gibt es in der Wirtschaft mehr Korruption als ans Licht kommt und vor allem sind die „Finanzmärkte zum Tummelplatz einer besonderen Art der Organisierten Kriminalität geworden“ (Wolfgang Hetzer). Auch die Steuerminderung und die Steuerhinterziehung übersteigen jedenfalls in absoluten Größen bei weitem die Dimensionen Griechenlands, genauso wie das Verschieben von „Schwarzgeld“ auf ausländische Konten.
Vor allem aber müsste die „politische Korruption“ zum Thema werden, Korruption etwa in der Form von „Dankeschön“-Entgelten (z.B. zwischen Kirch und Kohl) oder beim hemmungslosen Wechsel durch die „Drehtür“ (Schröder zu Gazprom, Joschka Fischer zu Nabucco, Clement zu Addecco etc.). Man müsste eine offene Debatte darüber führen, wie die Politik „unter der Kontrolle der Finanzmärkte“ steht (Tietmeyer). Es wäre schon längst an der Zeit, dass über die strukturelle Bereicherung einer kleinen Schicht und die zunehmende Spaltung in Arm und Reich in unserer Gesellschaft debattiert würde. Nicht nur in Griechenland wird behauptet, dass „wir“ alle über unsere Verhältnisse gelebt hätten; das unterstellt auch unsere Bundeskanzlerin uns Deutschen und weder die Arbeitnehmer, die seit Jahren unter unseren Verhältnissen leben, noch die größer werdende Masse der Niedriglöhner begehren dagegen auf. Bei uns wird doch ständig die Gebetstrommel gerührt, dass wir „unseren“ Gürtel enger schnallen müssten, obwohl die Gewinne explodieren und die Schere zwischen dem Wachstum der privaten Vermögen und der Einkommenssteigerung der Arbeitnehmer immer weiter auseinandergeht.
Die Leserbriefe, die hier zitiert werden, sind ein drastischer Beweis dafür, dass es zu spät ist, sich Selbstvorwürfe zu machen, dass man eine solche Entwicklung zugelassen hat, dass man vielleicht sogar ein bisschen mitgemacht hat und dass man sich nicht gewehrt hat, wenn man erst kurz vor dem Abgrund steht.

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