Dazugelernt

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“Wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch Verstand, – ist ein alter Scherz, den man wohl in unsern Zeiten nicht gar für Ernst wird behaupten wollen.” Diesen Satz schrieb der große deutsche Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel schon 1821 in der Vorrede zu den „Grundlinien der Philosophie des Rechts“ und diese Kritik trifft gewiss auch die heutige Politikergeneration. Aber immerhin scheint der neue Bundespräsident Joachim Gauck – kaum im Amt – dazugelernt zu haben. Offenbar nimmt er die Kritik, die an seinen bisher geäußerten Positionen geübt wurde, ernst. In seiner Rede nach seiner Vereidigung vor Bundestag und Bundesrat hat er Töne angeschlagen und Themen aufgegriffen, die man so von ihm noch nicht gehört hatte. Von Wolfgang Lieb.

Wir wollen an dieser Stelle unsere Kritik an seinen bisherigen Aussagen nicht wiederholen, denn wir haben in seiner ersten Rede als Bundespräsident einige Antworten und Klarstellungen auf Fragen gehört, die auch uns vorher gefehlt haben.

Gleich zum Einstieg hat er an „unser Land“ drängende Fragen aufgeworfen:

„Vereinzeln wir immer weiter? Geht die Schere zwischen arm und reich immer mehr auseinander? Verschlingt uns die Globalisierung? Werden Menschen, die sich als Verlierer fühlen, an den gesellschaftlichen Rand gedrängt? Schaffen ethnische oder religiöse Minderheiten in gewollter oder beklagter Isolation Gegenkulturen? Hat die europäische Idee Bestand? Droht im Nahen Osten ein neuer Krieg?“

Fragen, mit denen sich Joachim Gauck öffentlich bisher allenfalls am Rande beschäftigt hatte.

Überraschend fand ich Gaucks Einordnung der 68er-Generation, in dem er ihrem Aufbegehren bescheinigte, dass es „die historische Schuld ins kollektive Bewusstsein gerückt“ habe.

Anders als in seinem jüngsten (dürftigen) Büchlein, wo er nahezu ausschließlich auf die individuelle Freiheit und die persönliche Verantwortung des Einzelnen in der Gesellschaft abhob, hat Gauck dieses Paradigma des individualistischen Liberalismus „ergänzt“ um Werte wie „soziale Gerechtigkeit, Teilhabe und Aufstiegschancen“. Sprechen Konservative üblicherweise eher von „Chancengerechtigkeit“ reklamierte der neue Bundespräsident eine eher von der fortschrittlich, emanzipatorischen Seite geforderte „Chancengleichheit“:

“Wir dürfen nicht dulden, dass Kinder ihre Talente nicht entfalten können, weil keine Chancengleichheit existiert. Wir dürfen nicht dulden, dass Menschen den Eindruck haben, Leistung lohne sich für sie nicht mehr, und der Aufstieg sei ihnen selbst dann verwehrt, wenn sie sich nach Kräften bemühen.“

Wir vermissten im gauckschen Wertekanon bisher den Wert der „Gerechtigkeit“. Das Spannungsverhältnis der Gerechtigkeit zur „Freiheit“ hat er nun in seiner Rede angesprochen:

„Umgekehrt ist das Bemühen um Gerechtigkeit unerlässlich für die Bewahrung der Freiheit. Wenn die Zahl der Menschen wächst, die den Eindruck haben, ihr Staat meine es mit dem Bekenntnis zu einer gerechten Ordnung der Gesellschaft nicht ernst, sinkt das Vertrauen in die Demokratie.“

Musste man den Begriff der „Toleranz“ in seiner letzten Veröffentlichung geradezu in einem Gegensatz zum aufklärerischen Toleranzbegriff – eben nicht als Respekt vor dem Anderen und als Anerkennung der Gleichberechtigung unterschiedlicher Kulturen und Religionen – verstehen, sondern umgekehrt als Missionsauftrag für westliche Werte, so stellt Gauck nunmehr klar:

„In „unserem Land“ sollen auch alle zuhause sein können, die hier leben. Wir leben inzwischen in einem Staat, in dem neben die ganz selbstverständliche deutschsprachige und christliche Tradition Religionen wie der Islam getreten, auch andere Sprachen, andere Traditionen. In dem der Staat sich immer weniger durch die nationale Zugehörigkeit seiner Bürger definieren lässt, sondern durch ihre Zugehörigkeit zu einer politischen und ethischen Wertegemeinschaft. In dem nicht ausschließlich die über lange Zeit entstandene Schicksalsgemeinschaft das Gemeinwesen bestimmt, sondern zunehmend das Streben von Unterschiedlichen nach dem Gemeinsamen: diesem unseren Staat in Europa, in dem wir in Freiheit, Frieden und in Solidarität miteinander leben wollen…Unsere Verfassung spricht allen Menschen dieselbe Würde zu, ungeachtet dessen, woher sie kommen, woran sie glauben und welche Sprache sie sprechen. Sie tut dies nicht als Belohnung für gelungene Integration, sie versagt dies aber auch nicht als Sanktion für verweigerte Integration.“

Gauck ging in seiner Antrittsrede nicht konkret auf die Finanzkrise und auf die Krise der Europäischen Union ein, aber in ziemlichem Gegensatz zur bei uns weit verbreiteten populistischen Abwertung und Geringschätzung der in Schwierigkeiten geratenen südeuropäischen Nationen, bekennt sich Gauck dazu, dass „das europäische Miteinander … ohne den Lebensatem der Solidarität nicht gestaltbar“ sei.

Hat man von Joachim Gauck bisher oft eher abschätzige Bemerkungen über soziale Bewegungen oder über Bürgerprotest auf der Straße und im Internet wahrgenommen, so konnte man jetzt durchaus wertschätzende Anklänge heraushören:

„Neben den Parteien und anderen demokratischen Institutionen existiert eine aktive Bürgergesellschaft. Bürgerinitiativen, Ad-hoc-Bewegungen und Teile der digitalen Netzgemeinde ergänzen mit ihrem Engagement, aber auch mit ihrem Protest die parlamentarische Demokratie und gleichen Mängel aus.“

Klar und unmissverständlich war auch seine deutliche Absage an die „rechtsextremen Verächter unserer Demokratie“.

Nicht angesprochen hat Joachim Gauck die Themen Ökologie, seine Haltung zu Militäreinsätzen blieb offen, auch sein Verständnis vom Sozialstaates und einer wirklich „sozialen Marktwirtschaft“ gegenüber den Zwängen der Finanzmärkte blieb ausfüllungsbedürftig. Undeutlich blieb auch auf welche Felder der ganz praktischen Politik Joachim Gauck in seiner Amtszeit sein besonderes Engagement lenken will. Doch sollte man von einer kurzen Antrittsrede keinen Rundumschlag erwarten.

Nichts gegen Gaucks kalkulierte Pädagogik des Lobens, man weiß ja, dass ein positives Motivieren oft mehr bewirken kann, als ständiges Kritisieren von Fehlern, aber zu viel des Lobes kann auch zu realitätsferner Selbstüberschätzung führen. Man müsste, wenn man von der Angst über die zunehmende Distanz vieler Bürgerinnen und Bürger zu den demokratischen Institutionen und von der Geringschätzung und Verachtung von Politik und Politikern spricht, nicht nur den Bürgerinnen und Bürgern, sondern zumal den Regierenden öfters auch einmal ins Gewissen reden.

In seiner pastoralen Attitüde versucht Gauck, den Menschen mit ihren Ängsten und Sorgen Mut zuzusprechen. Wenn das aber nicht nur ein falscher Trost sein soll, nämlich sich eben mit den persönlichen Nöten und Lebenslagen abzufinden, sondern wenn dieser Trost unterfüttert würde mit Mitgefühl, mit Solidarität gegenüber den Betroffenen, um sie aus ihrem Gefühl der Hoffnungs- und Perspektivlosigkeit herauszuführen und wenn Joachim Gauck dafür auch noch Ziele und Projekte aufzeigen könnte, aus denen sich neues Selbstvertrauen und Fortschritt speisen ließen, dann würde er in sein neues Amt hineinwachsen.

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