Ein Rat an Lafontaine: Nicht antreten. Wenn sich selbst Gysi der Kampagne gegen die Linke beugt, dann ist der Kampf um eine selbst bestimmte Linie nur schwer zu gewinnen. (Notwendiger Nachtrag siehe am Textende)

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

Und damit auch die nächsten Wahlen nicht. Mit Lafontaine als Spitzenkandidat hat die Linke 2009 11,9 % der Zweitstimmen und damit 3,2 % mehr als 2005 bekommen. In den Umfragen heute schwankt sie zwischen 5 und 7 %. Bei Landtagswahlen in West und Ost hat die Linke schlecht abgeschnitten. Oskar Lafontaine überlegt, ob er zur Rettung des Projektes Die Linke noch einmal antritt und deshalb übernächstes Wochenende zum Parteivorsitz kandidiert. Er sondierte in den letzten Tagen, ob Kandidatur und Antritt in einer produktiven, reibungslosen Formation möglich ist. Dabei spielt eine Rolle, dass Dietmar Bartsch seine Kandidatur zum Parteivorsitz angemeldet hat und auf diese Kandidatur oder eine andere Führungsfunktion nicht verzichten will, Oskar Lafontaine ihn jedoch vermutlich und aus praktischer Erfahrung für einen Intriganten und Anpasser hält. Dazu erklärte Gysi am 21. Mai in einer Presseerklärung: “Niemand kann jetzt Dietmar Bartsch verübeln, seine Kandidatur aufrecht zu halten.” Von Albrecht Müller

Mit dieser Erklärung gibt Gysi zu erkennen, dass er wenig Ahnung von den Bedingungen eines erfolgreichen Wahlkampfes hat und außerdem die Kampagne gegen Die Linke im allgemeinen und Oskar Lafontaine im besonderen nicht mehr durchschaut. Das ist eine beachtliche Leistung. Denn diese Kampagne ist überall greifbar.

Zunächst zum Hintergrund, zur laufenden Kampagne gegen alles Linke.

Wenn ich Planer von Strategien der Rechtskonservativen, der Neoliberalen und der spekulierenden Finanzwirtschaft wäre, dann würde ich ganze verständlich zig Millionen und die besten Kampagnenplaner dafür einsetzen, erstens um zu verhindern, dass in Deutschland noch einmal eine Mehrheit links von Frau Merkel an die Macht kommt. Und ich würde zweitens dafür sorgen, dass die innere Willensbildung der Parteien, die man zur linken Hälfte rechnen könnte, also der Grünen, der SPD und der Linkspartei, beeinflusst wird, so beeinflusst wird, dass diese Parteien nicht einmal dann gefährlich werden können, wenn sie Wahlen gewinnen.

Es ist äußerst naiv anzunehmen, eine solche Planung und Strategie gäbe es nicht. Das zeigt die innere Entwicklung von SPD und Grünen. Ihr Profil, ihre Programmatik ist wesentlich von den herrschenden Kreisen bestimmt. Ihnen fehlt sogar der Wille zur Kanzlerschaft, wie man an den Führungspersonen Gabriel, Steinmeier und Steinbrück leicht erkennen kann. Bei den Linken konnte man noch ein bisschen Hoffnung haben, dass sie zum Beispiel zur Bewältigung der Finanzkrise, zur Privatisierung und zu Militäreinsätzen eine fortschrittliche Position vertreten und vor allem auch gewinnen wollen. Dieses Profil ist vor allem, wenn auch nicht nur, mit Oskar Lafontaine verbunden. Ihn hat die Internationale Finanzindustrie schon 1999 zur Fahndung ausgeschrieben: „Der gefährlichste Mann Europas“ titelte damals Sun, die Zeitung des britischen/australischen Medienunternehmers Murdoch. Für seine Rolle in der Linkspartei gilt das ähnlich wie damals in der SPD.

Bartsch gilt als jemand, der empfänglich ist für die Fremdbestimmung von außen und der außerdem eine ausgesprochene Neigung zum Intrigantentum hat.

Die Kampagne zu Gunsten des von Bartsch, Ramelow und einigen anderen meist ostdeutschen Funktionären der Linkspartei geführten Teils wie auch die Kampagne gegen Lafontaine und die mit ihm verbundene Gruppe sind klar als Kampagne erkennbar. (Siehe zum Beispiel hier wie üblich bei Spiegel online) Die Hauptbotschaften liegen zumeist fern der Realität, teilweise sind sie absurd: So wird die Gruppe um den jetzigen Parteivorsitzenden Ernst, Lafontaine, Wagenknecht und andere als fundamentalistisch bezeichnet, die Gruppe um Bartsch als Reformer. In diesem Zusammenhang wird nie definiert, wie das zu verstehen ist. Wenn man sich selbst die Mühe macht, über die Inhalte zur Definition von „fundamentalistisch“ einerseits und „reformorientiert“ andererseits nachzudenken, dann stellt sich Ratlosigkeit ein. Als fundamentalistisch wird wohl die Tatsache begriffen, dass Lafontaine das Engagement in Afghanistan beenden will und für die vorübergehende Finanzierung von Staatsschulden durch die Zentralbanken und vor allem auch für eine bessere Regulierung der spekulativen Finanzmärkte eintritt. Wenn das fundamentalistisch ist, dann ist die NATO inzwischen fundamentalistisch, Hollande sowieso; und auch die US-Regierung, denn sie lässt die Finanzierung durch die Zentralbank FED selbstverständlich zu.

Fazit: es handelt sich um reine Worthülsen, die eine Realität suggerieren, weil sie ständig wiederholt werden. Das gilt auch für die Kennzeichnung der Gruppe um Bartsch als Reformer. Ich muss gestehen, dass mir zur Definition dieser Reformer nichts eingefallen ist. Vielleicht meint man, sie seien bereit, die Privatisierung öffentlichen Eigentums und die Deregulierung mitzumachen. Nun gut, dann wäre es gut, sie würden selbst etwas zur Definition ihres Reformertums beitragen.

Auch die Kampagne zu den aktuellen Überlegungen und Forderungen Lafontaines die Parteispitze betreffend ist erkennbar abgesprochen und gleichgeschaltet und hat mit rationalen Überlegungen nichts mehr zu tun.

„Der Saarländer gebärdet sich im Kandidatur-Streit wie eine Primadonna – als sei seine Partei vornehmlich dazu da, ihn noch einmal ins Rampenlicht der Bundesrepublik zu befördern,“ lese ich heute in meiner Regionalzeitung Die Rheinpfalz. Hier wie bei vielen anderen Medien oft gleich lauteten werden die Tatsachen auf den Kopf gestellt. Wer Lafontaine in der jetzigen Lage, nach seiner Krankheit und angesichts seines Alters einigermaßen einschätzen kann und kennt, weiß, dass alle vernünftigen persönlichen Motive nicht für ein neuerliches Engagements sprechen. Wenn er darauf besteht, nicht in eine Kampfkandidatur gegen Bartsch treten zu müssen oder wenn er diesen nicht als Bundesgeschäftsführer akzeptieren will, oder wenn er nicht bereit ist, unter Bartsch als Vorsitzendem den Spitzenkandidaten im Jahre 2013 zu spielen, dann ist dies das Selbstverständlichste von der Welt. Aber die Mehrheit der deutschen Journalisten und offenbar auch ein Teil der Linkspartei und der anderen Parteien sowieso sind so in die Kampagne eingefügt, dass sie den Blick auf das Selbstverständlichste auch in ihren Parteien verloren haben.

Dass Parteivorsitzende und Spitzenkandidaten nicht in Kampfabstimmungen bestimmt werden wollen, ist das Selbstverständlichste von der Welt. Auch dass Parteivorsitzende und ihre nächsten Mitarbeiter, die Bundesgeschäftsführer bzw. Generalsekretäre, auf einer Welle funken müssen, braucht im Blick auf andere Parteien nicht erläutert zu werden. Lafontaine kreidet man diesen selbstverständlichen Wunsch an. Absurd.

Selbstverständlich wird Angela Merkel darauf beharren, bei ihrer Kandidatur für die Bundestagswahl 2013 und auch für die nächste Wahl als Parteivorsitzende der CDU keinen Gegenkandidaten zu haben. Die Äußerung Gysis zu diesem Komplex ist etwa so zu verstehen, als würde der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion Kauder Verständnis dafür äußern, dass Röttgen als Gegenkandidat zu Merkel antritt. Selbst bei der SPD wird man versuchen, sich in den Gremien vor dem Nominierungsparteitag darauf zu verständigen, wer als Spitzenkandidat antritt.

Die Wahl des Vorsitzenden und im konkreten Fall die gleichzeitige Ankündigung des künftigen Spitzenkandidaten muss bei aller Bereitschaft zur innerparteilichen Diskussion eine Art Fanfare sein, eine Fanfare ohne Misstöne. Wie kann man in einer solchen Situation überhaupt ins Auge fassen, eine Kampfkandidatur zwischen Lafontaine und Bartsch zu verlangen oder für verständlich zu halten? Wer das für gut hält, der will bei der nächsten Bundestagswahl nicht gewinnen und die Linke ruinieren.

Ähnliches gilt für die Konstellation „Vorsitzender der Partei einschließlich der Spitzenkandidatur und Bundesgeschäftsführer“. Diese beiden Personen müssen sich ausgesprochen gut verstehen. Ich habe als Redenschreiber von Bundeswirtschaftsminister Schiller, als Leiter der SPD-Öffentlichkeitsarbeit und des Wahlkampfes von 1972, und dann später als Leiter der Planungsabteilung im Bundeskanzleramt verschiedene Konstellationen von Parteivorsitzenden und Bundesgeschäftsführern bei der SPD erlebt. Ich stelle mir vor, dem Vorsitzenden der SPD und Vizekanzler Willy Brandt wäre 1968 im Vorfeld der Wahl 1969 der Bundesgeschäftsführer aufgezwungen worden. Absurd! Selbstverständlich hat Willy Brandt den damaligen Entwicklungshilfeminister Hans-Jürgen Wischnewski als Bundesgeschäftsführer ausgewählt. Als dieser dann zu Beginn des Jahres 1972 ging, hat selbstverständlich der Parteivorsitzende und Bundeskanzler Willy Brandt den Nachfolger als Bundesgeschäftsführer, den Bundestagsabgeordneten Holger Börner nominiert. Klugerweise hatte er mit beiden solche Personen ausgewählt, die über die Flügel der SPD hinweg vermitteln konnten und motivieren konnten. Da ich mit beiden eng zusammengearbeitet habe, weiß ich, wie eng und loyal das Verhältnis beider zu Willy Brandt war. Wahlkämpfe sind so komplex und es müssen häufig schwierige Entscheidungen ganz schnell getroffen werden, dass man sich zwischen den Spitzen und insbesondere zwischen Vorsitzenden und Bundesgeschäftsführer bzw. Generalsekretär keinerlei Reibereien erlauben kann.

Selbstverständlich hat man in Deutschland akzeptiert, dass Helmut Kohl seinen Generalsekretär Dr. Geißler entlassen hat, als dieser gegen den Parteivorsitzenden der CDU intrigierte. Und selbstverständlich hat Angela Merkel den jetzigen Generalsekretär der CDU vorgeschlagen. Wenn es Querlagen gibt wie etwa zur Zeit bei der SPD, wo die Generalssekretärin Nahles offensichtlich nicht die gewünschte Person ist, läuft es schief.

Das alles sind Selbstverständlichkeiten. Deshalb hat der Versuch Lafontaines, das personelle Umfeld einer erneuten Kandidatur auszuloten und wesentlich bestimmen zu wollen, nichts mit Neigung zur Primadonna zu tun und viel mit Effizienz. Leider wird jetzt mit der Erklärung von Gysi erkennbar, dass führende Personen wie Gysi und Bartsch nicht gewillt sind, für eine optimale personale Konstellation bei der nächsten Bundestagswahl zu sorgen. Damit ist der Wahlverlust und der Niedergang der Linken programmiert.

In dieser Konstellation anzutreten, wäre ein ausgesprochenes Opfer für Oskar Lafontaine. Deshalb der Rat, darauf und damit auch auf die Rettung der Linken zu verzichten. Das ist sicher schwierig und manche seiner politischen Freunde werden das nicht verstehen. Siehe zum Beispiel den Aufruf „Für eine starke LINKE 2013! Für Oskar Lafontaine!“

Nachtrag: Dieser Text war gerade auf dem Weg zum Webmaster der NachDenkSeiten, als die Meldung erschien, dass Oskar Lafontaine seine Kandidatur zurückgezogen hat. Weil die Absurdität des Vorgangs durch diesen Text wenigstens ein Stück weit sichtbar wird, erscheint er trotz Überholung durch die Entscheidung von Lafontaine.

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