Fiskalpakt durch Schuldentilgungspakt und Wachstumsinitiative ablösen

Rudolf Hickel
Ein Artikel von Rudolf Hickel

Bei der Zustimmung zum Fiskalpakt zeichnet sich im Deutschen Bundestag die verfassungsrechtlich erforderliche Mehrheit ab. SPD und DIE GRÜNEN haben ursprünglich ihr Ja an drei Bedingungen geknüpft: eine Wachstums- und Beschäftigungsinitiative vor allem für die Euro-Krisenländer, ein entschiedener Einstieg in die Finanztransakti­onsteuer sowie einen zu schaffenden Fonds zur Tilgung übermäßiger Staatsschulden. Alle drei Forderungen sind für sich genommen richtig und verdienen Unterstützung. Die entscheidende Frage ist jedoch, in welchem Ver­hältnis diese drei Forderungen zu den mit dem Fiskalpakt eingehandelten gesamtwirtschaftlichen Folgen stehen. Von Rudolf Hickel.

So gibt es zwischen dem Fiskalspakt und der Finanztransaktionsteuer keinen unmittelbaren ökonomischen Zusammenhang. Diese Steuer auf den Handel mit Finanzmarktproduk­ten rechtfertigt sich aus der Notwendigkeit, „Sand in das Getriebe“ (James Tobin) dieser Geschäfte zu streuen und Einnahmen zu generieren. Die andere Forderung nach einem Fonds zur Tilgung der exzessiven Staatsschulden ist auf der Strecke der Kompromissverhandlungen verloren gegangen. Hingegen zeichnet sich bei der Forderung nach einer Wachstumsinitiative in der EU ein allerdings flauer Kompromiss ab.

Fiskalpakt: gesamtwirtschaftliche Zwangsjacke

Die zu Recht geforderte Wachstums- und Beschäftigungsinitiative vor allem für die Euro-Krisenländer, mit der auch die Wirtschaftsstrukturen modernisiert werden sollen, steht jedoch im unerbittlichen Widerspruch zum geplanten Fiskalpakt, der nicht mit einer Fiskalunion verwechselt werden darf. Denn diese EU-Schuldenbremse wirkt wie ein vergemeinschaftetes Schrumpfpro­gramm für die gesamte EU-Wirtschaft, vor allem in den Krisenländern.
Die strukturelle Neuverschuldung der öffentlichen Haushalte soll auf 0,5% des Bruttoinlandsprodukts reduziert werden. Sollte der Fiskalpakt in Kraft getreten sein, gibt es für die Länder in Deutschland nicht mehr die jetzt verfassungsrechtlich vorgesehene Anpassungsphase bei der Reduktion der Neuverschuldung auf Null bis 2019.

Darüber hinaus wird der Abbau von Staatschulden im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt vorgeschrieben. Jährlich müssen die Schulden, die über 60% des Bruttoinlandprodukts hinausgehen um ein Zwanzigstel reduziert werden. Dadurch wird mittelfristig eine harte Einsparpolitik in den öffentlichen Haushal­ten sowie auch die Anhebung von Steuern – etwa auf die Massenein­kommen erzwungen. Die binnenwirtschaftliche Entwicklung wird belastet und der Abbau wichtiger Ausgaben für den Sozialstaat droht. Öffentliche Investitionen im Bereich Bildung und Infrastruktur mit einer gesamtwirtschaft­lich hohen Rendite für zukünftige Generationen geraten unter Druck. Inwieweit gegenüber dem strukturellen Defizit in konjunkturellen Krisen die Staatsverschuldung antizyklisch genutzt werden kann, ist derzeit völlig offen. Es gibt keine gesicherte Methode zur empirisch belegbaren Unterscheidung zwischen konjunkturellem und strukturellem Defizit. Über 70 sehr unterschiedliche Verfahren sind in der Diskussion.

Der Fiskalpakt basiert auf einem fundamentalen gesamtwirtschaftlichen Denkfehler. Bei der Bekämpfung der Staatsverschuldung wird ohne Blick auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung von einem exzessiven, verschwenderischen Ausgabenverhalten ausgegangen. Staatsschulden entstehen jedoch gerade in Krisenzeiten durch die Produktions- und die nachfolgenden Steuerausfälle. Werden Defizite mit Ausgabenkürzungen bekämpft setzt folgende Mechanik ein: Ausgabenkürzungen zur scheinbaren Reduktion dieses Ausgangsdefizits belasten die Binnenwirtschaft. Das Bruttoinlandsprodukt und schließlich die Staatseinnahmen schrumpfen. Am Ende steigen kurzfristig die Staatsschulden auch wegen zunehmender Krisenkosten. Diese kontraproduktive Politik kann kein „Vertrauen“ auf den Finanzmärkten schaffen. Statt dieser Schrumpfstrategie muss bei der öffentlichen Haushaltsanierung das Ziel zukunftsfähiges Wirtschaftswachstum die Führungsrolle übernehmen. Dies ist auch die Lehre aus den Fehlern der für Griechenland verordneten Austeritätspolitik als Gegenleistung für die Finanzhilfen. An die Stelle einer „Haushaltsnotlagenpolitik“ á la Brüning, dem Reichskanzler zum Ende der Weimarer Republik, muss ein Herkulesplan aufgelegt werden: Stärkung der Binnenwirtschaft, Ausbau der öffentlichen Infrastruktur, Aufbau einer zukunftsfähigen Wirtschaftsstruktur, aber auch innere Reformen in den jeweiligen Krisenländern.

Wird der Fiskalpakt realisiert, dann wird der inneren Logik folgend die Notwendigkeit einer gegensteuernden Konjunktur- und Wachstumspolitik auch mit steigenden Schulden systematisch erzeugt. (Ohne dafür allerdings noch den finanziellen Spielraum zu haben.( Anmerkung WL))

Alternative: Schuldentilgungspakt

Was ist die Alternative? Realisiert werden muss ein mittelfristiger Defizitabbau ohne schuldentreibende Schrumpfung der Gesamtwirtschaft. Hinzu kommen müssen künftig neue Regeln ökonomisch angemessener Neuverschuldungsdisziplin. Dazu dient in einem ersten Schritt ein europaweiter Schuldentilgungspakt: Die Schulden eine EU-Landes, die über den Anteil von 60% des Bruttoin­landsprodukts hinausgehen, werden in einen gemeinschaftlich verant­worteten Entschuldungsfonds übertragen. Die Idee stammt vom „Sach­verständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Ent­wicklung“. Zu seiner Refinanzierung bietet der Fonds Eurobonds, die von der EU verantwortet werden, den Kapitalmärkten an. Um deren Bonität zu sichern, müssten die Länder bis zu 20% ihrer Schulden durch Gold- und Devisenreserven garantieren. Die hier gebündelten Schulden werden über einen Zeitraum von 20 bis 25 Jahren durch die betroffenen Länder abfinanziert. Derzeit läge das geschätzte Volu­men in den nächsten fünf Jahren bei 2,3 Bio. € in der EU. Die betroffenen Län­der werden verpflichtet, ihre Tilgungsleistungen durch eine spezifische Abgabe zu finanzieren. Für Deutschland wird eine zeitlich befristete Abgabe auf hohe Vermögen vorgeschlagen.

Über den Schuldenabbau hinaus sollte künftig eine entwicklungsadä­quate Haushaltspolitik realisiert und damit ein exzessiver Schuldenauf­bau verhindert werden. Die Begrenzung darf jedoch die gesamtwirtschaftliche Entwicklung nicht belasten. Um die Wachstumspotenziale zu nutzen, steigen künftig die staatlichen Ausgaben mit der Rate des Produktionspotenzials, die die erforderlichen Steuereinnahmen sichert.

Anmerkung: Diskussionsbeiträge unserer Autoren müssen nicht in allen Punkten der Meinung der Redaktion entsprechen.