DIW für Vermögensabgabe als Beitrag zur Sanierung der Staatsfinanzen in Europa

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Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin ist neben dem Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) eines der wenigen ökonomischen Forschungsinstitute, die öffentlich wahrgenommen werden und die sich überhaupt mit der Einnahmeseite als wichtigem Instrument für den Abbau von Staatsschulden beschäftigen. In seiner neuesten Veröffentlichung empfiehlt das DIW angesichts der hohen Verschuldung in Europa mit Zwangsanleihen und/oder einmaligen Vermögensabgaben private Haushalte mit hohem Vermögen und Einkommen für den Schuldenabbau heranzuziehen. Simulationsrechnungen des DIW Berlin zum Aufkommen einer Vermögensabgabe in Deutschland ergeben bei einem persönlichen Freibetrag in Höhe von 250 000 Euro (Ehepaare 500 000 Euro) (betroffen wären acht Prozent oder 4,4 Millionen der erwachsenen Bevölkerung) eine Bemessungsgrundlage von 92 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Ein Zwangskredit oder eine Abgabe in Höhe von zum Beispiel zehn Prozent auf diese Bemessungsgrundlage könnten somit gut neun Prozent des Bruttoinlandsprodukts mobilisieren – rund 230 Milliarden Euro [PDF – 799 KB]. Von Wolfgang Lieb.

Ich zitiere zunächst die Zusammenfassung des Vorschlags von Stefan Bach des stellvertretenden Abteilungsleiters im DIW, zuständig für den Arbeitsbereich Finanzpolitik:

„Seit der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 sind die Staatsschulden in fast allen OECD-Ländern deutlich gestiegen. Die Europäische Schuldenkrise hat sich in den letzten Wochen wieder verschärft.

Mit Zwangsanleihen und einmaligen Vermögensabgaben könnten Privathaushalte mit hohen Vermögen und Einkommen zur Refinanzierung und zum Abbau der Staatsschulden herangezogen werden, ohne dass eine Dämpfung der Konsumnachfrage zu befürchten wäre. Damit würde auch der gestiegenen Ungleichheit in der Vermögensverteilung entgegengewirkt. Die Erhebung solcher Abgaben ist aber nicht einfach, da die Vermögenswerte ermittelt sowie Steuerflucht und -hinterziehung unterbunden werden müssen.

Die Schätzung der Aufkommenseffekte solcher Abgaben für die Krisenländer ist mangels Daten nur schwer möglich. Für Deutschland ergeben Simulationsrechnungen des DIW Berlin bei einem persönlichen Freibetrag von 250 000 Euro (Ehepaare 500 000 Euro) eine Bemessungsgrundlage von 92 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
Eine Zwangsanleihe oder eine Abgabe in Höhe von zum Beispiel zehn Prozent auf diese Bemessungsgrundlage könnten somit gut neun Prozent des Bruttoinlandsprodukts – rund 230 Milliarden Euro – mobilisieren.

Betroffen wären die reichsten acht Prozent der erwachsenen Bevölkerung. Vermutlich lassen sich in den europäischen Krisenländern auf diesem Weg ebenfalls erhebliche Einnahmen erzielen. Damit wäre ein wichtiger Schritt zu einer Konsolidierung der öffentlichen Haushalte getan, und wachstumsfördernde Reformen würden erleichtert.“

Stefan Bachs Fazit:

„Den hohen Staatsschulden stehen staatliche Vermögen und hohe private Vermögen gegenüber. Das gilt grundsätzlich auch für die Krisenländer. Diese Vermögen sollten verstärkt zur Entschärfung der Schuldenkrise mobilisiert werden. Durch Zwangsanleihen und Vermögensabgaben könnten Privathaushalte mit höheren Vermögen und Einkommen zur Refinanzierung und zum Abbau der Staatsschulden herangezogen werden…
Vermutlich lassen sich auch in den Krisenländern ähnliche Größenordnungen beim wohlhabenden Teil der Bevölkerung erzielen…

Die Konzentration der Belastungen auf die Vermögens- und Einkommenseliten wirkt zudem der zunehmenden Verteilungsungleichheit entgegen. Ferner setzt dies für die zu Abgaben herangezogenen Personen Anreize, sich stärker um die fiskalische und wirtschaftliche Gesundung ihrer Länder zu kümmern. Nicht zuletzt dürften solche Abgaben auch die Akzeptanz von Arbeitsmarkt- und Sozialreformen oder von Ausgabenkürzungen erhöhen, die häufig ärmere Bevölkerungsschichten treffen und soziale Spannungen auslösen.“

Bemerkenswert ist auch der Meinungsbeitrag von Prof. Dr. Gert G. Wagner, dem Vorstandsvorsitzender des DIW Berlin:

„…Obwohl die Staatsausgaben aus guten Gründen nicht radikal heruntergefahren worden sind, wurden die Steuern gesenkt. Das hat zusammen mit den Folgekosten der deutschen Einheit und der Finanzkrise zu einem Anstieg der öffentlichen Schulden auf 81 Prozent des Bruttoinlandprodukts geführt. Diese Verschuldungsquote ist nun Anlass für eine neuerliche Ausgabensenkungsrhetorik. Befördert werden Forderungen nach Senkungen der Staatsausgaben von der im Grundgesetz festgeschriebenen Schuldenbremse. Wobei alle diese Diskussionen wohl auf weitere Senkungen der Sozial- und Gesundheitsausgaben hinauslaufen.

Aber es gibt inzwischen immer mehr Stimmen, die laut über Steuererhöhungen nachdenken. Denn angesichts der Entwicklung der vergangenen Jahre kann man genauso gut die Perspektive einnehmen, dass nicht die Ausgaben zu hoch, sondern die Steuern zu niedrig waren. Das ist in den Schichten der wirtschaftlichen Eliten und der meinungsbildenden
Kreise natürlich keine Nachricht, die auf Begeisterung stößt. Aber es sollte aufhorchen lassen, dass es zunehmend Millionäre gibt, die für sich selbst höhere Steuern für gerechtfertigt halten. Dabei ist auch zu bedenken, dass in Deutschland die Einkommenszuwächse der letzten 15 Jahre weitgehend bei den reichsten zehn Prozent der Bevölkerung gelandet sind, und die Verteilung entsprechend ungleicher geworden ist.

Was auch gerne vergessen wird: Die Staatsschulden wurden ja niemandem aufgezwungen, sondern Vermögende, die nach Anlagemöglichkeiten suchen, haben sich in der Regel freiwillig für das Zeichnen von Staatsanleihen entschieden.

Man kann das auch so interpretieren: Vermögende, die von den Steuerentlastungen und der Umverteilung von unten nach oben in den letzten Jahre profitiert haben, waren froh, dass es die Möglichkeit gab, dem Staat Geld zu leihen.

Würde jetzt eine einmalige Vermögensabgabe eingeführt, könnte man diese auch als ausgleichende Gerechtigkeit interpretieren. Die Umverteilung von Einkommen, die insbesondere in den letzten zehn Jahren von unten nach oben stattgefunden hat, würde wieder teilweise rückgängig gemacht.“

(Siehe Gert G. Wagner auch „Warum die Reichen mehr Geld abgeben sollten“.)

(Zur Vermögensbesteuerung allgemein, siehe auch „Vermögensbesteuerung – Chancen, Risiken und Gestaltungsmöglichkeiten“ [PDF – 258 KB])

Kritische Anmerkungen

Ob eine Zwangsanleihe gegenwärtig der richtige Weg sein kann, muss man angesichts negativer Zinssätze, zu denen Deutschland Staatsanleihen vergeben kann, bezweifeln. Würde man die Anleihen höher verzinsen als sie derzeit gehandelt werden, so wäre das ein schlechtes „Geschäft“. Eine Zwangsanleihe müsste darüber hinaus von den Steuerzahlern genauso zurückgezahlt und verzinst werden wie jede normale Staatsanleihe – sie wäre eben nur nicht freiwillig. An der Vermögensverteilung würde sich nichts ändern, im Gegenteil, die in die Pflicht Genommenen, würden sogar noch daran verdienen.

Eine weitere Frage ist, ob es nicht zumutbarer und vermittelbarer wäre, die Freibeträge anzuheben und stattdessen eine Progression der Vermögensbesteuerung einzuführen. Es ist doch eigentlich nicht einzusehen, warum ein Multimilliardär genauso veranlagt wird wie jemand, der 250.000 Euro Vermögen hat. Die populistische Kampagne gegen diesen angeblich zu niedrigen Freibetrag kann man sich leicht ausmalen, obwohl das DIW den Freibetrag für Ehepaare erst bei 500.000 Euro und zusätzlich einen Kinderfreibetrag von 100.000 Euro ansetzt und zudem einen gesonderten Freibetrag für Unternehmensvermögen in Höhe von 5 Millionen für seine Berechnungen unterstellt.

Darüber hinaus müsste man sicher auch darüber nachdenken, wie auch die Erbschaftssteuer wenigstens etwa an amerikanische Verhältnisse angepasst werden müsste.

Widerstand ist programmiert

Der Vorschlag des DIW dürfte in konservativen Kreisen auf empörte Ablehnung stoßen, obwohl z.B. unter Konrad Adenauer Anfang der 50er Jahre eine Zwangsabgabe zugunsten von Investitionen in die Grundstoffindustrie erhoben wurde und obwohl auch noch in den 80er Jahren unter Schwarz-Gelb eine Investitionshilfeabgabe zur Förderung des Wohnungsbaus eingeführt wurde. Aber auch SPD und die Grünen dürften nicht den Mut aufbringen einen solchen Vorschlag auch nur in die Diskussion zu bringen.
Vom Griff „tief in die rote Mottenkiste“ ist schon bei der FDP die Rede. Der Finanzminister ist mal wieder trickreich, der Vorschlag sei interessant, aber nicht für Deutschland, sondern für Staaten, in denen es „ein schwieriges Verhältnis“ zwischen Steueraufkommen und Privatvermögen gebe, meldet der Spiegel.

Dass die obersten 0,5 Prozent der Bevölkerung einen Anteil von 22,5% und die obersten 10 Prozent einen Anteil von 66,6 % des Nettovermögens besitzen, während die unteren 50 % gerade mal einen Anteil von 1,4% haben, ist für die Bundesregierung offenbar kein „schwieriges Verhältnis“.

Die herrschende Lehre wehrt ab

Für die Mehrheit der anderen Wirtschaftsforschungsinstitute, wie auch für den Sachverständigenrat und die herrschende Lehre an den Hochschulen sind Vermögenssteuern oder gar Vermögensabgaben weitgehend Tabu. Das gilt auch für die überwiegende Zahl der Wirtschaftsjournalisten, die ja meistens auch nur diese Lehre nachplappern. (Siehe z.B. Marc Beise von der Süddeutschen Zeitung oder auch Niels Kruse im stern.) Als Verfechter der sog. angebotsorientierten (man könnte auch sagen kapitalorientierten) ökonomischen Lehre, die glaubt wirtschaftliche Prosperität vor allem durch die Erleichterung von Investitionen und deshalb durch niedrige Lohnkosten und eine möglichst geringe Besteuerung der Gewinne der Unternehmen erreichen zu können, sehen sie in Vermögensteuern eine Gefährdung von Arbeitsplätzen. Und mit dieser Behauptung kann man jeden politischen Vorstoß in Richtung Vermögensteuer brechen.

So kritisiert etwa das arbeitgebernahe Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) z.B. schon den moderaten SPD-Vorschlag zur (Wieder-)Erhebung einer Art Vermögenssteuer (die Erhöhung der Abgeltungssteuer auf Kapitalerträge von derzeit 25 auf 32 Prozent) als Gefahr für die Arbeitsplätze und kritisiert, dass der Gewinn doppelt besteuert werde. Auch die meisten anderen Wirtschaftsforschungsinstitute mit neoklassischer oder monetaristischer Ausrichtung lehnen die Besteuerung von Vermögen ab: So etwa das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI), das Kieler Institut für Weltwirtschaft und auch die meisten anderen Institute. Für die mehrheitlich neoklassisch orientierten sog. „Wirtschaftsweisen“ (Ausnahme: Peter Bofinger) ist eine Vermögensteuer nicht einmal denkbar.

Sicherlich ist die Besteuerung von aus Gewinnen entstandenem Vermögen eine Doppelbesteuerung. Aber dieser doppelten Besteuerung unterliegt z.B. auch ein Rentner, dessen aus seinem versteuerten Einkommen finanzierte Rentenauszahlung zum zu versteuernden Einkommen gerechnet und versteuert werden muss. Warum wird also gerade bei der Vermögenbesteuerung so viel Widerstand geleistet?

Ja, es handelt sich um eine Umverteilung der Vermögen. Diese Umverteilung wird jedoch auch vom Bundesverfassungsgericht – solange sie verhältnismäßig ist (und verhältnismäßig wäre für Karlsruhe eine Gesamtbesteuerung von über 50 %) – nicht als Verstoß gegen die Eigentumsgarantie angesehen.

Umverteilende Steuern gehören eben zum Sozialstaat des Grundgesetzes!

Deswegen wird von den Gegnern einer Vermögenssteuer oder einer Vermögensabgabe meistens auch nicht steuerrechtlich sondern ökonomisch argumentiert, wenn sie eine diese ablehnen. Natürlich kann ein angesammeltes Vermögen, das versteuert wird, nicht mehr investiert werden. (Jedenfalls nicht mehr vom Vermögensbesitzer, sehr wohl aber vom Staat.) Das was die Steuer abzieht, kann nicht mehr in die Erweiterung oder Erneuerung des Kapitalstocks eines Unternehmens, also für technische Innovationen (um Wettbewerbsvorteile zu erzielen) oder zur Ausweitung der Kapazitäten (zur Erhöhung des Umsatzes) eingesetzt werden. Und in der schönen heilen Welt dieser Angebotstheoretiker sollen ja Gewinne und angespartes Vermögen fast ausschließlich für Investitionen eingesetzt werden, damit die Wirtschaft wächst und Arbeitsplätze geschaffen werden. Das zusätzliche Angebot an Gütern oder die besseren Güter finden – so die Annahme – ja immer ihre Nachfrage. (Wenn die Löhne und damit die Kaufkraft im Inland nicht hoch genug sind, dann eben im Ausland.) Jedes Angebot schafft sich seine Nachfrage selbst, unterstellt ja das Saysche Theorem, das Kernstück der neoklassischen Glaubenslehre.

Nur leider stößt sich dieses Modell, wie die Erfahrung gezeigt hat, hart an der Wirklichkeit. Denn ein Unternehmen investiert (sinnvollerweise) nur dann, wenn es in Zukunft auch eine Nachfrage für die Produktion erwartet und sich die Investition auch rentiert.

Doch selbst, wenn man dieses neoklassische Wirtschaftsmodell für richtig hält, müsste man vom tatsächlichen Investitionsverhalten der letzten Jahre eines besseren belehrt worden sein. Trotz der (durch Lohnstagnation und auch durch den Unternehmen-„Steuersenkungswahn“ (Rudolf Hickel) geförderten) geradezu explodierenden Gewinne (jedenfalls der Großunternehmen), wurden – um die Kosten zu senken – Arbeitnehmer massenhaft entlassen und der Cash-Flow übertraf den Investitionsbedarf bei weitem. Die Investitionsquote ist gesunken und die Arbeitslosigkeit stieg.

Die Gewinne wurden also statt in inländischen Unternehmen irgendwo im Ausland lukrativer angelegt, sei es in ausländischen Staatsanleihen, sei es in spanischen Immobilienfonds, sei es gleich im Finanzkasino oder eben auf unversteuert auf Schweizer Konten. Die Überschuldung vieler europäischer Länder und Banken gegenüber Deutschland ist ein handfester Beleg dafür.

Die Brutto- und Nettogeldvermögen stiegen und stiegen und die Spaltung zwischen Vermögensbesitzern und Menschen, die nichts oder nur wenig auf der hohen Kante haben, wurde immer tiefer. (Siehe dazu ausführlich Jens Berger, Was hat es mit der Spreizung der Vermögensschere und der Steigerung der Kapitaleinkommen auf sich?)

Doch für die Anhänger der neoklassischen Glaubenslehre gilt eben das Dogma: Schade für die Wirklichkeit, dass sie mit unserer Theorie nicht übereinstimmt. Und mit diesem Widerspruch zwischen Dogma und Wirklichkeit leben wir nun schon seit über 30 Jahren in Deutschland.

P.S.: Um diesen Widerspruch aufzulösen unterstützen Sie bitte den Appell der Initiative „Vermögenssteuer jetzt!

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