Das Thema Steuerflucht/Steueroasen könnte ein ganz großes Wahlkampfthema werden, weil es in der Sache so wichtig und voller Konfliktmöglichkeiten ist.

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

Sigmar Gabriel hatte immerhin verstanden, dass der Kampf gegen Steuerflucht und Steueroasen ein wichtiges Sach- und Profilierungsthema ist, dass es konkrete Entscheidungen wie beispielsweise das Nein zum Steuerabkommen mit der Schweiz oder die Verschärfung der Steuerfahndung gibt, an denen man die Bedeutung des Themas immer wieder zeigen kann. Und dass man bei dieser Auseinandersetzung die Union und die FDP, Angela Merkel und Finanzminister Schäuble stellen und vor sich her treiben kann. Es gibt jedoch erste Anzeichen dafür, dass die Nein-Front der SPD- und Grünregierten Länder bröckelt. Das wäre schlimm, weil damit auch die Forderung nach einer gerechteren Vermögensverteilung und konkret für eine Vermögensabgabe unglaubwürdig wird. Von Albrecht Müller

  1. Warum das Thema Steuerflucht und Steueroasen in der Sache wichtig ist …

    … weil es um hohe Vermögen und hohe Beträge hinterzogener Steuern geht. In den Steuerfluchtländern und Steueroasen lagern insgesamt Billionen, nicht nur Millionen und Milliarden

    13 Billionen Pfund, oder 20 Billionen Dollar, lagern in den Steueroasen. Das ergab eine Studie des ehemaligen McKinsey-Managers James Henry. Selbst wenn die Fehlerquote der Untersuchung des James Henry sehr hoch wäre, die Studie zeigt, dass unser Hauptproblem darin besteht, dass sich die besonders Reichen mit Unterstützung der maßgeblichen Finanzdienstleister, Investmentbanker und Banken jeglicher Besteuerung durch Flucht in Steueroasen entziehen. Der britische Guardian berichtete am 21. Juli über die Studie.

    Nach Schätzungen lagern allein in der Schweiz 380 Milliarden Franken Vermögen aus Deutschland. Das sind rund 316 Milliarden Euro.

    Das bedeutet, dass dem deutschen Fiskus von den Steuerhinterziehern die Mitfinanzierung der öffentlichen Aufgaben verweigert wird. Die ehrlichen Steuerzahler müssen den hinterzogenen Beitrag der Steuerbetrüger mitschultern. Insofern betrifft dieser Vorgang alle ehrlichen Steuerzahler. Der Ehrliche ist der Dumme. Er bleibt der Dumme, wenn nichts Nachhaltiges geschieht.

    … weil es nicht nur um verweigerte Steuern auf Zinsen geht. Die Zuflüsse auf die Schwarzkonten kommen vermutlich mehrheitlich aus dubiosen Quellen:

    • Es ist schwarzes Geld. Einfaches praktisches Beispiel: Um Mehrwertsteuer zu sparen, vereinbaren Bauherr und Bauhandwerker die Barzahlung eines insgesamt geringeren Betrages ohne Rechnung. Der Handwerker/Bauunternehmer schafft sein Geld in die Schweiz oder in ein anderes Steuerparadies.
    • Auslandskonten werden aus Geldwäsche gespeist.
    • Auf Auslandskonten in Steueroasen werden Schmiergelder eingezahlt. Das hat den Vorteil, dass der Zufluss auf den Konten des Bestochenen in seinem Heimatland gar nicht erscheint. Deshalb fördern das Schweizer Bankgeheimnis wie auch andere Einrichtungen bei anderen Ländern die Korruption.

    Die Transfers aus normalem und versteuertem Einkommen dürften die Minderheit ausmachen.

    Auch deshalb ist das Steuerabkommen mit der Schweiz ein Skandal. Es lässt keine Fragen nach der Herkunft der Gelder zu. Recht und schlecht geregelt wird die Hinterziehung der Abgeltungssteuer auf die anfallenden Zinsen. (Siehe auch die Anmerkung von Wolfgang Lieb in den Hinweisen vom 20. August)

    … weil die bisherige Aufteilung in Völker, die normaler Arbeit nachgehen, und jene, die einen Teil und noch dazu einen üppigen Teil ihres Einkommens dadurch erzielen, dass sie den Steuerbetrügern ihrer Nachbarn zu Hand gehen, ein Ende haben muss.

    Lammfromm haben wir diesen Zustand viel zu lange geduldet. Wir wollen ja Freundschaft mit der Schweiz, mit Liechtenstein, mit Irland, mit Luxemburg, mit Cypern, mit den Eigentümern und Verwaltern von Steueroasen in Hongkong, auf den britischen Cayman-Inseln, in den USA und wo auch immer, aber bitte nicht in bisheriger Arbeitsteilung.

    … Der Entzug eines großen Teils des Vermögens und noch dazu besonders großer Vermögen aus der Besteuerung belastet und behindert den Vorstoß für eine gerechtere Vermögensverteilung.

    Eine Vermögensabgabe zum Beispiel, die nur bei den hier in Deutschland befindlichen Vermögen ansetzt, ist in sich unfair. Würde man diese Umverteilung betreiben, ohne vorher wirksam gegen Steuerflucht vorgegangen zu sein, dann würde man überdies auch bei diesen Vermögen mehr Steuerflucht auslösen. Ich zitiere dazu den Praktiker und Steuerfahnder Klaus Hermann aus einem Spiegel-Interview vom 6.8.2012:

    Hermann: Eine Reihe von Bundesländern hat ja schon angekündigt, im Bundesrat Widerstand dagegen zu leisten. Ich hoffe, dass die sich durchsetzen. Das Abkommen hilft nur der Schweiz, ihr Bankgeheimnis zu sichern und mit deutschen Kunden weiterhin diskrete Geschäfte zu machen. In Deutschland hätte es dagegen fatale Auswirkungen auf die Steuermoral.

    Spiegel: Inwiefern?

    Hermann: Wenn es in Kraft ist, werden sich die ehrlichen Steuerzahler sagen: Mensch, ich war doch blöd, dass ich mein Geld nicht auch in die Schweiz gebracht habe. Da hätte ich mein Vermögen jahrzehntelang steuerfrei vermehren können, und am Ende ist nach einer Einmalzahlung von gerade mal 21 % wieder alles legal. Viele werden dann wohl für sich entscheiden: Bei der nächsten Gelegenheit bin ich auch dabei.

    Daraus folgt: man muss beides parallel angehen.

  2. Warum das Thema ein so gutes Wahlkampfthema ist …

    … weil es in einem großen und immer wieder erneuerbaren Konflikt zwischen den politischen Kräften „gefahren“ werden kann und

    … weil ständig Entscheidungen anstehen und Aktionen möglich sind und sogar Erfolge möglich sind

    Wer schon einmal Wahlkämpfe geplant hat, weiß, dass genau die zuvor genannten Charakteristika zum Suchraster für die Themenauswahl gehören: man muss ein Thema finden, das zum Konflikt mit dem politischen Gegner führt, und immer wieder neu durch politische Entscheidungen und Aktionen belebt werden kann. Dazu gehört dann noch, dass das Thema und Vorhaben sachlich berechtigt ist und viele Gründe, wie zuvor beschrieben, für den thematischen Vorstoß sprechen. Den Hinweis auf die sachliche Notwendigkeit wiederhole ich, damit keine Missverständnisse entstehen. Es geht hier nicht nur um das Wahlkampfthema.

    Eine persönliche Erinnerung sei hier erlaubt: 1969 hat der damalige Bundeswirtschaftsminister Karl Schiller der SPD das Thema Aufwertung der D-Mark vorgeschlagen und dann aufgedrängt, aufdrängen müssen. Es war dann neben der Ostpolitik und den angekündigten inneren Reformen und der Person des Kanzlerkandidaten Willy Brandt das entscheidende Wahlkampfthema und hatg zum Regierungswechsel beigetragen.

    Es ähnelt dem heute möglichen Thema Steuerflucht sehr: Es ist scheinbar nicht durchschaubar, weil sehr schwer zu verstehen, und dennoch hatte es etwas unglaublich wichtiges: Es war ein emotional aufladbares Thema und zugleich sachlich richtig. – (Irgendwann werde ich in den NachDenkSeiten die damalige Geschichte erzählen, weil sie in mehrerer Hinsicht aktuell ist und auch noch heute tätige Vertreter der neoliberalen Ideologie – wie Hans Tietmeyer zum Beispiel – schon damals im Spiel waren.)

    Das Thema ist ein großes Wahlkampfthema, weil es mit politischen Handlungsmöglichkeiten verbunden ist, zum Beispiel:

    • Ablehnung des Abkommens mit der Schweiz,
    • andere Länder einbeziehen,
    • verstärkte Steuerfahndung,
    • Ankauf von CDs verstärken,
    • hohe Belohnungen für Lieferanten von CDs und Informationen anderer Art aussetzen,
    • Generalbundesanwalt mobilisieren,
    • bei großen Fischen zur Fahndung ausschreiben,
    • Ausbürgerung zur Debatte stellen,
    • US-Vorgehen übernehmen,
    • Sanktionen gegen die Hehler
    • und so weiter. Der Stoff wird jedenfalls bis zum Wahltermin nicht ausgehen.
    • Es ist absehbar, dass neue Ereignisse das Thema beflügeln, so wie z.B. am 17. Juli die Meldung, dass die größte Bank Europas, die britische Großbank HSBC, Geldwäsche ermöglicht haben soll.
    • Oder die Schweiz streitet sich mit Spanien – siehe zum Beispiel hier: FTD – oder den USA siehe hier.

    Das Thema eignet sich besonders für die Auseinandersetzung bis zum Wahltermin im Herbst 2013 …

    … weil Union und FDP mit den Steuerbetrügern eng verbandelt sind, weil man sie vor sich hertreiben kann und sie gespalten sind.

    Volker Pispers hat die Pointe einmal wunderbar formuliert: die FDP sei dagegen, CDs von Steuerbetrügern aufzukaufen. Schließlich würde man ja über die Mitgliederlisten der FDP kostenlos verfügen können. (Leider habe ich jetzt keinen Link zu dieser wunderbaren Passage von Volker Pispers gefunden)
    Pispers könnte die Aussage vermutlich ohne Verlust des Wahrheitsgehalt auf CDU und CSU ausdehnen. Insbesondere die baden-württembergische CDU hat vermutlich sehr viele Mitglieder und noch mehr Sympathisanten und Spender, die ihre Schwarzgelder in der Schweiz deponiert haben. Gleich hinter der Grenze gibt es reihenweise Schweizer Banken und Berater für die Geldanlage. Es ist zu erwarten, dass gerade die zuvor erwähnten Schwarzgelder, die auch beim so genannten Mittelstand anfallen, in die Schweiz und andere Steueroasen transferiert worden sind. Bundesfinanzminister Schäuble, Fraktionsvorsitzender Kauder und Bildungsministerin Schavan leben wie der frühere Ministerpräsident Mappus in diesem Milieu. Selbst wenn sie selbst „sauber“ sind, stehen sie unter dem Druck jener, die dringend daran interessiert sind, dass der Kampf gegen Steueroasen und Steuerbetrug nicht ernsthaft geführt wird.

    Die Schweizer Banken und vermutlich auch die Schweizer Regierung wissen mehr über die Verflechtung der deutschen Regierungsparteien mit den Usancen der Steuerflucht. Sie haben unsere Regierungsparteien vermutlich in der Tasche. Und einige Medienmacher auch. Klar, dass die Schweizer Banken dies im Kampf um ein ihnen genehmes Abkommen einsetzen.
    Wahrscheinlich ist dies der Hintergrund der Weigerung der Bundesregierung, ein so schlechtes Steuerabkommen fallen zu lassen, oder jedenfalls neu zu verhandeln.

    Anzumerken bleibt noch, dass das Thema selbstverständlich nicht nur Baden-Württemberg betrifft und leider vermutlich auch nicht nur die Regierungsparteien in Steuerfluchtvorgänge eingewoben sind. Die Union steht den vermögenden Schwarzgeldbesitzern näher, und sie hat schließlich schon Erfahrung mit solchen Vorgängen. Die seltsamen jüdischen Vermächtnisse im Umfeld der hessischen CDU sind ein handfester, leider schon fast in Vergessenheit geratener Beleg.

    Es gibt eine Reihe weiterer Gründe dafür, warum sich das Thema für den Wahlkampf eignet,…

    … weil man am Beispiel der Schweiz zeigen kann, wie ein ganzes Land von der Hehlerei und vom Ausnehmen seiner Nachbarn besonders gut lebt

    … weil man sich auf die Praxis der USA berufen kann, die um vieles härter gegen US-Steuerhinterzieher und ihre Helfer zum Beispiel in der Schweiz vorgehen. All dies könnte man einfach kopieren.

  3. Warum es aller Kraft, allen Einsatzes und besonderer Angriffslust bedarf, das Thema auf der Tagesordnung zu halten und damit offensiv in Wahlkampf und Politik zu arbeiten…

    … weil die Lobby stark ist; das kann nicht verwundern. Es geht uns sehr viel Geld. Und selbst wenn jetzt in der Schweiz nur 100 Milliarden € betroffen wären, die großen Steuerhinterzieher, die ihre Gelder in anderen Steueroasen unterbringen, wissen, dass bei einem Erfolg im Umgang mit den Steuerbetrügern in der Schweiz auch der nächste Schritt kommen muss,

    … weil Medienschaffende und andere Meinungsführer offensichtlich mit im Boot der Steuerbetrüger sitzen,

    … weil die Lobby der Steuerbetrüger und der Hehler sich ein rechtsstaatliches Mäntelchen geschneidert hat und affirmativ auftritt. Sie bezichtigen frech jene der Hehlerei, die sich den Bruch des Rechtes nicht gefallen lassen wollen und deshalb auf Informanten aus dem Milieu der Schweizer Bankenwelt setzen und dafür notfalls bezahlen; davon sollte man sich nicht beeindrucken lassen,

    … weil der Bundesfinanzminister mit ein bisschen Geld winkt. Das hat offensichtlich die brandenburgische Koalition aus SPD und Linkspartei schon beeindruckt.

    Der Kampf ist hart, aber dann zu gewinnen, wenn SPD, Grüne und Linkspartei erkennen, welch ein großartiges Thema sie mit dem Thema Steuerflucht und Steueroasen haben und das Thema nicht nur beiläufig behandeln.

    Sigmar Gabriel hatte den notwendigen Biss, als er am 21. Juli in seinem Thesenpapier zu Banken und Finanzsektor unter 3. formulierte:

    3. Einige Banken leisten Beihilfe zur Steuerkriminalität. Die aktuellen Fälle in der Schweiz zeigen: Manche Banken drücken nicht nur beide Augen zu, sie leisten nicht nur Beihilfe, sie sind Teil eines Netzwerks, das auch vor kriminellen Aktivitäten nicht zurückschreckt. Steuerhinterziehung und Beihilfe dazu sind keine „Sünden“, sondern schwere Straftaten, die mit bis zu 10 Jahren Haft bestraft werden können. Schwere und bandenmäßig organisierter Steuerhinterziehung in Millionenhöhe ist organisierte Kriminalität.

    Daher muss der Generalbundesanwalt verpflichtet werden, auch gegen ausländische Kreditinstitute und ihre Mitarbeiter im In- und Ausland die Strafverfolgung aufzunehmen.

    Hoffen wir, dass ihm die Zähne inzwischen nicht gezogen sind oder noch gezogen werden. Er sollte beachten: Wahlkämpfe sind wichtige Transmissionsriemen für solche Themen und Vorhaben. Siehe Ostpolitik 1972 und Aufwertung 1969. Beides war sehr hilfreich für die SPD. Er und die anderen Parteien in der Opposition, also Die Grünen und die Linkspartei, sollten weiter beachten: Solche Themen laufen einem nicht jeden Tag über den Weg.

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