„Wes Brot ich ess, des Lied ich sing“,

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

so lautet die Überschrift eines Kommentars von Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung vom 24.7.. Mit dieser Überschrift ist schon angedeutet, wie verlogen und ablenkend die Debatte um die Trennung von Abgeordnetenmandat und anderen Beschäftigungen geführt wird.

Ob der CDU-Abgeordnete Göhner gleichzeitig Geschäftsführer der Arbeitgeberverbände ist, ist vergleichsweise unerheblich. Genauso hätte ich überhaupt nichts dagegen gehabt, dass Herr Röttgen CDU-Abgeordneter bleibt und beim BDI arbeitet. Dann ist wenigstens klar, wessen Interessen sie vertreten. Mindestens so gravierend, ja viel wichtiger und für uns alle schädlicher und obendrein meist im Dunkeln sind die Einflussnahmen auf politische Entscheidungen in Sinne von Auftraggebern, mit denen man kein offizielles Verhältnis hat:

Zum Beispiel: Bundeskanzler Kohl hatte kein Arbeitsverhältnis mit Leo Kirch und auch nicht mit „Herrn“ Bertelsmann. Und dennoch hat er für die Kommerzialisierung des Fernsehens gesorgt und damit für Riesengewinne der beiden Unternehmen, der Betreiber von RTL und SAT 1, ProSieben etc.. Wie durch Zufall flossen Jahre später, als Kohl schon nicht mehr Bundeskanzler war, Beratungshonorare von Leo Kirch an Kohl und sein halbes Kabinett. – das ist doch ein um vieles gravierender Vorgang als die Doppelfunktion der Herren Göhner und Röttgen.
Zum Beispiel: Herr Otto Graf Lambsdorff saß in Aufsichtsräten von Versicherungskonzernen und hat sich massiv für die Privatisierung von Versicherungen eingesetzt.
Zum Beispiel: Auf Betreiben des heutigen Vizekanzlers Müntefering hat das Kabinett Merkel die Anhebung des Renteneintrittsalters betrieben. Das war eine Maßnahme zur weiteren Erosion des Vertrauens in die gesetzliche Rente und damit zugleich eine Unterstützung für den Verkauf von privaten Versicherungspolicen und zur Ankurbelung des Geschäftes mit der Riester-Rente.
Zum Beispiel: Der frühere Bundeskanzler Schröder und sein Finanzminister sind wesentlich dafür verantwortlich, dass die hohen Gewinne der Heuschrecken und der an sie Verkaufenden seit 1.1.2002 steuerfrei sind und das auch weiter geblieben sind, als sein Parteifreund Müntefering das Klagelied über die Heuschrecken sang. Diese Debatte hatte keinerlei politische Folgen. Die Privilegien der Heuschrecken blieben. Und davon profitieren offenbar der Abgeordnete Merz in seiner Funktion als Anwalt und vermutlich eine ganze Reihe anderer Politiker.
Zum Beispiel: Auch jene Politikerin, die sich engagiert für den Verzicht des Abgeordneten Röttgen auf eines der beiden Ämter eingesetzt hat, die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages Göring-Eckhardt singt andauernd das Lied mächtiger Interessen. Wenn ich sie hörte, beklagte sie die Lohnnebenkosten und forderte ihre Senkung. Die permanente Senkung der Lohnnebenkosten ist jedoch eines der besten Mittel, um das Vertrauen in die solidarischen Sicherungssysteme zu ruinieren. Die Versicherer haben sich diese Strategie ausgedacht. Das müsste eigentlich auch Frau Göring-Eckhardt wissen.
Zum Beispiel: die Abgeordneten Bürsch und Brandner traten überraschend engagiert für die Novelle des so genannten ÖPP-Gesetzes noch vor der letzten Bundestagswahl ein. Es ging um die leichtere Möglichkeit zur Privatisierung öffentlicher, meist kommunaler Einrichtungen. Dass der Abgeordnete Brandner gleichzeitig aktiver Gewerkschafter ist, ist eine völlig vernachlässigbare Angelegenheit. Viel interessanter ist die Frage nach den Interessen, die durch das ÖPP-Gesetz bedient werden.

Diese und eine ganze Reihe anderer Fälle sind ausführlich in meinem Buch „Machtwahn“ geschildert. Alle diese Fälle, in denen politische Entscheidungen von Interessen bestimmt waren, sind um vieles gravierender, als die offene personelle Verknüpfung von Abgeordnetenmandat und Funktion bei einem Verband.

Im übrigen: Jetzt auch noch die Gewerkschaftsmitgliedschaft in diesem Zusammenhang zum Thema zu machen, ist geradezu erheiternd. Und besonders erheiternd ist, dass dies von FDP Leuten vor allem geschieht. Das ist jene Partei, die wie keine andere in der jungen Geschichte der Bundesrepublik Politik vor allem dazu genutzt hat, um große Interessen durchzusetzen. Die Gewerkschaftsmitgliedschaft verleidet keinen Menschen zu von Interessen gesteuerten politische Entscheidungen.

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