Hinweise des Tages

Jens Berger
Ein Artikel von:

Hier finden Sie einen Überblick über interessante Beiträge aus anderen Medien und Veröffentlichungen. Wenn Sie auf “Mehr” klicken, öffnet sich das Angebot und Sie können sich aussuchen, was Sie lesen wollen. (JB)

Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:

  1. IG-Metall-Kurswechel-Kongress
  2. SPD-Bundesparteitag
  3. Eurokrise
  4. ILO: Krise drückt weltweit auf die Einkommen
  5. Steuerabkommen
  6. It’s official: Austerity Enconomics doesn’t work
  7. Bankenkrise – Siechtum mit System
  8. UDE: MIndestlohn wirkt
  9. Arbeitslosigkeit: Arbeitsmarktforscher schreiben Südeuropa ab
  10. Wir müssten diesen Riester-Unfug stoppen
  11. Rhetorik der Selbsttäuschung
  12. Zeitungen: Lieber Staat, rette uns!

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. IG-Metall-Kurswechel-Kongress
    1. Wirtschaft geht auch gerecht
      Der IG-Metall-Kongress in Berlin wirbt für einen Kurswechsel. Der ehemalige brasilianische Präsident Lula da Silva begeistert die Gewerkschafter mit seiner Bilanz im Kampf gegen Armut.
      Wenn die Europäer von jemandem lernen können, wie man mit Krisen umgeht und sie überwinden kann, dann von diesem Mann. Für Deutsche seien Krisen ungewohnt, aber nicht für ihn, erzählt er. „Seit ich sieben Jahre alt bin, ist in meinem Land Krise“, ruft Luiz Inácio Lula da Silva in den Saal. Der ehemalige Arbeiterführer und brasilianische Präsident ist nach Berlin gekommen, um auf dem IG Metall-Kongress „Kurswechsel für ein gutes Leben“ über seine Erfahrungen zu berichten. Als junger Mann habe er die Sojadosen zu Hause gestapelt, weil jeder seinen Lohn sofort im Supermarkt ausgeben habe. Kein Wunder bei einer Inflation von 80 Prozent – im Monat.
      Quelle: Frankfurter Rundschau
    2. James Galbraith – “Das Geld lieber direkt an die Bürger zahlen”
      Der US-Ökonom James Galbraith findet, Brüssel sollte bei der Griechenland-Hilfe die korrupte Verwaltung dort umgehen
      Quelle: taz
    3. Sichere Arbeit und ökologischer Wandel
      Kurswechsel-Kongress der IG Metall: Berliner Erklärung
      Wir werden die Politik daran messen, ob sie den Kurswechsel in Wirtschaft und Gesellschaft mit Investitionsoffensiven, sicheren Arbeitsbedingungen und ökologischem Denken umsetzt”, kündigte Berthold Huber, Erster Vorsitzender der IG Metall, heute in Berlin an.
      Weltweite Megatrends bestimmen heute die Arbeits- und Lebenssituation der Menschen. Obwohl die Situation in Brasilien, Spanien, Nigeria, Pakistan und in Deutschland unterschiedlich ist – die Probleme müssen gemeinsam angegangen und bewältigt werden. Das geht nur mit einem grundlegenden Politikwechsel, stellte Berthold Huber, der Erste Vorsitzende der IG Metall, heute in Berlin fest. Dort ging der dreitägige internationale Kongress der IG Metall “Kurswechsel für ein Gutes Leben” zu Ende.
      “Wir werden die Politik daran messen, ob sie den Kurswechsel in Wirtschaft und Gesellschaft mit Investitionsoffensiven, sicheren Arbeitsbedingungen und ökologischem Denken umsetzt”, sagte Huber. Gute und sichere Arbeit ist unabdingbar. Nur dann können Beschäftigte die für erfolgreiches Wirtschaften notwendigen Innovationen entwickeln. Und dass weitgehende technologische Innovationen unabdingbar sind, um den ökologischen Umbau der Industrie voranzutreiben, darin waren sich die Teilnehmer des IG Metall Kongresses “Kurswechsel für ein Gutes Leben” einig. Nur wenn es gelingt, über aktive Industriepolitik die Wertschöpfung auszubauen und sie neu, ökologisch zu gestalten, kann langfristig Wohlstand gesichert werden. […]
      Quelle 1: IG Metall
      Quelle 2: Kurswechsel für ein gutes Leben – IG Metall
  2. SPD-Bundesparteitag
    1. Keine Wechselstimmung
      Man kann ja heutzutage alles nachlesen, online, zumeist sogar in Echtzeit. Diesen Satz aber habe ich mitgeschrieben, fein säuberlich, mit meinem altmodischen Füllfederhalter: “Wir lassen uns auch nicht die Rendite der Reformpolitik stehlen.” […]
      Nimmt man nur diesen Auschnitt der Rede, der fürwahr kein unwesentlicher ist, verrät er doch, welch Geistes Kind Steinbrück weiterhin ist, haben die Delegierten der SPD und dem Teil der Bevölkerung, der sich überhaupt noch für Politik interessiert und wählen geht, heute unter frenetischem Beifall einen Märchenonkel als Kanzlerkandidaten beschert. […]
      Es empfiehlt sich, die ganze Rede zu lesen. Sie enthält auch viele richtige und erstrebenswerte Punkte, benennt soziale und ökonomische Schieflagen. Weder aber liefert Steinbrück eine schlüssige Analyse der Verhältnisse und möglicher Auswege, noch kann er mit den oben zitierten Aussagen glaubwürdig für eine Alternative stehen. Dazu hätter er sich mit seiner eigenen und der Politik seiner Partei seit Schröder kritisch auseinandersetzen müssen. Das gilt übrigens auch für die Personen Hannelore Kraft und Sigmar Gabriel und deren Reden, die sie heute in gleicher Manier gehalten haben. Steinbrück hat dies nicht unterlassen, weil er dies nicht kann; er hat es nicht getan, weil er von der Richtigkeit der “Reformpolitik” nach wie vor fest überzeugt ist.
      Quelle: Wirtschaft und Gesellschaft
    2. Best of Steinbrück. Ein Rückblick in Zitaten
      Peer Steinbrück ist SPD-Kanzlerkandidat. Er gilt als Finanz- und Wirtschaftsfachmann, der mit deutlichen Worten klare und feste Positionen vertritt. Seine Kandidatur ist Anlass genug, Bilanz zu ziehen: Was sagt dieser Mann tatsächlich? Was denkt er? Wie konsequent bleibt er bei seinen Positionen? Wie glaubwürdig sind seine Aussagen?
      Quelle: annotazioni
    3. Peer Steinbrück, selbst ernannter Weltökonom mit Fehleinschätzung
      Was heute einhellige Beschlusslage ist, hat der jetzige SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück noch 2007 verteufelt: eine einheitliche Bankenaufsicht in Europa. Als Finanzminister verbündete er sich mit London dagegen.
      Aufmerksame und regelmäßige Leser der Financial Times Deutschland kennen das Motto dieser Zeitung natürlich: “Wissen, was wichtig wird”.
      Das nunmehr unzweifelhafte Ableben der FTD bringt es freilich mit sich, dass das, was dereinst wichtig sein wird, von uns nicht mehr journalistisch begleitet werden kann – wie zum Beispiel die Bundestagswahl. Die findet bekanntlich im Herbst kommenden Jahres statt, und weil die FTD dann bereits in Frieden ruhen wird, bleibt uns in dieser Hinsicht leider nur der Blick zurück.
      Aber auch der kann spannend sein. Vor allem wenn es um Peer Steinbrück geht. Der selbst ernannte Weltökonom aus Hamburg-Uhlenhorst will für die Sozialdemokraten das Kanzleramt zurückerobern, hat derzeit allerdings mehr mit seiner früheren Tätigkeit als gut bezahlter Vortragsredner zu kämpfen.
      Quelle: FTD
    4. Embedded Neoliberalism
      Das Projekt des SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück heißt Finanzmarktregulierung – in Europa und mit mehr »Demokratie« beim Abnicken längst gefallener Entscheidungen
      Die Sache begann im Herbst 2011 als Lachnummer. Ein Buchcover zeigte den Altkanzler Helmut Schmidt und den Abgeordneten Peer Steinbrück vor einem falsch aufgestellten Schachbrett. Im Inneren des Bandes redeten sie sich hanseatisch mit ihren Vornamen »Helmut« und »Peer« und per Sie an. Sie bestätigten einander, wobei der Jüngere den Älteren verhalten anbetete und dieser ihn als seinen politischen Erben empfahl. Das wirkte peinlich. […]
      Halten wir fest: Zumindest die Bekämpfung der Turbospekulation ist eine von nahezu allen betretene Plattform, auf welcher der SPD-Kandidat sich nun um die Position des Primus bemüht. Um zu begreifen, weshalb plötzlich die Finanzmärkte gebändigt werden sollen, empfiehlt es sich, sich ein paar Gedanken über den Zustand des Gebildes zu machen, das in der Fraktionssprache links von SPD und Grünen als »Neoliberalismus« bezeichnet wird. […]
      Die von Rot-grün und Schwarz-rot betriebene Politik der steuerpolitischen Umverteilung von unten nach oben, der Teilprivatisierungen der sozialen Sicherungssysteme und der Veräußerung öffentlichen Eigentums wird nicht thematisiert, also wortlos hingenommen. Nur im Rahmen dieser längst geschaffenen vollendeten Tatsachen darf dann noch abgestimmt werden. Eine solche Instrumentalisierung von Plebisziten hat eine nicht sehr demokratische Tradition. Mit diesem Instrument hantierte bereits im 19. Jahrhundert der Bonapartismus.
      Quelle: Junge Welt
  3. Eurokrise
    1. Im Exportwahn
      Deutschlands Industrie kann durch Exportoffensiven außerhalb Europas die krisenbedingten Absatzeinbrüche in der Eurozone kompensieren. Zwar sind die deutschen Ausfuhren in die zum Sparen gezwungenen Staaten Südeuropas um zehn Prozent oder sogar mehr geschrumpft. Dafür konnte die Bundesrepublik die Ausfuhren etwa in die USA, nach Südkorea und Japan stark steigern; die Exporte ins außereuropäische Ausland nahmen um zehn Prozent zu. Gegenüber den Vereinigten Staaten wurden sogar Rekordüberschüsse erzielt. (…) Der Binnenmarkt stagniert weiterhin; die deutschen Einzelhandelsumsätze etwa gehen aufgrund der Lohnzurückhaltung und des Sozialkahlschlags weiter zurück: Sie lagen im Oktober 2012 fast fünf Prozent unter dem Vergleichswert vom Oktober 2000. (…) Überdies gibt es innerhalb der deutschen Unternehmerschaft Bestrebungen, zumindest Teile Südeuropas durch massiven Lohnkahlschlag und Sozialraub zu einem ökonomischen Vorhof Deutschlands zuzurichten – ganz nach dem Vorbild Osteuropas.
      Quelle: German Foreign Policy

      Anmerkung unseres Lesers G.K.: Man darf gespannt sein, wie lange die Staaten außerhalb der Eurozone noch dazu bereit sind, die vom hiesigen Lohndumping und vom für die deutsche Exportwirtschaft vorteilhaften Euro-Wechselkurs begünstigten deutschen Exporte und die gegenüber Deutschland stetig anwachsende Auslandsverschuldung widerstandslos hinzunehmen. Dies gilt in besonderem Maße für die USA, deren Auslandsverschuldung sich bereits in den vergangenen 30 Jahren massiv ausgeweitet hat.

      Im “German Foreign-Policy”-Beitrag heißt es darüber hinaus: “Gerade der wirtschaftliche Bedeutungsverlust der südlichen Eurozonen-Peripherie für Deutschlands Exportbranche verstärkt die Forderungen nach ihrer Exklusion aus der gemeinsamen Währung. Die politischen Funktionsträger in Berlin sind derzeit vor allem darum bemüht, die Kosten der Abwicklung dieser von der deutschen Exportwalze ruinierten Regionen zu minimieren.” Sollten die deutschen “Eliten” in ihrer schier grenzenlosen Überheblichkeit tatsächlich danach trachten, ihnen nicht mehr genehme Staaten aus der Eurozone hinauszudrängen, dann sollten sie bedenken: Selbst wenn dieses Hinausdrängen gelingen sollte, dann wäre als Folgewirkung mit hoher Wahrscheinlichkeit ein deutliches Ansteigen des Euro-Umtauschkurses zu erwarten, wodurch die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Exportwirtschaft leiden würde. Zudem würde ein Anstieg des Euro-Umtauschkurses die bereits heute unter preislicher Wettbewerbsschwäche leidende französische Wirtschaft zusätzlich unter Druck setzen und deren Mitgliedschaft in der Eurozone nahezu unmöglich machen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit würde der Versuch, über politischen Druck das Ausscheiden der europäischen Krisenstaaten zu erzwingen, schwerwiegende ökonomische und finanzwirtschaftliche “Kettenreaktionen” auslösen, die innerhalb und außerhalb der Eurozone unkalkulierbare und kaum mehr handhabbare ökonomische, soziale und gesellschaftliche Verwerfungen hervorrufen würden. Angesichts der schier unglaublichen Allmachtsfantasien weiter Teile unserer politischen, ökonomischen und medialen “Eliten” muß man jedoch erhebliche Zweifel hegen, ob diese Kreise die Folgen ihres Handelns überhaupt noch rational einschätzen (können).

      Den europäischen Krisenstaaten sowie Frankreich stünde jedoch die Option eines freiwilligen und geordneten Ausscheidens aus der Eurozone offen (sofern man angesichts der Komplexität und der Unwägbarkeiten überhaupt von einem geordneten Ausscheiden sprechen kann). Siehe hierzu das “Tages-Anzeiger”-Interview mit Heiner Flassbeck: «Die Euroländer müssen sich trennen».

      Dies böte diesen Staaten die realistische Option, in einem schwierigen Anpassungsprozeß ihre preisliche Wettbewerbsfähigkeit wiederzuerlangen.

      Angesichts des chauvinistischen und großspurgen Auftretens weiter Teile unserer “Eliten” müssen diese zudem achtgeben, daß sich unter den Völkern Europas nicht eine Stimmung ausbreitet, wie sie in der Überschrift eines Beitrages der Basler Zeitung vom Mai 2012 wiedergegeben wird: «Nicht Griechenland, sondern Deutschland muss austreten».

      Die in weiten Teilen der hiesigen Bevölkerung verbreitete Mentalität, sich den Wünschen der neoliberalen “Eliten” nahezu widerstandslos zu fügen, leistet einer von Deutschland ausgehenden nicht-kooperativen Dumpingpolitik Vorschub und ist mit der Mitgliedschaft in einer Währungsunion nur schwerlich zu vereinbaren.

    2. Euro-Krise: Portugal will gleiche Finanzhilfen wie Griechenland
      Eine Sprecherin von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble sagte, es stehe dazu keine Entscheidung an. Griechenland sei ein besonderer Fall und nicht mit den anderen Programmländern zu vergleichen. Der portugiesische Finanzminister Vitor Gaspar beruft sich laut “Wirtschaftswoche” auf Vereinbarungen der Euro-Mitglieder bei einem Gipfel im Juli vergangenen Jahres, Ländern mit Hilfsprogrammen dieselben Konditionen anzubieten. Er vertrete die Auffassung, dass das Prinzip der Gleichbehandlung bei Zinsen und Rückzahlungsfristen auch für Portugal und Irland gelte. In der Erklärung der Staats- und Regierungschefs vom 21. Juli 2011 heißt es: “Die Zinssätze und Laufzeiten der Darlehen der EFSF, die wir für Griechenland vereinbart haben, werden auch für Portugal und Irland gelten.” Die Euro-Finanzminister hatten in der Nacht zum Dienstag für Griechenland ein Bündel finanzieller Entlastungen ausgehandelt. Dazu gehören die Senkung der Zinsen für die Kredite aus dem ersten Hilfsprogramm und der Gebühren für die Darlehen aus dem zweiten Programm an den EFSF. Zudem wurden die Laufzeiten der Kredite aus beiden Programmen um 15 Jahre verlängert. Schäuble hatte gesagt, bei dem Ministertreffen hätten Zinserleichterungen für Portugal und Irland keine Rolle gespielt.
      Quelle: FTD

      Anmerkung Orlando Pascheit: Wenn von einem Dominoeffekt in Euroland gesprochen wird, ist eher die Reaktion der Finanzmärkte gemeint. Aber warum sollte dieser Effekt nicht auch für Regierungen gelten. Die Argumentation, dass Griechenland ein besonderer Fall sei, ist bald hinfällig, wenn man sich z.B. das schnelle Anwachsen der Staatsverschuldung Portugals anschaut. Staatsverschuldung in Prozent des BIP: 2009: 83, 1; 2010: 93,3; 2011: 107, 8; 2012: 119, 1. Nachdem das Haushaltsdefizit von -9,8 Prozent (2010) in einem Wahnsinnsakt 2011 auf -4,4 Prozent gedrückt wurde, nimmt es kaum Wunder, dass Portugal 2012 nach Schätzungen der EU bei einem BIP-Rückgang von -3,4 Prozent im 3. Quartal wieder auf -5 Prozent des BIP ansteigt. – Erst recht dürften Forderungen nach Gleichbehandlung bei einem echten Schuldenschnitt aufkommen.

    3. Noam Chomsky – Europas Politik macht nur unter einer Annahme Sinn: dass das Ziel die Auflösung des Wohlfahrtsstaates ist
      Über technokratische Regierungen, schädliche Austeritätspolitik und den Aufstieg der extremen Rechten in Europa: Noam Chomsky im Interview mit EUROPP (European Politics and Policy)
      Quelle: bettinacsoka
  4. ILO: Krise drückt weltweit auf die Einkommen
    Die Lohnentwicklung bleibt weiterhin hinter dem Stand vor Ausbruch der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise zurück. Dies geht aus dem Globalen Lohn-Report hervor, den die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) am Freitag in Genf vorstellte. Im weltweiten Durchschnitt stiegen im Jahr 2011 die monatlichen Bruttolöhne unter Abzug der Inflation um 1,2 Prozent. 2010 hatte der Zuwachs noch bei 2,1 Prozent gelegen und 2007, vor Ausbruch der Krise, sogar bei 3 Prozent. Ohne China nahmen die globalen Durchschnittlöhne 2011 real nur noch um 0,2 Prozent zu. In den Industrieländern kam es infolge der Krise zu einem “double dip”: Nach einer leichten Erholung 2009 und 2010 war die Lohnentwicklung im Jahr 2011 erneut negativ. Im laufenden Jahr wird mit einem Nullwachstum gerechnet. Lateinamerika, Afrika und ganz besonders Asien verzeichneten dagegen deutliche Reallohnzuwächse. Die Lohnentwicklung hielt in den meisten Ländern nicht mit dem Produktivitätswachstum Schritt, stellt der Bericht fest. In Deutschland etwa stieg die Produktivität in den vergangenen zwei Jahrzehnten um fast ein Viertel, während die Reallöhne jedoch stagnierten und zwischen 1999 und 2007 sogar rückläufig waren. In den meisten Ländern schrumpft seit langem der Anteil der Löhne am Volkseinkommen, während der Anteil der Unternehmens- und Vermögenseinkommen zunimmt. Zahlreiche Untersuchungen belegen zudem eine wachsende Ungleichheit bei den individuellen Einkommen: Die Schere zwischen Gering- und Topverdienern geht weiter auf.
    Die ILO-Experten warnen vor dem Versuch, sich aus der Krise herauszusparen und die nationale Wettbewerbsfähigkeit durch eine Senkung der Lohnkosten zu steigern. Denn dadurch könnte es zur einem “race to the bottom” kommen, einem Wettlauf um immer niedrigere Kosten und Löhne, der auf dem Rücken der Arbeitnehmer ausgetragen wird. Stattdessen sei es nötig, die Entwicklung der Arbeitnehmerentgelte wieder an die Produktivitätsentwicklung anzugleichen. Die großen Leistungsbilanzüberschüsse in Ländern wie Deutschland zeigten, so der Bericht weiter, dass es dafür durchaus Spielräume gebe. Darüber hinaus rät der ILO-Bericht zur Einführung von Mindestlöhnen. – Bei der Festsetzung von Mindestlöhnen sollten mehrere Faktoren berücksichtigt werden, betonen die Autoren des Lohn-Berichts: die Bedürfnisse der Arbeitnehmer und ihrer Familien, aber auch ökonomische Faktoren wie die Produktivität, die Erfordernisse der wirtschaftlichen Entwicklung und nicht zuletzt die Notwendigkeit, ein hohes Beschäftigungsniveau zu erhalten.
    Quelle 1: ILO
    Quelle 2: ILO [PDF – 1.6 MB]
  5. Steuerabkommen
    1. Ideologisch ins Verderben
      Kein anderer Kanton hat die Tiefsteuerpolitik zuletzt so weit vorangetrieben wie Luzern. Die Folgen sind verheerend. Doch langsam regt sich Widerstand
      Jahrelang gab es in Luzern immer nur Geschenke: Einkommen, Vermögen, Gewinne – in allen Bereichen sind die Steuersätze massiv gesenkt worden. Profitiert haben in erster Linie Personen mit einem hohen Einkommen und Unternehmen: Die Vermögenssteuer ist in einem Jahrzehnt von 6,4 auf 2,4 Promille gesunken, die zuvor schon tiefen Unternehmenssteuern sind halbiert worden und liegen mittlerweile flächendeckend unter sieben Prozent. Aus dem Kanton, der im Vergleich zu seinen Zentralschweizer Nachbarn lange als «Steuerhölle» galt, ist in einem Jahrzehnt ein wahres Steuerparadies geworden. Als das Stimmvolk vor drei Jahren einer erneuten Steuersenkung zustimmte, posierte Marcel Schwerzmann, der parteilose, FDP-nahe Finanzdirektor des Kantons, stolz vor einem blauen Ortsschild mit der Aufschrift: «Tiefste Unternehmenssteuer (LU)». Schwerzmann sagte damals: «Der Sinn einer Steuersenkung ist es schliesslich, dass man im Endeffekt mehr Geld einnimmt.»
      Quelle: WOZ
    2. Flagrante Ungerechtigkeit gegenüber Einheimischen
      Der Steuerstreit zwischen der Schweiz und befreundeten Staaten ist kein helvetisches Ruhmesblatt. Vieles ist schief gelaufen in den letzten 60 Jahren.
      Vor kurzem hat der deutsche Bundesrat das Abgeltungsteuerabkommen mit der Schweiz abgelehnt. Ob es sich dabei tatsächlich um ein sinnvolles Konstrukt handelt, bleibe vorerst dahin gestellt. Unbestritten ist, dass das für unser Land negative Steuerstreit-Gezerre in die nächste Runde geht. Und schon zeichnen sich weitere „Nebenkriegsschauplätze“ im Steueroptimierungdrama ab.
      Haben Sie sich nicht auch schon gefragt, warum in unserem Land in den einzelnen Kantonen laufend neue Steuergeschenke „erfunden“ werden? Ob Pauschalsteuern, Unternehmenssteuerreform oder Holdingsteuern – in erster Linie profitieren in der Schweiz niedergelassene Ausländer, hochrentable, reiche Unternehmen oder ausländische Holdinggesellschaften. Dieser überbordende Steuerföderalismus schafft viel böses Blut. Er ist auch die Folge eines unzeitgemäßen helvetischen Kantönligeistes aus dem letzten Jahrhundert.
      Quelle: Journal 21
  6. It’s official: Austerity Enconomics doesn´t work
    With all the theatrics going on in Washington, you might well have missed the most important political and economic news of the week: an official confirmation from the United Kingdom that austerity policies don’t work.
    In making his annual Autumn Statement to the House of Commons on Wednesday, George Osborne, the Chancellor of the Exchequer, was forced to admit that his government has failed to meet a series of targets it set for itself back in June of 2010, when it slashed the budgets of various government departments by up to thirty per cent. Back then, Osborne said that his austerity policies would cut his country’s budget deficit to zero within four years, enable Britain to begin relieving itself of its public debt, and generate healthy economic growth. None of these things have happened. Britain’s deficit remains stubbornly high, its people have been suffering through a double-dip recession, and many observers now expect the country to lose its “AAA” credit rating.
    One of the frustrations of economics is that it is hard to carry out scientific experiments and prove things beyond reasonable doubt. But not in this case. Thanks to Osborne’s stubborn refusal to change course—“Turning back would be a disaster,” he told Parliament—what has been happening in Britain amounts to a “natural experiment” to test the efficacy of austerity economics. For the sixty-odd million inhabitants of the U.K., living through it hasn’t been a pleasant experience—no university institutional-review board would have allowed this kind of brutal human experimentation. But from a historical and scientific perspective, it is an invaluable case study.
    Quelle: The New Yorker
  7. Bankenkrise – Siechtum mit System
    Die Finanzwirtschaft ist dabei, sich umzubringen. An die Bankvertreter richtet sich die Frage: Wollen sie weiterhin Sterbehilfe leisten? Was zu tun ist.
    Die Banken der beginnenden Neuzeit gründeten ihren Erfolg auf einem einfachen Geschäftsmodell: Zahle vier bis fünf Prozent für Einlagen und leihe zu sechs Prozent aus. Das war so vor über einem halben Jahrtausend und hatte dem Prinzip nach Bestand über die Jahrhunderte. Aber spätestens seit der großen Krise vor vier Jahren bietet sich ein gänzlich anderes Bild von dem, was Bankgeschäft ausmacht: Da geht es um undurchsichtige Transaktionen, wenig transparente Angebote, nebulöse Methoden, mitunter begleitet von Betrug und Korruption. Wir, die Verfasser dieses Beitrags, die lange Zeit in der Finanzwirtschaft tätig waren und sind, wissen, dass die heute zu beklagenden Missstände kein Zufall, sondern zwangsläufige Folge einer Entwicklung sind, die wir mit wachsender Sorge beobachtet haben. […]
    Der Beweis? Er ist mit einer einfachen Überlegung zu führen: Wie viel Eigenkapital wäre notwendig gewesen, um das Bankhaus Lehman Brothers vor dem Kollaps zu bewahren? Das Doppelte, das Dreifache oder ein Vielfaches des tatsächlich damals vorhandenen? Die Größenansätze, die als „ausreichend“ in einem der vielen Stresstests unterstellt werden, entbehren jeglichen Wirklichkeitsverständnisses. […]
    Es ist weder Sache der Banken, spekulative Handelsgeschäfte zu kreditieren, noch Sache der Banken, Strukturpolitik zu betreiben und durch aggressives M & A-Geschäft in die Unternehmenslandschaft hineinzuregieren.
    Quelle: FAZ

    Anmerkung JB: Sicher fehlen in diesem Artikel einige wichtige Punkte, andere Punkte werden aus der Brille eines Privatbankers gesehen. Dennoch beinhaltet der Artikel sehr viele interessante Argumente, so dass wir ihn unseren Lesern nicht vorenthalten wollen.

  8. UDE: MIndestlohn wirkt
    Wie wirken sich Mindestlöhne auf Wirtschaft und Arbeitsmarkt aus? Sie führen nicht zu höherer Arbeitslosigkeit. Entscheidend ist jedoch, wie sie ausgestaltet und eingeführt werden. Dies zeigt eine aktuelle Expertise aus dem Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen (UDE). Außerdem gibt es beachtliche politische Handlungsspielräume, um Schieflagen in der Lohnverteilung zu korrigieren. Arbeitsplätze gehen dabei aber nicht verloren.
    In der Studie für die Friedrich-Ebert-Stiftung bilanzieren die IAQ-Direktoren Prof. Dr. Gerhard Bosch und Dr. Claudia Weinkopf die Ergebnisse der Evaluationen von acht Branchen-Mindestlöhnen. Sie wurde 2011 von sechs unterschiedlichen Forschungsinstituten durchgeführt. Die Spannweite der Lohnuntergrenzen reicht von 7 Euro bei Wäschereien und Wachdiensten bis zu 13,40 Euro für Fachwerker im westdeutschen Bauhauptgewerbe. Es stellte sich heraus, dass sich die Mindestlöhne in keiner der acht Branchen negativ auf die Beschäftigung auswirkten.
    Prof. Bosch: „Bemerkenswert ist, dass die Sozialpartner die Lohnuntergrenzen teilweise deutlich höher vereinbarten, als für einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn politisch gefordert wird.“ Der Hauptanstoß für Arbeitgeber scheint der Lohndruck durch nicht tarifgebundene Betriebe und niedriger entlohnte Leiharbeitskräfte zu sein. „Das zugrunde liegende Arbeitnehmer-Entsendegesetz hat sich zu einem Instrument entwickelt, das Lohnunterbietungen nicht nur von außen, sondern auch innerhalb Deutschlands verhindert“, stellt Prof. Bosch fest.
    Quelle: Informationsdienst Wissenschaft
  9. Arbeitslosigkeit: Arbeitsmarktforscher schreiben Südeuropa ab
    Die hohe Arbeitslosigkeit in den Krisenstaaten Europas wird sich nach Ansicht von Experten zementieren. Nach Berechnungen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), die der FTD vorliegen, hat die Rezession verheerende Auswirkungen auf die dortigen Arbeitsmärkte. Selbst wenn sich die Konjunktur irgendwann wieder erholt, dürften die Erwerbslosenzahlen nicht mehr auf Vorkrisenniveau sinken. Allein in Spanien lag die strukturelle Arbeitslosigkeit – also die Quote, aus der konjunkturelle Einflüsse herausgerechnet sind – zu Ende 2011 bei über 16 Prozent. Das ist rund ein Drittel höher als noch vor der Finanzkrise 2007 – und ein extrem hoher Wert. Griechenlands bereinigte Erwerbslosenrate liegt bei fast 13 Prozent, in den baltischen Staaten hat die Quote gar um die Hälfte zugelegt – auf über zwölf Prozent. Tendenz: überall steigend. Die Südländer sind für Investoren inzwischen derart unattraktiv, dass sich in den kommenden Jahren kaum Besserung am Arbeitsmarkt ergeben wird. Hinzu kommen ein Bildungssystem, das im europäischen Vergleich nicht mithalten kann, und eine Bevölkerung, die ob der jahrelangen Krise resigniert hat. Viele Ökonomen begrüßen daher den Vorstoß der EU-Kommission für eine Jobgarantie in der Euro-Zone. “Das ist ein wichtiger Weckruf – selbst wenn noch unklar ist, wie es umgesetzt wird”, sagte Clemens Fuest, Ökonom an der Uni Oxford, der FTD. Staatliche Intervention scheint heute dringender denn je: Nach Berechnungen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) werden heute gut 20 Prozent weniger Stellen neu geschaffen als vor der globalen Krise.
    Quelle: FTD

    Anmerkung Orlando Pascheit: Clemens Fuest scheint in der Krise einige Positionen geändert zu haben. 2010 sprach er sich noch dafür aus, zur Sanierung des Haushalts die Sozialausgaben kürzen. Der europäische Sozialkommissar Laszlo Andor schlug vor, alle Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten zu verpflichten, ihre jugendlichen Arbeitslosen so schnell wie möglich zurück an den Arbeitsmarkt zu bringen. Spätestens vier Monate nach Beendigung einer Ausbildung oder nach dem Verlust des Arbeitsplatzes müssen die unter 25-Jährigen entweder weiterqualifiziert werden oder ein Folgearbeitsverhältnis eingehen. Solch ein Programm dürfe ganz gewiss der zusätzlichen finanziellen Unterstützung der starken Eurostaaten bedürfen.

  10. Wir müssten diesen Riester-Unfug stoppen
    Holger Balodis hat das Buch “Die Vorsorgelüge” geschrieben und ist ausgewiesener Rentenexperte. Er meint, das Problem der Altersarmut wird sich in Zukunft noch verschärfen. Denn die private Absicherung, wie sie unter Schröder eingeführt wurde, reicht nicht.
    Quelle: BR Quer
  11. Rhetorik der Selbsttäuschung
    Beim Klimagipfel in Doha arbeitet der diplomatische Reparaturtrupp nur noch daran, den Verhandlungsmodus nicht abreißen zu lassen. Schön, dass wir geredet haben, heißt es nach jedem Klima-Gipfel im Herbst.
    Das Haus brennt. Aber die Eigentümer-Gemeinschaft diskutiert, wie man am besten löscht, wer damit anfängt und aus welcher Kasse das Löschwasser bezahlt wird. Das war der Klimagipfel von Doha. Wenn es nicht um die Erde ginge, man müsste über die Konferenz als Farce lachen. Die Verhandler haben die letzte Nacht durchgemacht und einen Tag drangehängt, um doch noch einen Kompromiss zusammenzuschustern. Das Ergebnis ist schwach. Dem Weltklima, das derzeit durch beschleunigt ansteigende Treibhausgas-Frachten destabilisiert wird, hilft das alles nicht.
    Quelle: Frankfurter Rundschau
  12. Zeitungen: Lieber Staat, rette uns!
    Die “Financial Times Deutschland” ist Geschichte, die “Rundschau” insolvent. Jetzt rufen Politiker wie Verleger nach Subventionen für Zeitungen. Doch taugen die Modelle in Europa als Vorbilder?
    Quelle: taz

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