Die vormalige Vorsitzende des Verwaltungsrats der Bundesagentur für Arbeit Engelen-Kefer zum Geschacher über die Verwendung der Überschüsse der BA

Ein Artikel von Ursula Engelen-Kefer

Der „Überschuss“ der Bundesagentur soll in diesem Jahr zwischen 8,8 und 9,6 Milliarden Euro betragen. Die Vorschläge aus der Politik zur Verwendung dieser Mittel schießen dieser Tage ins Kraut. Eine Weitere Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung oder der Griff in die Taschen der Beitragszahler zum Stopfen von Löchern im Bundeshaushalt werden gefordert. Die ehemalige Vize-Chefin des DGB Ursula Engelen-Kefer sieht eine Stärkung der Arbeitsmarktpolitik zur beruflichen Eingliederung Arbeitsloser als vordringliche Aufgabe. Bei aller Kritik an der Art und Weise, wie die BA die Überschüsse erwirtschaftet hat, und an den Konsequenzen, die daraus folgten (siehe Anmerkung), schließen wir uns dieser Forderung an.

ZUM GESCHACHER UM DIE HOHEN ÜBERSCHÜSSE DER BUNDESAGENTUR FÜR ARBEIT

KEIN GRIFF IN DIE TASCHEN DER BEITRAGSZAHLER

NICHT ÜBER DIE BESCHLOSSENE BEITRAGSSENKUNG HINAUSGEHEN

ARBEITSMARKTPOLITIK STÄRKEN

Von Ursula Engelen-Kefer

Vormalige BA-Vorsitzende und Vize des DGB

Eigentlich könnte der deutsche Bundesbürger aufatmen: Bei allen sonstigen Kassandrarufen über die Erhöhung der finanziellen Belastungen ab 2007 durch die Erhöhung von Mehrwertsteuern und Beiträgen zur Renten- und Krankenversicherung gibt es einen Lichtblick. Da hat der Vorstand der Bundesagentur für Arbeit (BA) verkündet: der Überschuss für 2006 wird nicht nur 6,5 Mrd. Euro betragen wie noch vor wenigen Wochen erwartet, sondern zwischen 8,8 und 9,6 Mrd. Euro. Dabei war ursprünglich für dieses Jahr mit einem Überschuss von nur 1,8 Mrd. Euro gerechnet worden.

In den Medien wird frohlockt: „Weises Kasse quillt über“, „Rekordüberschüsse bei der BA“. So etwas gab es schon lange nicht mehr. Gerade die Nürnberger BA wurde in den letzten Jahren im tagespolitischen Poker immer häufiger bei heranrückenden Bundestagswahlen zum „Buhmann“ gemacht, auf den man von allen Seiten kräftig draufschlagen kann. Den (hoffentlich endgültigen) Höhepunkt bildete der politisch hochgespielte „Statistikskandal“, mit dem Bundeskanzler Gerhard Schröder rechtzeitig vor den Bundestagswahlen 2002 die nicht effizient arbeitende Nürnberger Bundesanstalt als Hauptverantwortlichen für die Massenarbeitslosigkeit an den Pranger stellte.

Trotz oder eben wegen der weit reichenden Reformen und Reorganisationen im Rahmen von Hartz I, II, III, IV kam die BA kaum auf die Beine, zumindest in der öffentlichen Einschätzung. Steigende Arbeitslosigkeit und vor allem Langzeitarbeitslosigkeit – besonders im Gefolge von Hartz IV – steigerte die öffentliche Empörung über die BA. Wie das in Öffentlichkeit und Politik üblich ist, wird dabei zwischen Arbeitsagenturen, Arbeitsgemeinschaften und optierenden Kommunen kein Unterschied gemacht. Vielmehr wird alles, was nicht oder schlecht läuft in einen Topf geworfen und den Nürnbergern vor die Türe gekippt.

Es ist daher „des Schweißes der Edlen“ wert, deutlich zu machen: Woher kommt der neuerliche und unerwartete Geldsegen bei der BA und was bedeutet dies für Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Arbeitslose.

  • Zunächst ist klar zu sagen, dass die 2002 begonnenen organisatorischen Reformen der BA und der Arbeitsagenturen für die ALG-I-Empfänger (bis zu 12 Monate arbeitslos) die erhofften Erfolge zeigen. Dabei ging es vor allem um die längst überfällige Stärkung der Entscheidungs- und Organisationsstrukturen: Installierung eines professionell orientierten Dreier-Vorstandsgremiums anstelle eines Präsidenten. Gestrafft wurde auch die Selbstverwaltung aus Arbeitgebern, Gewerkschaften und öffentlicher Hand. Anstelle des früheren ehrenamtlichen Vorstandes mit weitgehenden geschäftspolitischen Entscheidungsbefugnissen blieb ein verkleinerter Verwaltungsrat als Aufsichts- und Kontrollgremium.
  • Die Entwicklung eines umfangreichen Steuerungs- und Kontrollprozesses auf Bundes-, Landes- und lokaler Ebene. Dabei ist es der BA gelungen, diese weit reichenden Umstrukturierungsprozesse mit den etwa einhunderttausend Beschäftigten und ihren Personalvertretungen bei steigender Arbeitslosigkeit zu bewältigen- sozusagen in einer „Operation am offenen Herzen.“

Die im Verwaltungsrat der BA vertretenen Arbeitgeber und Gewerkschaften – als Repräsentanten der Beitragszahler – sowie die Vertreter der öffentlichen Bank auf allen Ebenen haben diesen Reformprozess nicht nur mitgetragen, sondern auch engagiert mitgestaltet. Dies ist auch deshalb besonders hervorzuheben, da vor allem die Vertreter der Arbeitgeber und Gewerkschaften bei der BA immer wieder einer politischen Hetze ausgesetzt waren, wenn es einzelnen politischen Parteien und Wirtschaftsverbänden wahltaktisch nützlich erschien. Genutzt hat es glücklicherweise nicht viel: Der Ausgang der Bundestagswahl hat deutlich gemacht, dass sich die Wähler mit Blick auf die wirklichen Ursachen und Verantwortlichen der hohen Arbeitslosigkeit nicht verdummen lassen.

Die BA – Vorstand und Verwaltungsrat – können inzwischen erste Erfolge bei der Verbesserung der Arbeitsvermittlung, der Verringerung der Arbeitslosigkeit und der Verbesserung der finanziellen Lage der Bundesagentur für Arbeit vorweisen. Es wäre daher nur folgerichtig, wenn die mittlerweile erweiterten finanziellen Spielräume bei der BA klug und weitsichtig im Interesse der Beitragszahler – der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer als Leistungsempfänger – genutzt werden. Dabei geht es um das richtige Maß von Beitragssatzsenkungen sowie Stärkung der Arbeitsmarktpolitik zur Verringerung der Arbeitslosigkeit. Die Politik wäre gut beraten, der BA und den sie tragenden und vor allem finanzierenden gesellschaftlichen Gruppen bei den Entscheidungen über die Verwendung des Überschusses den Vortritt zu lassen.

Wenig erfreulich und eher peinlich ist das über die Medien begonnene Geschacher über die Verwendung der Überschüsse. Insbesondere die Forderung nach einer noch höheren Senkung der Beiträge – als bereits mit zwei Prozent vorgesehen – ist ebenso unredlich wie der Griff in die Taschen der Beitragszahler zum Stopfen der Löcher im Bundeshaushalt. Letzteres würde allen erklärten Grundsätzen der Großen Regierungskoalition zur Entlastung der Sozialversicherungsbeiträge zuwiderlaufen. Dies würde auf weitere Verschiebemanöver zu Lasten der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber hinauslaufen – die nach den Beteuerungen aller Seiten die Binnenkonjunktur und damit das deutsche Wirtschaftswachstum schwächen.

Eine mehr als zweiprozentige Senkung der Beiträge wäre mit erheblich Risiken verbunden: Mehr als ein Drittel der Überschüsse in diesem Jahr ist auf die einmalige dreizehnte Monatszahlung der Sozialversicherungsbeiträge durch die Arbeitgeber zurückzuführen. Es handelt sich also um einen Einmaleffekt, der ab dem nächsten Jahr nicht mehr erzielt werden kann. Darüber hinaus gibt es ernstzunehmende Hinweise auf die Dämpfung der Konjunktur im nächsten Jahr durch die Erhöhung von Mehrwertsteuer sowie Beiträgen zur Renten- und Krankenversicherung und das sich abschwächende Tempo der Weltkonjunktur.

Wie wäre es, wenn die Politiker einmal über Ihren Schatten springen würden, ihre finanziellen Begehrlichkeiten und kurzfristigen parteipolitischen Aktionismus hintanstellen:

  • Erforderlich ist eine Stärkung der Arbeitsmarktpolitik zur beruflichen Eingliederung Arbeitsloser. Dabei gibt es dringende Notwendigkeiten und genügend Spielräume, die Qualifizierung, Eingliederung und Beschäftigung älterer Arbeitnehmer und Arbeitsloser zu verbessern. Dies ist im Übrigen erklärte Politik der Großen Regierungskoalition. Die BA ist dabei, die kaum noch zu durchschauende Vielfalt an Eingliederungs- und Einarbeitszuschüssen auf ihre Wirksamkeit hin zu überprüfen. Dabei ist natürlich ein schwieriger Balanceakt zu bestehen: Die betriebliche Orientierung von Eingliederungs- und Qualifizierungsmaßnahmen ist zu stärken. Gleichzeitig darf nicht einer finanziellen Entlastung der Betriebe z.B. bei der betrieblichen Qualifizierung auf Kosten der Beitragszahler Vorschub geleistet werden. Es gibt bereits seit Jahren mit dem “Job Aktiv Gesetz“ einen rechtlichen Rahmen für die finanzielle Förderung beruflicher Qualifizierung älterer Arbeitnehmer in Klein- und Mittelbetrieben. Leider ist dies bisher kaum genutzt worden. Es ist daher erforderlich, die Voraussetzungen für die praktische Umsetzung dieser betriebsbezogenen Qualifizierung zu schaffen.
  • Darüber hinaus wird ein großer Teil des Überschusses gebraucht, um die bereits beschlossenen Absenkung der Beiträge von 6.5 auf 4.5 Prozent ab 2007 zu finanzieren. Denn nur ein Prozent soll die BA über die Erhöhung der Mehrwertsteuer erhalten. Die zusätzliche Absenkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrages um ein weiteres Prozent – etwa 7 Mrd. Euro – muss von der BA selbst erwirtschaftet werden. Es ist nicht zu vertreten, den infolge einmaliger Effekte wesentlich höheren Überschuss 2006 für weitere Beitragssatzsenkungen ab 2007 einzusetzen. Ab 2008 könnten dann erneut Defizite auftreten – mit der Gefahr weiterer Einschränkungen bei der Arbeitsmarktpolitik und negativer Bewertung in Politik und Öffentlichkeit.

Anmerkung Wolfgang Lieb:
Wir haben auf den NachDenkSeiten gegenüber der BA im Hinblick auf die „Erwirtschaftung“ der „Überschüsse“ mehrfach Kritik geäußert. Die sich öffnende Schere zwischen zwischen den Kurzzeitarbeitslosen (ALG-1, von der BA zu zahlen) und den Langzeitarbeitslosen (ALG-2, vom Bund zu zahlen) gibt Anlass zu er Vermutung, dass die BA den Überschuss zu einem Teil damit erwirtschaftet, dass sie die ALG2-Bezieher abschreibt und dabei der Bundesregierung die Vorlagen liefert, die Hartz IV-Gesetze laufend zu verschärfen.
Siehe NachDenkSeiten: Bundesagentur erzielt Überschuss von 1,7 Milliarden Euro – auf Kosten von Langzeitarbeitslosen?

Wir sehen angesichts der zweifelhaften „Erfolge“ auf dem Arbeitsmarkt (Stagnation der versicherungspflichtigen Beschäftigten, unterdurchschnittlicher Rückgang älterer Arbeitsloser, mehr Langzeitarbeitslose, drastische Zunahme von 1-Euro-Jobbern, Lehrstellenlücke) in den Überschüssen eher ein Zeichen der Ohnmacht der BA. Was sicherlich nicht zuvörderst der Arbeitsagentur, sondern der Politik anzulasten ist.
Siehe NachDenkSeiten: Arbeitsmarktzahlen im Juli: Kein Anlass zum Jubel – der Milliardenüberschuss der Bundesagentur ein Zeichen der Ohnmacht

Wir vertraten auf den NachDenkSeiten die Meinung, dass auch die schon beschlossene Beitragssenkung nicht im Interesse der Arbeitnehmer ist. Ein weiteres „Ausbluten“ dürfte politisch nur dazu benutzt werden, zu begründen, warum die Leistungen der Arbeitslosenversicherung weiter gekürzt werden.
Siehe NachDenkSeiten: Im Interesse der ArbeitnehmerInnen kann die Forderung nach einer weiteren Absenkung der Beitragspunkte in der Arbeitslosenversicherung allerdings nicht sein.

Der eiserne Sparkurs, der der BA von Seiten der Politik aufgenötigt wird, ist aus unserer Sicht eher ein Beitrag, das Vertrauen der Arbeitnehmer in die Arbeitslosenversicherung als wichtige gesellschaftliche Einrichtung weiter zu zerstören.
Wir geben Ursula Engelen-Kefer völlig Recht, dass, statt eines politischen Gezerres um das Geld der Beitragszahler, die „Überschüsse“ den versicherten Arbeitlosen zugute kommen muss und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit eingesetzt werden müssten.
Siehe NachDenkSeiten: Missbrauch von Beitragsleistungen an die Arbeitslosenversicherung

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