Sanfte Steuerung neu verpackt: Bildungslobbyisten mit neuer Strategie

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Welchen Einfluss haben wirtschaftliche Interessen auf die Bildung? Wie findet diese Einflussnahme statt und welche neuen Strategien werden dabei verfolgt? Welche Absicht wird mit Großveranstaltungen wie dem heute beginnenden „Vision Summit 2013“ verfolgt? Was ist von der Reformrhetorik eines Richard David Precht zu halten? Wie lässt sich die Chancenungleichheit im Bildungswesen abbauen? Welche Reformen wären notwendig und sinnvoll? Was heißt eigentlich „Potentialentfaltung“? Was können Lehrerinnen und Lehrer sowie Eltern für einen Reformprozess tun? Jens Wernicke fragt den Pädagogikprofessor und Bildungswissenschaftler Jochen Krautz.

Herr Krautz, Sie haben vor rund 2 Jahren mit einem Artikel in der FAZ [PDF – 2.2 MB] ganz schön für Aufruhr gesorgt, als Sie darauf aufmerksam machten, dass unser Bildungssystem zunehmend der demokratischen Kontrolle entzogen und in die Hand von Stiftungen, Lobbygruppen und internationalen Organisationen gelegt wird. Hat sich die Lage denn inzwischen ein wenig entspannt?

Ja und nein. Ich hatte damals ja dargestellt, dass die Bildungsreformen im Kontext von PISA und Bologna maßgeblich mit Mitteln sogenannter „soft governance“ durchgesetzt wurden. Zu Deutsch: mit nicht demokratisch legitimierter Einflussnahme. Maßgeblich sind dabei die OECD mit den PISA-Tests und die EU mit ihrer Bologna-Reform. Unterstützt und vorangetrieben werden diese Prozesse von Stiftungen und Lobbygruppen – in Deutschland vor allem von der Bertelsmann Stiftung.

Hier hat durchaus Wirkung gezeigt, dass viele Kritiker immer deutlicher ihre Stimme erheben. Andererseits haben die Bildungslobbyisten, die Bildung ökonomisieren und steuern wollen, daraufhin ihre Strategie und Rhetorik geändert und treten nun anders auf.

Statt der allzu betriebswirtschaftlich klingenden Rhetorik der letzten Jahre („Humankapital“, „Output-Orientierung“, „Qualitätsmanagement“ etc.) werden nun zunehmend reformpädagogisch klingende Begriffe und Konzepte vor den Reformkarren gespannt. Das sieht dann humanistischer und kinderfreundlicher aus, ist es aber wohl nicht, sondern es sind die alten Konzepte neu verpackt.

Sie sehen also eine Art Wende im Diskurs? Woran machen Sie das fest?

Ich habe mit meiner Kritik nicht die reale Situation an den Schulen und Hochschulen angesprochen, sondern die öffentlich inszenierte Diskussion, aus der man versuchen kann, Rückschlüsse auf die Strategien im fachlichen und politischen Diskurs zu ziehen.

Schauen Sie sich beispielsweise einmal eine PR-Veranstaltungen wie den Riesen-Event „Vision-Summit 2013“ [PDF – 1.6 MB], der just an diesem Wochenende in Berlin stattfinden wird, an, auf dem eine ganze Riege von „Reform“-Eiferern auftritt. So etwas findet ja nicht zufällig statt und ist auch nicht ganz billig. Sondern solche Großevents dienen einerseits der Vernetzung und andererseits dazu, mediale Öffentlichkeit zu erzeugen. Schaut man etwas genauer nach, ist dabei hochinteressant, dass zum Beispiel einer der Veranstalter ein in den USA angesiedelter Think Tank ist, dessen Gründer von McKinsey kommt und international „Change Management“ betreibt. Daneben sind zahlreiche Unternehmen und Stiftungen dabei sowie Vereinigungen, die „Sozial-Unternehmertum“ fördern wollen. Da werden wieder Strippen gezogen, Netzwerke etabliert und Diskurse gesteuert. Und das alle nun mehr und mehr unter einer Rhetorik, die sich humanistisch darstellt und auch für die politische Linke passend klingen soll, progressive Inhalte jedoch kaum zu bieten hat. Welche Rolle dabei prominente Wissenschaftler wie etwa Gerald Hüther u.a. spielen, wird sich erst noch herausstellen.

Es ist schon paradox: Da bezieht sich ein riesiger PR-Apparat aus überwiegend wirtschaftlichen Institutionen ausgerechnet auf den radikalen Schulkritiker Ivan Illich und fordert „Vorfahrt für Bildungsinnovatoren“ [PDF – 61.6 KB].

Interessant ist diesbezüglich auch die Bildungspolitik der grün-roten Regierung in Baden-Württemberg [PDF – 124 KB]. Dort geriert sich Herr Kretschmann nach außen konservativer als die CDU, derweil wird aber von seinem Bildungsministerium die Schullandschaft auf den Kopf gestellt – und das eben mit jener pseudo-progressiven Rhetorik und Konzepten von „Selbststeuerung“, die nur leider das Gegenteil von Selbstständigkeit bedeutet.

An der Oberfläche wird zwar eine Zunahme von Selbstständigkeit und damit verbunden Mündigkeit, Kritikfähigkeit, Verantwortlichkeit etc. suggeriert. Also alles Ziele, die man gut teilen kann. Aber wie soll das erreicht werden? Die Protagonisten mit ihren „Modellschulen“ zeigen es: In großraumbüroähnlichen „Lernateliers“ sitzen die Schüler an einzelnen Arbeitsplätzen und arbeiten ihre Arbeitsblätter nach Wochenplänen ab. Es gibt Computer für jeden und jeden Tag und einen „Input“ vom „Lerncoach“, so heißen dann die Lehrer. Diese seien nun vor allem „Lernbegleiter“, und üben also – so die unterschwellige Botschaft – nicht mehr normierenden Zwang im „Frontalunterricht“ aus.

All das führt aber nicht zu wirklicher Selbstständigkeit, denn die Schüler arbeiten streng nach von außen gesetzten Vorgaben. Sie bewerten sich selbst, indem sie ihre „Kompetenzen“ in Raster eintragen, vollziehen damit aber nur die ihnen vorgegebene Bewertung selbst. Und vor allem fehlt ihnen mit dem Lehrer und der Klassengemeinschaft ein menschliches Gegenüber und Miteinander, in dem man in personaler Beziehung das Denken und Argumentieren üben kann, in dem man zuhören und tolerieren lernen kann, in dem man Verantwortung nicht nur für sein eigenes Fortkommen, sondern ebenso für das Verstehen der Anderen übernimmt usw. Dieser ganze Ansatz übersieht, dass Lernen eben kein einsames Geschehen in einem richtig zu bewirtschaftenden Gehirn ist, sondern ein durch und durch sozialer Prozess, der deshalb auf menschliche Begegnung, Erfahrungsteilung und eine kooperierende Gemeinschaft angewiesen [PDF – 565 KB] ist.

In Bezug auf derlei „Modernisierer“, egal welcher Couleur, halte ich es inzwischen mit den Erkenntnissen einer sehr klugen Studie [PDF – 1.2 MB]. Sie stammt von der Bildungsinternationale, dem Weltzusammenschluss der Bildungsgewerkschaften, und kommt zu dem Schluss: „Around the world, forms of privatization are being introduced into our public education systems. Many of the changes are the result of deliberate policy, often under the banner of ‘educational reform’ and their impact can be far-reaching, for the education of students, for equity, for the conditions of teachers and other educational personnel. Other changes may be introduced un-announced: changes in the way schools are run which may be presented as ‘keeping up with the times’, but in reality reflect an increasingly market-based, competitive and consumerist orientation in our societies. In both cases, the trend towards privatization of public education is hidden. It is camouflaged by the language of ‘educational reform’, or introduced stealthily as ‘modernization’.“

Ja, das ist treffend und wird derzeit ja als Forderung nach einer „Bildungsrevolution“ medial breit inszeniert.

Beziehen Sie sich auf Richard David Precht? Was genau ist denn Ihr Problem mit seinen Thesen in seinem neuen Buch „Der Verrat des Bildungssystems an unseren Kindern ?

Herr Precht ist nur ein Beispiel für eine Reformrhetorik, die ohne jede Expertise für den Bereich auskommt, über den gesprochen wird. Das ist ja bereits hinlänglich kritisiert worden. Daher ist unklar, auf welcher Grundlage man solche Thesen eigentlich diskutieren soll.

Der entscheidende Punkt scheint mir aber ein anderer zu sein: Liest man beispielsweise das Buch von Herrn Precht genauer, erweist es sich als Meisterwerk des Spin-Doctorings. Ein „Spin“ ist die Technik, der Darstellung eines Sachzusammenhangs untergründig eine bestimmte Interpretationsrichtung zu geben, die jedoch dem Rezipienten nicht bewusst werden soll. Also keine offenen Lügen und Verzerrungen, sondern eine subtil tendenziöse Umdeutung von Fakten durch bestimmte Wortwahl, Kontexte oder anderes. So schreibt der Medienphilosoph beispielsweise über PISA vordergründig kritisch und brandmarkt den Messwahn. Doch beruft er sich andererseits immer wieder gerade auf PISA, um die deutsche „Bildungskatastrophe“ zu belegen. Oder er nennt das CHE bzw. die Bertelsmann Stiftung als Motor der Bologna-Reform, doch gibt er andererseits vor, nicht genau zu wissen, woher diese Einflüsse kamen. So versucht er in einem argumentativen Salto Mortale die Kritik an den ökonomistischen Reformen und deren neoliberalen Akteuren aufzugreifen, kritisiert auch mit flammenden Worten die mangelnde Bildungsgerechtigkeit, um dann aber zu erklären, der „Motor des Fortschritts“ seien immer noch die „ökonomische Verwertungsinteressen und Märkte“. Es bestünde gar kein grundsätzlicher Widerspruch zwischen diesen Interessen und einer auf „Kreativität“ und „Eigensinn“ zielenden Bildung.

Das ist der etwas plumpe Versuch, mit einem Plädoyer für eine „Bildungsrevolution“ einerseits fortschrittliche Leute anzusprechen und andererseits vermeintlich „Konservative“ als Reformfeinde zu diskreditieren. Derart soll offenbar die bisher gut arbeitende Allianz von Reformkritikern aus verschiedenen weltanschaulichen Lagern aufgebrochen werden.

Beispielhaft ist auch die Inszenierung seiner Thesen: Den Aufschlag macht die ZEIT, die ja auch das CHE-Hochschulranking herausgibt, mit einer großen Story, in der Precht verbreitet, gutes Lernen sei wie „guter Sex“, Maria Montessori bemüht und die Mär vom „gehirngerechten Lernen“ ausbreitet. Dann folgen die „Leitmedien“ und der Rest der kleineren Blätter schließt sich an. Eine große Tournee durch sämtliche Talkshows markiert schließlich umfassende Präsenz. Solche Vorgänge sind klassische PR. Deren Begründer, Edward Bernays, sprach noch offen von Propaganda: Eben die Inszenierung von Ereignissen, auf die die mediale Öffentlichkeit dann reagiert.

Kurzum und zu ihrer Frage zurück: Solche Diskursstrategien erscheinen mir vor allem als Vehikel, um Reformkritiker zu spalten und nun endlich doch noch „richtig loslegen“ zu können. Denn die „Lösungsvorschläge“ sind die üblichen Rezepte wie individualisiertes Lernen, Lehrer als Coaches, Noten und Fächer abschaffen, Computer-Lernen, Projektunterricht, usw. Zudem ist es ziemlich erstaunlich, wie ein in der Tendenz unwichtiges Buch derart „hochgeschrieben“ werden kann.

Wie kann und sollte man auf die aktuellen Entwicklungen Ihrer Meinung nach reagieren?

Ich denke, es ist sehr wichtig, den strategischen Wechsel der Diskursführung genau zu beobachten, zu analysieren und zu kommunizieren, das sind ja nur erste Beobachtungen. Die Strategie des divide et impera ist ja nun altbekannt, daher wäre es peinlich, wenn man sich von der Reform-Rhetorik irritieren lassen würde.
Der kaum des Konservativismus verdächtige Pierre Bourdieu hat ja zur Strategie des Neoliberalismus bemerkt, dass jeder, der sich dem neoliberalen Reformfuror entgegenstellt, schnell als „konservativ“ gebrandmarkt würde. Tatsächlich jedoch könnten die Kräfte, die gemeinsam auf den humanistischen Werten beharren, gerade dort, wo sie sich nicht spalten lassen, sehr wohl zu „Kräften des Widerstandes gegen die Macht der neuen Ordnung werden“.

Aber wie kommt es dann zu Veränderungen? Was ist etwa mit der nachweisbaren sozialen Ungleichheit im Bildungswesen? Sie lehnen Reformen doch nicht grundlegend ab und meinen, es gäbe gar kein Problem…?

Das sind wichtige Fragen. Gerade die von der Sozialdemokratie entwickelte Tradition traut ja zurecht jedem Menschen zu, seine Möglichkeiten zu entwickeln und über Bildung eben zu mehr wirtschaftlicher und demokratischer Teilhabe zu gelangen. Das ist eine Errungenschaft, die nicht aufgegeben werden darf, denn daran hängt unser Verständnis von Demokratie und sozialer Gerechtigkeit, das die Gesellschaft zusammenhält.

Doch was derzeit geschieht, ist etwas ganz anderes: Denn Bildung darf eben weder „Unterwerfung unter Marktbedingungen“ im Sinne von Messbarkeit und Kompetenzorientierung, noch billige Abschlüsse für jeden meinen. Einfach mehr Menschen durch Institutionen „durchzuschleusen“ und mit entwerteten Abschlüssen zu versehen, kann nicht Sinn und Zweck von Bildungspolitik sein. Weniger Bildung für alle, das ist tatsächlich Verrat am Anspruch nach guter Bildung für alle.

Wem es tatsächlich um die Weiterentwicklung von Humanität, Demokratie und einer gerechten Wirtschaftsordnung geht, der kann nicht zusehen, dass die Grundlagen dafür derart untergraben werden, wie dies derzeit geschieht. Weder „homo oeconomicus“ noch Erleichterungspädagogik haben etwas mit guter Bildung zu tun, dagegen müsste es gerade von progressiver Seite eigentlich einen Aufschrei geben. Insofern muss man auch all die rot-grünen Landesregierungen schon einmal fragen, welche Ziele sie eigentlich verfolgen. Eine Lösung für die vorhandene Misere versprechen jedenfalls weder Titelinflation noch Ökonomisierung. Was wir stattdessen brauchen, sind Schulen, die ermutigen und – statt auszugrenzen -einbeziehen. Diese Schulen aber, die alle Kinder und Jugendlichen auch zu Leistung und Teilhabe ermutigen, brauchen bessere Ressourcen, mehr Lehrer, mehr Zeit und Ruhe, diese Arbeit auch zu leisten etc.

Ich plädiere daher dafür, sehr genau hinzusehen, worum es eigentlich jeweils geht und was man womit überhaupt erreichen kann. Systemreformen helfen zunächst einmal nicht, pädagogische Probleme zu lösen. Die löst man nur pädagogisch. Aber dazu gibt es eben hilfreiche und eher hinderliche Strukturen. Doch können wir die pädagogische Arbeit nicht bis nach einer Strukturreform vertagen. Es kommt heute auf die Verantwortung der konkreten Menschen an, die in Bildung und Erziehung arbeiten, denn jetzt haben wir die Kinder und Jugendlichen, denen man helfen muss. Wenn man sinnvoll zusammenarbeitet in den Schulen, dann ist vielleicht doch mehr möglich, als man mitunter beim Schielen auf die übermächtig wirkende Bürokratie meint. Vor allem hilft Kooperation gegen das verbreitete Ohnmachtsgefühl.

Zudem ist das Problem sozialer Ungleichheit ja eines, das gesamtgesellschaftlich und ökonomisch betrachtet werden muss. Dass Kinder aus sozial schwächeren Familien statistisch gesehen schlechtere Bildungschancen haben, liegt ja nicht ausschließlich daran, dass sie im System diskriminiert würden. Das auch, aber tatsächlich fehlt ihnen auch ein häusliches Umfeld, das sie im Lernen stützt, das überhaupt einen so strukturierten Tagesablauf bietet, dass sie zum Unterricht erscheinen und ihre Sachen dabei haben. Zudem benachteiligt ja gerade das, was derzeit als letzte Weisheit der Didaktik und Methodik überall angepriesen wird – also offener Unterricht und das sogenannte selbstgesteuerte Lernen – die Kinder mit schlechteren Voraussetzungen, weil sie sich eben schlechter selbst organisieren können und einer engen Bindung und Anleitung bedürfen.

Hermann Giesecke hat daher einmal spitz aber treffend formuliert, dass gerade diese vermeintlich „fortschrittliche“ Methodik die Kinder aus bildungsfernen Milieus benachteiligt und faktisch „das Bildungsprivileg der Mittelklasse nach unten hin“ verteidigt. Denn Mittelschicht-Elternhäuser können ihren Kindern zuhause das an Systematik und Übung nachliefern, was die neue Methodenlehre in der Schule nicht mehr leistet und leisten will. Die anderen haben dann schlicht Pech gehabt. Und das soll nun fortschrittlich sein?

Wenn also geringere Bildung statistisch mit schlechten Einkommensverhältnissen korreliert, dann wäre ja zu fragen, wie und warum eigentlich die prekären Arbeitsverhältnisse erzeugt wurden und wie die zu beseitigen wären. Das sind sozial- und wirtschaftspolitische Fragen. Es scheint mir aber höchst problematisch, Sozialpolitik allein mit Bildungspolitik zu ersetzen. Mit diesem Schachzug entledigt sich doch der Neoliberalismus der Sozialverpflichtung des Kapitals und fordert stattdessen jeden auf, mittels „lebenslangem Lernen“ zum „Unternehmer seiner selbst“ (Foucault) zu werden. Wer das nicht schafft, ist dann selbst schuld.

Aber „Potentialentfaltung“ scheint mir doch ein sehr wohl zielführendes wie auch sinnvolles pädagogisches Ziel zu sein?

Auch dieser Begriff ist leider ökonomistisch kontaminiert. Denn die Frage ist immer, wem die Entwicklung von welchem Potential dient: Ist der Mensch eine Maschine, die gut geschmiert laufen soll für die Zwecke anderer und die, wenn sie nicht funktioniert, weggeschoben wird? Oder ist der Mensch als Person Zweck seiner selbst und dient die Entfaltung seines Potentials als Mensch einer wachsenden Mitmenschlichkeit und Verantwortungsübernahme in Gesellschaft und Politik und einer menschengemäßen Wirtschaft? Dient das Können und Wissen, das ein Mensch erwerben kann und dient seine Leistung, die er entfalten soll, einem System, das er selbst nicht bestimmt, oder trägt er etwas Sinnvolles, Aufbauendes für die menschliche Gemeinschaft insgesamt bei?

Was tut man nun mit diesen Überlegungen, wenn man als Lehrkraft konkret in der Schule steht?

Der politische Horizont hilft zu sehen, dass die zum Teil katastrophalen Situationen in den Schulen nicht auf ein Versagen des Einzelnen zurückgehen. Da Lehrkräfte auch Bürger sind, gehört also dazu, diese Fragen offen und breit zu diskutieren und sich als die wirklichen Experten in die Diskussion einzubringen.

Zudem arbeiten ja die allermeisten Lehrer sehr wohl tagtäglich mit aller Kraft für das Wohl ihrer Schüler. Wenn man dabei durch mehr Austausch in einem Kollegium die entmutigenden Wirkungen der permanenten Reformen stärker abfedern kann oder auch den einen oder anderen Unsinn schlicht nicht mitmacht, ist das schon viel.

Leider sind wir in Deutschland in einem Machtsystem sozialisiert, das von oben nach unten funktioniert und den Aufbau gestaltungsfähiger Gemeinschaften von unten eher lähmt. Insofern könnten aber noch unentdeckte Möglichkeiten in der Zusammenarbeit von Lehrern, Eltern und auch Schülern vor Ort liegen, wenn man im Bewusstsein der heutigen Situation gemeinsam nach Lösungen sucht und die bestehenden Probleme angeht. Das wäre ein horizontales Modell der Kooperation. Und das ist es auch, was Demokratie eigentlich ausmacht: Die Dinge miteinander selbst zu regeln. Und das gilt für die pädagogische wie die politische Ebene.

Das Interview führte Jens Wernicke.

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