Wo bleibt die Lokomotive für die Weltwirtschaft?

Jens Berger
Ein Artikel von:

Dennis Snower gehört laut FAZ zu den einflussreichsten Ökonomen Deutschlands. In einem aktuellen Kommentar in der FAZ macht sich der Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft seine Gedanken über die anstehenden „Hausaufgaben für Deutschland“. Snowers Aufsatz belegt dabei eindrucksvoll die Denkfehler vieler deutscher Ökonomen und Politiker. Von Jens Berger.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Ginge es nach Dennis Snower, wäre die dringendste Aufgabe einer neuen Bundesregierung, den „Wohlfahrtsstaat wettbewerbsfähiger zu machen“. Snower formuliert dies folgendermaßen:

„Intern muss sich Deutschland durch eine umfassende Reform des Wohlfahrtsstaates wettbewerbsfähiger machen. Der Aufstieg Deutschlands vom „kranken Mann“ zur „Lokomotive Europas“ geht nicht allein auf die Reformen der Agenda 2010 zurück, sondern vor allem auf die moderate Lohnentwicklung. Diese Phase ist nun vorbei. Nur durch Flexibilität und hohe Beschäftigungsraten kann Deutschland im weltweiten Wettbewerb bestehen.“

Man kann sich vortrefflich darüber streiten, wie eine „Lokomotive“ für andere Volkswirtschaften aussehen sollte. Dass Deutschland eine solche „Lokomotive“ sein soll, ist jedoch ziemlich skurril. Vor der Krise waren die USA die unbestrittene Lokomotive der Weltwirtschaft. Befördert durch die lockere Kreditpolitik der amerikanischen Banken importierten die Amerikaner damals Waren aus allen Wirtschaftsräumen der Welt. Einer der Profiteure des amerikanischen Nachfragebooms war China, das seine Rolle als „Fabrik der Welt“ auch und vor allem durch die steigenden Exporte in die USA begründen konnte. Deutschland profitierte gleich doppelt von dieser Situation. Einerseits konnten die exportorientierte deutsche Volkswirtschaft selbst mehr Waren in die USA exportieren, andererseits gehörte Deutschland zu den Ausrüstern der chinesischen „Fabrik der Welt“.

Nicht die Agenda 2010, sondern die solide Weltwirtschaft war treibender Faktor für die positive konjunkturelle Entwicklung Deutschlands in den Jahren 2003 bis 2008. Und wenn man schon das Bild der „Lokomotive“ bemühen will, so waren die USA diese Lokomotive, die durch ihre wachsende Nachfrage weltweit Wachstumsimpulse auslöste und so andere Volkswirtschaften anzog. Das Model einer nachfragegetriebenen Lokomotive für die Weltwirtschaft hat jedoch ein entscheidendes Problem: Wenn eine Volkswirtschaft permanent mehr Waren und Dienstleistungen importiert als sie exportiert, verschuldet sie sich gegenüber dem Ausland. Spiegelbildlich bauen Volkswirtschaften wie Deutschland und China, die permanent mehr Waren und Dienstleistungen exportieren als sie importieren, Forderungen gegenüber dem Ausland auf. Mit dem Platzen der Kreditblase wurden die Probleme dieses Models offensichtlich. Es ist wohl einzig und allein der lockeren Geldpolitik der amerikanischen Notenbank zu verdanken, dass die USA auch nach dem (ersten) Platzen der Kreditblase ihre Rolle als „Lokomotive“ wieder aufnehmen konnten. Davon profitiert wiederum an allererster Stelle Deutschland.

Die Exporte in die USA konnten 2012 einen neuen Rekord verzeichnen und damit die wegbrechenden Exporte in die europäischen Krisenstaaten kompensieren. Nachhaltig ist dies jedoch nicht. Der Wunsch der US-Regierung, dass andere Staaten, vor allem Deutschland, künftig auch ihren Teil dazu beitragen, die Weltwirtschaft anzukurbeln, verhallt hierzulande ungehört. Würde sich Deutschland an der Funktion als „Lokomotive“ beteiligen wollen, müsste hierzulande die Nachfrage gestärkt werden und das ist nur dann möglich, wenn die Einkommen der Bevölkerung steigen. Und eben dies, lehnt die deutsche Politik kategorisch ab, da sie um die „Wettbewerbsfähigkeit“ Deutschlands fürchtet.

China würde liebend gerne die „Lokomotive“ der Weltwirtschaft geben. Die chinesische Lohnentwicklung zeigt dies sehr eindrücklich. Dennoch ist China momentan immer noch ein industrieller Gigant mit einer vergleichsweise schwachen Nachfrage. Bei einer stabilen Weltwirtschaft könnte China künftig ohne weiteres die Rolle einer „Lokomotive“ übernehmen. Bis dahin fließt jedoch noch viel Wasser den Jangtsekiang hinunter und eine lahmende Weltwirtschaft könnte den Wandel von einer exportorientierten zu einer nachhaltigen Volkswirtschaft mit starker Binnenwirtschaft abwürgen.

Kommen wir zu Dennis Snower zurück. Ohne auf Snowers Vorschläge im Detail einzugehen, lässt sich subsummieren, dass Snower es bei seiner „radikalen Reform des rigiden Wohlfahrtsstaats“ eigentlich um eine Senkung der Arbeitgeberbeiträge bei der Sozialversicherung geht. Daraus ergeben sich zwei Szenarien: Gleichbleibende Leistungen der Sozialversicherungen und höhere Beiträge für die Arbeitnehmer oder gleichbleibende Beiträge der Arbeitnehmer und sinkende Leistungen der Sozialversicherungen. In beiden Fällen würde das zur Verfügung stehende Einkommen der Bevölkerung sinken, während die Gewinnmargen der Arbeitgeber steigen. Snowers Reformvorschläge laufen also auch darauf hinaus, die Binnennachfrage zu schwächen.

Und nun kommen wir zur „Lokomotive“ zurück. Wie soll eine Volkswirtschaft, die ihre Binnennachfrage schwächt, andere Volkswirtschaften zu mehr Wachstum treiben? Ökonomen wie Dennis Snower haben nie verstanden, dass es auch eine Nachfrageseite gibt, die die produzierten Produkte kauft. Auch Angela Merkel hat diesen Zusammenhang nie verstanden. Das exportorientierte Deutschland weigert sich standhaft, eine harmonische Rolle im Konzert der Weltwirtschaft einzunehmen. Kurzfristigen und kurzsichtigen Renditesteigerungen einiger weniger exportorientierter Unternehmen wird nicht nur die eigene Binnennachfrage, sondern auch die Entwicklung der Weltwirtschaft untergeordnet.

Die Weltwirtschaft krankt momentan vor allem daran, dass die Nachfrage eingebrochen ist. Würde eine große Volkswirtschaft wie Deutschland die Nachfrage weiterhin schwächen, wäre dies für die Weltwirtschaft äußerst unerfreulich. Und wer soll denn bitte schön künftig für Wachstumsimpulse sorgen, wenn nicht die Staaten, die gigantische Exportüberschüsse vorweisen? Dabei wäre es für alle Beteiligten von Vorteil, wenn Deutschland seine Binnennachfrage steigert und so die Rolle einer „Lokomotive“ übernimmt. Denn irgendwann ist Zahltag und dann wird auch die deutsche Volkswirtschaft feststellen, dass der gigantische Berg an Auslandsforderungen, der eine Folge der Exportüberschüsse ist, nichts wert ist, wenn die Schuldner die Forderungen nicht mehr bedienen können.

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