Chance 2020 – Die INSM will es noch einmal wissen (2/4)

Jens Berger
Ein Artikel von:

Als vor fast 10 Jahren die NachDenkSeiten das Licht der Welt erblickten, kritisierte Albrecht Müller in unserem allerersten Artikel eine Kampagne der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM). Seitdem begleiten uns die Kampagnen der INSM in steter Regelmäßigkeit – wer auf den NachDenkSeiten nach „INSM“ such, kommt auf stolze 1.320 Treffer. Wie zu befürchten war, versucht die INSM nun auch mit einer aktuellen Kampagne Einfluss auf die kommenden Koalitionsverhandlungen zu nehmen. Da die maßgeblich von Wolfgang Clement erarbeitete aktuelle Kampagne mit dem Namen „Chance 2020“ im Grunde alter neoliberaler Wein aus neuen Schläuchen ist, auf den wir bereits unzählige Male inhaltlich eingegangen sind, wollen wir Ihnen an dieser Stelle eine vierteilige Serie anbieten, in denen wir Ihnen zahlreiche Gegenargumente zu den 21 Forderungen der Chance 2020 an die Hand geben. Im zweiten Teil geht es heute um das Themenfeld „Arbeit“. Von Jens Berger.

  1. Teilhabe ermöglichen: kein Mindestlohn

    Wir brauchen die Freiheit der Lohnfindung, also keine gesetzlichen Mindestlöhne, weder flächendeckend noch zur Findung den Tarifvertragsparteien auferlegt.

    INSM – Chance 2020

    Es ist nicht wirklich überraschend, dass die INSM, die vom Arbeitgeberverband Gesamtmetall, der Unternehmen mit 3,7 Millionen Mitarbeitern vertritt, bezahlt wird, gegen gesetzliche Mindestlöhne agitiert. Dabei ist jedoch klar festzuhalten, dass die Arbeitgeberverbände hier nicht für die Unternehmen selbst sprechen. Zahlreiche Studien und Befragungen weisen vielmehr darauf hin, dass ein Großteil der Unternehmer und Firmenchefs durchaus für einen gesetzlichen Mindestlohn sind.

    Zum Themenbereich „Mindestlohn“ gibt es auf den NachDenkSeiten zahlreiche Artikel:
    z.B.

    Und wer ökonomisch etwas tiefer ins Thema einsteigen will, dem sei die Berkley-Studie „Minimum Wage Effects across State Borders“ [PDF – 406 KB] empfohlen, die das Argument, ein Mindestlohn vernichte Arbeitsplätze klar widerlegt.

  2. Einsteigen und aufsteigen: Minijobregeln optimieren

    Die Mini- und Midijob-Regeln müssen optimiert werden. Wie bizarr die Regeln heute sind, zeigt ein Beispiel: Nimmt eine Person einen Minijob bis 450 Euro an, erhält sie „brutto gleich netto“. Entscheidet sie sich jedoch für einen Midijob über beispielsweise 500 Euro (und arbeitet dafür länger), erhält sie netto nur noch 436 Euro. Das ist eine klassische Abgabenfalle, die aufgehoben werden muss. Außerdem ist es notwendig, die Fehlanreize bei der Minijobregelung abzuschaffen. Mini- und Midijobs müssen ihre doppelte Brückenfunktion besser wahrnehmen: Bisher führen sie tendenziell am unteren Ende dazu, dass Menschen keine Arbeit annehmen, und am oberen Ende, dass Menschen den Minijob-Bereich nicht für eigentlich besser bezahlte Tätigkeiten aufgeben. Ziel der Reform: durch bessere Anreize Zahl und Einkommen der Arbeitsverhältnisse deutlich zu steigern.

    INSM – Chance 2020

    Diese Formulierung ist typisch für die INSM. Man stellt ein Problem aus Sicht eines prekären Arbeitnehmers dar, beklagt den gesetzlichen Status Quo und fordert schwammig eine Neujustierung um bessere Anreize zu setzen, ohne dabei konkrete Forderungen zu formulieren. Was will die INSM? Will sie Mini- und/oder Midi-Jobs abschaffen? Will sie den Arbeitgebern härte Auflagen an die Vergabe dieser Jobs auferlegen, um den Missbrauch einzudämmen? Wohl kaum. Zwischen den Zeilen klingt die schwammige Forderung der INSM eher so, als wolle man den unteren Lohnbereich noch stärker staatlich alimentieren, um Unternehmen, die keine ordentlichen Löhne zahlen, zu subventionieren.

    Dazu auf den NachDenkSeiten:

  3. Auf die Älteren kommt es an: Frühverrentung beenden, Altersdiskriminierung abschaffen

    Wir müssen den Renteneintritt stärker den Bedürfnissen der Menschen anpassen. Eine staatlich geförderte Frühverrentung ist abzuschaffen. Ebenso muss es Unternehmen leichter gemacht werden, Menschen über das gesetzliche Renteneintrittsalter hinaus zu beschäftigen.
    Die bisherige Praxis ist Altersdiskriminierung und ökonomisch wie juristisch falsch. Dass jemand gezwungen wird, seinen Job zu verlassen, obwohl er noch weiterarbeiten möchte, ist ein grober Fehler, gerade im Hinblick auf den demografischen Wandel. Deshalb ist das einmalige Sonderkündigungsrecht bei Erreichen des gesetzlichen Rentenalters um ein jährlich wiederkehrendes Sonderkündigungsrecht zu erweitern. Dies hält ältere Menschen in Unternehmen, weil Firmen nicht gezwungen werden, bei Erreichen des gesetzlichen Renteneintrittsalters ihre Mitarbeiter in Rente zu schicken. Das würde die Erwerbsbeteiligung erhöhen. Andererseits gilt freilich: Wer in den Ruhestand gehen möchte, wer genug für seine Rente erwirtschaftet hat, wer nicht weiterarbeiten kann oder will, der soll dies ebenfalls tun können. Das Rentensystem muss so gestaltet sein, dass jemand, der früher in Rente geht, eine entsprechend niedrigere Rente bekommt, und der, der länger arbeitet, adäquat mehr Geld im Ruhestand erhält. Dem Äquivalenzprinzip ist Rechnung zu tragen.

    INSM – Chance 2020

    Die INSM will den Renteneintritt „stärker an den Bedürfnissen der Menschen anpassen“? Das ist zynisch. Natürlich gibt es einige wenige Menschen, die tatsächliche gerne länger arbeiten würden, weil ihnen ansonsten zu Hause die Decke auf den Kopf fällt. Dies ist aber die Ausnahme und nicht die Regel. Die Regel sieht eher so, dass die Menschen liebend gerne früher in Rente gehen würden, sich dies aber aufgrund der hohen Abschläge bei der gesetzlichen Rente nicht leisten können. Auch für die viele Arbeitnehmer oberhalb des Renteneintrittsalters sieht es doch eher so aus, dass sie aufgrund (zu) niedriger Rentenansprüche gezwungen sind, immer noch zu arbeiten. Wer die Rente an die Bedürfnisse der Menschen anpassen will, muss daher zuvörderst die Rentenhöhe so anpassen, dass niemand gezwungen ist, auch noch im hohen Alter zu arbeiten. Die Argumentation der INSM, dass Millionen Alte eigentlich liebend gerne arbeiten würden, der böse Staat ihnen dabei jedoch Hindernisse in den Weg stellt, ist nicht nur grotesk, sondern auch zynisch und menschenverachtend.

    Zum Themenbereich „Rente“ auf den NachDenkSeiten:

  4. Potenziale heben: Fachkräftemangel vielschichtig bekämpfen

    Erstens sind Arbeitszeiten und Arbeitseinsätze so zu flexibilisieren, dass Ältere und Frauen bessere Chancen haben, Fach- und Führungsaufgaben zu übernehmen. Zweitens müssen für Ausländer Hürden auf dem Weg in den deutschen Arbeitsmarkt abgebaut werden. Die Anerkennung ausländischer Abschlüsse ist dabei genauso wichtig wie die Verbesserung der Weiter- und Nachqualifikation von Migranten, hier insbesondere die Vermittlung berufsbezogener Deutschkenntnisse und das Sammeln von Arbeitserfahrungen. Drittens: Es gilt der Grundsatz, dass sich Löhne an der Leistung und nicht an formalen Kriterien orientieren.

    INSM – Chance 2020

    Wen wundert es ernsthaft, dass auch die INSM den Mythos des Fachkräftemangels bedient? Natürlich gibt es in einigen wenigen Bereichen tatsächlich einen „echten“ Fachkräftemangel. Ein solcher „echter“ Mangel herrscht dann vor, wenn es tatsächlich auf dem gesamten Arbeitsmarkt niemanden gibt, der die nötigen Qualifikationen aufbringt, um eine Stelle planmäßig zu besetzen. Davon ist jedoch nicht die Rede, wenn es um den „Fachkräftemangel“ geht. Hier geht es eher darum, dass Arbeitgeber zu den angeboten Bedingungen (Lohn, Arbeitszeit etc. pp.) keine geeigneten Fachkräfte finden. Dabei sollte jedem Ökonomen klar sein, dass auch auf dem Arbeitsmarkt Marktregeln vorherrschen. Wenn der Nachfrager der „Ware“ Arbeitskraft weniger zahlen will als der Anbieter verlangt, kommt es zu keinem Deal. Der Großteil des „Fachkräftemangels“ ließe sich ganz einfach dadurch lösen, dass die Arbeitgeber die Löhne zahlen, die sich potentielle Fachkräfte wünschen. Da die Arbeitgeber dies nicht wollen, sollen es nun „Ausländer“ richten. Dagegen ist nichts einzuwenden, wenn auch ausländische Arbeitskräfte nach einheimischen Tarifen bezahlt werden. Doch das will die INSM nicht und fordert daher auch, dass „sich Löhne an der Leistung und nicht an formalen Kriterien orientieren“ sollen. Wobei mit „formalen Kriterien“ natürlich Tarifverträge gemeint sind.

    Zum Thema auf den NachDenkSeiten:

Lesen Sie morgen im dritten Teil unsere Gegenargumente zu den Themenfeldern „Bildung“ und „Sozialversicherung“

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