Wettrüsten im Cyber-War – Das Lügen-Dilemma um Merkels Handy

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Nachrüstung, das soll die Antwort auf die Ausrüstung der NSA zur Ausspähung anderer Länder, ihrer Bürgerinnen und Bürger, ihrer Politiker, ihrer Wirtschaft sein. Der Verfassungsschutz will das Personal der entsprechenden Abteilung verdoppeln, meldet Bild. Statt sich um den Schutz von Daten zu kümmern, soll bei der Überwachung nachgerüstet werden: Massenhafte Überwachung soll also durch noch mehr Überwachung bekämpft werden. Das ist die Übertragung der Logik des „Kalten Krieges“ auf den Cyber-War. Diesmal aber nicht nur gegen den Osten, sondern auch gegen den amerikanischen „Verbündeten“.
Von Wolfgang Lieb.

Es sei doch nur normal, dass eine Regierung wissen will, was eine andere Regierung denkt, so „realistisch“ sieht „the voice of america“ („Die Stimme Amerikas“) und der Zeit-Herausgeber Josef Joffe im ARD-Presseclub das Abhören der Telefone der Kanzlerin durch amerikanische Geheimdienste. Die Briten und die Franzosen machten es doch auch. Spionieren gehöre eben zur Aufgabe der Geheimdienste. „Ich wünsche mir, dass Frau Merkel genau dasselbe tun könnte, wie Obama“, meinte Joffe. Und der andere „Transatlantiker“, der mit in der sonntäglichen Diskussionsrunde saß, der Außenpolitik-Ressortleiter Stefan Kornelius von der Süddeutschen Zeitung, Stefan Kornelius, assistierte: Die Deutschen und die Europäer hätten ja gegenüber den amerikanischen Geheimdiensten „nichts auf die Waage zu bringen“.

„Wie Du mir, so ich Dir“, nur so könnten wir „abschrecken“. Wir hätten ja nichts, womit wir in einem „kompetitiven Verhältnis“ zwischen Partnerstaaten drohen könnten, argumentierte Joffe – und das wohl nicht, ohne dass er vorher in sein Netzwerk mit den deutschen Geheimdienstkreisen hineingehört hätte. Auch der taz-Chefredakteurin Ines Pohl fiel nicht viel mehr ein, als dass die deutschen Dienste nicht die Kompetenzen hätten, um zu konkurrieren.

Selbst der in Abhörangelegenheiten gewiss sensible Ranga Yogeshwar sah in der gestrigen Sendung von Günther Jauch, zwar nicht die Aufrüstung der deutschen Geheimdienste, aber doch im Aufbau in einer „eigenen“ Telekommunikationstechnologie, der man vertrauen könne, einen Ausweg. Europa habe gegen das Monopol für die Informationstechnologie und für die Kommunikationsdienste der amerikanischen Firmen nichts entgegenzusetzen. Man müsse Google, Facebook etc. drohen können, z.B. dass man sie kappt, wenn sie nicht deutschen oder europäischen Datensicherheitsanforderungen Folge leisten würden.

Mit einer „Politik der Stärke“, wie in den fünfziger und sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts, soll also der Informationsbeschaffungskrieg gewonnen und mit einer Nachrüstung – wie im „Kalten Krieg“ mit Pershing II-Raketen gegen die sowjetischen SS-20-Raketen – sollen also die ausländischen Geheimdienste in Schach gehalten werden.

Ein Wort des amerikanischen Präsidenten hätte genügt

An die banale Tatsache, dass es nur eines Wortes des amerikanischen Präsidenten bedurft hätte, um nicht nur die Telefonüberwachung der Kanzlerin zu stoppen, sondern um auch die Ausspähung der übrigen deutschen Bürgerinnen und Bürger zu unterbinden, denkt offenbar niemand mehr. Hat Obama etwa nicht mehr die Befehlsgewalt über seine Geheimdienste?

Wenn er diese Entscheidungsmacht nicht mehr hätte, was wäre aber dann die Zusage seines Sprechers wert, dass das Telefon von Merkel nicht (mehr) überwacht werde und das auch in Zukunft nicht mehr passiere.

Dass man ganz einfach, die (verdachtslose) Ausspähung anderer Länder (auch durch die landeseigenen Späher) unter strenge Strafe stellen könnte, kommt als Überlegung schon gar nicht mehr vor. Sicher könnte man damit nicht kriminelle Übergriffe verhindern, aber Aufklärer, wie Edward Snowden, könnten nicht mehr – wie das der ehemalige amerikanische Botschafter John Kornblum bei Jauch immer noch tat – als „Verräter“ behandelt und bestraft werden, sondern wären willkommene Zeugen in Strafprozessen gegen Ausspäher.

Doch lieber tut man so, also wäre die Entwicklung der Kommunikationstechnologie eine Naturgewalt, der man hilflos ausgeliefert ist und die aus sich heraus den Menschen „gläsernen“ macht. Das (politische und wirtschaftliche) Ausspäh- und Datenspeicherungsinteresse von Geheimdiensten und auch von privaten Telekommunikationsmonopolen scheint stärker zu sein, als die politische Macht zum Schutz von Menschenrechten und letztendlich sogar stärker als die Bereitschaft zur Verteidigung der Demokratie gegen den totalitären Überwachungsstaat.

Das Lügen-Dilemma um Merkels Handy

Unterhalb der strategischen Überlegungen im Cyber-War gibt es allerdings auch noch politisch höchst brisante Fragen: Wer hat im Zusammenhang mit der Abhörung der Telefone von Angela Merkel gelogen: Obama oder die Kanzlerin bzw. das Kanzleramt oder werden wir einfach nur von den Medien angelogen?

Laut Spiegel, der sich auf Informationen aus dem Kanzleramt beruft, habe in dem Telefonat, das die Kanzlerin mit dem amerikansichen Präsidenten führte, dieser erklärt, dass er von einer möglichen Abhöraktion nichts gewusst habe, andernfalls hätte er sie sofort gestoppt. Obama habe Merkel sein tiefes Bedauern ausgedrückt und sich entschuldigt. Botschafter a.D. Kornblum bestätigte bei Jauch diese Version: Das Weiße Haus habe das bekannt gegeben und „wenn der Präsident sagt, dass er es nicht gewusst hat, dann hat er es nicht gewusst“.

Bild am Sonntag hingegen – so auch die FAZ – berichtet darüber, dass der Chef des Geheimdienstes NSA, Keith Alexander, Obama persönlich in Kenntnis gesetzt habe, dass Merkels Handy schon seit 2002 überwacht worden sei. Mindestens seit 2010 habe der amerikanische Präsident vom Abhören der Kanzlerin gewusst. „Obama hat die Aktion damals nicht gestoppt, sondern weiterlaufen lassen“ wird ein Geheimdienstmitarbeiter zitiert.

Kornblum meinte dazu nur: „Vielleicht war der Präsident nicht aufmerksam genug“ oder er habe möglicherweise „die Übersicht verloren“.

Nach diesen Medienberichten gibt es also nur folgende Denkmöglichkeiten: Entweder hat Obama Merkel angelogen oder das Kanzleramt lügt, indem es die Entschuldigung des Präsidenten falsch kolportiert. Man kann sich aussuchen was schlimmer ist.

Sollte die Information von Bild am Sonntag richtig sein, dann wäre das ein Beleg dafür, wie sehr der amerikanische Präsident ein Spielball seiner Geheimdienste ist. Sie könnten es sich sogar erlauben, Obama vor aller Welt als Lügner darzustellen. Angeblich hat die NSA die Bild-Meldung dementiert, doch was heißt das in diesen Zeiten schon, wo offenbar mit Halbwahrheiten oder ganzen Lügen gearbeitet wird.

Sowohl das Weiße Haus in Washington, die amerikanische Botschaft in Berlin, als auch das Kanzleramt schweigen sich aus. Das belegt, das ganze Dilemma in denen sich die deutsche und die amerikanische Seite befinden.

Sollte es sich aber sowohl beim Spiegel als auch bei Bild um frei erfundene Zeitungsenten handeln, so wären diese Medien als verlässliche Informationsquellen erledigt.

Deutsche Geheimdienste haben erneut ihre Unfähigkeit demonstriert

Hinter all den Turbulenzen, sollte nicht vergessen werden, dass die deutschen Geheimdienste entweder wieder einmal ihre totale Unfähigkeit demonstriert haben, weil sie die Ausspähung, die ja angeblich von der amerikanischen Botschaft, also in der höchsten Sicherheitszone getätigt wurden, nicht bemerkt haben. Oder aber sie steckten mit dem amerikanischen Geheimdienst unter einer Decke, ohne dass dies im Kanzleramt bekannt war oder zur Kenntnis genommen wurde.
Auch hier kann man sich aussuchen, was schlimmer ist.

Was Abhöraktivitäten aus der amerikanischen Botschaft anbetrifft, ist aufschlussreich, dass der Hausherr dieser Botschaft bis 2001, auf die Frage, ob in seiner Amtszeit auch schon abgehört wurde, sich bei Günther Jauch auf seine Schweigepflicht berief: „Eine Sache habe ich mit Herrn Snowden gemeinsam, wir sind verpflichtet nicht darüber zu reden.“

Entrüstung nur gespielt?

Oder aber Merkel wusste oder ahnte, dass ihre Telefone abgehört wurden, und hat sich, als dies bekannt wurde, nur „wunderbar entrüstet“ (Kornblum), um Obama politisch weiter zu schwächen, weil ihr etwa dessen Ratschläge zur Bewältigung der Euro-Krise, insbesondere der Vorwurf, sie tue nicht genug für die Ankurbelung der Weltkonjunktur nicht passen.

Ist die Kanzlerin terrorverdächtig?

Trotz der verwirrenden Informationslage ist eine Tatsache nicht mehr streitig: Telefonate der deutsche Bundeskanzlerin wurden von amerikanischen Geheimdiensten abgehört. Das ist aber gleichzeitig ein eindeutiger Beweis dafür, dass es bei der Ausspähung nicht – wie immer wieder behauptet wird – ausschließlich um Terrorabwehr geht. Es sei denn, man betrachtet Angela Merkel als terrorismusverdächtig.

Wenn aber selbst die Regierungschefin ausgespäht wird, um wie viel größer ist dann die Wahrscheinlichkeit, dass nicht nur jeder beliebige Bürger, Manager aus der Wirtschaft, Journalisten, Anwälte usw. abgeschöpft werden?

Merkel, Kanzleramtsminister Pofalla und Innenminister Friedrich haben sich jedenfalls bis auf die Knochen blamiert, dass sie den Abhörskandal vor der Wahl für beendet erklärten.

Snowdens Informationen werden mehr und mehr bestätigt

Schließlich macht der ganze Skandal deutlich, dass dieser wohl nie an die Öffentlichkeit gelangt wäre, wenn Edward Snowden ihn nicht öffentlich gemacht hätte. Jenseits des Verdachts über die Lügen, die nun im Raum stehen, erweist sich immer mehr, dass die Angaben Snowdens einen hohen Wahrheitsgehalt haben. Die bisherige Abwiegelungsstrategie ist jedenfalls gescheitert.

In der gleichen Sendung musste der ehemalige amerikanische Botschafter John Kornblum, die amerikanische Geheimdienstpolitik vertreten, weil es die deutsche Botschaft genauso wie das Weiße Haus nicht für nötig hielt Stellung zu beziehen.

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