Nachtrag zum ARD-Presseclub: Das ungelöste Rentenproblem

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

Nachdem das ZDF eine ganze Woche in sämtlichen Sendformaten auf dem Thema demografische Entwicklung und Überalterung herumgeritten ist und geradezu eine Verunsicherungskampagne gegen die gesetzliche Rente und Product-Placement für die private Vorsorge betrieben hat, durfte offenbar die ARD nicht nachstehen. Selbstredend war wieder einmal der Running-Gag der Rentenkatastrophe Gast des ARD-Presseclubs. Einer unserer Leser, Reiner Petroll, hat der Moderatorin und neuen WDR-Intendantin, Monika Piel, einen Brief geschrieben, den wir Ihnen nicht vorenthalten möchten.

Presseclub vom 28.01.2007: Das ungelöste Rentenproblem
hier: Manipulation der öffentl. Meinung mit Finanzlobbyist Prof. Meinhard Miegel

Sehr geehrte Frau Piel,
in letzter Zeit bin ich immer wieder schockiert über die Einseitigkeit der Diskussionen, die von Ihnen durch die Auswahl der Teilnehmer vorprogrammiert wird.

Zum aktuellen Rententhema diskutierten 4 Teilnehmer mit neoliberalem Mainstream-Hintergrund mit einem halbwegs neutralen Herrn Lochthofen (Thüringer Allg.)
Prof. Meinhard Miegel stellten Sie lediglich als Publizist vor und verschwiegen, dass es sich um einen von der Finanzwirtschaft bezahlten Lobbyisten handelt.
Auch bei Ihnen hat er wie so oft schon, das gesetzl. Rentensystem schlecht geredet.
Prof. Miegel ist Leiter des Instituts für Wirtschaft und Gesellschaft (IWG) in Bonn. Über das IWG schrieb das Handelsblatt am 14.12.2005: „Es finanziert sich zu 2/3 aus Mitgliedsbeiträgen die ihm aus großen Unternehmen zufließen. Der Rest sind Einnahmen aus Auftragsforschungen für das „Deutsche Institut für Altersvorsorge“ das von der Deutschen Bank finanziert wird.“
Prof. Miegel tritt im Gewand des unabhängigen Professors und Experten auf, der eigentliche Absender seiner Botschaften, das große Geld bleibt im Hintergrund.
Beim „Presseclub nachgefragt“ machte Sie ein Anrufer auf Miegels Lobbyistentätigkeit aufmerksam. Sie sprachen Herrn Miegel mit den Worten an: „Sie sind doch kein Finanzdienstleister?“. Darauf Herr Miegel: „Nein, natürlich nicht“

Sie als Moderatorin sollten es eigentlich besser gewusst haben. Entsprach die Sendung mit dieser Intransparenz der Interessenverflechtungen der Gäste dem öffentl. rechtl. Bildungs- und Informationsauftrag?
Bei Prof. Miegel besteht also eine Interessenverflechtung mit der Finanzwirtschaft.
Miegels Beitrag ist Teil einer von der Wirtschaft finanzierten langfristigen Strategie.
Organisiert wird alles von auf unabhängige Wissenschaft getarnten div. Institutionen wie u.a. „Stiftung Marktwirtschaft“, „Deutsches Institut für Altersfürsorge“, „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“, „Bürgerkonvent“ (Chef Prof. Miegel)
Ziel dieser erfolgreichen Wirtschafslobby ist u.a.: „Die Deutschen sollen glauben, dass gesetzl. Rente, Kranken- und Pflegeversicherung Auslaufmodelle sind und privatisiert werden sollten“
Gehirnwäsche wie bei George Orwell 1984.
Mit privater Vorsorge locken Milliarden € Gewinne für die Finanzwirtschaft, da sind die Millionen für Lobbyarbeit gut angelegt.

Wenn jahrelang in allen Medien das Deutsche Sozialsystem schlechtgeredet wird, glaubt es auch die Politik und handelt entsprechend wie z.B.:
Mit der Rentenreform 2001 wurde das Nettoeinkommen neu definiert. Für die Rentenberechnung wird vom Nettoeinkommen der Betrag abgezogen der maximal in die Risterrente eingezahlt werden kann. (4% im Jahr 2008).
Eine Groteske: Die gesetzliche Rente wird für alle um 4% gekürzt um die Risterrente zu fördern.Die Herren sind wohl sicher: Diese Logik versteht kaum einer.
Die geringverdienenden Arbeitnehmer können sich eine Risterrente gar nicht leisten. Sie sind doppelt betrogen, da auch ihre gesetzl. Rente um 4% gekürzt wird. Die Finanzwirtschaft applaudiert, die Arbeitnehmer werden belastet und die Umverteilung von unten nach oben verstärkt.

Eine echte Reform sollte die gesetzl. Rente stärken, denn hier besteht auch Anspruch auf Erwerbsminderungsrente und Hinterbliebenenrente. Was bietet hier das kapitalgedeckte System? Nichts.
Das Kapitaldeckungsverfahren funktioniert genau wie das Umlageverfahren: „Die Alten sind von den aktuellen Einkommen der Jungen abhängig“. Im Umlageverfahren erhalten sie die Renten über Beiträge, im Kapitaldeckungsverfahren müssen sie ihnen Aktien / Wertpapiere verkaufen.
Dass sich in 20 Mill. Rentnerdepots Geld sammelt und mit Sicherheit über Jahrzehnte vermehrt ist eine Lebenslüge der Finanzwirtschaft. Es wächst langfristig bestenfalls wie das BIP.
Der deutsche Ökonom Gerhard Mackenroth hat nachgewiesen“: Es gibt kein volkswirtschaftliches Sparen, aller Sozialaufwand wird immer aus dem Volkeinkommen der laufenden Periode gedeckt“

Nur wenige wissen, die Verwaltungskosten der gesetzl. Rente betragen 1,7% der Beiträge (Angabe deutsch. Rentenvers.), bei der Risterente sind es schon 10%, bei Kapitaldeckungsverfahren in Chile 18%, in Großbritannien 20%, in Mexiko 26% und bei deutschen Lebensversicherungen in einer Grauzone 20% und mehr. (Provision, Werbung, Vertrieb, Gewinn)

Zwingend stellt sich die Frage: Welches Modell arbeitet sozialer und produktiver?
Der Lobby von Banken und Versicherungen ist es leider gelungen das Denken über die beste Altersvorsorge total zu bestimmen.

Das 1:1 Horrorszenario (1 Aktiver arbeitet für 1 Rentner), das nie eintreten wird, aber von Prof. Miegel & Co als Begründung für den vorhergesagten Kollaps der gesetzl. Rente herhalten muss, ist im Kapitaldeckungsverfahren die zwingende Norm:
In der Privatvorsorge muss jeder Aktive für einen Rentner aufkommen: für sich selbst!

Über eine Reaktion von Ihnen würde ich mich freuen.

Mit freundlichen Grüßen
Petroll

Unabhängige Publizisten zum Thema:
Prof. Peter Bofinger
Prof. Christoph Butterwegge
Heiner Flassbeck, UNCTAD Genf
Albrecht Müller, Nationalökonom

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