Der amerikanische Historiker Howard Zinn plädiert für eine Amtsenthebung von Präsident Bush

Ein Artikel von:

Wir haben auch zuvor schon repressive Regierungen gehabt, aber keine von denen hat Gesetze zur Beendigung des Habeas Corpus Aktes getroffen, oder offen Folter unterstützt, noch die Möglichkeit eines Krieges ohne Ende verkündet. Keine Regierung hat so zwanglos den Willen des Volkes ignoriert, das Recht des Präsidenten die Verfassung zu ignorieren so sehr behauptet, sogar Gesetze zur Seite geschoben, die vom Kongress bereits verabschiedet worden sind.
Die Zeit ist jetzt reif für eine nationale Kampagne, die nach Amtsenthebung von Präsident Bush und Vizepräsident Cheney ruft.
Eine Übersetzung aus dem amerikanischen mit einem Vorwort zu Howard Zinn von Brigitta Huhnke.

VORSPANN

Howard Zinn, geboren 1922, gehört zu jener durchaus noch aktiven Gruppe demokratischen Urgesteins in den USA, das bei uns im Lande, infolge des Nationalsozialismus und mangelnder Tradition von Zivilcourage, davor und auch danach, fast völlig fehlt: Weise, mittlerweile schon sehr alte Männer und Frauen, die sich ihr ganzes Leben lang für BügerrInnenrechte eingesetzt haben, seit Jahrzehnten Formen des zivilen Ungehorsams üben. Dafür waren sie in der Regel mehr als ein Mal in ihrem Leben staatlicher Repression ausgesetzt, doch bis heute beeindrucken sie durch ihr ungebrochenes Rebellentum.
Howard Zinn, hineingeboren in eine arme jüdische Immigrantenfamilie in Brooklyn, sah als Kind früh Elend und Zerstörung, aber auch couragiertes Handeln einfacher Leute gegen Vermieter und Fabrikbesitzer. Und er kam früh mit sozialkritischer Literatur in Kontakt, las schon als Junge in den Romanen von Charles Dickens über Armut auch im alten Kontinent. In den Büchern von John Steinbeck und Upton Sinclair erfuhr er über das Elend von Menschen in anderen Teilen der USA. Als junger Werftarbeiter beteiligte er sich an der Organisation von Arbeitern. Nach dem zweiten Weltkrieg, an dem er zuvor in der US-Air Force teilgenommen hatte, wurde er endgültig Pazifist. Hitler, so seine Überzeugung, hätte früher und mit weit weniger Opfern bekämpft werden können, wenn die amerikanische Regierung in Europa Formen des gewaltlosen Widerstandes unterstützt und umfassende Ächtung und Boykott der NS-Regierung betrieben hätte, statt US-Wirtschaftskreise mit dem Regime Geschäfte machen zu lassen. Nach seinem Geschichts- und Politikstudium promovierter Zinn an der Columbia Universität in New York. Als Professor am Spelman College in Atlanta, einem College für schwarze Frauen, unterstützte er die Bewegung gegen Segregation und versuchte ganz praktisch, seine Studentinnen vor staatlicher Repression zu schützen. Daraufhin wurde er 1963 seines Amtes enthoben. 1964 hat ihn die liberale Boston University berufen, wo er bis zu seiner Emeritierung 1988 Geschichte und Politik lehrte. Während des Vietnamkrieges gehörte er zu den führenden Gegnern, trat aber auch in Hanoi als Vermittler für die Freilassung von US-Soldaten auf.
Sein berühmtestes Werk “A People’s History of the United States“ erschien erstmals 1980, seitdem in zahlreichen Auflagen, in mehreren Sprachen; nach 26 Jahren auch endlich auf Deutsch („Eine Geschichte des Amerikanischen Volkes“, Band 1 „Kolonialismus, Rassismus und die Macht des Geldes”, veröffentlicht bei Schwarzer Freitag). In dieser amerikanischen Geschichte von unten, die auch in US-Lehrplänen als Lektüre für Schulen und Colleges empfohlen wird, stehen nicht die großen weißen Männer lobend im Vordergrund, nicht die politische Prominenz und nicht die Wirtschaftsmagnaten, sondern die, die unter deren Macht leiden. Zinn zeichnet die Lebenslagen, die Nöte aber auch die Kämpfe und kulturellen Kompetenzen der weitgehend vernichteten Ureinwohner, der Sklaven, der Arbeiterinnen und Arbeiter, der afrikanischen Amerikanerinnen und Amerikaner nach. Im Frühling 2003 fand anlässlich des Verkaufs des eine Millionsten Exemplars eine dramatische Lesung im berühmten Kulturzentrum „Y- 92nd Street“ an der Upper Eastside in New York City statt.
Noch heute setzt sich Howard Zinn rastlos gegen das Bush Regimes ein, insbesondere gegen die evangelikale Wahnvorstellung, es gebe einen gerechten Krieg gegen das „Böse“, einen machbaren „Krieg gegen den Terror“. Im folgenden Artikel, der so oder in leicht veränderter Form in der ersten Februarwoche in mehreren amerikanischen Zeitungen erschien, ruft Howard Zinn dazu auf, im ganzen Land Gruppen und Anhörungen zur Amtsenthebung von George W. Bush und seinem Mittäter Dick Cheney zu gründen.

TEXT:

Amtsenthebung durch das Volk

Howard Zinn, Alternet
Posted on February 3, 2007, Printed on February 7, 2007

Mut ist in Washington DC rar. Die Realitäten im Irak schreien danach, eine Regierung zu stürzen, die in krimineller Weise für Tod, Verstümmelung, Folter, Erniedrigung und Chaos verantwortlich ist.
Aber alles, was wir hören in der Hauptstadt der Nation, die Quelle dieser Katastrophen, ist ein Winseln aus der Demokratischen Partei, brabbelnd und plaudernd über „Einheit“ und „Partei übergreifend“, in einer Situation, die nach sofortigem Handeln schreit, den gegenwärtigen Kurs umzusteuern.

Dies sind die Demokraten, die im November an die Macht gekommen sind, durch ein Wahlvolk, das die Nase voll hat vom Krieg, wütend auf die Bush Regierung ist und auf die neue Mehrheit im Congress zählt, die Wählerinnen und Wähler zu repräsentieren.

Aber wenn Verstand überhaupt wieder in unserer nationalen Politik hergestellt werden kann, ist dies nur über eine große Erhebung des Volkes möglich, das beide, Republikaner und Demokraten in die Verantwortung mit dem nationalen Willen zwingt.

Die Unabhängigkeitserklärung, als Dokument verehrt, aber als Leitfaden für das Handeln ignoriert, sollte von den Kanzeln und Podien verlesen werden, in der ganzen Nation, an Straßenecken und in lokalen Radiosendern. Deren Worte, seit über zwei Jahrhunderten vergessen, müssen ein Aufruf zum Handeln werden, zum ersten Mal, seit sie in den frühen, aufregenden Zeiten der Amerikanischen Revolution verlesen worden ist: „sobald eine Regierungsform diesen Endzwecken verderblich wird, es das Recht des Volkes ist, sie zu verändern oder abzuschaffen, und eine neue Regierung einzusetzen.“

Das „Endzwecke“ bezieht sich in der Deklaration auf das gleiche Recht für alle nach „Leben, Freiheit und (das) Streben nach Glückseligkeit“. Allerdings, keine Regierung in der Geschichte der Nation hat sich bisher glaubhaft für diese „Endzwecke“ eingesetzt. Die Bevorzugung der Reichen, Vernachlässigung der Armen, massive Gewalt im Interesse kontinentaler und weltweiter Expansion – das ist die anhaltende Geschichte unserer Regierungen.

Dennoch, da scheint (heute, d. Übers.) eine besondere Bösartigkeit am Werk zu sein, die den gegenwärtigen Anschlag auf die Menschenrechte begleitet, in diesem Land und in der Welt. Wir haben auch zuvor schon repressive Regierungen gehabt, aber keine von denen hat Gesetze zur Beendigung des Habeas Corpus Aktes getroffen, oder offen Folter unterstützt, noch die Möglichkeit eines Krieges ohne Ende verkündet. Keine Regierung hat so zwanglos den Willen des Volkes ignoriert, das Recht des Präsidenten die Verfassung zu ignorieren so sehr behauptet, sogar Gesetze zur Seite geschoben, die vom Kongress bereits verabschiedet worden sind.

Die Zeit ist jetzt reif für eine nationale Kampagne, die nach Amtsenthebung von Präsident Bush und Vizepräsident Cheney ruft.
Der Abgeordnete John Conyers, der ausführliche Anhörungen abgehalten und eine Resolution zur Amtsenthebung eingebracht hat, als noch die Republikaner die Kontrolle hatten, ist nun Vorsitzender des „House Judiciary Committee“ (Justizausschusses des Hauses) und damit in einer Position, um für eine solche Resolution kämpfen zu können. Er ist scheinbar von seinen Kollegen der demokratischen Partei zum Schwiegen gebracht worden, die nun Lebensweisheiten von sich geben, das übliche politische Palaver über „Realismus“ (während sie die Realitäten ignorieren, die ihnen ins Gesicht starren) und über die Politik der „Grenzen des Möglichen“ (während sie die Grenzen für das, was möglich ist, setzten)
Ich weiß, ich bin nicht der erste, der über Amtsenthebung redet. In der Tat, den öffentlichen Meinungsumfragen zufolge, sind Millionen von Amerikanerinnen und Amerikaner dafür, in der Tat ist es eine Mehrheit der Befragten, falls sich herausstellen sollte, dass der Präsiden uns in den Krieg hineingelogen hat (eine Tatsache, die unbestritten ist).
Mittlerweile sind mindestens ein halbes Dutzend Bücher über Amtsenthebung erschienen und es ist eloquent von einigen unserer besten Journalisten argumentiert worden, unter ihnen John Nichols und Lewis Lapham. In der Tat, eine tatsächliche „Anklage“ ist von einer früheren Staatsanwältin verfasst worden, von Elizabeth de la Vega, in einem neuen Buch, mit dem Titel „United States vs. George W. Bush et al“ („Die Vereinigten Staaten gegen George W. Bush und andere“), und sie hat einen Fall daraus entwickelt, mit erschütternden Details, sich damit an eine fiktive Große Jury richtend.

Da steht logisch nun ein nächster Schritt in dieser Entwicklung einer Bewegung zur Amtsenthebung an: das Einberufen von „Anhörungen zur Amtsenthebung durch das Volk“ im ganzen Land. Das ist besonders in Anbetracht der Ängstlichkeit der Demokratischen Partei wichtig. Solche Anhörungen würden den Kongress umgehen, der nicht den Willen des Volkes repräsentiert und würden ein Vertrauen erweckendes Beispiel für Grasswurzel Demokratie erzeugen.
Diese Anhörungen würden eine zeitgemäßes Äquivalent für die inoffiziellen Versammlungen sein, die in jenen Jahren den Widerstand gegen die Britische Krone markierten, die dann zur Amerikanischen Revolution geführt haben. Die Geschichte der Amerikanischen Revolution ist normalerweise um Lexington herum und um Concord (damalige Orte des Kampfes, d. Übers.) angesiedelt, um die Schlachten und die Gründungsväter. Was in Vergessenheit geraten ist: die amerikanischen Kolonial-Siedler, da sie nicht auf Wiedergutmachung für ihre Missstände seitens der offiziellen Gremien der Regierung rechnen konnten, nahmen sie die Dinge in die eigenen Hände, auch vor der ersten Schlacht im Revolutionskrieg.

Im Jahr 1772 fingen Stadtversammlungen in Massachusetts damit an, „Komitees zur Korrespondenz“ (zum Austausch) zu gründen und im darauffolgenden Jahr wurde ein solches Komitee in Virginia errichtet. Der erste Kontinentale Kongress, der sich erstmals 1774 traf, war eine Bestätigung dafür, dass ein Gremium außerhalb der gesetzlichen Einrichtungen nötig war, um die Interessen des Volkes zu repräsentieren. In den Jahren 1774 und 1775, wurden in allen Kolonien vergleichbare Institutionen geschaffen, außerhalb der offiziellen Gremien der Regierung.

Das sich durch die Geschichte der Nation ziehende Unvermögen der Regierungen, für Gerechtigkeit zu sorgen, hat zur Gründung von Graswurzel Organisationen geführt, häufig ganz ad hoc, die sich dann, wenn das Ziel erreicht war, wieder auflösten. Zum Beispiel: Nachdem der „Fugitive Slave Act“ (Gesetz gegen das Flüchten von Sklaven) verabschiedet worden war, haben sich, wohl wissend, nicht auf die nationale Regierung rechnen zu können, dass diese den Akt widerrufen würde, schwarze und weiße Gruppen gegen die Sklaverei organisiert, um das Gesetz durch Akte des zivilen Ungehorsams zu annullieren. Sie hielten Versammlungen ab, entwarfen Pläne und haben Rettungsmöglichkeiten für geflohene Sklaven organisiert, die in der Gefahr waren, zu ihren Herren zurückgebracht zu werden.
Während der verzweifelten ökonomischen Situation in den Jahren 1933 und 1934, noch bevor die Roosevelt Regierung überhaupt irgendetwas unternommen hat, um Menschen in Not zu helfen, haben sich im ganzen Land lokale Gruppen organisiert, um die Regierung zum Handeln herauszufordern. Arbeitslosenräte entstanden, Gruppen von Mieterinnen und Mietern haben gegen Zwangsräumungen gekämpft und Hunderttausende von Menschen haben im ganzen Land Selbsthilfeorganisationen gegründet, um Waren und Hilfsleistungen auszutauschen und so Menschen das Überleben ermöglicht.
Für die jüngere Vergangenheit rufen wir uns die Friedensgruppen der achtziger Jahre in Erinnerung, die in Hunderten von Gemeinden im ganzen Land entstanden sind, und die Stadträte und die staatliche Legislative provozierten, Resolutionen für das Einfrieren von Nuklearwaffen zu verabschieden. Und lokale Gruppen waren erfolgreich, (in den letzten Jahren, d. Übers.) mehr als 400 Stadtregierungen zu überzeugen, gegen den Patriot Act zu stimmen.
Anhörungen zur Amtsenthebung im ganzen Land könnten dazu anregen und der Friedensbewegung Auftrieb geben. Das würde Schlagzeilen verursachen und könnte zögerliche Mitglieder des Kongresses beider Parteien dazu bringen, das zu tun, was die Verfassung vorsieht und was die gegenwärtigen Umstände erfordern: Die Amtsenthebung und das Entfernen von George Bush und Dick Cheney aus dem Amt.
Einfach diesen Sachverhalt in Hunderten von Komitees und Distrikten des Kongresses einzubringen, würde einen heilsamen Effekt haben und ein Zeichen setzen, dass Demokratie, trotz aller Versuche, sie in dieser Ära des Krieges zu zerstören, noch immer lebt.
Mehr Informationen über Aktivitäten für ein Amtsenthebungsverfahren unter AfterDowning Street.
Howard Zinn ist Autor unzähliger Bücher, sein zuletzt erschienenes “A Power Governments Cannot Suppress” ist bei City Lights Books veröffentlicht.
Quelle: alternet.org

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