Sind die Löhne in Griechenland immer noch zu hoch? Zur Diagnose von Hans-Werner Sinn

Ein Artikel von Günther Grunert

„Die Welt“ berichtete kürzlich von den Ergebnissen einer neuen Studie des europäischen Sachverständigenrats EEAG (European Economic Advisory Group), einer Gruppe von sechs Volkswirten aus fünf Ländern, darunter Hans-Werner Sinn vom Münchener Ifo-Institut. Die Untersuchung zur europäischen Wirtschaft bietet die üblichen Diagnosen und Vorschläge: In den Euro-Krisenländern sei ein „gewisser Grad an fiskalischer Austerität“ ebenso erforderlich wie eine Lohnflexibilität nach unten, Arbeitsmarktreformen könnten die Rezession verkürzen etc. (EEAG 2014, S. 7). Ein Gastartikel von Günther Grunert [*]

Das alles ist nichts Neues. Interessant ist aber die Kommentierung der Studie durch einen ihrer Autoren, nämlich Hans-Werner Sinn. Sinn behauptet nämlich laut „Die Welt“, dass die Lohnsenkungen in Griechenland in den letzten Jahren zwar die Konkurrenzfähigkeit des Landes verbessert hätten, dass sie bis jetzt jedoch zu gering ausgefallen seien. Die Löhne seien nach wie vor zu hoch, um beispielsweise dem Land einen erfolgreichen Wettbewerb mit osteuropäischen Standorten zu ermöglichen. „Die Welt“ zitiert Sinn mit den Worten: „Die Löhne in Griechenland sind erst ab 2011 gefallen, aber noch nicht weit genug. Heute sind die Löhne nicht niedriger als zu Beginn der Krise.“

Man fragt sich, was an dieser Aussage bemerkenswerter ist: Der Zynismus angesichts des bereits erreichten Grades an Armut und sozialer Verelendung in Griechenland oder der analytische Bankrott einer ökonomischen Theorie, die offenbar nicht mehr zu bieten hat, als abermals eine höhere Dosierung der bislang wirkungslosen Medizin zu verlangen.

1. Lohn- und Beschäftigungsentwicklung in Griechenland

Doch bleiben wir bei den Fakten: Wie aus Abbildung 1 hervorgeht, sind beide Behauptungen Sinns unzutreffend: Sowohl die Nominallöhne als auch die Reallöhne sinken in Griechenland bereits seit dem zweiten Quartal 2010 (und nicht erst seit 2011) und beide liegen im Jahr 2013 deutlich unter dem Niveau des Jahres 2009, d. h. dem Jahr des Krisenbeginns. Seit ihrem Höchststand im ersten Quartal des Jahres 2010 sind die griechischen Nominallöhne um 23 Prozent und die Reallöhne gar um 27,8 Prozent gefallen.

Abbildung 1 zeigt auch, dass die Lohnsenkungen bislang keinen großen Einfluss auf die Preise ausgeübt haben – der Verbraucherpreisindex weist noch bis Ende 2012 einen ansteigenden Trend auf und beginnt erst Anfang 2013 zu sinken.

Abbildung 1: Griechenland: Lohn- und Preisindizes (2006=100)

Griechenland: Lohn- und Preisindizes

Quelle: Papadimitriou et al. 2014, S. 3

Für Neoklassiker wie Hans-Werner Sinn sind das optimale Bedingungen. Wären nämlich die Preise genauso stark gefallen wie die Nominallöhne, dann wäre eine Reallohnsenkung ausgeblieben. Nur bei einem fallenden Reallohnsatz kann aber nach der neoklassischen Arbeitsmarkttheorie die Beschäftigung erhöht werden. Der von der Neoklassik behauptete inverse Zusammenhang zwischen Reallohnsatz und Beschäftigung, bei dem die Nachfrage nach Arbeit bei sinkendem Reallohnsatz steigt (und die Arbeitsnachfrage das Beschäftigungsvolumen bestimmt), müsste sich – wenn es ihn denn gäbe – im Fall Griechenlands sehr deutlich zeigen: Die drastischen Reallohnsenkungen seit Anfang 2010 sollten dann zu einer Erhöhung der Beschäftigung und einem Abbau der Arbeitslosigkeit geführt haben.

Abbildung 2: Griechenland: Beschäftigung und Arbeitslosigkeit

Griechenland: Beschäftigung und Arbeitslosigkeit

Quelle: Papadimitriou et al. 2014, S. 2

Wie aus Abbildung 2 ersichtlich, ist in Griechenland aber genau das Gegenteil dessen eingetreten, was in neoklassischer Sicht zu erwarten gewesen wäre: Die Beschäftigung ist in den letzten vier Jahren deutlich gesunken und die Arbeitslosigkeit ebenso klar gestiegen. Im Mai 2010 betrug die Arbeitslosenquote in Griechenland noch 12,2 Prozent, im Mai des darauffolgenden Jahres war sie bereits auf 16,9 Prozent gestiegen, im Mai 2013 lag sie bei 27,6 Prozent und aktuell (November 2013) erreicht sie 28,0 Prozent (Eurostat, diverse Pressemitteilungen).

Nun wird Sinn vermutlich einwenden, dass es ihm und seiner EEAG ja darum gehe, die internationale Wettbewerbsfähigkeit der griechischen Unternehmen zu erhöhen und dass dazu die Preise den gesunkenen Arbeitskosten folgen müssten. So begrüßen Sinn und die EEAG ausdrücklich den durch die Austeritätspolitik ausgeübten Abwärtsdruck auf die Preise (EEAG 2014, S. 75) und beklagen an anderer Stelle die starren Preise, die die notwendigen Preisanpassungen in den Euro-Peripherieländern erschwerten (EEAG 2014, S. 89). Damit geraten Sinn und die EEAG aber in Widerstreit mit der neoklassischen Arbeitsmarkttheorie, denn diese setzt – wie bereits oben erwähnt – voraus, dass die Preise eben nicht in gleichem Umfang sinken wie die Nominallöhne.

Es entsteht folglich ein Zielkonflikt: Je mehr die Preisentwicklung auf die Nominallohnsenkung reagiert, desto stärker ausgeprägt ist tendenziell der Effekt der Verbesserung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit (mit steigenden Exporten und mehr Beschäftigung), desto schwächer muss aber die Reallohnsenkung und die daraus – in neoklassischer Logik – [1] resultierende positive Beschäftigungswirkung ausfallen.

Sinn und die EEAG gehen in ihrer Studie auf diesen offenkundigen Widerspruch nicht ein, lassen also die Frage unbeantwortet, was denn nun in erster Linie zur Sanierung der griechischen Wirtschaft wünschenswert ist – sinkende Reallöhne oder eine verbesserte internationale Konkurrenzfähigkeit.

Da Sinn aber für weitere Lohnsenkungen in Griechenland plädiert, um die Unternehmen des Landes beispielsweise gegenüber osteuropäischen Konkurrenten wettbewerbsfähiger zu machen, kann davon ausgegangen werden, dass er allein die Konkurrenzfähigkeit nach außen hin im Blick hat. Um Sinns Forderung nach noch niedrigeren Löhnen in Griechenland bewerten zu können, soll zunächst die Entwicklung der letzten Jahre betrachtet werden, in denen es ja bereits zu massiven Lohnsenkungen gekommen ist. Wie haben sich diese Kürzungen auf die griechische Wettbewerbsfähigkeit ausgewirkt?

2. Die Entwicklung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit Griechenlands

Sollen durch Lohnkürzungen die Exportprodukte eines Landes verbilligt werden, um so über steigende Nettoexporte Investitionen, Wachstum und Beschäftigung zu erhöhen, setzt dies voraus, dass die Unternehmen des Landes die Kostenentlastungen relativ schnell in Form von Preissenkungen weitergeben. Wie aus Abbildung 1 ersichtlich, ist genau das in Griechenland aber nicht geschehen; der Index der Verbraucherpreise ist dort trotz des deutlichen Rückgangs der Löhne noch bis Ende 2012 angestiegen. Ein ähnliches Bild ergibt sich, wenn man die Entwicklung der gesamtwirtschaftlichen Lohnstückkosten und des gesamtwirtschaftlichen Preisniveaus in Griechenland vergleicht (Abbildung 3). Während in den Jahren 1999 bis 2010 noch ein relativ enger Zusammenhang zwischen Lohnstückkosten- und Preisniveauentwicklung besteht, weichen seit 2011 beide Größen immer mehr voneinander ab – während die Lohstückkosten drastisch sinken, fallen die Preise (hier gemessen am Deflator des BIP, der die Preise aller produzierten Güter eines Landes einbezieht) nur geringfügig.

Abbildung 3:

Lohnstückkostten und Preise in Griechenland

Quelle: Flassbeck/Spiecker 2014a, S. 3

Es ist also in den letzten Jahren zu keiner deutlichen Verbesserung der preislichen Wettbewerbsfähigkeit Griechenlands gekommen, wie auch die BIZ-Indizes der realen effektiven Wechselkurse zeigen, die monatlich von der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) veröffentlicht werden (dazu ausführlicher Klau/Fung 2006). In den Veränderungen des realen effektiven Wechselkurses (REER) finden sowohl Entwicklungen der nominalen Wechselkurse als auch das Inflationsgefälle gegenüber den Handelspartnern Berücksichtigung. [2] Reale effektive Wechselkurse liefern somit eine Messgröße der internationalen Wettbewerbsfähigkeit: Steigt der REER, lässt sich daraus folgern, dass das Land international weniger wettbewerbsfähig geworden ist, sinkt der REER, gilt das Umgekehrte.

Betrachtet man die Entwicklung des REER für Griechenland von Januar 2008 bis Februar 2014 (auf der Basis von Januar 2008 = 100), so zeigt sich, dass bis Ende 2013 der Indexwert nur in 8 von 72 Monaten unter den Basiswert gefallen ist (der Höchststand wurde mit einem Indexwert von 105,3 im April 2011 erreicht). Seit Dezember 2013 ist der reale effektive Wechselkurs für Griechenland drei Monate hintereinander gesunken und erreicht im Februar 2014 mit einem Indexwert von 97,5 seinen Tiefststand in der untersuchten Zeitperiode (ermittelt nach BIS 2014).

Die preisliche Wettbewerbsfähigkeit Griechenlands hat sich also nur vergleichsweise wenig und erst spät verbessert und dennoch ist das Leistungsbilanzdefizit des Landes von 18 Prozent des BIP im Jahr 2008 auf nur noch 5,3 Prozent im Jahr 2012 gesunken. Nach neuesten Berechnungen der griechischen Zentralbank hat sich im letzten Jahr (2013) das Defizit gar in einen Leistungsbilanzüberschuss von 0,7 Prozent der Wirtschaftsleistung verwandelt (Handelsblatt, 19.02.2014). Auch das Handelsbilanzdefizit ist stark zurückgegangen, nämlich von 45,8 Mrd. Euro im Oktober 2008 auf nur noch 16,9 Mrd. Euro im November 2013 (Papadimitriou et al. 2014, S. 4).

Wie ist das möglich? Die Lösung liegt auf der Importseite. Die Importe sind eine Funktion des BIP-Wachstums und folglich im Zuge der sechsjährigen wirtschaftlichen Krise Griechenlands, in der das BIP um 25 Prozent schrumpfte, massiv zurückgegangen. So sanken die Wareneinfuhren des Landes im Jahr 2013 im Vergleich zu 2008 um 54 Prozent (Handelsblatt, 19.02.2014). Wenn aber die Importe fallen, verbessert sich selbst bei unveränderten Exporten die Handels- und damit auch die Leistungsbilanz.

Tatsächlich legte die Warenausfuhr Griechenlands vergleichsweise wenig zu. Abbildung 4 zeigt, dass die Exporterhöhung zwischen Oktober 2008 und November 2013 allein ölbezogenen Produkten („oil-related products“) zu verdanken ist, deren Ausfuhr in diesem Zeitraum um 3,7 Mrd. Euro stieg, während die Nichtölexporte im November 2013 immer noch rund 1 Mrd. Euro unter dem Vorkrisen-Höchststand von Oktober 2008 lagen.

Abbildung 4: Griechenland: Exporte von Waren und Dienstleistungen (jährliche gleitende Durchschnitte)

Griechenland: Exporte von Waren und Dienstleistungen

Quelle: Papadimitriou et al. 2014, S. 4

Interessant ist auch, dass sich der Anteil der Warenexporte in Nicht-EU-Länder von 36,6 Prozent (2007) auf 55,9 Prozent (2012) der gesamten Warenexporte Griechenlands erhöht hat (Papadimitriou et al. 2014, S. 5).

Dies zeigt, dass die Verbesserung der griechischen Exportposition wenig mit einer gesteigerten Wettbewerbsfähigkeit aufgrund von Lohnsenkungen zu tun haben dürfte, da sie sich auf den Handel mit Ländern außerhalb der Eurozone – mit einem starken Euro gegenüber dem US-Dollar – und auf ölbezogene Produkte konzentriert, die in dem in Abbildung 4 dargestellten Zeitraum zumeist im Preis gestiegen sind. Sehr nachhaltig ist dieses Exportwachstum bei ölbezogenen Produkten nicht, da es Griechenland anfällig für Schwankungen der Ölpreise macht und nur in geringem Maße die Schaffung von Arbeitsplätzen und das Wachstum anregt (Papadimitriou et al. 2014, S. 5).

3. Zu den Effekten von (weiteren) Lohnkürzungen

Die wirtschaftliche Entwicklung in Griechenland zeigt die Absurdität der Austeritätspolitik. Die Senkung der Nominallöhne führte dort bei (bislang) weitgehend inflexiblen Preisen am Gütermarkt zu fallenden Reallöhnen und folglich zu einer abnehmenden realen Konsumnachfrage der Arbeitnehmerhaushalte. Ein Rückgang der realen Gesamtnachfrage wäre unter diesen Umständen nur dann ausgeblieben, wenn die Unternehmen sofort mehr Arbeitskräfte eingestellt und so den Einkommensrückgang pro Kopf durch die Beschäftigung von mehr „Köpfen“ ausgeglichen hätten oder die Unternehmen unmittelbar in Höhe der ausgefallenen Konsumnachfrage zusätzlich investiert oder die Unternehmerhaushalte in entsprechender Größenordnung zusätzlich konsumiert hätten. Diese Hoffnung von Teilen des Mainstream hat sich erwartungsgemäß [3] genauso wenig erfüllt wie diejenige auf starke außenwirtschaftliche Impulse, d.h. einen Ausgleich durch wachsende Exporte und damit mehr Beschäftigung. Stattdessen ist die Inlandsnachfrage in Griechenland im Laufe der letzten drei Jahre um 31 Prozent gesunken (Polychroniou 2014, S. 4).

Vor diesem Hintergrund weitere Lohnsenkungen in Griechenland zu fordern, ist abwegig. Einmal ganz abgesehen davon, dass eine solche Strategie weder wünschenswert noch politisch durchzuhalten wäre, sprechen mindestens drei gewichtige ökonomische Gründe dagegen. Erstens setzt die Empfehlung Sinns voraus, dass die osteuropäischen Länder nicht ebenfalls versuchen, durch Währungsabwertungen und/oder Lohnkürzungen ihre Konkurrenzfähigkeit zu erhöhen, denn in diesem Fall würde sich auch bei weiteren Lohnreduktionen in Griechenland die relative Wettbewerbsposition des Landes gegenüber den osteuropäischen Standorten nicht verbessern. Genau diese Voraussetzung ist aber nicht gegeben: Tatsächlich kam es nämlich in vielen Ländern Osteuropas nach dem Ende der Planwirtschaft zu relativ hohen Lohnerhöhungen, die einerseits die Wirtschaft belebten (da auch die Reallöhne und deshalb der Konsum anstiegen), die aber andererseits mit einem immensen Verlust an Wettbewerbsfähigkeit resp. hohen Importen einhergingen (Flassbeck/Spiecker 2014b und 2014c). Viele osteuropäische Länder weisen daher jahrelange und zum Teil hohe Leistungsbilanzdefizite auf (vgl. dazu z. B. hier; Februar 2014) und haben dadurch eine massive Verschuldung gegenüber dem Ausland aufgebaut, die auf Dauer nicht tragbar ist. [4] Sie werden daher versuchen, entweder durch Abwertungen ihrer Währungen oder – wenn sie einen festen Wechselkurs zum Euro verteidigen wollen (wie etwa Bulgarien) oder zur Eurozone gehören – durch eine sog. „interne Abwertung“, d.h. mittels Lohnsenkungen oder geringerer Lohnzuwächse, ihre Wettbewerbsfähigkeit wiederherzustellen. Wenn aber die osteuropäischen Länder und Griechenland mit ihren Kostensenkungsstrategien gleichermaßen erfolgreich sind (oder die Länder Osteuropas insgesamt gar erfolgreicher), kann Griechenland weder im Außenhandel mit Osteuropa wettbewerbsfähiger werden noch in Drittländern Marktanteile zulasten der osteuropäischen Konkurrenten gewinnen.

Aber selbst wenn man davon ausgeht, dass es Griechenland am Ende schafft, seine Exporte zu erhöhen, nachdem die Nominallohnsenkungen zeitverzögert in den Preisen weitergegeben worden sind, bleibt zweitens zweifelhaft, ob dies dem Land tatsächlich weiterhilft. Denn der Exportanteil Griechenlands ist mit nur rund 25 Prozent am BIP [5] zu klein, als dass eine Exportbelebung den vorherigen Einbruch bei der wesentlich wichtigeren Inlandsnachfrage (aufgrund der gesunkenen nominalen Einkommen bei zuerst noch unveränderten und dann nur langsam fallenden Preisen) kompensieren könnte.

Drittens beschwören die lohnbedingten Preissenkungen die Gefahr einer ausgeprägten Deflation herauf. Eine deflationäre Entwicklung aber hat gravierende negative Folgen für Wachstum und Beschäftigung: Die Konsumenten in Griechenland, die wegen ihrer Einkommenseinbußen in der jüngsten Vergangenheit besonders preisbewusst agieren, verschieben Käufe auf die Zukunft, da die gewünschten Produkte ja bald noch billiger werden, gleichzeitig verzögern Sachinvestoren ihre Investitionsprojekte, da bei fallenden Absatzpreisen die Kalkulationsgrundlage gänzlich unsicher ist. Zusätzlich wird die Investitionsbereitschaft der Unternehmen geschwächt, weil Deflationsprozesse eine Erhöhung der Realzinsen und der realen Schuldenlast zur Folge haben: „Weil private finanzielle Verbindlichkeiten bestehen, steigt die Belastung durch Altschulden mit Lohn- und Preisdeflationen. Ein Anstieg der Schuldenlast hält, wenn es zu einer Preisdeflation kommt, Kreditnehmer wie Kreditgeber von einer Fremdfinanzierung von privaten Ausgaben und insbesondere Investitionen ab. Ein Investitionsrückgang ist eine Reaktion auf eine Preisdeflation“ (Minsky 1986, S. 139; Übersetzung G.G.).

Die Erhöhung der realen Schuldenlast und die daraus resultierenden Liquiditäts- und Solvenzprobleme [6], die mit dem Zusammenbruch einer großen Zahl von Unternehmen (und auch überschuldeter Haushalte) und als Folge mit einer Gefährdung des Bankensystems verbunden sind, sowie die Schrumpfung der Investitions- und Konsumnachfrage können im Extremfall zu einem kumulativen Zusammenbruch selbst einer vorher gesunden Volkswirtschaft führen (dazu auch Heine/Herr 2014, S. 453f); umso verheerender sind die Konsequenzen einer Deflation bei einer krisengeschüttelten Ökonomie wie der Griechenlands.

4. Fazit

Radikalen Vorschlägen von Seiten des Mainstream zur Lösung der Eurokrise (oder anderer wirtschaftlicher Probleme) wird häufig von linker Seite entgegengehalten, dass sie zwar rein ökonomisch plausibel sein mögen, dass sie aber ungerecht, moralisch verwerflich oder politisch nicht durchsetzbar seien. Meines Erachtens greift eine solche Kritik zu kurz. Wie der neuerliche Vorstoß Hans-Werner Sinns zeigt, sind viele dieser Ideen nicht nur ethisch-moralisch inakzeptabel, sondern auch – und vor allem – ökonomischer Unfug.


Literatur

EEAG (2014): The EEAG Report on the European Economy, CESifo, München; letzter Zugriff: 22.03.2014

Flassbeck, H./Spiecker, F. (2014a): Professor Lucke und die Europhobie (Teil 1), flassbeck-economics, 5. März; letzter Zugriff: 22.03.2014

Flassbeck, H./Spiecker, F. (2014b): Bulgarien und Rumänien – zwei weitere Länder auf der Verliererstraße und die Folgen, Teil I, flassbeck-economics, 17. Januar; letzter Zugriff: 22.03.2014

Flassbeck, H./Spiecker, F. (2014c): Bulgarien und Rumänien – zwei weitere Länder auf der Verliererstraße und die Folgen, Teil II, flassbeck-economics, 22. Januar; letzter Zugriff: 22.03.2014

Heine, M./Herr, H. (2013): Volkswirtschaftslehre – Paradigmenorientierte Einführung in die Mikro- und Makroökonomie, München
Klau, M./Fung, S. S. (2006): The new BIS effective exchange rate indices, in: BIS Quarterly Review, March, S. 51-65

Minsky, H. P. (1986): Stabilizing an Unstable Economy, New Haven and London

Papadimitriou, D. B./Nikiforos, M./Zezza, G. (2014): Prospects and Policies for the Greek Economy, Strategic Analysis, Levy Economics Institute of Bard College, February, letzter Zugriff: 22.03.2014

Polychroniou, C. J. (2014): The Myth of the Greek Economic “Success Story”, Policy Note, 3, Levy Economics Institute of Bard College; letzter Zugriff: 22.03.2014


[«*] Grunert, Günther, Dr., geb. 1955, ist an den Berufsbildenden Schulen der Stadt Osnabrück am Pottgraben vor allem im Bereich Berufs- und Fachoberschule Wirtschaft tätig. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Makroökonomie, internationale Wirtschaftsbeziehungen, Arbeitsmarkt.


[«1] Bei sinkenden Reallöhnen können zwar die Gewinne im Außenhandel ansteigen, aber die abgesetzten Mengen werden sich nur vergleichsweise wenig oder gar nicht erhöhen.

[«2] Betrachtet werden hier sog. „enge Indizes“ für 27 Volkswirtschaften.

[«3] Es war von vornherein absehbar, dass die griechischen Unternehmen ohne nachhaltiges Nachfragewachstum weder (aus einer Situation der Unterauslastung der Kapazitäten heraus) sofort neue Arbeitskräfte einstellen noch ihre Investitionen erhöhen würden, wenn doch der vorhandene Kapitalstock vollkommen ausreicht, die aktuelle (abnehmende) Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen zu befriedigen. Auch mit einem Konsumrausch der Unternehmerhaushalte allein aufgrund der verbesserten Kostensituation der Unternehmen war nicht zu rechnen.

[«4] Bulgarien etwa verzeichnet im Durchschnitt der Jahre 2005 bis 2010 ein fast genauso hohes Leistungsbilanzdefizit (14,5 Prozent des BIP) wie Griechenland (14,6 Prozent).

[«5] Im Durchschnitt der letzten zehn Jahre.

[«6] Bei unveränderten nominalen Verbindlichkeiten – sie können nicht kurzfristig gesenkt werden, da die Schuldenbestände der Unternehmen über viele Jahre aufgebaut werden und Kreditverträge mehr oder weniger lange Laufzeiten aufweisen – sehen sich die Unternehmen mit sinkenden nominalen Umsatzerlösen konfrontiert.