Das unsägliche Mittelmaß und die Verantwortungslosigkeit der Deutschen Bundesbank …

Ein Artikel von Heiner Flassbeck

Gut beschrieben und seziert von Heiner Flassbeck in FTD Online: „Am deutschen Wesen…“

Am deutschen Wesen…

Von Heiner Flassbeck
FTD online, Wirtschaftswunder…

Sieh da, sieh da, die Bundesbank, die Hüterin der volkswirtschaftlichen Wahrheit in Deutschland, hat den Verblendeten das Unerklärliche erklärt. Sie hat den Deutschen und den übrigen staunenden Europäern in ihrer unvergleichlich bestimmten Art dargelegt, dass es gar kein Lohndumping in Deutschland gibt, dass die Partner in der europäischen Währungsunion in den letzten Jahren in Sachen Marktanteile nur verloren haben, was sie zuvor in den 90er Jahren wegen des deutschen Über-die-Stränge-Schlagens gewonnen hatten, und dass jedes Mitgliedsland gefälligst dasselbe machen soll, wenn es seine „preisliche Wettbewerbsfähigkeit wiederherstellen und seine Attraktivität als Produktions- und Investitionsstandort verbessern muss“, weil es „keine nachhaltigen effektiven Alternativen zu dem von Deutschland beschrittenen Weg gibt“, Deutschland sei „insofern ein klassisches Beispiel dafür, wie marktkonforme Korrekturen unter den Spielregeln einer Währungsunion ablaufen und wirken“ (Monatsbericht März 2007, S. 50).

Da staunt der Laie und der Fachmann wundert sich. Das größte Land der Europäi-schen Währungsunion (EWU) baut innerhalb von sechs Jahren einen Exportüber-schuss (Waren und Dienstleistungen) auf, der sich 2006 auf über 120 Mrd. Euro ge-genüber dem Rest der Welt beläuft und erzielt, in den Worten der Bundesbank, nach einem Defizit von 6 _ Mrd. Euro im Jahr 1998 gegenüber den Partnern in der EWU einen Überschuss seiner Exporte über die Importe von fast 64 Mrd. in 2006. Die Zentralbank dieses Landes aber empfiehlt den Partnerländern in der ganzen Welt und in Europa, doch einfach das Gleiche zu tun und schon werde alles gut. Schön und tröstlich für die anderen auch die Graphik der Bundesbank, die zeigt, dass trotz des Vordringens vieler aufstrebender Entwicklungsländer auf den Weltmarkt, Deutschland seine Weltmarktanteile im Vergleich zu 1989 fast gehalten hat, während die der übrigen EWU Mitglieder dramatisch einbrechen. Warum tun die anderen nicht genau das Gleiche, warum erzielen nicht alle Länder gewaltige Überschüsse im Außenhandel – mit dem Mond oder dem Mars vielleicht, und warum haben nicht alle Industrieländer der Welt ihre Marktanteile gehalten, obwohl da noch China und Indien waren, die auch ein wenig abbekommen wollten?

Nett auch, wie das Argument (so im Trade and Development Report 2006 der UNC-TAD) abgewatscht wird, Deutschland mit seinem riesigen Überschuss trage zu den globalen Ungleichgewichten bei. Ein solches Argument verkenne, so die Bundesbank, dass der Euro-Raum ja insgesamt gegenüber dem Rest der Welt keinen Überschuss aufweise, deswegen habe der Euro Raum nicht zu den globalen Ungleichgewichten beigetragen. Komisch nur, hätte Deutschland keinen gewaltigen Überschuss, wiese Europa insgesamt vielleicht ein Defizit auf, dann würde Europa wenigstens zum Abbau der Ungleichgewichte beitragen. Wäre ja was, oder sind Leistungsbilanzdefizite in Europa auch verboten?

Das heute extrem niedrige Lohnniveau in Deutschland im Vergleich zu den Partner-ländern in der EWU wird von der Bundesbank sozusagen wegdefiniert, obwohl man es ja nicht wegdefinieren muss, wenn man zuerst seine Ergebnisse anerkennt und vehement verteidigt. Die Behauptung, dass Deutschland seit dem Ende der 90er Jahre lediglich wieder einen Teil des Bodens gutgemacht habe, der im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung verloren gegangen war, kann ja nur heißen, dass Deutschland Mitte der 90er Jahre überbewertet war und jetzt erst wieder normal bewertet ist. Das aber ist, wie die Leistungsbilanzentwicklung und die Entwicklung der Marktanteile unmissverständlich zum Ausdruck bringen, falsch.

Aber noch einmal langsam und zum Mitschreiben: Ein Land, dessen Leistungsbilanz sich, getrieben von einem gewaltigen Exportboom, innerhalb weniger Jahre von einem Defizit zu einem der größten Überschüsse der Welt verwandelt (während es bei den engsten Handelspartnern genau umgekehrt ist), ist nicht normal bewertet, sondern eindeutig unterbewertet. Zu behaupten, ein Land, das in einer Währungsunion seine Weltmarktposition gegen mächtige Konkurrenz hält, während die der Währungspartner drastisch einbricht, hat nicht bloß Boden gut gemacht, den es vorher verloren hat, sondern hat sich absolute Vorteile (übrigens durch massiven politischen Druck auf die Tarifpartner) verschafft.

Schaut man genau hin, zeigt selbst der dubiose von der Bundesbank verwendete Indikator für preisliche Wettbewerbsfähigkeit (Indikator auf der Basis der Deflatoren des Gesamtabsatzes, S. 44) genau das an: Im Jahr 2001 schon war das Niveau von 1989 wieder erreicht. Alles was danach kam an realer Abwertung innerhalb der Währungsunion war netto, also ein absoluter Gewinn an Wettbewerbsfähigkeit, der die heutige Unterbewertung klar belegt. Der Indikator auf der Basis „Durchschnitt seit 1975 = 100“ weist mit einem Stand von nahe 90 im Jahre 2006 klar darauf hin, dass die Unternehmen der Bundesrepublik gegenüber allen Partnern in der EWU einen dauerhaften Vorsprung von 10 % bei der preislichen Wettbewerbsfähigkeit gewonnen haben, denn niemand wird behaupten, dass Westdeutschland seit 1975 durchgängig überbewertet war.

Der zentrale Fehler der Bundesbank liegt darin, zu unterstellen, die D-Mark sei 1989, dem Jahr, an dem sie alles misst, normal bewertet gewesen? Dafür spricht nichts. Auch damals wies die Bundesrepublik (zusammen mit Japan) den höchsten Leistungsbilanzüberschuss der Welt auf, die D-Mark war unter Aufwertungsdruck auf den internationalen Devisenmärkten und der große Verlust an Wettbewerbsfähigkeit in einigen EU-Ländern, die Mitglied des Währungssystems waren (Italien und Großbritannien), war evident.

Mit der drastischen realen Abwertung und der inzwischen erreichten Unterbewertung des impliziten deutschen Wechselkurses in der EWU wird die Währungsunion als solche als auch das Inflationsziel der EZB fundamental in Frage gestellt. Wenn die Bundesbank den Handelspartnern in der EWU empfiehlt, es Deutschland mit Lohndumping nachzutun, empfiehlt sie eine deflationäre Lohnpolitik, die, angesichts der zentralen Bedeutung der Lohnstückkosten für die Preise, es der EZB (wie in Japan zu beobachten) schließlich unmöglich machen würde, ihr Inflationsziel nahe zwei Prozent zu erreichen.

Übrigens, wie früher einfach alles besser war, so war die Hüterin der Wahrheit früher auch besser darin, in solchen „Analysen“ ihre wahren Absichten und ihre Interessen zu verschleiern.

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