Auge um Auge, Zahn um Zahn, diese primitive Ideologie beherrscht das Weltgeschehen. Muss das wirklich so sein?

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

Am vergangenen Wochenende im Freundes- und Bekanntenkreis: wir sprachen über Ukraine, ISIS, den Konflikt des Westens mit dem Islam, über Israel, Palästina, Gaza, … . Gewalt folgt auf Gewalt und auf Gewalt. Die Frage, ob es denn nicht angebracht wäre, auf eigene Ansätze gewaltloser und erfolgreicher Konfliktlösungen zurückzukommen, wurde zunächst gar nicht verstanden. So fest eingefahren ist das Schema: Zwischen West und Ost, zwischen uns und dem Islam, zwischen Israel und Palästinensern gibt es leider keine friedlichen Lösungen. – Ist das so? Hat man das ernsthaft versucht? Man hat es nicht getan. Die herrschenden Ideologien sind auf Gewaltanwendung angelegt. Albrecht Müller.

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Gelingt es noch einmal, diese Vorherrschaft einer zwar normalen aber dennoch primitiven Weltanschauung von Gewalt und Gegengewalt zu durchbrechen? Das wird eine der für unsere Zukunft entscheidenden Fragen sein.

Die USA haben unter dem Einfluss der Neokonservativen ihr gutes Miterbe, die Beendigung des Ost-West-Konfliktes, gleich nach 1990 wieder begraben und den Konflikt mit Russland neu angefacht. Unter neuer Flagge: Kampf um die Menschenrechte und Demokratie und – wenn es nötig ist – auch mit militärischen Einsätzen. Wir Deutschen wurden mit dem Jugoslawien Krieg von 1999 an diese Möglichkeit gewöhnt.

In Israel wird unter dem Druck innenpolitischer und innerparteilicher Auseinandersetzungen die alttestamentarische Ideologie von Gewalt und Gegengewalt angeheizt. Zarte friedenspolitische Ansätze werden zertrampelt.

Deutschlands wichtigster Beitrag zur neueren Weltgeschichte ist nicht ein gutes Fußballspiel, sondern die Initiative zur Politik der Entspannung zwischen Konfliktparteien. Damit haben wir den größten Erfolg unserer neueren Geschichte gefeiert: die Bedrohung durch militärische Gewalt und Gegengewalt loszuwerden und Europa zu einen.

Wie schon oft erwähnt: „Wandel durch Annäherung“ lautete die Kurzformel der sicherheitspolitischen Strategie der sechziger, siebziger und achtziger Jahre. Gewaltverzicht, sich verständigen, sich in den anderen hineinversetzen, sich vertragen – das waren die Elemente sehr produktiver politischer Strategien.

Sind sie heute überholt? In unserem kleinen Kreis vom vergangenen Wochenende wurde auf die grundlegenden religiösen Unterschiede zwischen Westen und Islam verwiesen. Die gab es auch zwischen West und Ost, zwischen Abendland und „Kommunisten“. Und dennoch ist der Versuch der Verständigung unternommen worden. Vorher ist versucht worden, Wunden zu heilen, sich zu verstehen. Soll das alles überholt sein? Sind solche produktiven Umwege nicht mehr möglich?

Nein, aber die Gewalttäter und die Vertreter und Strategen der Gewalt haben Oberwasser. Sie sind hoffähig. Das waren sie auch in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts und dennoch hat sich die Strategie der Verständigung durchgesetzt. Ein Glücksfall. Ein nicht wiederholbarer Sonderfall? Wenn wir das glauben würden, dann müssten wir auch den mit den Nachdenkseiten verbundenen Versuch der Aufklärung und der Veränderung der Wertorientierung und Grundeinstellung zum menschlichen und gesellschaftlichen Leben aufgeben.

Auch in Israel gab es Kräfte, die den Versuch der Verständigung machen wollten. Sie sind auch deshalb gescheitert, weil die Auge-um Auge-Ideologie auch von außen unterstützt wurde. De facto auch von deutscher Seite. Israel weiß, es kann sich vermutlich alles leisten. Israel weiß, es ist nicht gezwungen, auf die Palästinenser und die anderen arabischen Nachbarn wirklich partnerschaftlich zu zugehen. Deshalb sind auch wir mitschuldig an der neuen Eskalation der Gewalt.

Anmerkung 11. Juli 2014: Leserbriefe zu diesem Artikel finden Sie hier.

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