Sachsen-anhaltinische Kommunalwahlen: Historisch niedrigste Beteiligung an einer Wahl

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Die Bereitschaft der Wählerinnen und Wähler von ihrem urdemokratischen Recht der Wahl Gebrauch zu machen nimmt offenbar weiter ab. Sind bei der Frankfurter OB-Wahl im Januar dieses Jahres gerade mal ein Drittel der Wahlberechtigten zur Wahlurne gegangen, so gaben in Wiesbaden nur noch ein gutes Viertel der Wählerinnen und Wähler ihre Stimme ab. In Sachsen-Anhalt gab es nun mit 36,5% Wahlbeteiligung – die niedrigste Beteiligung bei einer Kommunalwahl.
Das Ritual bleibt aber immer das Gleiche: Es wird so getan als würde es Gewinner und Verlierer geben, dass die Demokratie verloren hat und Wahlen mehr und mehr zur Farce werden, das scheint kaum zu beunruhigen. Wolfgang Lieb.

Ungefähr seit dem Beginn der sog. „Reform“-Politik erleben wir einen massiven Rückgang der Wahlbeteiligung.
Letztes Jahr gingen in Berlin 58 Prozent zur Wahl. 15% aller Wähler haben SPD gewählt, 12,1% CDU, die Koalition aus SPD und Linke ist von 25,1% aller Berliner gewählt worden.
In Mecklenburg-Vorpommern sahen die Zahlen im Jahr 2006 ähnlich aus.
In Sachsen-Anhalt gingen 2006 über 55%, in Baden-Württemberg über 46% und in Rheinland-Pfalz rd. 42% der Wahlberechtigten nicht mehr zur Wahl. Bei den Kommunalwahlen in Hessen waren die aktiven Wähler in der Minderheit. Der wiedergewählten Ministerpräsident Wolfgang Böhmer fand gerade mal die Zustimmung von rund 15% seiner Landsleute und der überaus populäre „Landesvater“ Kurt Beck hatte die Stimmen von einem guten Drittel der Rheinland-Pfälzer.

Die Wahlbeteiligung auch in der ziemlich spektakulären Wahl im mit 18 Millionen einwohnstärksten Bundesland Nordrhein-Westfalen im Mai 2005 war mit 63 Prozent die zweitschlechteste aller Landtagswahlen. Auch bei der Kommunalwahl in NRW im Jahr 2004 lag die Wahlbeteiligung nur bei etwas über der Hälfte der Wahlberechtigten.
In Thüringen beteiligten sich 2004 knapp 54 Prozent an der Wahl und die Wahlbeteiligung bei den Landtagswahlen im gleichen Jahr lag in Brandenburg bei 56% und in Sachsen bei 59%. Das hieß umgekehrt 44 bzw. 41% der Menschen in diesen ostdeutschen Ländern blieben zu Hause. Kein Wunder, dass wie die NPD 9,2% und die DVU 6,1% erreichten.
Die Wahlbeteiligung bei nahezu allen Wahlen in den letzten Jahren sank nicht nur dramatisch ab, sondern es gab historisch einmalige Tiefpunkte.
Mit dem Scheitern der Hartz-Gesetze ist bei Arbeitslosen und bei den von diesen Arbeitsmarktreformen verunsicherten Noch-Arbeitsplatzbesitzern jedes Vertrauen in eine Verbesserung verloren gegangen. Mit jeder weiteren Verschärfung von Hartz IV wird – wie in den USA – die Unterschicht aus der Politik hinausgedrängt.

  • Wenn man trotz des Erreichens der „Grenze der Zumutbarkeit“ (Kurt Beck) täglich nur noch hört, dass die „Reformen“ fortgesetzt, ja intensiviert werden müssten, dass weitere „Opfer“ gebracht müssten, dass sich das Volk auf „notwendige Grausamkeiten“ (Roland Koch) einstellen müsse,
  • wenn die Menschen spüren, dass der Mehrheitswille nicht mehr zum Tragen kommt und dass es der Politik nicht mehr darauf ankommt, den Wünschen der Mehrheit gerecht zu werden,
  • wenn sie erleben, dass die meinungsführenden Kräfte in unserem Land auf die Meinung der Menschen über die Reformen keine Rücksicht mehr nehmen,
  • wenn Politik und Medien im Hinblick auf die soziale Sicherheit, etwa die Alterssicherung, die Absicherung vor Arbeitslosigkeit, der Hilfe bei Pflegebedürftigkeit oder bei der Versorgung im Krankheitsfall nur noch schwarz malen,
  • und vor allem, wenn die Menschen allmählich merken, dass ihnen die ganzen Reformversprechungen der Politik nur Verschlechterungen bringen,

dann braucht sich eigentlich niemand mehr zu wundern, dass sich die Wählerinnen und Wähler von der Politik verabschieden – sozusagen aus dem Verein austreten, weil es keinen Sinn mehr macht Mitglied zu sein.
Wenn Umfragen ergeben, dass mehr als die Hälfte der Bevölkerung mit dem Funktionieren der Demokratie unzufrieden ist, wenn 82 % der Deutschen glauben, dass das Volk politisch nichts zu sagen hat, dann spiegelt sich diese Stimmungslage bei der Kommunalwahlbeteiligung in Sachsen-Anhalt ziemlich deutlich wieder.

Auf wie viele Alarmzeichen für die Bedrohung unserer Demokratie will man eigentlich noch warten?

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