Nochmals zum Spiegel-Artikel „Bundesagentur lässt ältere Arbeitslose im Stich“

Ein Artikel von:

Gestern haben wir in den Hinweisen des Tages auf einen Spiegel Online Beitrag unter der Überschrift „Bundesagentur lässt ältere Arbeitslose im Stich“ hingewiesen, den auch wir – gemessen an der sonst beim Spiegel üblichen Unterstützung der Hartz-Reformen – als kritisch empfunden und deshalb beachtlich fanden. Eine Mitarbeiterin einer Agentur für Arbeit, die – verständlicherweise – anonym bleiben möchte, hat uns dazu geschrieben: „Das was auf den ersten Blick nach einem „endlich-traut-sich-der-SPON-mal-Kritik-zu-äußern“-Artikel aussieht, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als der übliche „der-SPON-recherchiert-dürftig-bis-gar-nicht-verlässt-sich-dafür-lieber-auf-Meinungsmache“-Artikel. So sehr ich Kritik mag und wichtig finde, erst recht Kritik an meinem (noch-)Arbeitgeber (da ich eine der vielen Befristeten bin), so muss diese schon fundiert sein, damit sie gerechtfertigt sein kann.“ Wir finden diesen Kommentar wichtig und interessant für unsere Leserinnen und Leser.

Sie haben einen SPON-Artikel in den Hinweisen des Tages verlinkt (“Bundesagentur lässt ältere Arbeitslose im Stich”), den ich – als Insider – kommentieren möchte, ja muss, denn ich kann dieses populistische SPON-Meisterwerk so nicht stehen lassen. Das was auf den ersten Blick nach einem „endlich-traut-sich-der-SPON-mal-Kritik-zu-äußern“-Artikel aussieht, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als der übliche „der-SPON-recherchiert-dürftig-bis-gar-nicht-verlässt-sich-dafür-lieber-auf-Meinungsmache“-Artikel. So sehr ich Kritik mag und wichtig finde, erst recht Kritik an meinem (noch-)Arbeitgeber (da ich eine der vielen Befristeten bin), so muss diese schon fundiert sein, damit sie gerechtfertigt sein kann. Dazu folgendes:

  1. In diesem Land scheint keiner, egal ob Medienvertreter, Durchschnittsbürger, Politiker, etc., den Unterschied zwischen Agentur für Arbeit (BA), Jobcenter, Arge zu begreifen…

    Ein bisschen besser, aber fernab von zutreffend, sieht es aus mit den Begrifflichkeiten arbeitslos, Arbeitslosengeld (Alg), Arbeitslosengeld 2, Hartz IV und Sozialhilfe.
    Dann wollen wir mal Aufklärungsarbeit leisten; Die Agentur für Arbeit, das ist Ihr lokaler Anbieter vor Ort, zu dem Sie gehen, wenn Sie arbeitslos geworden sind. Die Agentur für Arbeit ist jedoch nur für diejenigen zuständig, die Anspruch auf Alg 1 haben, und für diejenigen, die weder Anspruch auf Alg 1 noch Alg 2 haben, jedoch trotzdem von der Agentur für Arbeit beraten werden möchten. Anspruch auf Alg 1 hat man dann, wenn man in den letzten zwei Jahren mindestens 1 Jahr lang sozialversicherungspflichtig gearbeitet hat. Wenn dieses Kriterium erfüllt ist, kriegt man 360 Tage Anspruch gutgeschrieben, es sei denn man ist über 50 Jahre alt, dann kriegt man das doppelte an Anspruchstagen gutgeschrieben.

    Für die sogenannten Hartz IV-Empfänger (offiziell Alg 2-Empfänger – ergo Alg2 = Hartz IV) ist das Jobcenter zuständig. Das heißt, Menschen, die entweder ihren Anspruch auf Alg 1 schon verbraucht haben, oder in den letzten Jahren keinen Anspruch aufbauen konnten. Bei beiden Gruppen, Alg 1 und 2, handelt es sich um Menschen, die grundsätzlich arbeitsfähig sind. Rentner, Kinder, Kranke, etc. können keinen Antrag auf Alg 1 oder 2 stellen. Die Berechnung des Alg 2 erfolgt jedoch pro Haushalt, d.h. wenn ein Rentner im Haushalt eines arbeitsfähigen Menschen wohnt, der Antrag auf Alg 2 gestellt hat, wird sowohl das Einkommen, als auch der Bedarf des Rentners mit in die Berechnung genommen. Die, die nicht selber einen Antrag auf Alg 2 stellen können, aber trotzdem Unterstützung benötigen, bekommen dann Sozialhilfe. Die Jobcenter hießen eine kurze Weile lang Arge, ansonsten gibt es die Argen nicht mehr.

    In aller Kürze nochmal: Agentur für Arbeit = Alg1 = letzte Berufstätigkeit ist weniger als ein Jahr her; Jobcenter = Alg2/HartzIV = letzte Tätigkeit ist länger her, ggf. sogar Jahrzehnte. Arge = gleich vom Vokabular streichen, da nicht mehr existent.

  2. Erste SPON-These: Die Agentur für Arbeit fördert die Älteren weniger mit Bildungsmaßnahmen.

    Wie so oft, steckt der Teufel in der Definition. Die Bundesagentur für Arbeit hat drei Arten von Maßnahmen:

    • Sogenannte Motivationsmaßnahmen, in die Menschen geschickt werden, die offensichtlich keine Lust haben, was zu tun (weder Lust, sich zu bewerben, noch Lust, arbeiten zu gehen, noch Lust, auch mal zum Termin zu erscheinen). Da werden weniger Ältere hingeschickt, da diese meistens motivierter sind als viele Jüngere. Die Älteren kommen in aller Regel pünktlich, sagen rechtzeitig ab, wenn sie nicht zum Termin kommen können, haben Unterlagen in den meisten Fällen vollständig dabei. Daher ist hier die Notwendigkeit zur „Motivation“ einfach geringer.
    • Die zweite Art sind Bewerbungskurse. Viele Menschen sind einfach überfordert mit der Erstellung von Bewerbungsunterlagen – haben dies zum Teil seit langem nicht mehr gemacht, oder auch noch nie gemacht, daher gibt es dafür jede Menge Kurse. Viele Ältere brauchen auch diese Kurse nicht, die Erklärung folgt im nächsten Punkt.
    • Die dritte Art von Maßnahmen sind tatsächliche Weiterbildungsmaßnahmen, in denen neue Kenntnisse vermittelt werden. Die Erfahrung aus meiner Beratungstätigkeit bei der Agentur für Arbeit (und ich habe überdurchschnittlich viele ältere Kunden) ist die, dass die Älteren qualifiziert sind bis unter die Haarspitzen. Ganz im Gegenteil, was diese Arbeitnehmer immer wieder von potentiellen Arbeitgebern zu hören kriegen, ist: „Sie sind überqualifiziert“. Warum zum Teufel soll ich so einen Menschen zu einer Bildungsmaßnahme schicken?

    Was die Agentur hier macht: Sie fördert die Einstellung eines älteren Menschen bzw. sie versucht es zumindest. Das sieht dann so aus, dass die BA über eine gewisse Zeit einen Prozentsatz des Bruttogehalts übernimmt (es fängt an mit einer Förderung von 30% des Bruttogehalts über 3 Monate, die an den Arbeitgeber gezahlt wird. Die Agentur kann bis zu 36 Monate fördern). Das macht – bei aller Kritik – jedenfalls viel mehr Sinn, als dieses Potenzial an erstklassigen Arbeitskräften mit Maßnahmen zu beschäftigen, die nicht notwendig sind. Ja sogar mit Maßnahmen, die die Chance auf einen Arbeitsplatz nur verringern, sind sie doch schon im Ist-Zustand überqualifiziert.

  3. Zweite SPON-These: Die Agentur für Arbeit schöne die Statistik, indem sie die älteren Arbeitnehmer nicht mehr berücksichtigt.

    Denken wir einmal darüber nach über wie viele Ältere wir hier sprechen. Der SPON dichtet: „Seit 2008 gelten Arbeitsuchende, die älter als 58 sind, nicht mehr als arbeitslos, wenn sie länger als ein Jahr Hartz IV beziehen und keine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung angeboten bekommen“. Erst einmal lieber SPON: Arbeitssuchende gelten grundsätzlich nie als arbeitslos. Z. B. jeder der befristet beschäftigt ist (auch ich), muss sich drei Monate vor Ende der Befristung arbeitssuchend melden. Diese Menschen gelten selbstverständlich nicht als arbeitslos. Wer krank ist, ist auch arbeitssuchend und gilt auch nicht als arbeitslos (auch bei Alg1+2-Empfängern gilt die 6 Wochen „Lohn“-fortzahlung). Wer unzufrieden mit seinem Job ist, und gerne Beratung bekommen sowie auch Stellenangebote von der Agentur für Arbeit zugeschickt bekommen möchte, kann sich ebenfalls arbeitssuchend melden. Auch diese Menschen gelten nicht als arbeitslos. Wäre auch komisch wenn doch…

    O.k., zurück zum Thema Statistik:

    Um nicht mehr geführt zu werden, muss man:

    • über 58 Jahre alt sein;
    • Arbeitslosengeld 2 erhalten;
    • länger als 1 Jahr Alg2 bekommen (somit hätte dieser Mensch vor etwa 3 Jahren die letzte Anstellung gehabt – auf dem Arbeitsmarkt sind 3 Jahre aus dem Job „Ewigkeiten“);
    • „keine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung angeboten bekommen“.

    Wer gewohnt ist eigenständig zu denken, muss doch zwangsläufig über den letzten Punkt stolpern und sich fragen: „Was zum Teufel ist damit gemeint?“. Die Tante von der Agentur für Arbeit erklärt es gerne. Die Agentur hat so ein Tool um Stellen zu finden und um den Arbeitsmarkt zu evaluieren. Und damit kann man herausfinden, in welchen Berufsgruppen gibt es viele Jobs und in welchen keine. Z. B. Als Maler und Lackierer gibt es immer viele Jobs, sowie auch als Ingenieur oder Frisör. Jetzt aber mal angenommen, wir sind Arbeitsvermittler beim Jobcenter und da kommt ein Kunde rein, er ist 58 Jahre alt, hat seine Stelle 2011 verloren, weil der Arbeitgeber pleite war. Er war dort zeitlebens als Korbflechter tätig. Er hat nichts anderes je in seinem Leben gemacht, hat nur bei dieser einen Firma gearbeitet, der erlernte Beruf ist heute nicht mehr existent. Diesen Menschen darf ich dann als arbeitssuchend führen. Allerdings, wenn alle Bedingungen gleich bleiben, aber er ist nicht Korbflechter, sondern Maler, dann kann ich ihn nicht als arbeitssuchend führen. Wer jetzt meint Korbflechter ist doch ein schlechtes Beispiel, dem sei gesagt, es müsste schon ein ähnlich ausgefallener Beruf sein, damit man so gar keine Stellenangebote findet.

Insgesamt muss ich schon zugeben, das ist ein böser Trick der Agentur, allerdings betrifft es so sehr wenige Menschen. Die Agentur trickst an anderen Stellen noch viel schlimmer und böser, da ist diese winzige Statistikschonung kaum eine Schlagzeile Wert, nicht einmal in der Sommerlochzeit. Zumal mit so vielen Kriegen und Katastrophen, braucht man nicht wirklich so einen Aufreger künstlich zu produzieren.

Der Grund, meiner professionellen Meinung nach, warum Ältere häufig schlechtere Chancen haben, hängt eher mit was anderem zusammen. Wie die Nachdenkseiten bereits berichteten, steigt die Zahl der atypischen Beschäftigungen, die Löhne dagegen sinken eher oder stagnieren. Wenn ich als Arbeitgeber schon genau weiß, dass die Arbeitsbedingungen, die ich anzubieten habe, nicht so die besten sind, werde ich einen Teufel tun jemand einzustellen, der seine Rechte kennt, der sich informieren kann, mich gegebenenfalls verklagt, der es nicht scheut auch mal einen Anwalt einzuschalten. Lieber nehme ich einen Jungen, der sich nicht traut und nicht auskennt, lieber nehme ich einen Ausländer, der sich nicht wehrt. Auf der anderen Seite heißt Qualifikation auch gleichzeitig teuer. Bedeutet, ich kann einen 55-jährigen, der etliche Jahre Berufserfahrung mitbringt, der sich in der Branche auskennt, der schon einige Weiterbildungen und Zertifizierungen mitbringt nicht mit 20.000 €/Jahr abspeisen. Der frisch ausgelernte 23-jährigen schluckt eher die Kröte. Und nein, es ist nicht so, dass die Älteren sich weigern solche Angebote anzunehmen, ihnen werden diese Stellen erst gar nicht angeboten. Chancenlos sind die Älteren trotzdem nicht, ich habe schon 62- und 63-jährige gesehen, die eine Stelle gefunden haben. Aber es ist viel aufwendiger, und leider, lieber SPON, kann die Agentur für Arbeit so gar nichts dagegen tun…

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