Hinweise des Tages

Jens Berger
Ein Artikel von:

Hier finden Sie einen Überblick über interessante Beiträge aus anderen Medien und Veröffentlichungen. Wenn Sie auf “weiterlesen” klicken, öffnet sich das Angebot und Sie können sich aussuchen, was Sie lesen wollen. (JK/WL/JB)

Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:

  1. Ukraine
  2. Gabor Steingart: Die Renaissance der Feindbilder
  3. Die Guten und die Bösen – Ansichten eines Putinverstehers
  4. „Mehr Verantwortung in der Welt“? – Eine Antwort an den SPIEGEL
  5. Waffenlieferungen/Nordirak
  6. Die Spekulanten kommen davon
  7. Freihandelsabkommen
  8. Mobilitätsarmut: Ghettoisierung der Überflüssigen
  9. Hartz-IV-Satz bleibt zurück
  10. Gabriel: Privates Geld für Straßen
  11. Niedergang einer Kunstfigur
  12. Ferguson
  13. Paul Krugman – Warum wir Kriege führen
  14. Die USA machen es ihren Freunden so schwer
  15. There is no Alternative
  16. Interview mit Peter Scholl-Latour: Ich verstehe mich gut mit Ganoven
  17. Das Letzte: Wenn der Artikel 5 des Nato-Vertrags „mit Leben erfüllt wird“, dann bedeutet das den Tod vieler Menschen, Frau Merkel

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Ukraine
    1. Ringen um die Machtgeometrie
      Neoliberales Assoziationsabkommen und europäisch-russische Machtkonflikte…
      Auch mit der Ukraine wurde eine solche Vereinbarung ausgehandelt, die bei detaillierter Betrachtung wirtschaftlich eine extreme Schieflage zugunsten der Europäischen Union aufweist. Da hierdurch gleichzeitig westeuropäische Konzerne in ganz erheblichem Ausmaß begünstigt werden, war die Ablehnung des Abkommens durch die Janukowitsch-Regierung allein schon deshalb aus Sicht der Europäischen Union hochgradig ärgerlich.
      Verschärfend kam aber noch hinzu, dass der Abschluss eines Assoziationsabkommens nicht nur weitreichende ökonomische Konsequenzen nach sich zieht. Faktisch handelt es sich hierbei nämlich auch um die Entscheidung über einen (peripheren) Beitritt zu einem Machtblock – nämlich der Europäischen Union.
      Vor dem Hintergrund der zunehmenden Konflikte zwischen der Europäischen Union und Russland bzw. der von Moskau initiierten Zollunion (ab 2015: „Eurasische Wirtschaftsunion“) musste die EU-Expansionsstrategie in den Nachbarschaftsraum spätestens in einem Land mit der immensen geopolitischen Bedeutung der Ukraine früher oder später zu schweren Konflikten führen.
      Dabei deckt sich das EUropäische Bestreben, sich möglichst große Teile der ehemaligen sowjetischen Einflusssphäre einzuverleiben, mit dem Interesse der Vereinigten Staaten, hierüber einen machtpolitischen Wiederaufstieg Russland dauerhaft verhindern zu wollen. Dadurch sollte jedoch nicht der Eindruck entstehen, die Interessen auf beiden Seiten des Atlantiks wären notwendigerweise stets deckungsgleich. Noch weniger sind es allein die USA, die hier die westliche Politik bestimmen, wie teils fälschlich angenommen wird. Dies zeigt sich auch und gerade anhand der Ukraine-Politik der Bundesregierung, die hierzulande als eine Art Testlauf für den seit einiger Zeit seitens der deutschen Eliten vehement eingeforderten Anspruch auf eine Rolle als Weltmacht gilt. Und in der Tat wurde der unter Gewaltandrohung erfolgte Putsch seitens der Bundesregierung massiv unterstützt (und dabei auch bewusst faschistische Kräfte mit hofiert) und dabei versucht, mit dem ehemaligen Box-Weltmeister Vitali Klitschko einen deutschen Klienten an die Macht zu bringen. Die USA wiederum hatten hieran kein Interesse und wollten ihnen nahestehende Kräfte an den Schalthebeln in Kiew wissen, was zu teils heftigen innerimperialistischen Reibereien führte.
      Quelle: Studie der Informationsstelle Militarisierung (IMI) [PDF – 543 KB]
    2. Ukraine-Krise – Separatisten verkünden Waffenlieferung aus Russland
      […] Die Separatisten in der Ostukraine behaupten, Waffenlieferungen aus Russland zu bekommen. Ihr Anführer Andrej Sachartschenko sagt, aus Russland seien 30 Panzer sowie 1200 in Russland ausgebildete Kämpfer zur Verstärkung in die Ukraine unterwegs. […]
      Die Separatisten in der Ostukraine erhalten nach eigener Darstellung massive militärische Unterstützung aus Russland. 30 Panzer sowie 1200 auf russischem Gebiet ausgebildete Kämpfer seien zur Verstärkung unterwegs, verkündet ihr Anführer Andrej Sachartschenko in einem Video. Der Clip wurde auf einer den Separatisten nahestehenden Internetseite veröffentlicht.
      Quelle: Süddeutsche Zeitung

      Anmerkung JB: So oder so ähnlich war es gestern in nahezu allen großen Medien nachzulesen. Dumm nur, dass Andrej Sachartschenko etwas komplett anderes sagte:

      Ukraine crisis: Rebel fighters ‘trained in Russia’
      […] Addressing a meeting, Alexander Zakharchenko said the fighters had trained “four months on the territory of the Russian Federation”.
      The rebels, he said, had reserves of 150 combat vehicles, including tanks. An earlier mistranslation of his words suggested Mr Zakharchenko had said the vehicles were on their way from Russia. […]
      Littering the speech with military jargon, he said: “There are, at present, in the axis of the corridor [linking rebels in Donetsk with those in Luhansk and the Russian border] – there have been assembled – reserves of the following order: 150 units of military hardware of which about 30 are actual tanks and the rest are infantry fighting vehicles and armoured personnel carriers, and 1,200 personnel who underwent four months of military training on the territory of the Russian Federation.”
      Quelle: BBC

      Es scheint so, als ob die deutschen Medien wieder einmal auf einen Übersetzungsfehler hereingefallen sind, der nur all zu gut zur eigenen Agenda passt. Honi soit qui mal y pense . Laut BBC sprach Sachartschenko nicht von Waffenlieferungen aus Russland, sondern von den Reserven der Separatisten und 1.200 Soldaten, die vier Monate auf dem Territorium der russischen Föderation ausgebildet wurden. Das ist freilich etwas komplett anderes. Doch auch bei diesen Angaben sollte man Vorsicht walten lassen. In den letzten Wochen erinnerten die „Erfolgsmeldungen“ der Separatisten im öfter an den berühmt-berüchtigten irakische „Informationsminister“ Muhammad as-Sahhaf (Comical Ali). Wenn Sachartschenko nun noch behauptet, dass die ukrainischen Truppen massenhaft fliehen und an den Toren von Donezk Massenselbstmord begehen, wissen wir, dass die Niederlage nicht mehr fern ist.

      p.s.: Der Übersetzungsfehler stammt von ukrainischen Agenturen … honi soit

      Und während im Osten des Landes Soldaten und Zivilisten sterben, posiert die First Lady auf dem Cover eines Cover eines westliches Modemagazins:

      Das erinnert ein wenig an Marie Antoinette … dann sollen sie doch Kuchen essen!

    3. Ukraine Strategy Bets on Restraint by Russia
      The warnings from the North Atlantic Treaty Organization and the White House over the past week could not have been graver in tone: The Russian Army, they said, had massed enough forces on the border with Ukraine to invade. ….
      There are plenty of reasons for Mr. Putin to be wary about committing troops to a war.
      The separatist zones of eastern Ukraine that were well defined just several months ago are now amorphous, with the front lines shifting after the Ukrainian military retook 75 percent of the territory initially seized by pro-Russian rebels.
      Beyond that, loyalties in eastern Ukraine are split, increasing the risk that the portion of the population that supports Kiev would aid any insurgency against Russia should it invade. An invasion would also be costly, not only because of the likelihood of stiffened sanctions, but because it could plunge the region into an economic free-fall, bleeding funds from whichever country wins on the battlefield.
      Quelle: New York Times

      Anmerkung JK: Interessant, dass selbst die pro-russischen Separatisten nicht an eine militärische Intervention Russland glauben. Und erschütternd, dass die ultrarechten Kräfte in der Ukraine nun über schwerbewaffnete Verbände verfügen. Die Bundesregierung scheint das aber in ihrer Unterstützung des Kiewer Oligarchenregimes nicht zu stören.

  2. Gabor Steingart: Die Renaissance der Feindbilder
    Amerikaner und Russen wissen beide, wie man ein Festival der Propaganda feiert, kommentiert Gabor Steingart vom Handelsblatt für den DLF. Beide hätten ständig den Finger am Abzug. Und die Deutschen würden dieses Spiel in der Ukraine-Krise mitspielen. Es werde geistig mobil gemacht gegen alles, was gestern noch als Voraussetzung für ein friedliches Miteinander in Europa galt….
    Der Schwarze Mann heißt in diesem Fall Wladimir Putin und ist gewählter russischer Präsident. Als solcher ist er gut geeignet für eine Charakter-Attacke. Denn: Sein Umgang mit der Opposition ist, ohne Zweifel, autoritär, die Vetternwirtschaft mit den Oligarchen entspricht nicht unserer Vorstellung von Marktwirtschaft, der Einmarsch auf der Krim war – trotz Volksabstimmung – ein Akt wider das Völkerrecht. Nichts davon wird also je unseren Beifall finden. Auf diesen berechtigten Vorwürfen baut die Charakter-Attacke auf: Sie macht aus einem kühl kalkulierenden Machtpolitiker einen instinktgetriebenen Aggressor, einen politischen Primitivling, der Russlands alte Größe mit Gewalt wieder herstellen will und dabei über Leichen geht. Eine erregte Öffentlichkeit traut Putin plötzlich alles zu: Die Volksabstimmung auf der Krim – gefälscht. Der Hilfskonvoi für die Ost-Ukraine – ein getarnter Militärangriff. Der Abschuss des malaysischen Flugzeugs – eine vom Kreml angeordnete Tat. Es darf fantasiert werden auf Teufel komm raus…
    Dabei ist nahezu die gesamte Lernerfahrung seit dem Ende des Kalten Krieges eine friedvolle: Rund die Hälfte der damaligen sowjetischen Bevölkerung hat mittlerweile den Einflussbereich des Kremls verlassen – darunter Litauer, Letten, Esten, Georgier, Kasachen, Moldawier und nun die Ukrainer – ohne dass seitens der gekränkten Weltmacht zum Äußersten gegriffen wurde. Aber wer das sagt, will verharmlosen. Auch die DDR, wir erinnern uns, wurde in die Freiheit entlassen, ohne dass ein einziger Schuss fiel. Alles Nostalgie, sagen nun die Scharfmacher und die Scharfgemachten. Dabei wäre es für Deutschland deutlich bekömmlicher, wieder zur Realpolitik zurückzufinden. Wir sind den westlichen Werten verpflichtet, aber dazu gehören eben auch Nachdenklichkeit und die Lust am eigenständigen Denken. Wir sind die Freunde der Amerikaner, aber nicht ihre Vasallen.
    Quelle: DLF
  3. Die Guten und die Bösen – Ansichten eines Putinverstehers
    Die Staatskassen waren bei Putins Amtsübernahme 1999 leer, die Auslandsschulden hatten sich bedrohlich angehäuft, der Staatsapparat funktionierte nicht mehr, das Sozialsystem war zusammengebrochen, die Kriminalität hatte beängstigende Formen angenommen, Clans und Oligarchen kämpften um die letzten verbliebenen Filetstücke einstigen Staatseigentums und islamistische Separatisten aus Tschetschenien trugen den Bombenterror bis nach Moskau. Kurz: Nach kaum acht Jahren lief die “Befreiung vom Kommunismus” für Russland auf eine unendliche Katastrophe hinaus. Es waren nicht Meinungsfreiheit und Pluralismus, nicht Zivilgesellschaft und Liberalität, die der Bevölkerung wichtig waren, es war das simple Überleben: die Auszahlung von Renten und Löhnen, die Gesundheitsversorgung, die Sicherheit auf der Straße durch ein Minimum an Recht und Ordnung.
    Dass Putin zu diesem Zweck rabiate Mittel einsetzte – den demokratischen Pluralismus einschränkte, das Parlament entmündigte, die Oligarchen unter Kontrolle brachte, die Schlüsselindustrien wieder in Staatseigentum überführte und einen zentralistisches Präsidialsystem schuf –, wurde und wird von westlicher Seite gern als das Ende des postkommunistischen Aufbruchs in die “Freiheit” gesehen. Für die große Mehrheit der russischen Bevölkerung indessen war es das Ende des unter Gorbatschow und Jelzin entstandenen Chaos, das eine “Freiheit” gebracht hatte, die vor allem durch sozialen Niedergang gekennzeichnet war.
    Quelle: Telepolis
  4. „Mehr Verantwortung in der Welt“? – Eine Antwort an den SPIEGEL
    Das musste wohl kommen. Der SPIEGEL weist der deutschen Außenpolitik den Weg, fordert „mehr Verantwortung in der Welt“ und weniger Menschlichkeit gleich mit.
    Wörtlich: „Menschlichkeit ist ein Faktor der Außenpolitik, sollte jedoch nicht entscheidend sein. (…) Im deutschen Interesse ist eine stabile Welt.“ Klingt so provokant wie es meiner Meinung nach falsch ist. Was anderes außer Menschlichkeit sollte das vorrangige Ziel deutscher (Außen-)Politik sein? Nicht als rührseliger Kitsch sondern als humanistisches Postulat: Der Mensch im Zentrum allen Handelns und nicht ein abstrakter Ordnungsbegriff, der sich als seelenlose Hülle über alles stülpen lässt, was als globaler Störfaktor definiert wird. Der Spiegel segelt im Fahrwasser des steinmeierschen Paradigmenwechsels – und treibt dabei ab in außenpolitische Untiefen, die mehr sind als reine Rhetorik. Wer sich von Menschlichkeit als DER Leitidee für politisches Handeln verabschiedet, wie hätte der in Ruanda für eine Intervention plädieren können? Zynisch gesprochen kann auch ein Völkermord mehr Stabilität schaffen; die perverse Idee „ethnischer Säuberungen“ zielt sogar darauf ab. Vor allem aber: Wer Menschlichkeit nur noch zu einem „Faktor“ unter anderem erklärt, verabschiedet sich damit auch vom Primat einer friedlichen Konfliktlösung, weil sich das Friedfertige vom Menschlichen eben nicht lösen lässt. Militärische Lösungsszenarien müssen aber stets ultima ratio bleiben, soll Außenpolitik nicht zu einem weltpolizeilichen Instrumentarium degenerieren, in dem allgemeine Stabilitätserwägungen zur Generalklausel für deutsche Waffengänge werden. Um dabei nicht missverstanden zu werden: Es geht nicht um humanitäre Interventionen á la George W. Sondern um einen möglichst engen Erlaubniskorridor für militärisches Eingreifen. In dem nicht das außenpolitische Gewicht des Handelnden oder ordnungspolitische Erwägungen entscheidend sind, sondern die Not der Menschen und die Verhältnismäßigkeit der Mittel. In diesem Sinne hieße mehr Verantwortung dann vor allem: Mehr Zurückhaltung!
    Quelle: Monitor via Facebook
  5. Waffenlieferungen/Nordirak
    1. Das feine Gespür der Öffentlichkeit
      Die Bundesregierung kündigt die Lieferung von Kriegsgerät in den Irak an. Anlass ist der Vormarsch der Terrororganisation “Islamischer Staat” (IS), den die Streitkräfte der kurdischen Regionalregierung im Nordirak als Bodentruppen im Verein mit der US-Luftwaffe aufhalten sollen. Berlin wird ab Mitte dieser Woche vermutlich Fahrzeuge, Nachtsichtgeräte und Schutzkleidung in den Nordirak transportieren. Die Lieferung tödlicher Waffen ist noch nicht beschlossen, stößt aber in Regierungskreisen immer mehr auf Zustimmung. Darüber hinaus werden Forderungen laut, die Bundeswehr solle sich an Militärschlägen gegen den IS beteiligen. Experten verweisen darauf, dass solche Luftschläge und die Aufrüstung der irakisch-kurdischen Streitkräfte problemlos von den Vereinigten Staaten erledigt werden könnten; es sei jedoch angebracht, “ein Signal an die USA” zu senden, man sei zu militärischen Aktivitäten in der “Nachbarschaft” der EU bereit. Derlei Aktivitäten vor allem in Nordafrika und Mittelost gehören zu den Zielen einer Kampagne aus dem Berliner Establishment, die auch von Bundespräsident Gauck vorangetrieben wird. Sie zielt auf einen stärkeren deutschen Einfluss unter anderem in Mittelost…
      Politisch” sei es jedoch “durchaus wichtig, dass die Europäer ihre Unterstützung bei den Luftangriffen und bei der Aufrüstung der kurdischen Armee anbieten”. Immerhin sei “die Nachbarschaft der Europäer betroffen”: “Die Europäer könnten zeigen, dass sie sich um ihre Nachbarschaft im Südosten genauso kümmern wie um die im Osten.” Ein deutsch-europäisches Eingreifen gegen den IS wäre “ein Signal an die USA”, dass man zu stärkeren eigenen Aktivitäten bereit sei.
      Quelle: German Foreign Policy
    2. Deutsche Waffenfirmen hoffen auf den Irak
      Draußen stehen die Buchstaben „BDSV“, nur ganz klein folgt die Auflösung: „Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie“. Es ist die Organisation, die landläufig „Rüstungslobby“ heißt.
      Normalerweise gibt es hier wenig Publikumsverkehr. Dass man Journalisten empfängt, ist ebenfalls relativ neu. Aber die Branche fühlt sich in Bedrängnis, seit Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) die deutschen Waffenexporte in alle Welt drosseln will. Oder besser: Er wollte es tun, bis zur vorigen Woche. Dann kam die Debatte über den Vormarsch der islamischen Fundamentalisten im Irak – und über die Frage, ob Deutschland den bedrohten Kurden Waffen zur Selbstverteidigung liefern soll. In der Bundesregierung will das inzwischen niemand mehr ausschließen, auch Gabriel nicht. „Wir können nicht zusehen, wie bis an die Zähne bewaffnete Fanatiker tausende unschuldige Menschen umbringen und deren Verteidiger keine wirksamen Mittel zum Schutz haben“, sagt er dem Magazin „Spiegel“.
      Die Rüstungsbranche registriert es mit Genugtuung. „Da sieht man, wie schnell so etwas eintreten kann“, sagt Michael Knop. Seit Monatsanfang sitzt er als Geschäftsführer des Lobbyverbands in der Büroetage an der Berliner Friedrichstraße – gemeinsam mit dem früheren SPD-Staatssekretär Georg Wilhelm Adamowitsch, der unter Gabriels Vorgänger Wolfgang Clement im Wirtschaftsministerium wirkte. Vereint kämpfen beide für die Interessen einer Branche, die seit dem Ende des Kalten Krieges in der Krise ist. Sie argumentieren mit der deutschen Souveränität, mit den 97.000 Arbeitsplätzen in den Mitgliedsfirmen – und damit, dass Deutschland mit umstrittenen Exportländern wie Qatar auch sonst vielfältige Geschäfte mache.
      Quelle: FAZ

      Anmerkung JK: Daran sollte man denken, wenn jetzt so eilfertig auch nach deutschen Waffenlieferungen gerufen wird. Das Schicksal der Menschen im Irak spielt dabei eine sekundäre Rolle.

  6. Die Spekulanten kommen davon
    Von dem ursprünglichen Vorhaben der Finanztransaktionssteuer ist nicht viel geblieben: Vorerst sind nur Geschäfte mit Aktien und Anleihen betroffen.
    Es ist eine mächtige Idee und ihre Zeit schien gekommen. Nach jahrzehntelangem Werben wähnten sich Globalisierungskritiker am Ziel, als im Januar 2012 Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gemeinsam mit dem französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy vor die Kameras trat. Die beiden konservativen Politiker kündigten die Einführung der Finanztransaktionssteuer in Europa an. Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) zeigte sich so zuversichtlich, dass er zwei Milliarden Euro an Einnahmen in seinen Haushaltsplan einplante.
    Zweieinhalb Jahre später haben die Spekulanten keinen einzigen Cent in die deutsche Staatskasse eingezahlt. In einer Studie zeichnet der Wissenschaftler Stephan Schulmeister vom Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (Wifo) den Erfolg der Finanzlobby nach. Mit einer gezielten Kampagne habe sie das Projekt demoliert. Offiziell hält Schäuble am Start 2016 fest.
    Doch die Steuer, die nun im Gespräch ist, hat mit dem ursprünglichen Vorhaben nicht viel gemein. Einführen wollen sie bestenfalls elf von 28 Euro-Staaten. Das ist noch ein verständliches Zugeständnis. Müssten alle mitmachen, könnte Großbritannien mit dem Finanzplatz London alle anderen ausbremsen. Doch auch inhaltlich schrumpfte das Vorhaben zusammen. Eigentlich soll die Abgabe alle Finanzgeschäfte erfassen und mit einem kleinen Tarif belasten.
    Quelle: Berliner Zeitung

    Anmerkung JK: Langsam bleibt einen nur die Resignation. War jemals etwas anderes zu erwarten gewesen, als dass die Politik vor der Macht der Finanzindustrie einknickt?

    Dazu: The Struggle Over the Financial Transactions Tax – A Politico-economic Farce
    Quelle: Wifo

    und: Skandal um Espírito Santo erfasst Großbank Credit Suisse
    Im Skandal um die zusammengebrochene portugiesische Banco Espírito Santo steht nun die Schweizer Großbank Credit Suisse Group im Fokus. Sie soll mitgeholfen haben, Schulden der Espírito-Konzerngruppe zu verkaufen. Damit hätte sie zum Niedergang der zweitgrößten portugiesischen Bank beigetragen.
    Credit Suisse bündelte Wertpapiere bestimmter Anlagevehikel aus Steueroasen, die dann an Privatkunden der Banco Espírito Santo verkauft wurden.
    Vielen dieser Kunden war jedoch nicht bewusst, dass diese Anlageprodukte gespickt waren mit den Schulden verschiedener Espírito-Santo-Unternehmen. Wie aus Konzernunterlagen und Gesprächen mit Personen aus dem Umfeld der portugiesischen Ermittlungen hervorgeht, dienten die Anlagevehikel offensichtlich dazu, das Firmenimperium der Familie Espírito Santo zu finanzieren. Es ist unklar, ob die Credit Suisse direkt am Verkauf der Wertpapiere an die Kunden der Bank Espírito Santo beteiligt war und wenn ja, in welcher Weise.
    Die dubiosen Investmentprodukte stehen inzwischen im Zentrum des ausufernden Finanzskandals. Anfang August hatte die portugiesische Regierung die Banco Espírito Santo mit Staatsgeld gerettet und aufgespalten. Andere Tochterfirmen der Espírito Santo Group haben nach Betrugsvorwürfen und offenkundigen Bilanzierungproblemen Bankrott angemeldet. Die Enthüllungen haben den portugiesischen Aktienmarkt erschüttert und nach Ansicht von Analysten das Vertrauen in die europäische Bankenbranche ausgehöhlt.
    Quelle: Wall Street Journal

  7. Freihandelsabkommen
    1. CETA nimmt Demokratie in Geiselhaft
      Maude Barlow ist schockiert. Die kanadische Trägerin des Alternativen Nobelpreises hat den geleakten Text von CETA gesehen und sagt: “Er beseitigt, was an demokratischer Regierungsführung noch übrig ist.” Tief besorgt bittet sie Europa, das Abkommen abzulehnen.
      Die Kanadierin spricht aus bitterer Erfahrung: Vor 20 Jahren schloss Kanada mit den USA und Mexiko das Nordamerikanische Freihandelsabkommen NAFTA ab. CETA werde für Europa ähnlich negative Konsequenzen haben wie NAFTA für die Kanadier, warnt Maude Barlow, die weltweit für ihren Einsatz für das Grundrecht auf Wasser bekannt wurde:
      „Weil Europäern ihre öffentliche Versorgung, Konsumentenrechte, sichere Nahrungsmittel und der Schutz ihrer natürlichen Ressourcen wichtig ist, sollten sie einen langen, harten und kritischen Blick auf CETA werfen. Für Kanada waren die Auswirkungen von NAFTA dramatisch. Die größte Gefahr geht von Investor-Staat-Schiedsstellen aus. Kanada lebt seit 20 Jahren mit einer ähnlichen Bestimmung und kann die zutiefst undemokratische Natur dieses Privilegs für Unternehmen bezeugen. Kanadas Süßwasser-Vorräte sind direkt betroffen.“
      Das NAFTA-Abkommen gibt – ebenso wie CETA – Konzernen die Möglichkeit, Staaten vor privaten Schiedstellen auf Entschädigung zu verklagen, wenn Gesetze ihre Gewinne schmälern. Kanada wurde schon mehrfach Zielscheibe solcher Erpressungen: So wurde einer amerikanischen Firma, S.D Myers, nachdem Kanada den Handel mit PCBs verboten hatte, mehr als acht Millionen Dollar aus Steuermitteln als Entschädigung zugestanden. Die kanadische Firma Lone Pine Resources verlagerte ihren Sitz eigens in die USA, um gegen ein Fracking-Verbot in der kanadischen Provinz Quebec zu klagen. Forderung: 250 Millionen Dollar. Der Pharmakonzern EliLilly will sogar 500 Millionen Dollar vom kanadischen Staat, weil dessen Oberster Gerichtshof zwei Patente annullierte, da die Präparate nachweislich unwirksam waren.
      Quelle: campact
    2. Investment ohne angemessenen Profit kann als “indirekte Enteignung” gewertet werden
      Der in Englisch vorliegende fertig ausgehandelte Text des CETA-Handelsabkommens (PDF) wurde am 1. August 2014 schnell zusammengestellt, damit er am 5. August der Bundesregierung und den anderen 27 EU-Regierungen und der kanadischen Regierungen für etwaige Einsprüche übermittelt werden konnte — gerade noch rechtzeitig, bevor das Abkommen am 25. September 2014 vom kanadischen Premierminister Stephen Harper und EU-Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso während eines EU-Kanada-Gipfels in Ottawa offiziell vorgestellt werden soll. Er enthält noch kein Inhaltsverzeichnis, muss noch juristisch überarbeitet und in die EU-Sprachen übersetzt werden. Da der geleakte Vertragstext in seiner Länge von 519 Seiten und seinem Juristenenglisch schwer lesbar ist, wurde das Brisanteste dieses Fachchinesisch textnah zusammengefasst.
      Quelle: heise.de
    3. TTIP muss verhindert werden
      Die Fülle von vorhandenen und anstehenden Handelsverträgen bringt selbst manchen Gutwilligen, und das heißt: Globalisierungskritiker, beim TTIP zu der Frage: Was soll die Aufregung, das gibt es doch schon alles? Doch sind TTIP und das auf der pazifischen Seite von den USA gleichzeitig betriebene TPPA (Transpazifische Partnerschaftsabkommen, heute in der Regel nur noch TPP) nicht bloß eine Fortführung der bisherigen reaktionären Liberalisierung des Welthandels. Es handelt sich um einen höchst gefährlichen Quantensprung.
      Zwar gibt es viele FTAs, aber das angestrebte TTIP hätte ein einmaliges, enormes Gewicht und formuliert einen klaren Anspruch auf die Führungsrolle in der Weltwirtschaft. Die alten Metropolen USA und Europa wollen ihren großen, aber schwindenden Einfluss mit TTIP und TPP stabilisieren und ihre Dominanz unanfechtbar machen. Dies wird das Moment des Konflikts im Rahmen der weltwirtschaftlichen Beziehungen gefährlich erhöhen.
      Dass es um globale Führung gehen soll, zeigt sich nicht nur in der Begriffsprägung von Hillary Clinton, TTIP sei eine „ökonomische Nato“, sondern auch in den Erklärungen der EU-Kommission. Deren Handelskommissar De Gucht formuliert unumwunden, „wir werden TTIP nutzen, um Regeln und Standards voranzutreiben, die die Grundlage für zukünftige internationale Abkommen bilden können“. Es ginge um „die Sicherung der gemeinsamen transatlantischen Führungsposition bei der Entwicklung globaler Normen und Standards“.
      Quelle: Das Blättchen
  8. Mobilitätsarmut: Ghettoisierung der Überflüssigen
    Die Nachwuchsforscher des Institutes der Bundesagentur für Arbeit haben soeben eine unglaubliche Entdeckung verkündet: Danach gibt es einen Zusammenhang von Niedriglöhnen und Stadtteilunterschieden. In bestimmten Stadtvierteln, so die Jungwissenschaftler, wohnen gehäuft Niedriglöhner beziehungsweise Niedriglöhner landen bevorzugt in bestimmten Stadtvierteln. Gut, dass das endlich herausgefunden und ausgesprochen worden ist. Und noch eine tolle Erkenntnis haben die Arbeitsmarktforscher gewonnen: „Im Ergebnis kann innerstädtische Einkommenssegregation dazu führen, dass sozioökonomisch schwächeren Bewohnern qualitativ schlechtere lokale öffentlich Ressourcen und Netzwerke zur Verfügung stehen.“
    In Wahrheit sind diese tollen Erkenntnisse so arg neu auch wieder nicht: Friedrich Engels hat da in seinen Mitte des 19. Jahrhunderts erschienenen Untersuchungen zur Lage der Arbeiterklasse in England ziemlich voluminös und konkret getextet. Mitte des 20. Jahrhunderts hat dann Lewis Mumford das Thema erneut, wenn auch reichlich großstadtfeindlich, sprich: reaktionär angepackt und derzeit heißt es im avancierten Urbanismus-Diskurs allenthalben: „Learning from Favelas“. Aber: Warum sollen die jungen Bundesagenturler das Dreirad nicht ruhig noch einmal erfinden?
    Da gibt es tatsächlich ein sehr viel ekelhafteres Thema im gegenwärtigen Urbanismus-Betrieb: „Smart-City“. Propagiert wird eine „Stadt“, in der durch den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologie „intelligente“ Lösungen für ganz unterschiedliche Bereiche der Stadtentwicklung wie Infrastruktur, Gebäude, Mobilität, Dienstleistungen oder Sicherheit erzielt werden. Jens Lübbe vom Deutschen Institut für Urbanistik: „Hier werden mehr oder weniger unverblümt Interessen global tätiger Konzerne verfolgt… Städte werden dabei als Marktplätze der Technologieanwendung begriffen.“Dieser neoliberal-technizistische Urbanismus hat es dabei nicht schwer, das bisher in Deutschland noch dominierende sozialstaatlich-biedermeierliche Urbanismus-Leitbild „Europäische Stadt“ (Rothenburg o.T. etc.) auszustechen. Dessen Innenstadt-Idylle ist ja bekanntlich längst zur Gentrifizierungs-Ideologie verkommen – siehe München, Frankfurt, Leipzig, Berlin.
    Quelle: Das Blättchen
  9. Hartz-IV-Satz bleibt zurück
    Bis 1990 orientierte sich die Höhe des Sozialhilfesatzes an den Preisen eines Warenkorbes. Er enthielt, was eine Expertengruppe als notwendig für ein Leben in Würde erachtete, etwa bestimmte Mengen an Lebensmitteln oder Körperpflegeprodukten. Weil die Zusammenstellung stets auf streitbaren Werturteilen beruhte und dem Verfahren häufig ein bevormundender Charakter attestiert wurde, trat an die Stelle des Warenkorbmodells das so genannte Statistikmodell. Dabei bemisst sich der Regelsatz der Grundsicherung nicht nach Expertenurteilen, sondern nach dem tatsächlichen Konsumverhalten der Bevölkerung….
    Die Höhe eines soziokulturellen Existenzminimums ist von gesellschaftlichen Standards abhängig, die mit dem Statistikmodell erfasst werden können, so die Wissenschaftler. Wenn zur Berechnung des Regelsatzes jedoch eine Bezugsgruppe herangezogen wird, die selbst von der allgemeinen Einkommensentwicklung abgehängt ist, sinkt das Existenzminimum – relativ gesehen – immer weiter. Als Referenzgruppen zur Regelsatzbestimmung dienen nach aktueller Gesetzeslage die unteren 15 Prozent – statt der vormals üblichen unteren 20 Prozent – der nach dem Einkommen sortierten Alleinstehenden, die nicht selbst auf Hartz IV angewiesen sind. Bei Familien mit Kindern sind es die unteren 20 Prozent.
    Da der Referenzhaushaltstyp der Alleinstehenden eine nur unterdurchschnittliche Position in der Gesamtverteilung erreicht, wäre hier ein breiterer Referenzeinkommensbereich zweckmäßig…
    Tatsächlich kann der Gesetzgeber aufgrund „normativer Setzungen“ bestimmte Konsumkategorien aber für irrelevant erklären. Er tut das zum Beispiel bei Tabakwaren und alkoholischen Getränken, Schnittblumen oder chemischer Reinigung. Diese Möglichkeit führte – in Kombination mit der veränderten Abgrenzung der Bezugsgruppe – dazu, dass der Regelsatz bei der Neuregelung 2011 kaum stieg….
    Quelle: Hans-Böckler-Stiftung
  10. Gabriel: Privates Geld für Straßen
    Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) setzt bei den notwendigen Milliardeninvestitionen für den Straßenbau auf private Investoren. “Wir müssen dringend über neue Modelle reden, wie wir privates Kapital mobilisieren können, um die öffentliche Infrastruktur zu verbessern”, sagte Gabriel der “Märkischen Allgemeinen”. So könnte die Politik Lebensversicherungskonzernen attraktive Angebote machen, damit diese sich an der Finanzierung der öffentlichen Infrastruktur beteiligten. Wegen der niedrigen Zinsen suchten Versicherer nach lukrativeren Anlagemöglichkeiten für ihr Kapital.
    Quelle: rp-online

    Anmerkung JK: Gabriel arbeitet weiter fleißig am Projekt 18 Prozent. Inzwischen ist mehrfach nachgewiesen, dass sogenannte Public Privat Partnership (PPP) die öffentliche Hand immer mehr kostet als wenn durch diese die Vorhaben selbst durchgeführt werden. So kam etwa der Bundesrechnungshof zum Ergebnis, dass privat gebaute Autobahnen erheblich teurer seien, als eine öffentliche Finanzierung (siehe unten).
    Dies ist wohl der erste Schritt in die Richtung der neuen SPD-Strategie mehr die Interessen der Wirtschaft in den Focus zu stellen, sprich Privatunternehmen und damit letztendlich den Vermögensbesitzern schöne Renditemöglichkeiten auf Kosten der Allgemeinheit zu eröffnen. Zugleich zeigt dies wieder die reichliche Beschränktheit von Gabriel. Weshalb benötigt man unbedingt privates Kapital für die Verbesserung der öffentlichen Infrastruktur? Hat Gabriel schon einmal darüber nachgedacht warum die öffentlichen Mittel für die Instandhaltung der Infrastruktur nicht ausreichen? Würden hier die großen Vermögen angemessen besteuert, gäbe es eine saubere Regelung der Erbschaftssteuer, würde die Steuerhinterziehung konsequent bekämpft und würde man Abstand nehmen von der Austeritätspolitik, besser bekannt als Schuldenbremse, die auch mit den Stimmen der SPD in den Verfassungsrang erhoben wurde, gäbe es keine Finanzierungsprobleme.

  11. Niedergang einer Kunstfigur
    Die Haderthauer im Dirndl, die sollte es eigentlich nur in Ausnahmefällen geben. Das hatten die am Projekt H Beteiligten einst festgelegt. Damals, vor knapp zehn Jahren, angeschoben von Erwin Huber, jenem mittlerweile abgehalfterten CSU-Niederbayern, als er noch Vorsitzender der CSU war. Seine Überlegungen erschienen vielen in der Partei einleuchtend, geradezu genial.
    Auf dem Land lastete seinerzeit ein gewaltiger Migrationsdruck. Fachkräfte für den Sozialbereich, die Automobil- und Elektroindustrie strömten aus dem nichtbayerischen Deutschland in den Freistaat. Hubers Plan sah vor, eine Kunstfigur zu erschaffen, mit der es möglich sein sollte, diese nichtbayerischen Menschen an die Staatspartei zu binden.
    Man begab sich also ins Labor und schuf Christine Haderthauer. Und so wurde im Jahr 2007 eine Frau zur Generalsekretärin der CSU, die in Schleswig-Holstein als Christine Cuntze geboren wurde und nur einen Teil ihrer Kindheit in Bayern verbracht hat. Die Haderthauer galt schnell als Sensation, als beste Erfindung der CSU, seit die Partei den weiß-blauen Himmel über Bayern aufgehängt hat. Man war sich zwar nicht ganz sicher, ob das mit dem Implantieren des bayerischen Humors geklappt hat, freute sich aber umso mehr, dass immer ein paar Leute gelacht haben, wenn sie gesagt hat: „Ich habe einen norddeutschen Migrationshintergrund.“
    Quelle: taz
  12. Ferguson
    1. A Movement Grows in Ferguson
      […] The conversation here has shifted from the immediate reaction to Michael Brown’s death and toward the underlying social dynamics. Two men I spoke with pointed to the disparity in education funding for Ferguson and more affluent municipalities nearby. Another talked about being pulled over by an officer who claimed to smell marijuana in the car as a pretense for searching him. “I’m in the United States Navy,” he told me. “We have to take drug tests in the military so I had proof that there were no drugs in my system. But other people can’t do that.” Six black men I spoke to, nearly consecutively, pointed to Missouri’s felon-disfranchisement laws as part of the equation. “If you’re a student in one of the black schools here and you get into a fight you’ll probably get arrested and charged with assault. We have kids here who are barred from voting before they’re even old enough to register,” one said. Ferguson’s elected officials did not look much different than they had years earlier, when it was a largely white community.
      Ferguson had, instead, recently seen two highly visible African-American public officials lose their jobs. Two weeks before Brown was shot, Charles Dooley, an African-American who has served as St. Louis County Executive for a decade, lost a bitter primary election to Steve Stenger, a white county councilman, in a race that, whatever the merits of the candidates, was seen as racially divisive. Stenger lobbed allegations of financial mismanagement and incompetence, and worse. Bob McCulloch, the county prosecutor appeared in an ad for Stenger, associating Dooley with corruption; McCulloch would also be responsible for determining whether to charge Darren Wilson. In December, the largely white Ferguson-Florissant school board fired Art McCoy, the superintendent, who is African-American. Those who were gathered at the QuikTrip parking lot on Saturday were as inclined to talk about the underlying political issues as they were about the hail of bullets that ended Brown’s life.
      Quelle: The New Yorker
    2. Nach fünf Tagen greift endlich Präsident Obama die Wut auf
      Der Tod des jungen Afroamerikaners Michael Brown in Ferguson, einer Vorstadt von St. Louis, durch eine Polizeikugel bringt die ganze Woche lang empörte Menschen auf die Straße. Jetzt nimmt die Politik Notiz und schickt als Erstes die Ortspolizei nach Hause. Für die 21.000 Einwohner von Ferguson am Rand der Millionenstadt St. Louis ist die offiziell vor fünfzig Jahren abgeschaffte Segregation bis heute Alltag: 70 Prozent der Bevölkerung sind Afroamerikaner, aber die örtlichen Würdenträger sind ganz überwiegend weiß. Nur 3 von 53 Polizeibeamten sind afroamerikanisch. In den zurückliegenden Tagen ist diese örtliche Polizei in Kampfuniformen auf Panzerwagen in den Ort gefahren, hat mit Tränengas, Gummigeschossen und anderen Kalibern auf Demonstranten und Plünderer geschossen und Dutzende von Menschen festgenommen. Darunter auch zwei Journalisten, die für die Washington Post und die Huffington Post arbeiten. Die Polizei beschoss auch ein Filmteam von al-Dschasira mit Tränengas. Ferguson ist einer von Hunderten Orten, deren Polizei gratis vom Pentagon mit überschüssigem Kriegsgerät aufgerüstet wird, darunter minenfeste Panzerwagen und Granatwerfer. Insgesamt hat das Pentagon seit 1997 durch das “Programm 1033” Kriegswaffen im Wert von 4,3 Milliarden Dollar der Polizei untergejubelt, 450 Millionen davon im vergangenen Jahr. Ursprünglich wurde das mit dem “Krieg gegen die Drogen” begründet, nach den Attentaten vom 11. September bekam es eine zusätzliche Aufwertung. Aber Bürgerrechtsgruppen wie die ACLU kritisieren schon lange, dass die schweren Waffen auch eine Veränderung der Polizeimentalität bewirkten. “Sie betrachten die Gemeinden, die sie schützen sollen, als Feinde”, sagt Kara Dansky von der ACLU.
      Quelle: taz
  13. Paul Krugman – Warum wir Kriege führen
    Ein Jahrhundert ist vergangen seit dem Beginn des Ersten Weltkriegs, den viele seinerzeit als “den Krieg, der alle Kriege beendet” bezeichneten. Leider gab es aber immer wieder Kriege. Und da die Nachrichten aus der Ukraine tagtäglich beängstigender werden, scheint es ein guter Moment zu sein, zu fragen, warum. Früher wurden Kriege zum Spaß geführt und wegen des Profits; als Rom Kleinasien überrannte oder Spanien Peru eroberte, ging es um Gold und Silber. Und das passiert noch immer. Der Oxford-Ökonom
    Paul Collier hat in einer bedeutenden Forschungsarbeit, die von der Weltbank gefördert wurde, gezeigt, dass der beste Indikator für einen Bürgerkrieg, wie er in armen Ländern allzu verbreitet ist, das Vorhandensein leicht zu erbeutender Ressourcen ist, wie z. B. Diamanten. Jedwede andere, von den Rebellen für ihre Taten vorgebrachten Gründe scheinen in erster Linie nachträgliche Rechtfertigungen zu sein. Krieg war und ist in der vorindustriellen Welt noch immer mehr ein Wettstreit zwischen kriminellen Familien darüber, wer die Geschäfte im Griff hat, als ein Kampf um Prinzipien.
    Quelle: New York Times
  14. Die USA machen es ihren Freunden so schwer
    Nach 15 Jahren Leben und Arbeit in den Vereinigten Staaten nimmt unser Korrespondent Abschied von seiner Wahlheimat. Seine Bilanz: Die USA haben sich nach den Anschlägen leider zum Nachteil verändert.
    Amerika war gut zu mir und großzügig. Es schenkte mir die Geburt der dritten Tochter, vier Präsidentschaftswahlkämpfe und acht Kilo Gewichtszunahme durch alternativloses Autofahren. Es nahm mir Nikotinsucht, Eurozentrismus und den Glauben, die USA könnten nach 9/11 wieder so entspannt selbstbewusst werden wie je. […]
    Einvernehmen unter Freunden aller politischer Farben fand ich am Ende nur in einem Befund: Amerika hat sich nach den Anschlägen zu seinem Nachteil verändert: es ist verhärtet, wo es einst gastfreundlich war, es ist geschwächt, wo es sich ein Jahrhundert lang sicher fühlte in der Pax Americana. Die unersetzliche Supermacht ist geschrumpft. Sie neigt zu einem nie gekannten Kleinmut. Und es schmerzt, sie so zu sehen.
    Dies ist kein subjektiver Befund eines Ausländers. Ende Juni fiel das Ansehen Barack Obamas auf einen neuen Tiefststand in seiner Präsidentschaft. Eine deutliche Mehrheit der Wähler glaubt, Obama führe nicht und versage (“Cant’t get the job done”). Die Umfragewerte des Präsidenten sind andererseits noch fabelhaft gegen die Verachtung für das Parlament. Nur noch sieben Prozent der Bürger haben noch “eine Menge” oder “recht viel” Zutrauen in den Kongress. Lahmer war nie ein Präsident so bald nach einer glänzenden Wiederwahl.
    Nie im vergangenen Vierteljahrhundert war eine Mehrheit der Wähler so unzufrieden mit dem eigenen Abgeordneten. Politiker sacken endgültig auf das miserable Ansehen von Rechtsanwälten, Journalisten und Gebrauchtwagenhändlern. Drei Berufsgruppen genießen noch Zustimmungswerte von über 50 Prozent: das Militär, die Polizei und Kleinunternehmen.
    Quelle: WELT
  15. There is no Alternative
    Szenen wie diese: Ein deutscher Professor unterhält sich mit einer deutschen Studentin eine halbe Stunde auf Englisch, bis er, nach einer Gesprächspause, den Wechsel ins Deutsche vorschlägt. Erleichtert wird er akzeptiert. Oder diese: Eine deutsche Professorin führt deutsche Kollegen durch ihre Universität. Auf Englisch. Ein israelischer Gast ist auch dabei. Er spricht flüssig Deutsch und wundert sich.
    Beides geschah, das bisher nicht: Eine ganze Universität, die Münchner TU, will alle ihre Masterstudiengänge bis 2020 ins Englische transformieren. Ausnahmen sind die Staatsexamensfächer Medizin und Lehramt. Die Argumente für den Wechsel sind bekannt. Man will sich für ausländische Studenten und Forscher attraktiv machen und Einheimischen den Zugang zum internationalen Arbeitsmarkt erleichtern.
    Quelle: FAZ

    Anmerkung JK: Man kann sich dem Fazit des Artikels nur anschließen. Was soll das bitte bringen die Studierenden nicht mehr in ihrer Muttersprache zu unterrichten? Es werden dann Vorlesungen von Dozenten gehalten deren Muttersprache nicht Englisch ist und von Studenten gehört, für die in ihrer Mehrheit, Englisch ebenfalls nicht die Muttersprache ist. Und deren Mehrheit später vermutlich in deutschsprachigen Unternehmen arbeiten wird. Ob sich TU-Präsident Wolfgang Herrmann auch privat mit seiner Familie und mit Freunden nur noch in Englisch unterhält?

  16. Interview mit Peter Scholl-Latour: Ich verstehe mich gut mit Ganoven
    Im März hat Peter Scholl-Latour dem Tagesspiegel anlässlich seines 90. Geburtstags ein Interview gegeben, das großen Anklang bei den Lesern fand. Nun ist er gestorben. Lesen Sie hier noch einmal das Gespräch über Putin und die Krim, Martini Dry und durchgeschwitzte Matratzen: “… Eine amüsante Episode. Ich war in Donezk und wohnte in einem Luxushotel, das natürlich Achmetow gehörte, dem reichsten Mann der Ukraine. Der fand mich sympathisch und hat mich an seinen Tisch gebeten. Ich bin in Bochum geboren, die haben eine Städtepartnerschaft mit Donezk. Da sagt der Achmetow: Mensch, werden Sie doch Mitglied in meinem Fußballklub Schachtar! Er hat mir gleich einen Trainingsanzug verpasst, hielt den an einen seiner Leibwächter, der so groß war wie ich. Und neben ihm stand ein Riesenkerl, der nicht besonders intelligent wirkte. Sagt Achmetow: Ich stelle Ihnen Herrn Janukowitsch vor, den künftigen Präsidenten der Ukraine. So läuft das da. Im Westen ist es nicht anders: Die Timoschenko, die Gasprinzessin, ist auch eine Oligarchin. …”
    Quelle: Tagesspiegel

    Anmerkung Orlando Pascheit: Natürlich muss man nicht alle Schlussfolgerungen von Peter Scholl-Latour teilen, aber seine Beobachtungen haben oft genug gut informiert. Was den Aufbau und die Pflege von Verbindungen vor Ort – und das auch an gefährlichen Orten – betrifft, können die Heutigen noch einiges lernen. Eine gute Möglichkeit sich seiner zu erinnern, sind seine Interviews, eher als die zahlreichen Nachrufe. So Ulrich Wickert mit “Keinem gefällig, allen ein Lehrer” oder Jörg Seewald mit “Die letzte Reise des Weltenerklärers“. Arno Widmann hat mit “Ein Krieger vor der Kamera” die Chance verpasst, gegen die tendenzielle Seligsprechung Scholl-Latours in den Medien auch Kritisches einzubringen, da er selbst mit Klischees arbeitet, die er Scholl-Latour vorwirft.

  17. Das Letzte: Wenn der Artikel 5 des Nato-Vertrags „mit Leben erfüllt wird“, dann bedeutet das den Tod vieler Menschen, Frau Merkel
    “Dies ist die Stunde, wo wir zeigen müssen, dass das, was wir im Nato-Vertrag Artikel 5 vereinbart haben, nicht nur auf dem Papier steht, sondern im Zweifelsfall mit Leben gefüllt werden muss”, sagte Merkel in Riga.
    Artikel 5 Nato-Vertrag regelt den Einsatz von Waffengewalt im Bündnisfall, wenn dieser Artikel „mit Leben gefüllt“ wird, bringt er also den Tod vieler Menschen.
    Quelle: Spiegel Online

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