Bundesverdienstkreuz für Tugce A. ist gut, aber besser wäre es, den Verantwortlichen für die hohe Gewaltbereitschaft die Gemeinnützigkeit abzuerkennen – der Bertelsmann Stiftung z.B.

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

Als ich vom rücksichtslosen tödlichen Schlag eines jungen Mannes gegen eine junge Frau las, musste ich an eine verbale Prügelszene denken, die mir vor gut zehn Jahren ins Haus flimmerte. In einer TV-Sendung eines kommerziellen Senders beschimpften sich Jugendliche, ja eigentlich noch Kinder: Schlampe, Schwein, das war der offensichtlich eingeübte Umgang. Ohne jegliches Mitgefühl. Erschreckend. Das Erlebte entsprach den Vorhersagen der Planungsabteilung des Bundeskanzleramtes zwischen 1978 und 1982; damals haben wir – beide Herausgeber der NachDenkSeiten übrigens – versucht, die vermutlichen Folgen der von CDU und CSU betriebenen Kommerzialisierung des Fernsehens zu ergründen und den damaligen Bundeskanzler davon überzeugt, für diesen erkennbaren Wahnsinn wenigstens kein Geld des Bundes auszugeben. Dieses hatten damals die CDU-CSU-Ministerpräsidenten verlangt. Albrecht Müller.

Man konnte damals schon durch Studium der Fernsehgewohnheiten in Ländern mit kommerzialisiertem Fernsehen ermitteln, welche Folge die Kommerzialisierung und der Kampf um Einschaltquoten auch bei uns haben würde. Eine der Prognosen betraf das Phänomen der Absenkung der Gewaltbereitschaft und die Gewöhnung an Gewalt.

Nach dem Regierungswechsel von 1982 hat die Regierung Helmut Kohl unter maßgeblicher Federführung des hessischen Politikers Schwarz-Schilling die Programmvermehrung und Kommerzialisierung von Fernsehen und Hörfunk betrieben. An vorderer Front übrigens auch noch Ernst Albrecht, Ministerpräsident von Niedersachsen und Vater von Frau von der Leyen. Im Hintergrund warben versteckt und offen der damalige Kirch-Konzern, RTL (damals noch nicht in den Händen von Bertelsmann) und Bertelsmann selbst für die Programmvermehrung und Kommerzialisierung, und mit ihnen eine Reihe von anderen Medienkonzernen.

Die Bertelsmann AG ist einer der großen Profiteure der Kommerzialisierung.

Bertelsmann hat 2013 einen Nettogewinn von 948 Millionen € von seinem 75,1 % Anteil an RTL bezogen. Allein durch den Verkauf von 17,2 % an der RTL Group hat Bertelsmann 2013 1,4 Milliarden € eingenommen. Die Kommerzialisierung hat sich für diesen deutschen Medienkonzern also bestens gelohnt.

Die Bertelsmann Stiftung besitzt mehr als drei Viertel der Bertelsmann Aktiengesellschaft. Die Bertelsmann Stiftung gilt als gemeinnützig. Siehe hier.

D.h.: eine Stiftung, deren Haupteinnahmequelle das Geld mit teilweise üblen gewaltverherrlichenden und Gewalt einübenden Sendeformaten verdient, gilt als gemeinnützig. Das ist pervers.

Dagegen anzugehen wäre gleich mehrere Petitionen wert.

Die Gemeinnützigkeit mehrerer Institutionen ist sehr fragwürdig und sollte künftig vermehrt zum Thema der öffentlichen Debatte gemacht werden.

Ein Beispiel aktueller Art: Gegen den Buchautor und Wissenschaftler Werner Rügemer wird zur Zeit eine gerichtliche Auseinandersetzung von Seiten des IZA, des Instituts für die Zukunft der Arbeit in Bonn, geführt. Rügemer hatte die Unabhängigkeit des IZA bestritten und in ihm einen Lobbyisten gesehen. Siehe hier der Bericht des Handelsblatts vom 10.11.2014 [PDF – 324 KB].

Die Entscheidung des Gerichts, die für den 28. November geplant war, ist verschoben worden. Offenbar hat das Gericht erkannt, welche Bedeutung die Entscheidung für den Missbrauch der Gemeinnützigkeit haben könnte. Auch das IZA nimmt den Vorteil der Gemeinnützigkeit für sich in Anspruch, obwohl es schon äußerlich erkennbar ein Institut in der Nähe der Deutschen Post AG darstellt und von ihr mitfinanziert wird, und zudem auf vielerlei Weise für die Interessen der Wirtschaft und – zum Beispiel mit sogenannten Expertisen zum Mindestlohn – gegen die Lohnabhängigen antritt.

Wenn Werner Rügemer obsiegt, was man ihm im Interesse der demokratischen Verhältnisse wirklich wünschen muss, dann steht die Gemeinnützigkeit vieler Unternehmen und Einrichtungen zur Disposition.

Nachtrag: Der hessische Ministerpräsident von der CDU hat sich dafür stark gemacht, dass die in Offenbach ermordete junge Frau das Bundesverdienstkreuz erhält. Das ist ehrenwert. Aber mit dieser Aktion wird auch verwischt, dass gerade die hessische CDU mit der Kommerzialisierung des Fernsehens und den Folgen für die Gewaltbereitschaft unter Jugendlichen eng verknüpft ist.

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