Etikettenverteilung als Strategie zur Abwehr der Medienkritik

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

Die Kritik am Versagen vieler Medien, an ihren Manipulationsversuchen und unterlassener Information beginnt zu wirken. Viele Medien fürchten um ihre Glaubwürdigkeit. In dieser Situation wäre es angebracht, wenn Meinungsmacher und Kritiker ins Gespräch kämen. Das funktioniert offensichtlich nicht. Stattdessen haben einige maßgebliche Medien begonnen, sich auf seltsame – man könnte auch sagen: auf unerträgliche – Weise zu wehren. Sie verteilen Etiketten. Meist diffamierende Etiketten. In der Sendung „Die Anstalt“ vom vergangenen Dienstag ist dieser Vorgang meisterhaft beschrieben worden. Auch die NachDenkSeiten sind ins Visier der leider unsachlichen Kritik an der Kritik geraten. Und, wie wir das aus der ökonomischen Debatte und aus der Diskussion um Krieg und Frieden schon kennen, Professoren stellen sich als vermeintlich Sachverständige zur Verfügung. Im einzelnen: Albrecht Müller.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

  1. Die gängigen Etiketten und Beispiele für die diffamierende Gegenwehr einiger Medien

    Die meisten Medien, die jetzt die Kritik an Medien kritisieren, neigen zu Pauschalurteilen und zur unbegründeten Diffamierung. Ihre wichtigsten Etiketten sind:

    • Verschwörungstheoretiker
    • Wutbürger
    • Anti-Amerikaner
    • Antisemiten
    • Populisten
    • Besserwisser, Bescheidwisser
    • Totalablehner
    • Systemopposition
    • Pegida-Anhänger, Nähe zu Pegida
    • AfD-Versteher
    • Spinner und ähliches
    • Gutmensch (Ein Nachtrag aus FB: “Sissy Hankshaw: In der Aufzählung fehlt noch “Gutmensch”, ein Wort, das mich inzwischen richtig aggressiv macht.)
    • Wahnwichtel
    • Putinversteher
    • Berufsdemonstrant

    Am 2.2.2015 erschien ein beispielhafter Beitrag eines Politologen aus Trier, Markus Linden in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung unter dem Titel „Medialer Populismus. Im Netz der Wutbürger und Verschwörungstheoretiker“. Dort heißt es zur Einführung: „Was Pegida an Empörung auf die Straße bringt, findet man online schon lange: Furor gegen die etablierte Politik und die Medien. Wie geht es jetzt weiter?“. Der Einstieg dieses Professors ist schon typisch: die Medienkritik wird mit Pegida verbunden. Im Text wird dann mit Berufung auf Jürgen Habermas einfach nur diffamiert, meist ohne Beleg. Daniele Ganser und ich – „dem linken Herausgeber der NachDenkSeiten“ – werden wegen der Gespräche mit Ken Jebsen in die gleiche Kiste gepackt. Statt der möglichen Kritik am Inhalt Etiketten.

    Vor dem Artikel in der FAZ erschien in der Nummer 2/2015 des Spiegel ein Artikel des Tübinger Medienwissenschaftlers Bernhard Pörksen unter der Überschrift „Der Hass der Bescheidwisser“. Der Untertitel: „Die aktuellen Attacken von Verschwörungstheoretiker bedrohen den Journalismus“. (Eine elektronische Ausgabe habe ich nicht gefunden.) In diesem Beitrag wird das Etikett „Verschwörungstheoretiker“ für alles verwandt, was dem Professor nicht passt. Er arbeitet mit Unterstellungen und meist ohne Belege.

  2. Die Kritik an der Medienkritik speist sich auch daraus, dass diese Kritiker von den sachlichen Zusammenhängen so wenig Ahnung haben, also aus Unkenntnis.

    Bei beiden Texten wie bei vielen anderen Kritikern an der Medienkritik ist zu erkennen, dass das Hauptproblem dieser Kritiker darin besteht, dass sie von der inhaltlichen Seite dessen, was wir als Manipulationen und Kampagnen beschreiben und kritisieren, nichts verstehen.

    • Sie verstehen zum Beispiel nicht, dass die massive Behandlung des Themas demographischer Wandel der Öffnung unserer Gesellschaft und Politik für die private Altersvorsorge dienen sollte und gedient hat. Deshalb verstehen sie nicht, dass die Medien als kritische Kontrollinstanz versagt haben und wie dieses logischerweise kritisieren.
    • Da sie Frau Merkel und Herrn Schäuble abnehmen, dass die Griechen „sparen“ müssen wie wir und da sie Exportüberschüsse vermutlich auch als etwas Großartiges betrachten, durchschauen sie die Kampagnen nicht und können auch das Versagen der Medien nicht erkennen.

    In ihrer sachlichen Not sind dann aus ihrer Sicht all jene, die die Medien für ihr Versagen bei der demokratischen Willensbildung kritisieren, Verschwörungstheoretiker oder eben „Bescheidwisser“.

    Siehe dazu auch meinen früheren Beitrag vom 26. November 2014 zum Thema: „Medien reagieren beleidigt, wenn man ihr Versagen beschreibt und ihre Glaubwürdigkeit in Zweifel zieht.“

  3. Interessante Passagen aus Der Anstalt

    In der ZDF Sendung „Die Anstalt“ gibt es einschlägige Passagen zum Thema Etikettenverteilung. Darauf möchte ich Sie mit Minutenangaben aufmerksam machen.

    Hier finden Sie ab Minute 29 und bis Minute 35 eine sehr aufklärende Passage zur Verwendung und zur manipulierenden Kombination von Etiketten. Es wird dabei auch deutlich gemacht, wie die Kritik an dem Gebrauch des Wortes „Lügenpresse“ benutzt wird, um Medienkritik anzuklagen.

    Die Sendung war übrigens so, wie ich das bei der Ankündigung am Dienstag vermutet hatte: sehr empfehlenswert.

    Es gibt eine interessante Passage über Sigmar Gabriel in Davos.

    Treffend fand ich den Satz bei Minute 36: „Nationalismus ist die Straßenhure unter den Gefühlen“.

    Und vieles mehr. Es ist wichtig, dass sich die Besetzer der Anstalt nicht den Schneid abkaufen lassen. Das ist nicht immer leicht, weil auch gegen sie mobil gemacht wird.

    Die Medien übersehen dabei, wie sehr wir sie brauchen und wie sehr wir sie auch oft loben.

  4. Die NachDenkSeiten kritisieren nicht nur, wir loben oft.

    Ziemlich von Anfang an, also seit gut zehn Jahren, bieten wir unter der Rubrik Hinweise des Tages eine Übersicht über interessante Medienprodukte, über Artikel, über Funk- und Fernsehsendungen. Von Medienschaffenden, die verstanden haben, wie wichtig der öffentliche Dialog für eine Demokratie ist und wie wichtig dieser auch für die Qualität der politischen Entscheidungen ist, hören wir oft, dass unsere Hinweise messbar die Zugriffe auf ihre Artikel erhöhen. Das ist Absicht. Gute Artikel sollten gelesen werden.

    Manchmal wird uns auch mitgeteilt, dass man in den Foren zu einzelnen Beiträgen unserer Medien durchaus bemerkt, wenn Leserinnen und Leser der NachDenkSeiten dort tätig werden. Medien sollten das eigentlich aushalten. Sie halten es schwer aus. Sie beschweren sich über Kritik in den Foren. Sie beschweren sich vor allem über faktenreiche Kritik. Wir sollten sie davor nicht bewahren.

    Wir sind gerade dabei, eine Dokumentation zusammenzustellen, aus der ersichtlich ist, auf welche Medienprodukte alleine in den letzten vier Wochen ohne Kritik und ohne kritischen Unterton in den NachDenkSeiten hingewiesen worden ist. Diese Dokumentation werden wir in den nächsten Tagen veröffentlichen.

Die NachDenkSeiten sind für eine kritische Meinungsbildung wichtig, das sagen uns sehr, sehr viele - aber sie kosten auch Geld und deshalb bitten wir Sie, liebe Leser, um Ihre Unterstützung.
Herzlichen Dank!