CIA Folterreport: Das Hohe Lied der Sicherheit oder die Insolvenz der „westlichen Werte“

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Die hinter schwarzen Flecken verborgenen Namen und Daten in dem auf knapp 550 Seiten komprimierten Bericht sind allein deswegen erfreulich, weil sie dem Leser in einer Art intellektuellem „Waterboarding“ ein kurzes Atemholen in der Sammlung von Ungeheuerlichkeiten ermöglichen: Wir ahnten es, wir wussten es – aber in dieser Häufung ersticken wir an den unerträglichen, menschenverachtenden Folterpraktiken, die uns die „willigen Vollstrecker“ einer vorgeblichen Sicherheitshybris seit dem 09/11 im „Krieg gegen den Terror“ zumuten.
Wolfgang Neskovic, dem umtriebigen Streiter für das Recht, wie dem Westend Verlag ist es zu danken, dass sie in so kurzer Zeit nach der Veröffentlichung des Senats-Berichts am 09.12.2014 durch die Vorsitzende des Geheimdienstausschusses Dianne Feinstein, uns eine Kärnerarbeit von 13 ÜbersetzerInnen vorlegen. Sie beginnt im Vorwort mit dem wertenden Befund: „Die Haft-bedingungen und die Anwendung erlaubter und unerlaubter Verhör- und Konditionierungs-verfahren waren grausam, unmenschlich und entwürdigend“ und endet in der verzweifelten Hoffnung, dass „die US-amerikanische Politik … nie wieder uneingeschränkte Internierung und gewaltsame Befragung zulassen wird“. Zur gleichen Zeit sind in Guantanamo heute immer noch 122 Gefangene uneingeschränkt interniert, an denen diese Hoffnung zerbricht, weil ihnen die Rechte als Kriegsgefangene vorenthalten werden. Von Albert Klütsch[*].

Das Recht als zivilisatorische Errungenschaft hat es schwer in einer auf Gewalt gegründeten Gesellschaft, in deren Sprache es nur „verfeinerte Verhörmethoden“ waren, wenn die Schergen das Ertrinken mit „Waterboarding“ simulieren, die Gefangenen beim „Walling“ gegen eine Wand schleudern, Häftlinge entwürdigend nackt und unter Kapuze durch die Gänge schlagen. Bis zu 180 Stunden Schlafentzug in extremer Körperhaltung, rektale Ernährung, sexuelle Demütigung durch Wärterinnen, eingesperrt in enge Käfige, übersät mit aggressiven Insekten – und zur Abkühlung ein Bad im Eiswasser bis zur Bewusstlosigkeit: und dieses gottesfürchtige Volk, dessen Präsident George W. Bush dem Vernehmen nach jede Kabinettssitzung mit einem Gebet beginnt, schreit nicht einmal auf.

Dabei hatte der CIA schon nach der Foltererfahrung im Vietnamkrieg bilanziert: Folter liefert keine geheimdienstlichen Erkenntnisse, sondern schafft neue Gewalt und grausameren Terror: Kriegsverbrechen – wider besseres Wissen. Wo bleibt der „Aufschrei der Anständigen“?

Der Herausgeber belässt es dankenswerter Weise nicht dabei, uns über diese verrottete US-Wertewelt zu informieren, die von einer Mehrheit der US-Amerikaner gebilligt wird, sondern setzt diese Hoffnungen mit seiner richterlichen und politischen Erfahrung, seiner scharfen juristischen Logik und Diktion auf deutsche Verhältnisse um. Dabei rekurriert er auf seine Tätigkeit als Mitglied der Parlamentarischen Kontrollkommission, in der die Erfahrung gerann, auch Deutsche Sicherheitsbehörden arbeiten nach dem Prinzip „Sicherheit vor Freiheit“ oder – gerade dann, wenn es darauf ankommt – dem Staatsschutz Vorrang vor dem Schutz der Grundrechte zu gewähren.

Wer Josef Foschepoth „Überwachtes Deutschland“ gelesen und den schlechthin ungebändigten – sicher auch unter dem Druck von NSA und CIA – verfassungswidrigen, weil gesetzlosen Umgang der Sicherheitsbehörden mit dem Post- und Fernmeldegeheimnis nach Art. 10 GG in der Zeit von 1949 bis 1968 verkraftet hat, wird sich dieser Erkenntnis nach dem abermaligen Versagen des Staatsschutzes in der NSU-Affäre nicht mehr verschließen: Der Moloch Staat giert nach der Freiheit seiner Bürger in einem ständigen übergesetzlichen Notstand: Rechtsstaat nur als Schönwetterstaat – „wenn’s drauf ankommt, kommt’s nicht mehr drauf an“.

Und dabei wird gelogen und getäuscht, werden Medien und politische Entscheidungsträger bewusst falsch informiert – in keinem einzigen Fall, so der Bericht, habe die Folter Verwertbares ergeben, nicht einmal Informationen, die den Verlust von Menschenleben hätten verhindern können. Im Gegenteil, mit Hunderten von Millionen Dollar schufen die USA in ihren Folterkammern jene Brutstätten unversöhnlicher Gewalt, aus denen sich die Mörder des IS im Irak, der al Quaida in Afghanistan und Pakistan und der al Shabab im Jemen entpuppten. Indem die Mauern des Rechts geschliffen wurden, haben die USA die westliche Zivilisation und ihren Wertekatalog entkleidet: Nackt und beschämt stehen wir vor den Trümmern unserer eigenen Glaubwürdigkeit – hohe Zeit, Insolvenz unserer „westlichen Werte“ anzumelden.

Neskovic belässt es nicht bei den „falschen Antworten“ der Folterer und ihrer geistigen Väter in der US-Administration. Er zeigt auf, wie sich die USA-Regierung weiter den Anforderungen der UN Anti-Folterkonvention entzieht, indem sie keine Strafverfahren gegen Täter und Anstifter eröffnet. Das Statut des Internationalen Strafgerichtshofs haben sie zwar unterschrieben, aber nicht ratifiziert, um sich der internationalen Ächtung und Strafe zu entziehen. Das Kriegsvölkerrecht aber enthält den Schlüssel: Es ist universelles Recht und kann in jedem Land verfolgt werden, gleich wo und wer es gebrochen hat. So sieht Neskovic die deutsche Justiz, im Besonderen den Justizminister und den Generalbundesanwalt in der Pflicht, rechtsfreie Räume nicht zuzulassen und Ermittlungs-verfahren gegen Bush, Cheney, Rumsfeld und all die anderen Verdächtigen zu eröffnen, nachdem sich deren „Erfolgsgeschichte“ selbst zerlegt hat.

Bleibt die Frage nach dem Nutzen jener geheimdienstlichen Institutionen, die unsere Werte universeller Menschenrechte billig verkauft haben. Ihr Lügennarrativ hat die Entscheidungen der Politik in den USA wie in Deutschland vorbereitet. Es gilt Bilanz zu ziehen, ob ihre Existenz eher einen Schaden denn einen Nutzen für die Politikberatung bewirkt. Neskovic hält sie für unverzichtbar – und sieht eine Lösung in einer verbesserten parlamentarischen Kontrolle, für die er einen eigenen Gesetzentwurf mit mehr Transparenz mitliefert. Hier folge ich ihm nicht: Geheim und transparent verträgt sich nicht. Im Staat folgt das Recht der Macht – und der Staat seinen Interessen.

Die Geschichte der deutschen Sicherheitsbehörden ist eine Geschichte von Skandalen und rechtsstaatlicher Verwahrlosung. Eine Bindung an Recht und Gesetz, wie sie für jede staatliche Gewaltausübung in unserem Rechtsstaat gilt, ist dort weit und breit nicht erkennbar. Die Mittel des Staatsschutzes sind nicht Information, sondern Desinformation, nicht Wahrung der Verfassung, sondern Schutz der Interessen des Staates. Die Skandale seiner Präsidenten, die braune Vergangenheit vieler MitarbeiterInnen, der „Schmücker-Mord“, das „Celler Loch“ bis hin zur aktuellen „NSU-Affäre“, wo der hessische Ministerpräsident zuletzt im Verdacht steht, den Staatsschützer Andreas T. zu schützen, der beim Mord an Halit Yozgat in Kassel möglicherweise im dienstlichen Auftrag anwesend war – der Geheimdienst war selten auf Seiten des Rechts, eher auf Seiten des Rechtsbruchs, wenn es galt zu vertuschen und zu verbergen, zu zersetzen und zu behindern. Die Humanistische Union fordert deshalb zusammen mit anderen zu Recht, den Staatsschutz in dieser Form abzuschaffen. Für eine derart auf Rechtsbruch abonnierte Institution ist kein Platz in einem Rechtsstaat. Eine neue Sicherheitsarchitektur der Geheimdienste ist auch nach einer Reform zwangsweise immer noch eine unüberwindliche Sollbruchstellen des Rechts. Die Sicherheitsbehörden sind nicht „Teil der Lösung“, sondern bleiben „Teil des Problems“ – von Amts wegen unfähig, sich den Zwängen des Rechts unterzuordnen.

„Wer Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, wird schließlich beides verlieren“ dieses Wort wird US-Präsident Benjamin Franklin zugeschrieben – seine Nachfolger im Amt haben es bis heute nicht vernommen, geschweige denn seinen Sinn erkannt. Und diesseits des Atlantiks bleibt es für die Insolvenzverwalter der „westlichen Werte“ wohl nur ein Aphorismus.

Der CIA-Folter Report – Hg. Wolfgang Neskovic im Westend Verlag GmbH, Frankfurt/Main 2015 – 18,00 €


[«*] ALBERT KLÜTSCH, Jahrgang 1944, Richter am Arbeitsgericht a.D., Rechtsanwalt, Schauspieler und Autor („Auf der Suche nach dem Mythos Mekong“, 2010), war Abgeordneter des Landtags NRW von 1980 bis 1990 und rechtspolitischer Sprecher seiner Fraktion. der-schauspieler.de

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