Berichte und Kommentare zu den Vorlesungen von Professoren – Beispiel Münkler: Nachahmenswert oder geleitet von „antisemitischem Muster“?

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

In Berlin tobt ein Kampf um einen Studentenblog, der sich Münkler-Watch nennt und regelmäßig von Vorlesungen des Politikwissenschaftlers Herfried Münkler berichtet und diese kommentiert. Münkler fühlt sich diffamiert. Die Aktion erinnert den Professor an hochschulpolitische Vorgänge des Jahres 1933. Münkler-Watch antwortet auf den Antisemitismus-Vorwurf. – Es geht um vieles mehr. Näheres ergibt sich aus der weiter unten dokumentierten Mail der Macher des Blogs. Die positive und nachahmenswerte Seite des Vorgangs: Es ist verdienstvoll, wenn das Netz genutzt wird, um über Vorlesungen zu berichten und diese auch zu kommentieren, vorausgesetzt, das geschieht fair. Die kritische Seite: Das Team von Münkler-Watch arbeitet anonym. Das ist ohne Zweifel ein Problem. Wir sind zur Abwägung gezwungen. Albrecht Müller

Sie finden zunächst in der Anlage unten die Mail von Münkler-Watch an [email protected] vom 22. Mai. Dort wird der Disput zu Ihrer Information ausgebreitet. Wenn Sie mit dem Thema noch nicht befasst waren, Sie sich aber für den Vorgang interessieren, dann sollten Sie sich bitte diese Anlage ansehen.

Vorweg ein paar kurze Anmerkungen erstens zum Vorbildcharakter des Unternehmens und zweitens zur Problematik:

  1. Vorbild Münkler-Watch
    Es gibt in Deutschland eine große Zahl von Professoren, deren Leistung und Kontrolle es gut täte, wenn sich eine Gruppe von Studentinnen und Studenten fände, diese Vorlesungs- und Übungsleistung für eine größere Öffentlichkeit offen zu legen und zu kommentieren. Bei manchen ist das geradezu ein gesellschaftspolitisches Anliegen erster Ordnung. Ich denke dabei an Professor Hans-Werner Sinn oder Professor Raffehöschen oder Professor Nolte und eine Reihe anderer ideologisch geprägter so genannter Wissenschaftler. Wenn diese Personen wüssten, dass notiert wird, was sie sagen, und wenn sie wüssten, dass es um ihre Aussagen eine öffentliche Debatte geben kann, dann kann das ihrer Arbeit nur gut tun. Insofern kann man nur wünschen, dass andere studentischen Gruppen oder Einzelpersonen sich der Mühe unterziehen, über die Vorlesungen strittiger Personen zu informieren und diese auch zu kommentieren.
    Wenn das Berliner Projekt ein solcher Anstoß zur bundesweiten Nachahmung würde, dann ist das begrüßenswert. (es ist klar, dass es solche Projekte schon gibt)
  2. Die Problematik der Anonymität
    Die Berliner Gruppe arbeitet anonym. Sie arbeitet sozusagen im Kollektiv und einzelne Personen treten als Ansprechpartner nicht auf. Das wäre unter normalen Umständen in einer Demokratie nicht zu akzeptieren. Im Schweden der sechziger Jahre zum Beispiel wäre eine solche Anonymität undenkbar. Sie wäre damals aber auch nicht nötig gewesen. Heute kann eine solche studentische Gruppe mit wenigen Ausnahmen nur anonym arbeiten. In Zeiten der Arbeitsplatzknappheit und der ideologischen Verhärtung müssten andernfalls die Mitglieder einer solchen Gruppe mit massiven beruflichen Nachteilen rechnen. So ist die Realität. Leider ist sie so. Deshalb sollte man Verständnis für die Anonymität der Macher haben und nicht dagegen polemisieren, schon gar nicht mit dem Vorwurf des Antisemitismus.

Anlage:

Mail von der studentischen Gruppe Münkler-Watch vom 22.5.2015 an [email protected]

Münkler-Watch antwortet auf den Antisemitismus-Vorwurf

Die Blogger_innen von “Münkler-Watch” sehen sich dem Vorwurf des Antisemitismus ausgesetzt. Prof. Dr. Herfried Münkler äußerte in einem Zeit-Interview, dass er sich an “hochschulpolitische Vorgänge des Jahres 1933” erinnert fühle. Seine Kritiker_innen würden Muster verwenden, die “auch antisemitisch eingesetzt worden” seien. In einem Offenen Brief antwortet die Gruppe nun ihrem Professor.

Sehr geehrter Herr Münkler,

es freut uns, dass Sie laut der Zeit vom 20.5.2015 „gern mit uns sprechen“ würden. Und um uns das mitzuteilen, machen Sie sich sogar die Mühe, ein Interview zu geben. Sie hätten uns doch auch einfach eine E-Mail schreiben können. Wie dem auch sei, wird angesichts Ihres Wünsches nach Kommunikation dieser Offene Brief sicher auf Ihr Wohlgefallen stoßen.

Erinnert Mitschreiben und Kommentieren an 1933?

Erstaunt sind wir jedoch, dass Sie sich als Historiker bei unserer Kritik „an hochschulpolitische Vorgänge des Jahres 1933 erinnert fühlen“. Vermutlich meinen Sie damit ja nicht den Fakt, dass bis auf wenige Hochschullehrer_innen alle anderen einen Eid auf die damals Herrschenden schwörten? Korrigieren Sie uns bitte, wenn wir fälschlicherweise annehmen, dass Sie mit Ihrer Anspielung auf das Vorgehen der nationalsozialistische Deutschen Studierendenschaft verweisen wollen.

Historische Trennstriche

Deshalb unsere Fragen: Fühlen Sie sich angesichts unsererer Kritik ernsthaft an die körperlichen Angriffe und Vorlesungssprengungen der Deutschen Studierendenschaft erinnert? Sehen Sie sich angesichts unserer kritischen Kommentare zu Ihrer Vorlesung ernsthaft an die von nationalsozialistischen Studierenden errichteten Scheiterhaufen der Bücherverbrennungen erinnert? Wir können uns das nicht so richtig vorstellen, dass Sie als historisch sensibilisierter Mensch hier keinen Trennstrich ziehen.

“Asymetrischer Krieg”?

Aber vielleicht erklärt das auch, warum Sie, ebenfalls in “Die Zeit”, mit Bezug auf uns von einem „asymmetrischen Krieg“ reden. Wir jedenfalls können uns nicht erinnern, Bomben gelegt, Geiseln erschossen oder auch nur irgendeine Handlung vorgenommen zu haben, die sich im weitesten Sinne als „Krieg“ beschreiben ließe.

Asymetrie oder Antisemitismus?

Laut der Zeit äußerten Sie: „Der hat viel Geld, wir sind arm. Der hat Einfluss, wir nicht. Das ist ein Muster, das auch antisemitisch eingesetzt worden ist.” Dürfen wir Ihnen kurz die Stelle zeigen, auf die Sie sich anscheinend beziehen? Es ein Textstück aus Münkler-Watch Folge 4, die auf ihre Behauptung über die “asymmetrische Auseinandersetzung” antwortet:

“Die Situation ist absolut asymmetrisch. Auf der einen Seite steht der Prof mit X-tausend Euro Monatsgehalt, der in der Vorlesung uneingeschränktes Rederecht hat und sich kritische Nachfragen explizit verbietet. Zudem hat Münkler wortwörtlich die Macht. Dozierende haben tausendundeine Möglichkeit, Studierenden ohne Beweise und informell das Leben zur Hölle zu machen. Sei es bei all den kleinen Ausnahmen (Reading Journal zu spät abgeben, Unpässlichkeit bei Terminen) die es dann „leider, leider“ nicht mehr gibt, oder miese Behandlung in Veranstaltungen, Auslegungssachen in Klausuren, bis hin zur sprichwörtlichen Ausgeliefertheit in mündlichen Prüfungen – gibt es jede Menge Möglichkeiten, die asymmetrische Machtverteilung in gesellschaftlichen Feld „Universität“ für Subalterne spürbar werden zu lassen. Darüber hinaus hat Münkler super Kontakte zu Medien und Politik und verfügt über die erfolgreiche Inszenierung als Universalgelehrtem, dem sehr viel Glaubwürdigkeit und soziales Prestige entgegen gebracht wird. Auf der anderen Seite stehen eine handvoll Studierenden, mit bestenfalls BaföG, denen als gesellschaftliche und mediale Gestaltungsmittel Blog und Flugblätter zur Verfügung stehen.”

Wollen Sie dieser Charakterisierung der Situation zwischen Ihnen und Studierenden ernsthaft widersprechen?

Instrumentalisierung als Ablenkung?

Oder dient ihr Vorwurf des Antisemitismus nicht eher dazu, vom Wahrheitsgehalt der obigen Zeilen abzulenken?

Nicht mehr gefunden?

Wie auch immer: Es freut uns ehrlich gesagt, dass Sie in dem mittlerweile immensen Umfang unserer Textsammlung nicht mehr Belege für Ihre Antisemitismus-These gefunden haben. In Anbetracht der Tatsache, wie verbreitet antisemitische Gedanken heutzutage im Bürger_innentum sind, sollten die Chancen eigentlich nicht schlecht stehen, mehr zu finden. Zumal uns durch unsere Sozialisation in eben jenem Bürger_innentum wahrscheinlich neben Rassismen und Sexismen auch Antisemitismen mitgegeben worden sind. Das könnte ja zeigen, dass Diskussion und Reflexion doch etwas bringen würden, oder?

Ablenkung: Der nächste Versuch?

Oder bringen Sie Ihre Antisemitismus-These möglicherweise etwa nur in Stellung, weil der Vergleich mit der NSA und der Versuch einer Kommunist_innen-Hatz nicht aufgegangen sind? Aber wäre das nicht eine krasse Relativierung von Antisemitismus, Herr Münkler? Oder wird in Ihren Augen – ganz nach Machiavelli – das Mittel durch den Zweck und den Erfolg gerechtfertigt?

Dürfen wir in Hausarbeiten auch so zitieren?

Wir haben noch eine weitere Frage: Dürfen wir in unseren Hausarbeiten auch so zitieren wie Sie? Ist es in Ordnung, wenn wir aus dutzenden Seiten Text eine Stelle extrahieren und diese dann derart grob paraphrasieren, um unser Urteil zu belegen? Dürfen wir in den Hausarbeiten darüber hinaus, ähnlich wie Sie bei Ihrer Behauptung, wir seien Trotzkist_innen, ganz auf jegliche Belege verzichten? Und wenn Sie das dann kritisieren, dürfen wir auch einfach behaupten, Sie hätten uns missverstanden?

Kein gleichberechtigter Diskurs bei Ungleichheit möglich

Das Sie trotzdem seitenweise in “Die Zeit” ohne all zu viele kritische Nachfragen befürchten zu müssen, ihre nett ausgedrückt groben Paraphrasen unserer Texte wiedergeben dürfen, während unsere explizit als subjektive Wahrnehmungen gekennzeichneten Berichte über ihre Vorlesungen u.a. von der Zeit als unglaubwürdig dargestellt werden, zeigt, wie asymmetrisch unsere Auseinandersetzung ist: Sie können sich sowas einfach erlauben, wir hingegen nicht. Das Beispiel zeigt auch, wie hohl Ihre Forderung und der Apell der Universitätsleitung nach Aufgabe der Anonymität ist. Sie wissen ganz genau um das oben aufgezeigte Machtverhältnis. Vom hohen Roß herab wünschen Sie sich einen Offenen Diskurs. Gleichzeitig mobilisieren Sie die Rechtsabteilung der HU, damit diese uns Probleme machen möge.

Gleichberechtigte Kommunikation kann es nicht geben, solange es keinen gleichberechtigten Zugriff auf gesellschaftliche Ressourcen gibt. Für den Beleg dieser These ist ihr sich hinter ihren diskursiven Möglichkeiten versteckendes Verhalten ein Beweis.

Mit freundlichen Grüßen

Caro Meyer
hu.blogsport.de

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