Der griechische „Privatisierungsfonds“ ein Symbol für den Rückfall in europäische Machtpolitik

Ein Artikel von Niels Kadritzke

Über den Charakter des neuen “Rettungsprogramms”, das der Regierung Tsipras am Montag morgen in Brüssel aufgeherrscht wurde, hat Wolfgang Münchau ein vernichtendes – und leider zutreffendes – Urteil gesprochen. Dem ist nicht viel hinzuzufügen, vor allem was die Politik der Regierung Schäuble-Merkel betrifft, in der sich „Vizekanzler“ Gabriel sich freiwillig in den Koalitions-Beiwagen verzogen hat. Bei den längst aus der Mode gekommenen Motoradrennen der Seitenwagenklasse war die Rolle des Beiwagen-Insassen bekanntlich darauf beschränkt, sich so weit wie möglich aus seiner Kiste zu hängen, damit das Gespann nicht aus der Kurve getragen wird. Man hatte für diesen Beifahrer den Namen „Schmiermaxe“, weil er vor dem Rennen zugleich für die Wartung des Renngeräts zuständig war. Fürwahr ein treffender Begriff für die politische Rolle, die der Sozialdemokratie in der deutschen Innen- und Außenpolitik der Ära Schäuble-Merkel zugewiesen ist. Von Niels Kadritzke.

Münchau beschreibt das, was in Brüssel stattgefunden hat, als Machtpolitik im Stile des 19. Und 20. Jahrhunderts, in denen der Stärkere dem Schwächeren seinen Willen aufzwang. Nichts veranschaulicht diese Machtpolitik besser als eine ganz bestimmte Maßnahme, die in Brüssel beschlossen wurde und von Griechenland umgesetzt werden muss. Ich meine die Konstruktion eines „Privatisierungsfonds“, der durch den Verkauf von öffentlichen Vermögenswerten Einnahmen in Höhe von 50 Milliarden Euro erzielen soll. Betrachtet man diese Erfindung genauer, fallen mehrere Dinge ins Auge.

Der „Privatisierungsfonds“, der Aufguss einer alten Idee

Erstens ist die Idee zugleich ganz neu und ganz alt. Auf die Brüsseler Tagesordnung kam sie ganz überraschend und quasi in letzter Stunde. Sie war weder in den Vorschlägen der Athener Regierung vom 22. Juni noch in der Blaupause der Gläubiger enthalten, die den Griechen am 26. Juni ultimativ präsentiert worden war. Aber die Idee ist zugleich alt, weil es einen solchen Fonds in Griechenland längst gibt: Eine Institution mit dem widersprüchlichen Namen Taiped (Kasse für die Verwertung der privaten Besitztümer der öffentlichen Hand), die für die bereits laufenden Privatisierungen und die Verwaltung der Privatisierungserlöse zuständig war. Diese Institution soll jetzt ein neues „Design“ erhalten, wobei vor allem der Einfluss der Gläubiger-Institutionen erhöht werden soll, die in einem neuen Kontrollorgan (quasi ein Aufsichtsrat) dominieren werden.

Völlig utopische Erwartungen über die Höhe der Privatisierungserlöse

Zweitens fällt die Höhe der Geldsumme ins Auge, die von dieser neuen Taiped beschafft werden soll. Wie die Zahl 50 Milliarden Euro zustande gekommen ist, ist derzeit noch ebenso im Dunkeln wie der Urheber dieser ganzen Idee (der aus gutem Grund in Berlin vermutet wird). Dabei scheint niemanden die Tatsache anzufechten, dass die Gläubiger ihre Erwartungen an die Privatisierungserlöse in den vergangenen Jahren schon x Mal reduzieren mussten. Summen in der Nähe von 50 Milliarden Euro waren bereits 2010 im Gespräch, haben sich aber als völlig utopisch erwiesen. Bislang wurden knapp über 3 Mrd. Euro erzielt, für die nächsten drei Jahre galt die Zahl von 7 Mrd. Euro bereits als optimistisch. Griechische Experten beziffern das Gesamtpotential möglicher Privatisierung auf maximal 20 Milliarden Euro. In welchem Zeitraum die Gläubiger die 50 Milliarden Euro erzielen wollen, ist nicht bekannt. In jedem Fall ist die Zahl utopisch.

Luftbuchungen und Milchmädchenrechnungen

Dieses Faktum wird drittens durch einen Trick überdeckt. Nach griechischen Zeitungsberichten (Kathimerini vom 14. Juli) steht zur Debatte, als „assets“ des Fonds unter anderem „Energievorkommen“ und „Staatsanteile an systemischen Banken“ auszuweisen. Dazu muss man erstens wissen, dass der Wert von „Energiereserven“ in Form von Öl- und Gasvorkommen im Ionischen Meer und in der Ägäis noch völlig unbekannt ist und dass man über die Förderungs- und Vermarktungsmöglichkeiten dieser Bodenschätze derzeit nur spekulieren kann. Noch unbestimmter ist ein zweiter Posten: Was die staatlichen Anteile an den griechischen Banken wert sind, hängt vom weiteren Verlauf der griechischen Krise ab. Derzeit sind die Banken bekanntlich nicht nur illiquide, sondern auch überschuldet, weil 45 Prozent ihrer ausgelegten Kredite als nicht eintreibbar gelten. Wie absurd die Aufnahme dieses „asset“ in die Fonds-Bilanz ist, zeigt die Tatsache, dass 50 Prozent der Erlöse desselben Fonds zur Rekapitalisierung eben dieser Banken vorgesehen sind. Welchen Wert sollen also diese Banken vor ihrer Rekapitalisierung repräsentieren?

Statt Privatisierung um jeden Preis, die Verhinderung von Privatisierungen zu Schleuderpreisen

Viertens stellt sich die Frage, was die Gründung dieses neuen „Superfonds“ an den Preisen ändern soll, die der Verkauf öffentlicher Vermögenswerte derzeit auf dem griechischen Markt erzielen kann. Unter anderem sollen in den Fonds auch die Immobilien überschrieben werden, die die systemischen Banken haben – und die sie nur zu Schleuderpreisen verkaufen können. Die griechischen Banken hassen ihren eigenen Immobilienbesitz, weil sie ihn nicht angemessen versilbern können und weil ein massenhafter Verkauf dieser Werte (die ihnen zumeist aufgrund nicht bedienter Hypotheken zugefallen ist) die Immobilienpreise nur noch weiter drücken würde.

Bei sämtlichen bislang vollzogenen Privatisierungen in Griechenland hat die alte Taiped höchst dürftige Erträge erzielt, die weit unter den Schätzpreisen lagen. Das ist auch kein Wunder, weil in fast allen Fällen am Schluss nur ein Bieter übrig blieb, der den Preis diktieren konnte (Siehe „Der Verkauf von öffentlichen Werten inmitten einer ökonomischen Depression und einer abgrundtiefen Krise der öffentlichen Finanzen ist eine volkswirtschaftliche Untat“). Dies ist der einzige Punkt, an dem ein neu konstruierter Fonds etwas bewirken könnte: indem er Veräußerungen zum Schleuderpreis verhindert, die der öffentlichen Hand keine angemessenen Einnahmen, sondern im Grunde Verluste bescheren. Hier ergibt sich ein merkwürdiger Widerspruch: Wenn der Fonds eine sinnvolle Funktion haben soll, wird er in den nächsten Jahren etliche Privatisierungsprojekte verhindern oder verzögern müssen – also gerade keine erhöhten Einnahmen „um jeden Preis“ gerieren.

Der Finanzierung der Defizite der Rentenkassen aus Privatisierungserlösen soll ein Riegel vorgeschoben werden

Die Idee ist insgesamt also derart unausgegoren und widersprüchlich, dass der erklärte Zweck mit Sicherheit nicht der tatsächlich beabsichtigte ist. Der Fonds soll meiner Ansicht nach ganz andere Ziele erreichen, die sich in dem abschließenden Teil verbergen, der die Verwendung der phantasierten Geldsummen betrifft. Die sollen zur Hälfte der Rekapitalisierung der griechischen Banken dienen (die allerdings sofort ansteht, während die Privatisierungseinnahmen noch gar nicht zur Verfügung stehen!). Sie soll zweitens (zu 25 Prozent) der Schuldenrückzahlung dienen, und drittens für Investitionen zur Verfügung stehen, was sicher sinnvoll ist.

Diese drei Ziele sind ausschließlich definiert, andere Zwecke sind nicht vorgesehen. Deshalb sehe ich in diesem Vorschlag einzig und allein – oder jedenfalls vorwiegend – ein Projekt, das die griechischen Vorstellungen über die Verwendung der Privatisierungserlöse abwürgen soll. Die Regierung Tsipras hat in ihren Vorstellungen über die Finanzierung der Defizite von Rentenkassen genau auf diese Möglichkeit gesetzt: Statt die Kassen aus dem regulären Haushalt zu subventionieren, wolle man – um massive Rentenkürzungen zu vermeiden – die Erlöse der Taiped zum Teil (die Rede war von 25 bis 30 Prozent) an die Rentenkassen überweisen (siehe „Die griechische Krise und das Dilemma der Privatisierungen“). Dieses Projekt wurde mit dem neuen Fonds torpediert. Da dieser ansonsten – wie oben gezeigt – ein völlig unausgereiftes und widersprüchliches Projekt ist, scheint mir dies der einzige Sinn und Zweck des neuen Privatisierungs-Fonds zu sein. Er soll garantieren, dass die Rentenkassen auf keinen Fall aus irgendeiner anderen Quelle – jenseits ihrer eigenen Beitragseinnahmen – subventioniert werden darf.

Hinweis WL: Klaus Ernst (MdB) berichtet über Facebook: „Schäuble hat in seinem Grexit-Papier unter anderem vorgeschlagen, 50 Mrd. griechischen Besitz an die “Institution for Growth” (IfG) zu übertragen. Die IfG ist eine Tochter der KfW. Der Vorsitzender der KfW ist Schäuble selbst.“
Wenn das zuträfe würde aus einem politischen noch ein persönlicher Skandal.

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Aktuelles Griechenland Privatisierung Rente

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