„Sozialausgaben auf Rekordhoch gestiegen“ – Lügen mit Zahlen

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Sozialausgaben erreichten 2014 mit 849,2 Milliarden Euro eine „Rekordmarke“, einen „historischen Höchststand“ oder ein „Rekordhoch“. Mit solchen Superlativen wurde gestern in vielen Medien eine Meldung aus der Bild-Zeitung kritiklos übernommen. Um 3,8 Prozent seien die Sozialausgaben seit 2013 (damals 818 Milliarden Euro) gestiegen. Die Botschaft solcher Rekordmeldungen in Springers Bild sollte wohl sein: Der Sozialstaat in Deutschland wird immer teurer, ja sogar unbezahlbar.
Zum Alarmschlagen besteht jedoch keinerlei Anlass. Ob das Leistungsniveau „hoch“ ist, lässt sich sowohl in der Zeitabfolge als auch im Vergleich zu anderen Ländern sinnvoller Weise nur beurteilen, wenn man die Sozialleistungen in Beziehung zum zentralen Indikator für die Leistungskraft eines Landes setzt, nämlich dem Bruttoinlandsprodukt. Gemessen am BIP machten die Sozialausgaben im Jahre 2014 einen Anteil von 29,2 Prozent aus. Seit der Neuberechnung des Sozialbudgets im Jahre 2009 ist in Wirklichkeit der Anteil gesunken – so auch im Jahr 2014. Im Übrigen werden die Sozialausgaben zu nahezu zwei Dritteln aus Sozialbeiträgen an die Versicherungsträger finanziert und nur zu einem guten Drittel aus Staatszuschüssen. Von Wolfgang Lieb

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Schaut man allein auf den absoluten Betrag, so gab es seit 1960 mit zwei Ausnahmen jedes Jahr einen „Höchststand“.

(Das war schon allein der Inflation geschuldet. Besonders groß war der Anstieg nach der deutschen Einheit. Quelle: Sozialbudget 2013, Bundesministerium für Arbeit und Soziales (Tabelle I-1, S. 8) [PDF])

Der Informationswert der absoluten Höhe der Sozialausgaben ist also ziemlich gering. Ein aussagekräftigerer Indikator, ob das Leistungsniveau „hoch“ oder „niedrig“ ist, ist das Verhältnis zwischen Sozialleistungen und wirtschaftlicher Leistungskraft, also dem Bruttoinlandsprodukt. Nimmt man die sog. Sozialleistungsquote als Vergleichsmaßstab, so zeigt sich, dass der Anteil der Sozialausgaben am BIP mit 29,2 Prozent im Jahr 2014 gegenüber den Vorjahren sogar gesunken ist.

Siehe die Sozialleistungsquote in Deutschland 1991 – 2013

Sozialleistungsquote in Deutschland 1991 - 2013

Quelle: Sozialbudget 2013, Bundesministerium für Arbeit und Soziales (S. 7) [PDF]

(Siehe auch den Hinweis a.a.O.: Die hohe Sozialleistungsquote 2009 ist in erster Linie Folge der durch die Finanzmarktkrise gesunkenen Wirtschaftskraft verbunden mit höheren Ausgaben im Bereich des SGB II und des SGB III. Dazu kommt die erstmalige Berücksichtigung der Grundleistungen der privaten Krankenversicherung ab 2009…. Aufgrund dieser methodischen Änderung sind die Quoten vor und ab 2009 nicht miteinander vergleichbar.)

Zumal wenn solche Rekord-Meldungen in Springers Bild-Zeitung erscheinen, darf man davon ausgehen, dass die politische Absicht verfolgt wird, Sorge, wenn nicht sogar Angst vor dem immer teurer und damit nicht mehr bezahlbaren Sozialstaat zu schüren.

Sonst würde man nämlich z.B. die Finanzierung der Sozialleistungen aufteilen, nämlich in Leistungen der von Arbeitnehmern- und Arbeitgebern beitragsfinanzierten Versicherungsträger (also der selbständigen Renten- und Krankenversicherungsträger) und den Zuschüssen des Staates (aus Steuergeldern) zu diesen Sozialkosten. Über die Jahre wurden über die privat finanzierten Sozialbeiträge an die zwei Drittel der Sozialleistungen gedeckt werden und Zuschüsse des Staates machten nur ein gutes Drittel aus [PDF].

Neben den Ausgaben für Kindertagesstätten und Betreuungsgeld wuchsen vor allem Sozialhilfeleistungen, Wohngeldzuschüsse für Hartz IV-Empfänger und die Lohnfortzahlungen im Krankheitsfall. Die Ausgabensteigerungen sind also entweder politisch gewollt oder aber Ausdruck von Verarmung und – bei längerer Krankheit – Folge von Mehrbelastungen.
Vor allem von konservativer Seite wird immer wieder behauptet, der deutsche Sozialstaat sei im Vergleich zu anderen Ländern zu aufgebläht. Auch diese Behauptung gehört in den Bereich der politischen Propaganda. Deutschland liegt zwar im Vergleich der Sozialleistungsquoten knapp über dem EU-Durchschnitt, eine ganze Reihe unserer europäischen Nachbarn, etwa Österreich, die Niederland, Dänemark, Belgien, Schweden oder Frankreich weisen ein höheres Sozialschutzniveau aus.

Sozialschutzquoten EU 2007

Quelle: Sozialpolitik aktuell [PDF]

Nebenbei bemerkt: In Schweden werden die Sozialleistungen in viel größerem Maße durch staatliche Zuschüsse gedeckt. Das hat offenbar der Wirtschaftskraft dieses Landes nicht geschadet; das Wirtschaftswachstum lag nicht nur im letzten Jahr mit 2 Prozent höher als in Deutschland mit 1,5 Prozent.

Siehe insgesamt zur Finanzierung des Sozialstaates: Sozialpolitik aktuell in Deutschland, IAQ an der Universität Duisburg Essen

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