Das Handelsblatt missbraucht Umfrage zur politischen Stimmungsmache

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Mehr als zwei Drittel der Studierenden befürworten Studiengebühren, so titelt das Handelsblatt am 5. April einen Beitrag über eine Exklusiv-Umfrage. Die Daten sagen das Gegenteil: 57,4% sind für die Studiengebührenfreiheit wie sie im Hochschulrahmengesetz gesichert ist.

„40 % der Befragten können sich Gebühren schon für das Erststudium vorstellen – der größte Teil von ihnen nach Ablauf der Regelstudienzeit. Weitere 30% sagen, Gebühren sollten erst für das Zweitstudium erhoben werden.“ 70 Prozent, also „mehr als zwei Drittel“ der befragten Studierenden sprächen sich „für die Einführung von Studiengebühren“ aus, so interpretiert das Handelsblatt auf seiner Internetseite vom 5. April 2004 eine exklusive Umfrage des Düsseldorfer Meinungsforschungsinstituts Innofact.
Die Autoren Barbara Gollmann und Christoph Moss sehen im Vergleich zu früheren Umfragen einen Trend zu einem „aufgeschlosseneren Umgang“ der Studierenden mit dem Thema Studiengebühren bestätigt und loben deren „grundsätzliche Reformbereitschaft“. Sie erwarten, dass das Bundesverfassungsgericht die Regelung zur Studiengebührenfreiheit im Hochschulrahmengesetz kassieren wird. Sie gehen (richtigerweise) davon aus, dass die Union bereits in den Startlöchern zur Einführung der Gebühr steht und dass sich auch die Grünen damit anfreunden. Nur die SPD halte noch am Gebührenverbot des Hochschulrahmengesetzes fest, aber die Autoren geben auch da die Hoffnung nicht auf : „Junge Sozialdemokraten sind jedoch für Studiengebühren“. Wenn also sich jetzt sogar zwei Drittel der Studierenden für die Einführung von Studiengebühren ausspricht, dann müsste doch endlich auch die SPD das „Dogma des Verbotes“ aufgeben, so wird suggeriert.

Schon die Sprache ist suggestiv: Die Regelung der Studiengebühren-„Freiheit“ im § 27 Abs. 4 HRG, ein Gesetz, das das Grundrecht auf „freie“ Wahrnehmung des Rechts auf Bildung und auf „freie“, chancengleiche Berufswahl sichern soll – eine Freiheitsgarantie also – wird von den Autoren als „Dogma des Verbots“ denunziert.

Ist die Sprache schon suggestiv, so ist der Umgang der Autoren mit den Daten der Umfrage geradezu manipulativ:
28, 3 % der Befragten sind nach „Innofakt“ der Meinung, dass grundsätzlich keine Studiengebühren erhoben werden sollten.
29,1% sind der Meinung, dass Studiengebühren erst für das Zweitstudium erhoben werden sollten.
Das heißt: 57,4% der Studierende sprechen sich genau für die Regelung aus, wie sie im Hochschulrahmengesetz festgeschrieben ist. Dort heißt es: „Das Studium bis zum ersten berufsqualifizierenden Abschluss und das Studium in einem konsekutiven Studiengang, der zu einem weiteren berufsqualifizierenden Abschluss führt, ist studiengebührenfrei.“
Für die wenigen Studierenden, die ein Zweitstudium nach ihrem Erststudium anschließen, steht es schon jetzt jedem Land frei, Gebühren zu erheben.
Die überwiegende Mehrheit der Studierenden ist also keineswegs für eine Gesetzesänderung und schon gar nicht für die Einführung einer Studiengebühr für ein Erststudium bis zum Diplom oder für einen konsekutiven Studiengang bis zum Master-Abschluss.
Nur 7,6% der Studierenden sind für eine generelle Einführung von Studiengebühren und 33,6% können sich eine Gebühr nach Ablauf der Regelstudienzeit vorstellen. Das ist nach wie vor eine Minderheit.

Interessant ist an der Umfrage noch, dass die höchsten Zustimmungswerte von denjenigen Studierenden kommen, die in der Promotion stecken oder ihr Studium abgeschlossen haben, nämlich zwischen knapp 67 und 80%. Diejenigen die angaben, noch nicht zu studieren, lehnen Studiengebühren für das Erststudium zu über 88% ab. Das könnte einmal mehr zeigen, dass Studiengebühren gerade für die Studienanfänger eine Barriere zur Aufnahme des Studiums bedeuten. Dass so viele mit einem abgeschlossenen Studium Sympathien für Studiengebühren zeigen, mag ein Hinweis darauf sein, wie sich das individualistische Denken in unserer Gesellschaft ausbreitet: Man genießt die gesellschaftliche Unterstützung, die man mit einem gebührenfreien Studium erhalten hat und lädt anschließend die Last der Solidarität gerne auf die Jüngeren ab.

Umfragen werden in der politischen Auseinandersetzung häufig genutzt, um Stimmung für politische Ziele zumachen.
Die Einführung von Studiengebühren ist für die Vertreter der Markgesellschaft ein wichtiges Ziel. Sie ist ein Hebel für einen Paradigmenwechsel, der in der Sozialpolitik schon stattgefunden, nun auch in der Bildungspolitik: Der Wechsel von solidarischen Lösungen gesamtgesellschaftlicher Aufgaben hin zu individualistischen. Eine wissenschaftlichen Ausbildung, die bisher als öffentliches, gemeinnütziges Gut und als Grundvoraussetzung dafür angesehen wurde, dass unsere Gesellschaft die Herausforderungen der Zukunft erfolgreich meistern kann, soll künftig als privates Investment in die persönliche Karriere behandelt werden. Bildung gilt nicht mehr als Grundrecht, sondern soll einen „Preis“ bekommen – für den, der sie sich leisten kann und will.
Studiengebühren sind ein strategisch wichtiges Element einer fortschreitenden Verbetriebswirtschaftlichung der Strukturen und der Inhalte der Hochschulen und der Wissenschaft zum Schaden der gesamten Volkswirtschaft und zum Schaden für die demokratische Kultur.
Weil bekannt ist, dass sich die studentischen Proteste vor dem Jahreswechsel auch gegen die Einführung von Studiengebühren richtete, muss nun der öffentliche Eindruck geschaffen werden, die überwiegende, „schweigende Mehrheit“ der Studierenden sei für die Gebühr. An dieser Manipulation der öffentlichen Meinung wirkt das „Handelsblatt“ leider kräftig mit.