Langsam fliegt der Riester-Renten-Schwindel auf

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

Gestern berichtete „Monitor“ davon, dass Geringverdiener vermutlich von einer Riester-Rente wenig haben werden, wenn sie im Alter die Grundsicherung in Anspruch nehmen müssen. Nähere Informationen hier und hier. In „Zeit online“ erschien gleichzeitig ein Bericht über eine Studie des Berliner Finanzwissenschaftlers Giacomo Corneo, wonach „höhere Riester-Förderquoten bei den Niedrigeinkommensbeziehern … weder den Anteil der sparenden Haushalte in dieser Gruppe noch ihre Sparquote erhöhen. Somit scheint die Riester-Förderung für erhebliche Mitnahmeeffekte anfällig zu sein.“ Soweit wörtlich aus der Studie selbst, die Sie als PDF Datei hier abrufen [364 KB] können. Über die späten Erkenntnisse dieser Studie und den Bericht bei „Zeit online“ kann ich nur mit Verachtung schreiben. Denn das konnte man alles vorher wissen. Albrecht Müller.

Wenn Sie den Beitrag von Heiner Flassbeck in Financial Times Deutschland vom 9.12.2000 (!) mit dem Titel „Subventioniertes Sparen – In der Rentenpolitik werden die ehernen Grundsätze gesunder Haushaltspolitik über Bord geworfen“ [PDF – 16 KB] und den Text des Denkfehlers Nr. 7 „Jetzt hilft nur noch private Vorsorge“ in meinem 2004 erschienenen Buch „Die Reformlüge“ nachlesen, dann wissen Sie alles, was jetzt in der als neu verkauften Studie des Finanzwissenschaftlers der FU präsentiert und von „Zeit online“ als ziemlich überraschend dargestellt wird. Auch den Text des Denkfehlers Nr. 7 hatten wir in den NachDenkSeiten schon im Januar 2005 eingestellt. In der Reformlüge finden Sie den entsprechenden Text auf Seite 126 bis 140 und besonders Einschlägiges auf Seite 133.

Zumindest Heiner Flassbeck und mich überrascht nichts an dem, was die neue Studie ans Licht gebracht hat. Dass der Berliner Professor „staunte“ und dass er und/oder der Redakteur der Zeit das Ergebnis „verblüffend“ fand, sagt mehr über den Zustand der deutschen Wirtschaftswissenschaft und der deutschen Medien als über die Riester-Rente.

Man konnte mit ein bisschen Verständnis für gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge und ein bisschen Einsicht in die Lebensumstände wenig verdienender Familien wirklich alles wissen:

  • Man konnte wissen, dass Familien und Personen mit niedrigem Einkommen die Riester-Rente und ihre Förderung kaum in Anspruch nehmen können, weil sie gar kein Geld übrig haben. In den NachDenkSeiten haben wir dieses vermutlich schon Dutzende Male geschrieben.
  • Man konnte vor Verabschiedung der Riester-Rente im Jahr 2001 wissen, dass Sparer ihre Vermögensanlagen einfach umschichten werden und deshalb überhaupt nicht sicher ist, dass mehr gespart wird. Ich zitiere dazu die entsprechende Passage aus der „Reformlüge“:

    Wenn wir aber gesamtwirtschaftlich denken und dabei beachten, was sich ändern könnte, wenn einer beschließt, Geld für die private Vorsorge zu zahlen, und welche Konsequenzen die Entscheidung des jungen Arbeitenden haben könnte, dann kommen wir möglicherweise zu einer ganz anderen Bewertung. Das hat verschiedene Gründe:

    1. Woher nimmt der junge Mensch das Geld für die monatlichen Zahlungen?
      Er könnte mehr sparen, wenn er das Geld für sich und seine Familie nicht braucht – dann würde er die volkswirtschaftliche Sparquote nach oben zu schieben helfen. Er könnte auf andere Formen des Sparens verzichten, also ein Sparkonto auflösen, Aktien verkaufen, was auch immer. Er könnte auch Schulden machen, um die Riesterrente zu bezahlen. Nur im ersten Fall ergibt sich ein Kapitalzuwachs. Dieser Fall dürfte aber heute selten sein, was man übrigens schon daran sieht, welche geringen Ergebnisse die Riesterrente zeitigt. Viele Menschen haben einfach kein Geld für Privatvorsorge.

    Heiner Flassbeck weist mit Recht daraufhin, dass selbst dann, wenn der Riester-Sparer nicht nur Vermögensanlagen umschichtet, nicht sicher ist, dass die volkswirtschaftliche Sparquote steigt, wie ich noch freundlicherweise unterstellt habe.

  • Man konnte wissen, dass „die Förderung in erster Linie Mitnahmeeffekte“ hat, wie der Berliner Ökonom jetzt feststellt.

Warum werden diese Wissenschaftler jetzt erst schlau? Warum bedarf es neuer Studien, um Selbstverständlichkeiten herauszufinden?

Das hat viel damit zu tun, dass die große Mehrheit der deutschen Wirtschaftswissenschaft, der Politik und der Medien von der Finanzindustrie gekauft ist. Darüber haben wir in den NachDenkSeiten schon häufig berichtet. Ich verweise auf einfache Zahlen, die erklären, warum die Versicherungswirtschaft und die Banken eine massive Lobbyarbeit betreiben:

Privatisierung lohnt sich für die Lebensversicherungswirtschaft

Das sind die Zahlen aus dem Jahr 2002, als es mit der Riester-Rente begann. Die Lebensversicherungskonzerne konnten sich damals ausrechnen, dass sie ein Umsatzplus von 16 Milliarden in jedem Jahr erreichen werden, wenn es ihnen gelingt, nur 10% der Beiträge von der gesetzlichen Rente auf ihre Mühlen umzulenken.

Ein solcher Umsatzzuwachs und die damit verbundenen Gewinne geben enormen Spielraum für Lobbyarbeit und politische Korruption. Walter Riester hat laut Veröffentlichung des Deutschen Bundestags mindestens 181.000 € für Vorträge und andere Leistungen im wesentlichen von der Finanzindustrie eingenommen. Siehe dazu unseren Eintrag im kritischen Tagebuch vom 6. Juli 2007:

„Wg. Riester: Die mit 22 mal mindestens 7000 € erkaufte Zerstörung der sozialen Rentenversicherung.“

Der Vorsitzende des Sachverständigenrates und Rentenexperte Bert Rürup erhält fünfstellige Honorare für einen Vortrag. Das entspricht für einen Abend dem Jahreseinkommen mancher Geringverdiener. Reihenweise haben sich auch andere Wissenschaftler bei der Finanzindustrie verdingt.

Die Politik hat mithilfe der Wissenschaft und der Medien systematisch das Vertrauen in die gesetzliche Rente zerstört – vor allem mit Entscheidungen, die die Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Rente reduzierten, und mit Subventionen für die Privatvorsorge.

Die Politik hat mithilfe der Wissenschaft und der Medien systematisch das Vertrauen in die gesetzliche Rente zerstört

Auch darüber haben wir schon oft berichtet.

Im Artikel in „Zeit online“ wird die Renditesituation der Riester-Renten aus meiner Sicht zu rosig dargestellt. Vor allem fehlt jeder Hinweis auf die enormen Kosten der Privatvorsorge-Modelle. Auch hierzu eine Übersicht:

Betriebskosten der Altersvorsorgesysteme

Diese Kosten werden von den eingezahlten Prämien abgezogen. Nur der Rest „arbeitet“ für die Rente der Riester-Sparer. Da müssen die Renditen schon hoch sein.
In dem Artikel ist leider auch nicht die Rede von den Risiken, die etwa dadurch entstehen, dass die Kurse an der Börse zurückgehen oder die Finanzinstitute z.B. in faule Kredite in den USA investiert haben.

Der Artikel in „Zeit online“ bringt allerdings eine Neuigkeit: die jährlichen Steuerausfälle für die Riester-Rente werden für das Jahr 2009 nach Schätzungen der Bundesregierung auf 12,5 Milliarden € veranschlagt. 12,5 Milliarden vor allem für die Besserverdienenden, 12,5 Milliarden zu viel.

Die einzig vernünftige politische Linie wäre, das Vertrauen in die gesetzliche Rente wiederherzustellen, und das heißt vor allem, ihre Leistungsfähigkeit auch künftig zu sichern. Das wäre mindestens so leicht möglich wie der Umweg über die Privatvorsorge. Dieser stellt nämlich volkswirtschaftlich betrachtet eine riesige Verschwendung dar.