Der Bewusstseinswandel der Bevölkerung im Hinblick auf die freiwillige Angabe persönlicher Daten

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Millionen Bürger geben in Internetplattformen völlig sorglos Personalien, Gewohnheiten und private Fotos von sich preis. Der Trend der Konsumenten geht zur Kundenkarte, so trägt laut Statistik jeder Deutsche heute im Durchschnitt 4,5 Kundenkarten im Portemonnaie, Tendenz steigend. Der Kunde offenbart damit automatisch detaillierte Auskünfte über sein persönliches Kaufverhalten und wird inzident zum Datenlieferanten und zur Zielscheibe zielgerichteter Werbung. Dies ist ein neues Phänomen, wenn man bedenkt, welch vehemente Proteste noch die Volkszählung in den 1980er Jahren in der Bevölkerung ausgelöst hat, weil Bürger nicht bereit waren eine Vielzahl persönlicher Daten anzugeben. Der Wert des seinerzeit vom Verfassungsgericht hervorgehobene “Recht auf informationelle Selbstbestimmung” scheint nun vollkommen ignoriert zu werden. In den letzten 25 Jahren hat sich ein Bewusstseinswandel in der Bevölkerung vollzogen, der nur schwer nachvollziehbar ist, Skepsis und Widerstand im Hinblick auf unkontrollierte Datenverwendung sind praktisch nicht mehr vorhanden. Von Christine Wicht

25 Jahre später ist das Bewusstsein ein vollkommen anderes

Der Volkszählung sind seinerzeit heftige Proteste aus der Bevölkerung vorausgegangen. Nach Bekanntgabe der Fragebögen bildete sich massiver Widerstand in der Bevölkerung. Die Ausführlichkeit der Fragebögen löste in der Bevölkerung Angst vor dem “Gläsernen Bürger” aus. Im Gegenzug wurde von den Kritikern ein “Gläserner Staat” gefordert. Die Grünen stimmten im Bundestag gegen das Vorhaben und riefen zum Boykott auf. Nach den Bestimmungen des Volkszählungsgesetzes war ursprünglich geplant, 1981 eine Volkszählung durchzuführen. Mit der Erfassung der Daten sollten Beamte oder Beauftragte der öffentlichen Verwaltung die Bürger an der Haustür befragen. Gegen dieses Vorhaben wurden mehrere Verfassungsbeschwerden erhoben. Das Bundesverfassungsgericht stellte in seinem Urteil vom 15. Dezember 1983 fest, dass zahlreiche Vorschriften des Volkszählungsgesetzes erheblich und ohne Rechtfertigung in die Grundrechte des Einzelnen Bundesbürgers eingreifen. Das Bundesverfassungsgericht erkannte das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als ein Grundgesetz geschütztes Gut an. Dies gibt dem Bürger das Recht, grundsätzlich selbst darüber zu bestimmen, welche seiner persönlichen Daten er preisgeben möchte. Schon mit der Formulierung “grundsätzlich” wird deutlich, dass es persönliche Daten geben kann, über deren Freigabe der Einzelne nicht selbst entscheiden kann. Der Einzelne muss in erster Linie davor geschützt werden, dass seine persönlichen Daten unbegrenzt erhoben, gespeichert, verwendet und weitergegeben werden.

Wo bleibt der Widerstand aus der Bevölkerung?

Betrachtet man den Entwicklungsverlauf welche Widerstände zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts geführt haben, dann ist es mehr als verwunderlich, dass der Bürger heute anscheinend keinen Wert mehr darauf legt, dass seine persönlichen Daten eben nicht unbegrenzt gespeichert, verwendet und weitergegeben werden. Ganz im Gegenteil, eine steigende Zahl der Bürger ist geradezu begierig darauf, intimste Angaben über ihr Leben aus freien Stücken preis zu geben. Staatliche Datensammlungen unterliegen wenigstens einer gesetzlichen und demokratischen Kontrolle. Unternehmen hingegen können Daten an Dritte verkaufen oder in Länder, in denen kein oder nur ein laxer Datenschutz existiert, verarbeiten. Wo bleibt hier der Aufstand im Volk? Es geht keine Welle der Entrüstung mehr durch die Bevölkerung, ein Großteil der Bürger scheint sich damit abgefunden zu haben, dass die Abfrage der Daten, sei es nur die Postleitzahl an der Kasse eines Geschäfts, mittlerweile zu unserem Leben gehört und gibt bereitwillig Auskunft am Telefon auf die Fragen ominöser Institute über Einkommen, Familienstand oder gar Geldanlagegewohnheiten, Meinungen und Interessen.

„Auskunfteien“ ermitteln wirtschaftsrelevante Daten für einen Auftraggeber, der eine staatliche Behörde, aber auch ein privater Auftraggeber sein kann. Quellen, aus welchen sie ihre Informationen beziehen, sind beispielsweise Register, Befragungen an der Haustür oder am Telefon. Der Datenschutzbeauftragte der Bundesregierung, Peter Schaar, hat zum Thema “Auskunfteien sammeln immer mehr Daten über jeden Einzelnen von uns. Welche Rechte hat der Betroffene dabei? Welche Pflichten müssen Auskunfteien beachten?” Informationen ins Netz gestellt, die man abrufen kann unter: www.bfdi.bund.de

Dabei geht Peter Schaar unter anderem geht er auf folgende Fragen ein:

  • Dürfen an die SCHUFA personenbezogene Daten nur mit Einwilligung des Betroffenen übermittelt werden?
  • Bleiben die Daten für immer in der SCHUFA?
  • Habe ich Anspruch auf Auskunft über die zu mir gespeicherten Daten?
  • Was ist ein Scorewert?
  • Habe ich einen Anspruch gegenüber der Auskunftei oder meiner Bank
    auf Auskunft über meinen Score-Wert?

Studentenverzeichnis StudiVZ

Einer der erfolgreichsten Sammler von Daten einer lukrativen Gesellschaftsgruppe ist das Kommunikations-Netzwerk studiVZ (Studentenverzeichnis). Es wurde im Oktober 2005 gegründet und hat eigenen Angaben zufolge im deutschsprachigen Raum ca. 4 Millionen registrierte Mitglieder. Es wurde entworfen, um Studenten kostenlos eine Austauschplattform zu bieten. Mittlerweile gibt es auch eine Plattform für Schüler, SchülerVZ, die rund 2 Millionen Mitglieder zählt. Eine weitere Austauschmöglichkeit für junge Leute im Internet auf lokaler Ebene bietet beispielsweise die Internet-Community “Die Lokalisten”, deren Mitgliederzahl sich auf 1,6 Millionen beziffert. Eine Vorstellung warum jemand persönliches, privates oder intimes nicht preisgeben möchte, ist immer weniger vorhanden. Die Wahrung der Privatsphäre stößt eher auf Unverständnis. Der soziale Druck, in einem Netzwerk Mitglied zu sein, ist groß. Wer nicht Mitglied ist, wird zum Außenseiter. Nach der Devise “Ich habe nichts zu verbergen”, gilt unter den Mitgliedern auch der Umkehrschluß: “Was hat jemand zu verbergen, der nicht Mitglied im Netzwerk ist?”

Entwicklung studiVZ

Gegründet wurde studiVZ von Ehssan Dariani von der Universität St. Gallen, Dennis Bemmann von der HU Berlin und Michael Brehm von der WHU Vallendar, als Private Limited Company mit Sitz in Birmingham und einer Zweitniederlassung in Berlin. Im August 2007 wurde Marcus Riecke, ehemaliger Nordeuropachef von eBay, CEO des Netzwerks, Dennis Bemmann ist CTO geblieben. Hinzu kam der Geschäftsführer Michael Brehm (COO), der zu diesem Zeitpunkt noch Analyst bei der Investmentbank Merrll Lynch war. Die Idee eines Studentennetzwerks ist nicht neu. Vorreiter war das US-Portal Facebook, das mittlerweile 11 Millionen Studenten als Mitglieder zählt. Zu den Investoren von studiVZ gehören die Brüder Samwer, die das Internet-Auktionshaus alando.de gegründet haben, das sie ein halbes Jahr später an eBay verkauften. Kurz darauf stellten sie den größten europäischen Anbieter von Klingeltönen “Jamba” auf die Beine, der vom US-amerikanischen Konzern VeriSign übernommen wurde. Spiegel-Online berichtet aktuell, dass die Brüder Samwer als Investoren bei Facebook eingestiegen sind (www.spiegel.de). Meist beginnen diese Art Foren als nicht kommerzielle Gemeinschaft. Bei ständig steigenden Nutzerzahlen wird die Plattform jedoch lukrativ und und zieht potentielle Geldgeber an.

studiVZ – Bist Du schon drin?

Nach Auskunft des Unternehmens sind Daten wie Namen, Fotos, Uni für alle Nutzer einsehbar. Nur sensiblen Daten, wie Mobilfunknummer, Adresse und andere persönliche Daten seien geschützte Profildaten. Der Nutzer habe die Möglichkeit, bei der Angabe der Daten die Option “Wer darf meine Seite sehen” zu entscheiden, wer einen Blick auf seine Seite werfen darf. Der Profilbetreiber jedoch hat die Daten und kann über sie verfügen und gegebenenfalls eine Auswertung vornehmen. Die Mitteilung über Lücken im Sicherheitssystem und den Verkauf an die Verlagsgruppe Holtzbrinck für 85 Millionen Euro war dem Vertrauen der Nutzer nicht gerade dienlich, weil mit der Holtzbrinck-Gruppe ein Geldgeber eingestiegen ist, der die Daten für Eigeninteressen nutzen könnte. Ein gewisses Unwohlsein macht sich unter den Nutzern breit, denn die Daten wurden zu einer Zeit von ihnen ins Netz gestellt, als studiVZ noch nicht kommerziell war. Es bleibt abzuwarten, wie und in welchem Umfang die Daten künftig von den Betreibern genutzt werden. Ähnlich erging es auch den Nutzern des Portals der “Lokalisten”, die zunächst ohne kommerziellen Hintergrund betrieben wurden.

Die Lokalisten

Dazu zählen überwiegend Nutzer aus dem Münchner Raum. Die Serververwaltung und das Hosting werden vom Internet Provider SpaceNet AG unterstützt. Seit dem 17. Oktober 2006 ist die ProSiebenSat.1 Media AG mit 30 Prozent an den Lokalisten beteiligt. Der Vorstandsvorsitzende der ProSiebenSat.1 Media AG, Guillaume de Posch, sagte: “Das Social Network ist eine optimale Ergänzung unserer Online-Welt”. Zu den Investoren der Lokalisten gehört die Beteiligungsgesellschaft der Brüder Samwer, die European Founders Fund GmbH, die ebenfalls Investoren von studiVZ und facebook sind. Kritisiert wird von Nutzern auch, dass seit der Beteiligung der ProSiebenSat.1 Media AG die Werbung massiv zugenommen habe. Bei den Lokalisten werden die Nutzer aufgefordert, persönliche Daten wie Telefonnummer, Adresse oder auch biografische Daten wie Schule, Alter, Arbeitgeber anzugeben (Lokalisten.de).

Unilever und die Frau ab 45

Auch Unilever hat den Wert eines Online-Netzwerks erkannt und bietet mit einem proage-Netzwerk Frauen ab 45 die Möglichkeit, mit Gleichgesinnten Kontakte zu knüpfen. Für Unternehmen und die Werbebranche bahnt sich mit der Offenheit der Kunden und dem Wunsch der Internetnutzer nach Kommunikation eine paradiesische Datenfülle an, aus der geschöpft werden kann. Die Nutzerinnen geben, ganz nebenbei wertvolle Informationen über Familienstand, Lebensumstände, Vorlieben, Kaufkraft und vieles mehr preis, die von Marketingstrategen etwa für Markterhebungen genutzt werden können.

Datenbank für Personalabteilungen, Firmen und Behörden und Trendforscher

Online-Netzwerke sind geradezu ein Eldorado für Personalabteilungen, Headhunter, oder Zeitarbeitsfirmen. Für Mitarbeiter eines Personalbüros kann ein Blick auf ein Online-Netzwerk sehr aufschlussreich sein. Mit Hilfe der Informationen über Interessen und Gewohnheiten der Nutzer kann ein Profil über einen Bewerber erstellt werden. Ins Netz gestellte Fotos von Reisen, Festen, Demonstrationen, politischen Veranstaltungen und feucht-fröhlichen Treffen runden dann das Bild ab. Bei einer Absage stellt der Nutzer keinerlei Zusammenhang zwischen der Internet-Plattform und der abschlägigen Antwort her. Des Weiteren könnte die Offenheit der Nutzer in Zukunft Konsequenzen nach sich ziehen, die heute keiner ahnt. Nicht jeder möchte Jahre später noch in Verbindung mit einer bestimmten politischen Einstellung oder der Zugehörigkeit einer Gruppe gebracht werden.

Wie viel sind persönliche Daten wert?

Für Unternehmen jeder Art sind Kundendaten der Schlüssel zu zielgerichteter Werbung, Absatzförderung und Kundenakquise. Kaufgewohnheiten können anhand von personalisierten Kundenprofils leicht nachvollzogen werden, und die Vernetzung mit unterschiedlichen Firmen, beispielsweise mittels einer Payback-Karte, ist eine lukrative Möglichkeit für Unternehmen, mit wenig Aufwand und kostengünstig an die gewünschten Informationen potentieller Kunden zu kommen.

Früher gab es Rabattmarken und ein Heft dazu, in das die Marken eingeklebt wurden. Dadurch sollte eine Kundenbindung erreicht werden. Der Kunde hat sein Heft im Laden abgegeben, als es voll war und bekam dafür einen Nachlass. Das war anonym, in den Augen der Marketingstrategen für Unternehmen jedoch wenig effektiv. Seit Erfindung der Kundenkarten hat sich das signifikant geändert. Mit Payback-Karten oder sogenannten “Happy-Digits” hinterlassen Kunden detaillierte Spuren, die extrem aufschlussreich sind.

Der Wert der Daten

Für den Einzelnen scheint der Wert seiner persönlichen Daten sehr gering. Da der Kunde meist nicht im Bilde ist, wie viel seine Daten wirklich wert sind, ist er bereit, für einen geringen Nachlass oder ein Kundengeschenk seine Gewohnheiten und sein Kaufverhalten offenzulegen und persönliche Angaben zu machen. Oft wird im Kaufhaus mit Kundenkarten geworben, und da ein vergünstigter Einkauf im Vordergrund steht, wird der Inhalt der Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht wahrgenommen. Somit ist der Kunde meist unzureichend über Leistungen und Hintergründe informiert und weiß auch nicht, ob seine Daten an Dritte weiterverkauft werden. Im Gegenzug sind aber die Unternehmen sehr wohl über das Kaufverhalten, nicht selten auch über den Familienstand und das Einkommen ihrer Kunden informiert.

Wirtschaftliche und politische Nutzung der Informationen

Die im Internet zur Verfügung stehenden persönlichen Informationen kommen Datenbanken gleich, deren Inhalte für soziologische Studien taugen. Sie ermöglichen beispielsweise Rückschlüsse auf das Verhalten bestimmter Schichten. Die erworbenen Kenntnisse können wirtschaftlich und politisch genutzt werden, ohne dass es den Nutzern bewusst ist. Wer die Medien beherrscht, beherrscht die Meinung, und dem kommt Macht zuteil. So werden ahnungslose Nutzer manipulierbar, denn Trends, Moden, Entwicklungen und dergleichen können im Ansatz erkannt, ausgeschöpft und in eine gewünschte Richtung gelenkt werden. Der Leser kann kaum noch unterscheiden, woher die Informationen kommen. Es wird der Eindruck vermittelt, dass unterschiedliche Verbände und heterogene gesellschaftliche Gruppen oder Politiker zu gleichen Schlüssen und Ratschlägen gelangen. Bei genauerem Hinsehen jedoch wird deutlich, dass alle Informationen aus der gleichen Ecke kommen und ein und dieselben Ziele verfolgen.

Sensible Daten können von privaten Firmen bearbeitet werden

Der Datenschutzbeauftragte Peter Schaar beschreibt in seinem Buch “Das Ende der Privatsphäre” folgenden Fall: Behörden in Deutschland haben private Unternehmen mit der Verarbeitung personenbezogener Daten, die bei der staatlichen Aufgabenerfüllung anfallen, beauftragt. Beispielsweise erteilte die Bundesagentur für Arbeit einem Call-Center die Aufgabe, bei Arbeitnehmern Details zu ihrer Verfügbarkeit für den Arbeitsmarkt abzufragen. Derartige Tätigkeiten stehen immer wieder in der Diskussion, an private Anbieter abgegeben zu werden (Private Public Partnership). Die Weitergabe sensibler, persönlicher Daten an private Dienstleistungsunternehmen ist jedoch höchst fragwürdig. Der Bürger wähnt sich in der irrigen Annahme, seine Daten würden vertraulich von einer Behörde behandelt.

Der Schutz der Privatsphäre ist immer weniger gewährleistet. Wie kann Freiheit als elementares Prinzip unserer Gesellschaftsordnung künftig gelebt werden, wenn der Bürger sich selbst freiwillig, aus eigenem Antrieb, öffentlich transparent macht? Ein unwiederbringlicher Verlust an Freiheit und an Selbstbestimmung wird die Folge dieser Entwicklung sein, wenn nicht bald ein entscheidender Bewusstseinswandel in der Bevölkerung stattfindet.

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