Bertelsmann: „Unser Gesundheitswesen braucht Qualitätstransparenz“

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Der Bertelsmann Konzern ist heute ein globales Medienimperium mit geschätzten 19 Milliarden Euro Umsatz weltweit und ca. 1,7 Milliarden Gewinn. Aus dem operativen Geschäft flossen steuerbefreit 2004 64 Millionen Euros an die Stiftung, welche 76,8% der Anteile an dem Konzern hält. Aus diesen „Stiftungsgeldern“ werden 300 Mitarbeiter bezahlt und ca. 60 -100 Projekte jährlich finanziert. Ein wichtiger Bereich (außer Bildung, e-government, Umstrukturierung der öffentlichen Verwaltungen etc.) ist das Gesundheitswesen, hier unter der Leitung der Tochter des Firmengründers Reinhard Mohn, Dr. Brigitte Mohn. Von Silke Lüder.

Think-Tank Bertelsmann Stiftung
Mohn baute seine Bertelsmannstiftung zu einem Think Tank aus, der seine Führungsmethoden wissenschaftlich begründet, an aktuelle politische Gegebenheiten anpasst und in Politik und Verwaltung hinein trägt (zit. von Hersch Fischler in dem Buch „Bertelsmann-Ein globales Medienimperium macht Politik“, Hrsg. Thomas Barth 2006).
Selbstredend findet ein großer Medienkonzern wir Bertelsmann bei Politikern und den politischen Spitzen der Verwaltungen schon vorauseilend aufmerksam Gehör, besonders, wenn er Konzepte und Empfehlungen über die Bertelsmann Stiftung wissenschaftlich aufgearbeitet präsentiert, oft in Kooperation mit namhaften wissenschaftlichen Instituten, die für zahlungskräftige Kunden wie die Bertelsmannstiftung gern Auftragsforschung betreiben. Politiker können eine publizistische Großmacht, die den reichweitenstärksten Privatsender RTL samt weiteren TV Sendern und privaten Radiosender in allen Bundesländern ebenso wie die Magazine Stern und Spiegel, viele weitere Publikumszeitschriften und die größten Buchverlage kontrolliert, kaum ignorieren, wenn sie Wert darauf legen, wiedergewählt zu werden.

Enge Zusammenarbeit mit Rot-Grün, aber genauso mit der Stiftung
“Neue soziale Marktwirtschaft“

Bertelsmann war besonders erfolgreich in Zusammenarbeit mit der rot-grünen Bundesregierung und der Entwicklung der Agenda 2010 von Gerhard Schröder, im Windschatten der linksliberalen Kritik am Springerkonzern segelnd, seinen eigenen Vorsprung als Medienkonzern ständig ausbauend. Zusätzlich arbeitet die Bertelsmannstiftung auch mit der „grünen“ Heinrich-Böll Stiftung und der gewerkschaftnahen Hans-Böckler Stiftung zusammen. Inzwischen ist die Bertelsmannstiftung an allen, sich jagenden „Reformen“ der BRD kräftig beteiligt.

Vorbild Industrie
Die Prinzipien der neueren Betriebwirtschaft werden auf alle Bereiche der Gesellschaft übertragen. Insgesamt zu sehen in einem internationalen Kontext, der ohne die Zusammenhänge der internationalen Globalisierung und sogenannten „neoliberalen“ Umgestaltung aller Bereiche der europäischen Gesellschaften nicht zu verstehen ist. Es findet ein flächendeckender Rollback der Errungenschaften modernen Demokratien und des „Sozialstaates“ (fast schon ein Schimpfwort heute) statt.

„Du bist Deutschland!“
Der Staat zieht sich als Finanzier aus den verschiedenen „Sozialwesen“ wie der Bildung oder dem Gesundheitswesen zurück, private Konzerne mit dem einzigen Ziel der Gewinnmaximierung für internationale Konzerne besetzen die Felder neu. Gleichzeitig ist der Staat allerdings „Moderator“ (Bertelsmann), der konsequent mit sich selbst überschlagenden Regelungsmechanismen im Vordergrund dafür sorgt, das der Laden auch so läuft, wie die profitorientierten Hintergrundakteure (Lobbyisten) sich das wünschen.

Orwell`scher „Neusprech!“
Propagandistisch verkauft wird das Ganze mit Vokabeln wie Wettbewerb, Qualität, Effizienz, Effektivität, Transparenz, e-democracy, der selbstbestimmte Patient, die selbstbestimmte Schule, die Exellenz-Universität, Best-Practice Systeme, betriebliche Strategien, Zielerfüllung in allen Bereichen, Benchmarking, Vergleiche über Vergleiche, outcome Orientierung, Eigenmanagement, effizienter Ressourcenverbrauch, Nachhaltigkeit, Kundenstatus der Patienten, Dienstleisterrolle der Ärzte, ….

Es gibt heute eigentlich kein Statement von Politik, Kassen oder „Selbstverwaltungsorganen“ im Gesundheitswesen, in dem diese Orwelll’schen Neusprechvokabeln fehlen.

„Unser Gesundheitswesen braucht Qualitätstransparenz!“
Diese Veröffentlichung zur Gesundheitspolitik der Stiftung (von 2007 auf www.Bertelsmanstiftung.de) besagt auf 86 Seiten folgendes:
Patienten, Ärzte und Bürger bräuchten eine allumfassende Transparenz im Gesundheitswesen. In Deutschland muss erst mal alles gemessen werden im Gesundheitswesen. Durch flächendeckenden Zwang zum Qualitätsmanagement (zufällig wird noch das von Bertelsmann entwickelte QM System EPA als das einzig sinnvolle propagiert) können die „Leistungserbringer im Gesundheitswesen wie im Restaurant Qualitätssterne erringen. Dass es hierbei nur um betriebliche „Ablaufoptimierung“, aber gar nicht um wirkliche Qualität für Patienten handelt, da man weiteste Teile der Medizin eben nicht wie ein „Stückgut“ in einem Wirtschaftbetrieb messen kann, wird geflissentlich verschwiegen.

Wohin gehen die Patienten?
Der entscheidende Hintergrund der Veröffentlichung ist: Die Patientenströme sollen neu gelenkt werden. Die Privatisierung der kommunalen Kliniken macht rasche Fortschritte, Konzerne wie Rhön, Helios und Asklepios kaufen flächendeckend auf und strukturieren um. Da 2009 die Bezahlung der Krankenhäuser 100 %-ig auf DRG (auf Fallpauschalen umgestellt wird, jetzt gibt’s es noch Mischformen), müssen sich alle Kliniken händeringend die Einweiser sichern. Das geht schlecht über die bisherigen Stromlenker, die ambulanten selbständigen Arztpraxen, die ihre Empfehlungen bisher noch nach langjährigen Erfahrungen mit den umliegenden Krankenhäusern aussuchen können, und dabei nicht abhängig von finanziellen Erwägungen sind. Also, das muss sich ändern, sagen sich die Stiftungsleute. Also, bitte Patienten, in Zukunft nicht mehr den Hausarzt fragen, lieber gleich ins Internet, wie viele Qualitätssterne hat das Krankenhaus? Unnötig zu erwähnen, dass im Anschluss an die Veröffentlichung dieser „Studie“ im Sommer 2007 gleich in allen Zeitungen stand, dass es jetzt Qualitätssterne für Praxen und Kliniken geben muss (siehe Zeitschrift „Stern“ und viele andere).

Der ambulante Medizinsektor wurde als profitable Anlagesphäre für das Privatkonzernkapital entdeckt.
Was stört dabei?

Wieder die ambulanten Arztpraxen. Also, wie fängt man’s an. Gesetze werden erlassen, wie das „Wettbewerbsstärkungsgesetz“ 2007 und das Vertragsarztrechtsänderungsgesetz“, die die Verhältnisse so ändern, dass die Sicherstellung gleich an die Kassen übergehen kann (Kassel Oktober 2007) , die selbständigen Arztpraxen pleite gehen oder an die Privatklinik-MVZs angegliedert werden. Mit angestellten Ärzten, da regelt sich doch alles viel besser.

Datentransparenz!
Wir schafft man die totale „Transparenz“ über Ärzte und Patienten? Da ist es ganz schlecht, wenn die ärztlichen Daten bisher nur unter der Schweigepflicht der Ärzte liegen. Also, eine bundesweite Telematikplattform muss her. Die Daten müssen zu den Kassen, zu den privaten Kliniken, zu den IT-Konzernen. Aber das lieber nicht so offen sagen. Besser ist: Man verschanzt sich hinter Argumenten, die sich fortschrittlich und modern anhören.

Der allseits informierte, selbstbestimmte, immer fitte (nie kranke und schwache) Patient, der alle seine Krankheitsgeschehen selbst managt. Das macht sich viel besser (siehe Orwell- Neusprech: das Wahrheitsminsterium). Wobei wir wieder am Anfang wären.

Und wer macht alles dabei mit?
Jobwechsel in der Szene

Die Rhön Kliniken. Im Aufsichtsrat sitzen zusammen Herr Lauterbach, Hauptberater der Gesundheitspolitik der SPD, vorher Leiter des Instituts für Gesundheitswesen in Köln, daneben Frau Dr. Brigitte Mohn, wie oben schon erwähnt. Bis vor kurzem war Prof Dr. Eckart Fiedler Chef der Barmer Ersatzkasse. Seit 2006 hat er 2 neue Jobs:

Erstens:
Er ist Vorstandsvorsitzender der Stiftung Praxissiegel der Bertelsmannstiftung. Diese Stiftung schafft Qualität. Im Gesundheitswesen. Zusammen mit Klaus Theo Schröder (Gesundheitsministerium) veröffentlichte er vor kurzem die Ergebnisse einer Studie über zertifizierte Arztpraxen (6.7.2007 Website Bertelsmannstiftung):

„Der nach außen sichtbare Einsatz für Qualität erhöht das Vertrauen der Patienten und damit auch den Therapieerfolg. Außerdem werden die Arbeitsprozesse effizienter. Dadurch steig die Arbeitszufriedenheit und der wirtschaftliche Erfolg der Praxen verbessert sich.“ Letztlich erhöhe eine verbesserte Qualität medizinischer Versorgung die Effizienz im Gesamtsystem.

Unnötig zu sagen, dass er und Schröder dann gleich noch Werbung für das von Bertelsmann entwickelte QM System EPA machten.

Zweitens:
Fiedler arbeitet als Dozent für das Kölner Institut für Gesundheitsökonomie und klinische Epidemiologie (IGKE) in Köln, dessen Direktor Karl Lauterbauch (beurlaubt wegen des Bundestagsmandats) durch Gutachten für Kassen und Politik großen Einfluss darauf genommen hat, dass Disease-Management-Programme in der BRD eingeführt und die Notwendigkeit der Abschaffung der wohnortnahen Fachärzte propagiert wurde.

Die traurige Wirklichkeit
Leider straft die Wirklichkeit im Gesundheitswesen die Bertelsmann-Doktrin Lügen. Die Gesundheitsversorgung der Patienten verschlechtert sich nach meiner Beobachtung als „Basisversorgerin“ eigentlich täglich. Wegen der Fallpauschalenbezahlung und der Profitmaximierungsdoktrin werden die Patienten viel zu früh entlassen. Ärzte sind keine Ärzte mehr, sondern Codierer für den Bürokratiewahnsinn, und gesprochen wird mit den Patienten eigentlich fast gar nicht mehr im Krankenhaus.
In Scharen verlassen junge Ärzte unser Land, gleichzeitig steigen Frustration und Burn Out in den ambulanten Arztpraxen täglich an.

Der Zwang zum „ablaufprozessmaximierenden Qualitätsmanagement“ und der Zwang zur „Listenmedizin“, von den so genannten „Selbstverwaltungsorganen“ in der Kassenärztlichen Bundesvereinigung getreulich umgesetzt, zerstört die Motivation vieler Ärzte und belastet die Versorgung. Wegen der finanziellen Aushöhlung der Grundversorgung verschlechtert sich die real stattfindendenVersorgung täglich, Wartezeiten steigen an und die kränksten Patienten pendeln wegen allseits budgetierter Zwänge von Arzt zu Arzt und zur Klinik, oft ohne wirklich Hilfe zu bekommen.

Was tun die Profi-Patientenvertreter?
Und die Patientenvertreter? Ach ja, Da war doch noch was. Thomas Isenberg. Neun Jahre lang hat er den Fachbereich Gesundheit und Ernährung bei dem Bundesverband der Verbraucherzentralen geleitet. Ab 1.9.2007 hat er einen neuen Job. “Es passte einfach“, so Isenberg als Begründung im Deutschen Ärzteblatt. Jetzt wird er Programmmanager im Themenfeld Gesundheit bei der Bertelsmannstiftung. Auf strategischem Posten sozusagen (Deutsches Ärzteblatt vom 6.8.2007). Übrigens hat die
Bertelsmann Tochter Arvato jetzt den Auftrag für die Digitalisierung der Fotos von 17 Millionen AOK-Versicherten für die neuen elektronischen Gesundheitskarten im nächsten Jahr bekommen, ein, wie das Vorstandsmitglied der AOK Anne Strobel beim letzten IT-Kongress betonte, sehr anspruchsvolles Projekt.

Club of Rome
Und Frau Liz Mohn, die Frau des Firmenpatriarchen Reinhard Mohn, hat auch Karriere gemacht. Als einziges weibliches Mitglied des „Clubs of Rome“ durfte sie am 25.9.2007 in einer Rede über die „Anforderungen an die Führungsrolle der Zukunft“ sprechen und einen “ Vortrag über die Globalisierung zum Wohle der Allgemeinheit“ halten. Hier schließen sich dann alle Kreise.