Sanders, Corbyn, Tsipras – Vertrauensgewinn durch inhaltliche Alternativen. Wo bleibt der Versuch bei uns?

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

Der über 70-jährige Sanders hat in Iowa fast so viele Stimmen erhalten wie Hillary Clinton. Die alten Männer Sanders und Corbyn haben Vertrauen gerade unter jungen Menschen gewonnen. Die Gründe dafür sind leicht zu verstehen: Sie haben beschrieben, wie eine alternative Politik aussehen könnte. Sanders hat sogar Punkte gemacht, obwohl seine außen- und sicherheitspolitische Programmatik einiges zu wünschen übrig lässt. – Eigentlich müsste der Erfolg der genannten Personen bei der Nominierung wie auch der Wahlerfolg von Podemos und Syriza die Strategen im linken Lager unseres Landes – also einschließlich der Grünen und der SPD – aufwachen lassen. Aber sie schlafen weiter, obwohl ein Blick auf die Umfragelage höchste Aufmerksamkeit verlangen würde. Es steht nämlich ganz schlimm um die Wahlchancen. Dazu einige Anmerkungen und am Ende (zur Erholung) ein Text von Michael Moore zu Sanders. Albrecht Müller.

Hier ist zunächst eine Tabelle, die die Umfrage-Ergebnisse der verschiedenen Umfrage Institute aus den letzten vier Wochen wieder gibt:

Sonntagsfrage Bundestagswahl

Quelle: Wahlrecht.de

  • Die SPD ist nach der neuesten Umfrage auf ihren Tiefpunkt von 2009 angelangt: 23 %. Ihr Maximalwert bei den Umfragen der letzten vier Wochen liegt mit 25 % unter dem Wahlergebnis vom 22. September 2013.
  • Kein Institut misst eine regierungsfähige Mehrheit für Rot-Grün – maximaler Wert: 35 %.
  • Für Rot-Rot-Grün reicht es auch nicht mehr. 2013 hätte es, wenn auch knapp, noch gereicht, genauso wie 2005.
  • Für eine Koalition aus CDU/CSU und FDP reicht es auch nicht.
  • De facto erschwert das möglicherweise hohe Ergebnis der AfD die Regierungsbildung.

Hier folgt dann noch eine Tabelle mit Umfrageergebnissen zu den Landtagswahlen

Wenn am nächsten Sonntag Landtagswahl wäre …

Quelle: Wahlrecht

  • Rot-Grün hat in Rheinland-Pfalz danach keine Mehrheit mehr,
  • Auch nicht in Baden-Württemberg, wo die SPD mit 15 % ein katastrophales Ergebnis erreichen könnte.
  • Nach den Umfragen wären dann in Baden-Württemberg mindestens zwei verschiedene Koalitionen möglich: Schwarz-Rot mit 49 % und Schwarz-Grün mit 62 %.
  • In Rheinland-Pfalz hätte eine Koalition aus SPD, Grünen, FDP und Linken auch eine Mehrheit. Aber diese Zusammenarbeit ist unwahrscheinlich

Höchste Zeit für eine inhaltliche Profilierung

Die auffallende Stagnation der SPD auf einem vor 2009 nicht gekannten Tiefstniveau von 25 % und darunter müsste bei den Strategen in der SPD-Zentrale endlich tieferes Nachdenken auslösen. Dieses Nachdenken könnte sich ein bisschen an den Ereignissen in den USA, in Großbritannien, in Spanien, in Griechenland orientieren. Es ist allerhöchste Zeit für eine an der Sache orientierte und notwendige inhaltliche Profilierung.

Die programmatischen Möglichkeiten liegen auf der Straße, als Notwendigkeiten. Zum Beispiel:

  1. Schluss mit der Austeritätspolitik im Innern und gegenüber unseren Partnern in der Europäischen Union.
  2. Aktive Beschäftigungspolitik und Abkehr vom Niedriglohnsektor
  3. Ein Nein zu TTIP
  4. Eine klare Priorität für die nichtmilitärische Lösung von Konflikten
  5. Gemeinsame Sicherheit in Europa. Schluss mit dem neu aufgebauten Konflikt mit Russland.
  6. Mehr öffentliche Verantwortung für alle hoheitlichen Aufgaben, auch für die Flüchtlingsfürsorge; keine weiteren Privatisierungen und Deregulierungen
  7. Kampf der Spekulation und den Steueroasen.
  8. Eine Steuer- und Abgabenpolitik, die behutsam aber eindeutig die Einkommens- und Vermögensverteilung zu verändern vermag.
  9. Rettung und Stärkung der europäischen Zusammenarbeit
  10. Behutsamer Umgang mit den Wählern der AfD. Keine Beschimpfung, Werbung um sie. Unter ihnen sind viele ehemalige Wähler der SPD und der Linken.

Anhang:

Michael Moore
Meine Unterstützung für Bernie

(Übersetzt von NachDenkSeiten-Leser Michael Müller)

Meine Freunde,

als ich noch ein Kind war, sagten sie, dass dieses hauptsächlich protestantische Land keinesfalls einen katholischen Präsidenten wählen würde. Und dann wurde John F. Kennedy zum Präsidenten gewählt.

In der nächsten Dekade sagten sie, das Amerika keine Südstaatler wählen würde, und doch wurde Jimmy Carter gewählt (der letzte Präsident aus den Südstaaten war Zachary Taylor – 1849).

Im Jahr 1980 sagten sie, die Wähler würden nie für einen geschiedenen und wiederverheirateten Mann stimmen, da das Land dafür viel zu religiös sei, behaupteten sie. Willkommen Präsident Ronald Reagan, 1981-89.

Sie sagten, du könntest nicht zum Präsidenten gewählt werden, wenn du nicht im Militär gedient hast. Es war unvorstellbar, dass ein Ungedienter Commander in Chief würde oder der zugab, illegale Drogen ausprobiert zu haben (ohne zu inhalieren!). Präsident Bill Clinton, 1993-2001.

Und letztlich sagten „SIE“, auf keinen Fall würden die Demokraten gewinnen, wenn sie einen Schwarzen als Kandidaten nominieren – einen Schwarzen, dessen Mittelname Hussein lautet. America sei immer noch viel zu rassistisch dafür, warnten sich leise flüsternd die Leute.
BOOM!
Hast du dich je gewundert, warum die Experten, die politische Klasse, sich immer so sicher sind, dass die Amerikaner „gerade nicht bereit“ für etwas sind – und dann liegen sie falsch?

Sie sagen diese Dinge, weil sie den Status Quo erhalten wollen. Sie wollen keinen Aufruhr. Sie versuchen den Durchschnittsbürger zu verängstigen damit er wider seinen eigenen Ansichten stimmt.
Und nun, dieses Jahr behaupten „SIE“ dass keinesfalls ein „demokratischer Sozialist“ zum Präsidenten der USA gewählt werden könnte. Dies ist das Hauptargument aus Hillary Clintons Wahlbüro.
Aber alle Umfragen zeigen, dass Bernie Sanders Donald Trump mit doppelt so vielen Wählerstimmen „SCHLÄGT“, als wenn Hillary Clinton die Kandidatin wäre.
Auch wenn die Umfragen landesweit Hillary vor Bernie unter den Demokraten sehen, wenn die Umfrageinstitute alle Unabhängigen einbeziehen liegt Sanders mit 2 zu 1 über dem Ergebnis, welches Hillary gegen Trump erzielen würde.

Die Art, in welcher die Clinton-Kampagne Sanders als Kommunisten beschimpfte ist unglücklich und taub. Bezugnehmend auf die BBC identifizieren sich 43% aller Einwohner Iowas mehr mit „Sozialismus“ (teilen, helfen) als mit Kapitalismus (Gier, Ungleichheit). Die meisten Umfragen unter jungen Erwachsenen (18-35 Jahre) zeigen, dass diese „Sozialismus“ (Fairness) dem Kapitalismus (Selbstsucht) vorziehen.

Also, was ist „demokratischer Sozialismus“? Es ist eine wahre Demokratie in der jeder einen Sitz am Tisch und eine Stimme hat, nicht nur die Reichen. Letztens gab das Merriam-Webster-Wörterbuch bekannt, dass das meistgesuchte Wort ihres Online-Nachschlagewerkes in 2015 „Sozialismus“ war. Wenn du unter 49 bist (die Gruppe mit den meisten Wählern), dann sehen die Tage des Kalten Krieges, die Kommunistenfresser und die „rote Gefahr“ albern aus.
Wenn Hillarys Hauptargument, für sie zu stimmen, ist, „Bernie ist ein Sozialist!“ oder „Ein Sozialist kann nicht gewinnen!“ dann hat sie verloren.

Die New York Times, welche zugab die Geschichten über die Massenvernichtungswaffen im Irak erfunden zu haben und uns dazu trieb in das Land einzumarschieren, unterstützt nun Hillary Clinton, die Kandidatin, welche für den Irak-Krieg stimmte. Ich dachte die NYT hat sich entschuldigt und verändert? Was passiert hier?

Nun ja, die Times mag ihre Kandidaten realistisch und pragmatisch. Und daher ist es für sie Hillary Clinton. Sie möchte die Banken nicht zerschlagen, den Glass-Steagall-Act nicht wieder aufleben lassen, will den Mindestlohn nicht auf 15$ erhöhen, will nicht Dänemarks kostenloses Gesundheitssystem.
Ist einfach nicht realistisch, schätze ich.

Sicherlich, es gab Zeiten, da war es nicht „realistisch“ ein Gesetz zu verabschieden, welches Frauen das Wahlrecht gab. Sie sagten, dies würde nie geschehen, weil nur Männer darüber im Kongress und Senat entscheiden, und dies wiederum bedeutete, es würde nie geschehen. Sie lagen falsch.

Sie sagten mal, es sein nicht „realistisch“ den Civil Rights Act und den Voting Rights Act nacheinander zu verabschieden. Amerika sei dafür noch nicht „bereit“. Beide traten 1964 & 1965 in Kraft.

Noch vor 10 Jahren wurde uns gesagt, die Homoehe würde niemals möglich sein. Gut, dass wir nicht auf die gehört haben, welche uns sagten, wir sollen „pragmatisch“ sein.

Hillary sagt, Bernies Pläne seien einfach nicht „realistisch“ oder „pragmatisch“. Diese Woche sagte sie, dass eine allgemeine Krankenversicherung für alle (nie, nicht) niemals passieren kann. Niemals?
Hillary sagt auch, es sei nicht praktisch, kostenlose Hochschulen für alle anzubieten. Du kannst nicht praktischer sein als die Deutschen – und die kriegen das hin., wie auch viele andere Länder.
Clinton findet Wege um für Kriege und Steuererleichterungen für die Reichen zu zahlen. Hillary Clinton war FÜR den Kreig im Irak, GEGEN die Homoehe, FÜR den Patriot Act, FÜR NAFTA und will Snowdon ins Gefängnis stecken. Das ist eine Menge die man erst einmal verarbeiten muss, speziell wenn Bernie Sanders die Alternative ist. Er ist der Gegensatz dazu.
Es gibt viele gute Dinge Hillary betreffend. Aber sie steht rechts von Obama und würde uns rückwarts, nicht vorwärts, führen. Dies wäre traurig, sehr traurig.
81% der Wahlberechtigten sind weiblich, Farbige oder Junge (18-35). Und die Republikaner haben die GROSSE Mehrheit von 81 Prozent verloren. Welcher Demokrat auch immer im November zur Wahl steht wird gewinnen. Niemand sollte aus Angst wählen. Es sollte der gewählt werden, von dem man meint, dass er am besten repräsentiert, was man selber denkt.
Sie wollen Dir Angst einjagen und dich glauben machen, dass wir mit Sanders verlieren. Die Fakten und die Umfragen schreien förmlich das Gegenteil.: Wir haben eine bessere Chance mit Bernie!
Trump ist laut und veränstigend – und Liberale sind leicht zu verängstigen. Aber Liberale lieben auch Fakten. Hier ist einer: weniger als 19% der amerikanischen Bevölkerung sind Weiße Männer über 35. Also beruhigt euch.
Schlussendlich schaut euch diese Übersicht an – sie spricht Bände (Anmerkung: Hillary hat jetzt Ihre Position gewechselt und ist jetzt gegen TTIP)

Ich habe Bernie Sanders zuerst 1990 unterstützt, als er, als Bürgermeister von Burlington (Vermont), für den Kongress kandidierte. Er fragte mich, ob ich eine Wahlkampfveranstaltung für Ihn machen würde. Ich schätze nicht viele waren bereit eine Wahlkampfrede für einen erklärten demokratischen Sozialisten zu halten. Wahrscheinlich sagte jemand in seinem Hippie-gefüllten Wahlkampfbüro, „Ich wette, Michael Moore würde es tun!“. Sie hatten recht. Ich fuhr hoch ins Nirgendo, und tat mein Bestes zu erklären, warum wir Bernie Sanders im U.S. Kongress brauchen. Er gewann und seitdem unterstütze ich ihn. Nie gab er mir einen Grund diese Unterstützung zu beenden.
Ehrlich gesagt habe ich nie gedacht, dass ich den Tag noch erleben werde, an dem ich an Euch schreibe und diese Worte sage: „Bitte stimmt für Bernie Sanders als nächsten Präsidenten der Vereinigten Staaten!“ Ich würde euch nicht darum bitten, wenn ich nicht glauben würde, dass wir ihn wirklich, wahrhaftig brauchen. Und das tun wir. Wahrscheinlich mehr als wir wissen.

Mit freundlichen Grüßen,
Michael Moore

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