Vorsicht: Keine Satire! Marietta Slomka kennt den Grund für Chinas schwindendes Wirtschaftswachstum

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

Zur Abwechslung, und auch um der inneren Gerechtigkeit willen, kommen wir heute nicht auf die ARD und ihre Blüten zu sprechen, sondern auf jene des ZDF. Erik Jochem kann nicht umhin, sich über die tiefen Einsichten der Macher des Heutejournals in die ökonomischen Zusammenhänge von Chinas Volkswirtschaft zu wundern. Die Wirklichkeit wird zur Satire. Hier sein Beitrag. Albrecht Müller.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Vorsicht: Keine Satire! Marietta Slomka kennt den Grund für Chinas schwindendes Wirtschaftswachstum

Den Delegierten des am 5. März begonnenen Volkskongresses in Peking ist zu wünschen, dass sie sich gemeinsam den aus diesem Anlass im ZDF Heute-Journal gesendeten Bericht zur Situation der chinesischen Wirtschaft angesehen haben. Marietta Slomka und Katja Eichhorn decken dort schonungslos den Grund für Chinas sinkende Wachstumsraten auf.

Katja Eichhorn[1][2] zeigt uns einen nicht besonders großen Raum, in dem eine nicht besonders große Anzahl App-Bastler vor Computerbildschirmen sitzt und an App-Ideen bastelt, während einer von ihnen einen Vortrag über seine eigene geplante App hält und die anderen ihm allenfalls nebenbei zuhören. Von ihm erfahren wir im Folgenden, dass er für die Entwicklung seiner Stimmungs-App für Smartphone-Nutzer ein zinsloses Darlehen des Staates in Höhe von 57.000 € erhalten hat, das er nur im Erfolgsfall zurückzahlen muss, und dass der gezeigte Raum ein Existenzgründerzentrum ist, dessen Leistungen für die App-Bastler und möglichen Existenzgründer nahezu kostenlos sind.

Die Autorin informiert uns sodann ernsthaft darüber, dass das gezeigte Existenzgründerzentrum repräsentativ für das geplante chinesische Silikon-Valley ist und es sich um die „letzte Rettung“ der chinesischen Regierung handelt, die versucht, China aus einem Billiglohnland in eine Hightech-Nation zu verwandeln. Der Staat investiere „soviel Geld“ (gemeint ist offenbar das 57.000 € Darlehen und die kostenlose Infrastruktur für die Existenzgründer) – alles vergeblich.

Denn, so der Begleittext des Videos in der ZDF-Mediathek:

„Um dem niedrigen Wirtschaftswachstum entgegenzuwirken, fördert die chinesische Regierung Start-up Unternehmen. Doch ohne eine freie Marktwirtschaft (das heißt lt. Frau Eichhorn vor allem ohne Meinungsfreiheit) gibt es kaum Platz für Innovationen und somit kein Wachstum“.

Damit ist die Katze aus dem Sack: Damit App-Entwickler erfolgreich sind und dadurch die Wachstumsraten wieder steigen (Smartphone-Apps sind bekanntlich der Wirtschaftsfaktor schlechthin), wäre freie Marktwirtschaft, das ist Meinungsfreiheit, erforderlich und da es die nicht gibt, lahmt die Wirtschaft. (In Europa steht es offenbar angesichts der noch viel größeren Wachstumsschwäche um die Meinungsfreiheit noch viel schlimmer).

Da die App-Entwicklung wegen der fehlenden Meinungsfreiheit derart wenig innovativ ist, behilft sich China damit – wie üblich möchte man rufen – amerikanische Apps zu kopieren, weiterzuentwickeln und für den chinesischen Markt anzupassen. Wir lernen einen Unternehmer kennen, der es nach diesem Muster mit einem Restaurant-Lieferservice auf 15.000 Angestellte in 260 Städten gebracht hat – und trotzdem „angespannt“ bleibt. (In Deutschland übrigens sind die Lieferservice Apps jeweils die ureigene Erfindung der Entwickler. Die Idee dazu hat vor ihnen noch niemand gehabt, schon gar nicht ein Amerikaner). Wie wir von ihm erfahren, ist die Internetbranche in China sehr dynamisch und man muss stark und kreativ (um nicht zu sagen innovativ) bleiben, damit man von der Konkurrenz nicht überholt wird. Nun mag diese Aussage zwar dem Tenor von Frau Eichhorn widersprechen, dass es App-Innovation in China überhaupt nicht geben kann. Jedenfalls ist es in China aber so, dass der App-Unternehmer wegen der besseren Konkurrenz am Ende riskiert „Leute zu entlassen“ und „notfalls wieder bei Null anfangen“ zu müssen. In einer freien Marktwirtschaft, soll das wohl heißen, würde das nicht passieren.

Journalistisch gekonnt hebt sich Frau Eichhorn die eigentliche Pointe für den Schluss auf. Wir lernen, dass Einkaufs-Apps und e-commerce nur am Rande etwas mit Silikon Valley oder fortschrittlicher Innovation zu tun haben, sondern ganz einfach auf einer Verlagerung der Kaufgewohnheiten der Konsumenten beruhen. E s handelt sich in Wahrheit also darum, sich zwischen Endanbieter und Käufer zu drängen und auf diese Art an fremden Geschäften dauerhaft zu partizipieren.

Da diese Struktur überall gleich ist, dürfte die chinesische Regierung wohl entgegen der Behauptung von Frau Eichhorn kaum darauf setzen, mit der Förderung von App-Entwicklern (die die Autorin mit Hightech gleichsetzt) die wirtschaftliche Entwicklung entscheidend zu beeinflussen.

Man muss also nur den Bericht zu Ende schauen um zu erleben, wie die Autorin sich und ihre freischwebenden Thesen selbst zerlegt.

Damit könnte der Bericht von Frau Eichhorn ruhig unter der Rubrik: „Schlechteste Wirtschaftsberichte aller Zeiten“ abgelegt und zu Recht vergessen werden.

Auf der Ebene des wirtschaftspolitisch unbeschlagenen Zuschauers aber handelt es sich um ein handfestes Stück Wirtschaftsideologie, dem Frau Slomka ihre – wie immer, wenn es um staatstragende Themen geht – ihre ehrlich betroffene Stimme leiht.

„Wohin treibt China? Wirtschaftlich scheint die Volksrepublik ins Straucheln zu kommen. Das besorgt auch die Parteiführung und die Delegierten des jährlich stattfindenden Volkskongresses, der heute in Peking begonnen hat. Im vergangenen Jahr ist das Wirtschaftswachstum auf unter 7% gefallen, eine so niedrige Rate gab es zuletzt vor 25 Jahren. Und es ist ja durchaus normal, dass die Wachstumsrate im Zuge der Industrialisierung eines Landes ab einem gewissen Punkt zurückgehen. China ist kein Entwicklungsland mehr und auch längst nicht mehr die verlängerte Werkbank des Westens. Doch dass sich die Wirtschaftsdynamik so stark abgeschwächt hat, ist auch Ausdruck eines Grundproblems, China ist eben nicht wirklich eine Marktwirtschaft. Unternehmerische Erfolge an der Staatspartei vorbei sind nach wie vor kaum möglich. Aber es gibt noch andere Gründe, warum es der Parteiführung bislang nicht gelingt, ein chinesisches Silikon Valley von oben zu organisieren.“

Eine „wirkliche Marktwirtschaft“ ist offenbar nur ohne Staat möglich und unternehmerische Erfolge (Stichwort Silikon Valley) beruhen geradezu darauf, dass sie „am Staat vorbei“ erfolgen. Wäre China eine „wirkliche Marktwirtschaft“, hätte es wirtschaftlich keine Probleme.

Pech nur, liebe Frau Slomka, dass Silikon Valley ein lupenreines Beispiel dafür ist, dass die Entwicklung neuer Wirtschaftszweige nicht nur nicht gegen den Staat erzwungen werden muss, sondern ohne staatliches Startkapital in Form von Grundlagenwissen und Geld überhaupt gar nicht erst stattfindet. Das IPhone, die Ikone der angeblichen Innovation in der Marktwirtschaft, geht in sämtlichen zentralen Funktionen auf staatliche Finanzierung und Grundlagenforschung zurück. Und ja, Chinas Regierung investiert mehr (und – wer hätte das gedacht – mehr als die 57.000 € von Frau Eichhorn) in Grundlagenforschung als der Westen, der dem Innovationsmärchen seiner Großunternehmen – so wie offenbar auch Sie – selbst am gründlichsten auf den Leim geht[3].

Und was die wirtschaftlichen Probleme Chinas anbelangt, so haben sie mit Meinungsfreiheit – deren politische Bedeutung hier nicht kleingeredet werden soll, die aber wohl kaum identisch mit Marktwirtschaft ist – ebenso viel oder wenig zu tun wie „bei uns“ im Westen. Genau wie in der Eurozone liegt in China das wesentliche „Problem“ in der Finanzierung der wirtschaftlichen Entwicklung, die mit einem weltgeschichtlich so noch niemals zuvor dagewesenen Verschuldensstand des privaten Sektors in China offenbar ihren Höhepunkt erreicht hat. China steht offenbar unmittelbar vor einer sog. „balance-sheet-recession“ oder ist schon mittendrin, in der ab sofort nicht mehr neue Kreditaufnahme, sondern der Abbau vorhandener Kredite auf dem Programm steht[4].

Sicher hat Herr Schäuble bei der kürzlichen Tagung der G20 Finanzminister in Shanghai seinem chinesischen Amtskollegen schon erklärt, dass jetzt in China alles darauf ankommt, dass der Staat seine Ausgaben kürzt.


[«1] Transkript: Einer hört zu, der Rest schläft ist desinteressiert oder anders, konzentriert auf das eigene Projekt. Wei Ching Chen kennt das, es macht ihm nichts. Voller Begeisterung stellt er sein neuestes Projekt vor, eine App, die die Stimmung des Kunden durch Pulsschlag, Gesichtsausdruck und Stimme erkennt und mit Liedern beantwortet, die aufheitern, beruhigen oder trösten sollen, je nachdem. Von der Pekinger Wissenschaftskommission erhielt er für diese Idee umgerechnet 57.000 € zinslos und zurückzahlen muss er nur im Erfolgsfall. „Außerdem gibt es hier einen Rund-Um-Service, von der Firmenregistrierung über Kontoeröffnung und Patentanmeldung bis hin zum Rechtsbeistand.“ Hier das ist Chung Wan Sun, eine Straße in Peking, die einmal Chinas Silikon Valley werden soll. Jeder hier ist Existenzgründer. Der Arbeitsplatz an einem der Tische kostet eine Tasse Tee am Tag, der Strom kostet nichts. Chinas Wirtschaft lahmt, die Arbeitskosten steigen, Unternehmen wandern ab, die Börse bricht regelmäßig heftig ein. Die letzte Rettung sieht die Regierung in einem Richtungswechsel vom Billiglohnland zur Hightech Nation. (Wirtschaftsexperte:) „Die Regierung hat das Problem erkannt, das ist gut. Aber es gibt keinen Weg zu diesem Ziel. Denn wollte man wirklich ernsthaft Innovationen unterstützen, käme man schnell in Konflikt mit dem derzeitigen System.“ Ohne freie Wirtschaft, vor allem ohne Meinungsfreiheit, kein Raum für große Gedankensprünge keine Chance für bahnbrechende Erfindungen. Innovation heißt in China daher kopieren und an den chinesischen Markt anpassen. Beispiel Chan Chy Ho. Mit drei Freunden hat er eine US App nachgeahmt, weiterentwickelt und damit den Lieferservice „Irlimer –bist du hungrig“ gegründet. Das war im Jahr 2008. Heute beschäftigt er 15.000 Angestellte in 260 Städten – und bleibt angespannt. (Unternehmer:) „In der Internetbranche gibt es viel Konkurrenz, wenn wir es nicht schaffen, immer stark und kreativ zu bleiben, werden wir ganz schnell von anderen überholt.“ Dann müsste er entlassen, im Zweifel erneut bei Null anfangen. Das größere Problem aber ist, dass die Branche, in die der Staat jetzt soviel investiert, die Wirtschaft nicht stützen kann. (Wirtschaftsexperte:) „Start-ups haben keinen großen Effekt auf die Gesamtwirtschaft, sie verändern nur das Verbraucherverhalten vom reellen Laden- zum Onlineshopping.“ Und die meisten start-up Unternehmer verdienen mit ihrer Weiterentwicklung keinen Jüan – landen über kurz oder lang wieder in der Arbeitslosigkeit. Fazit: das neue Aushängeschild, die Förderung der Existenzgründer, bringt weder Fortschritt noch die Wirtschaft voran.

[«2] ZDF Mediathek – China: Wachstum durch Existenzgründer

[«3] forbes – Debunking The Narrative Of Silicon Valley’s Innovation Might

[«4] forbes – Is This The Great Crash Of China?

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