Der Trick, mit dem die großen privaten Krankenversicherer der gesetzlichen Krankenversicherung das Wasser abgraben wollen

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Die Financial Times Deutschland berichtet von einem Krieg der Krankenversicherer. Danach wollen die Allianz, Axa und Ergo eine Einheitsversicherung mit nur noch einem Grundschutz für alle Einwohner einführen, mit einer Einheitsprämie und einer verpflichtenden Grundsicherung zu gleichen Konditionen für private und gesetzliche Krankenversicherungen. Damit könnten die privaten Versicherer, die bisher nur einen kleinen Anteil an den Krankenversicherten haben und nur einen Bruchteil des Gesamtumsatzes erzielen, endlich auf breiter Front auf das Geschäftsfeld der Krankenversicherungen vordringen. Das ganz große Geschäft wären dann noch die privaten Zusatzversicherungen für Leistungen, die der Grundtarif nicht abdeckt. Mit der Unterscheidung zwischen Grundsicherung und ergänzenden Zusatzversicherungen wäre dann die jetzt schon verdeckte Zweiklassenmedizin ganz offiziell eingeführt. Wolfgang Lieb

Um den Vorstoß der großen Versicherungskonzerne zu verstehen, muss man sich folgende Tatsachen vor Augen führen:
Derzeit sind rund 56,7 Millionen Erwachsene im Alter von 20 Jahren und mehr in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert. Die Zahl der mitversicherten Familienangehörigen unter 20 Jahren gibt die Regierung mit rund 12,7 Millionen an. Dies sind in der Regel die Kinder oder Ehefrauen der Mitglieder.
In der privaten Krankenversicherung sind im Jahr 2006 dagegen nur 6,91 Millionen Erwachsene versichert gewesen, berichtet die Regierung unter Hinweis auf Angaben des Verbandes der privaten Krankenversicherung. Darüber hinaus seien dort 1,58 Millionen Kinder krankenversichert (vgl. die aktuelle Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion).

Nach Angaben der FTD liegen die Einnahmen der gesetzlichen Krankenkassen bei 155,4 Milliarden Euro pro Jahr und die Einnahmen der privaten Krankversicherer bei 27,6 Milliarden Euro.

Es ist unschwer zu erkennen, dass es das unternehmerische Ziel der privaten Krankenversicherer sein muss, wie bei der gesetzlichen Rente so auch bei der gesetzlichen Krankenversicherung auf dieses Geschäftsfeld vorzudringen, wenn man seine Umsätze steigern will.

Der Vorschlag der großen Versicherer stellt in Wahrheit jedoch einen vergifteten Apfel dar. Man schafft scheinbar das bisherige Modell der privaten Krankenversicherung, die neben den gesetzlichen Kassen besteht, ab und führt gleichzeitig eine für alle verpflichtende Grundsicherung ein, die dann sowohl von den ehemaligen gesetzlichen Kassen (z.B. AOK) oder Ersatzkassen (z.B. Barmer) als auch von den privaten Versicherern (also eben Allianz oder Axa) zu einem Einheitstarif (Kopfpauschale) angeboten werden müsste.

Damit hätten die gesetzlichen Krankenkassen ihren gesetzlichen Schutz und zugleich einen großen Wettbewerbsvorteil, nämlich die günstige Mitversicherung von Kindern oder Ehefrauen und den solidarischen Ausgleich über den einkommensabhängigen Beitrag, verloren, und die privaten Versicherer könnten auf das Geschäftsfeld der Grundsicherung vordringen. Sowohl gesetzliche Kassen als auch private Versicherer müssten ja diese Grundsicherung zu den gleichen Konditionen anbieten.

Das Angebot der großen Versicherer wird sozusagen als Stein der Weisen zwischen der von der CDU/CSU favorisierten Kopfpauschale (Einheitsprämie) und dem SPD-Vorschlag einer Bürgerversicherung (für alle Einkommensarten verpflichtend) dargestellt. Deshalb verspricht man sich davon wohl auch die Zustimmung von FDP und Union, die schon seit längerem für eine Einheitsprämie eintreten, und von SPD und Grünen, die bekanntlich für eine Bürgerversicherung sind.
So gesehen eine geniale Idee.

Tatsächlich wäre dies nichts anderes als die Einführung einer für alle verpflichtenden Kopfpauschale (also eines gleichen Beitrags für alle, unabhängig von Einkommen, Alter und Geschlecht). Damit hätten die privaten Versicherer endlich die Versicherungspflicht bei gesetzlichen Kassen bis zur Einkommensgrenze von 4.012,50 Euro monatlich geknackt und könnten in das Geschäftsfeld der Krankenversicherung für die „normalen“ Arbeitnehmer vordringen. Bei Einnahmen von über 155 Milliarden Euro für die gesetzlichen Kassen ein hochattraktives Umsatzfeld für die privaten Versicherer.

Richtig interessant für die privaten Versicherer würden erst die Zusatzversicherungen für Leistungen sein, die die Grundsicherung mit der Einheitsprämie nicht abdeckt.

Damit hätte man endlich erreicht, was von konservativer Seite schon seit längerem angestrebt wird, nämlich eine Minimalabsicherung für die Masse und eine darüber hinaus gehende Gesundheitsversorgung nach Geldbeutel. Die bislang nur verdeckte „Zweiklassen-Medizin“ zwischen gesetzlichen und privat Versicherten gäbe es dann ganz offen: Wer über Zusatzversicherungen mehr bezahlt, bekommt eine bessere Versorgung.

Noch geht nach Angaben der FTD durch die private Versicherungsbranche ein tiefer Riss:
„Das Geschäftsmodell der großen, börsennotierten Konzerne wie der Allianz ist in der PKV (Privaten Krankenversicherung) wegen der großen Zahl älterer Versicherter in der Krise; diese Unternehmen, die den GDV (Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft) dominieren, suchen in radikalen Lösungen die Flucht nach vorn.“

Heftiger Widerstand komme dagegen von den sog. Versicherungsvereinen wie Debeka oder Signal Iduna, die eher genossenschaftlich organisiert sind und weniger renditeorientiert arbeiten und die derzeit gut die Hälfte des privaten Krankenversicherungsmarktes abdecken.

Es wird interessant sein, wie die Politik auf diese Vorschläge reagiert.
Nachdem die privaten Versicherer schon bei der Rentenversicherung der gesetzlichen Rente das Wasser abgraben konnten, wird man auch bei der Krankenversicherung das Schlimmste befürchten müssen.

Damit stünde ein weiteres, solidarisch finanziertes, soziales Sicherungssystem vor dem Aus. Denkbare soziale Ausgleichszahlungen würden wahrscheinlich überwiegend aus indirekten Steuern finanziert werden und somit gerade diejenigen belasten, die den größten Teil ihres Einkommens verkonsumieren müssen und damit (relativ zu ihrem Einkommen) den höchsten Anteil an der Finanzierung tragen.

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