Beschränkung der Onlineangebote der Rundfunkanstalten: Zensur durch den Markt

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Mit der Freiheitsrhetorik „Free flow of information“ haben die Verleger mit Hilfe von Bundeskanzler Kohl den plural organisierten und nicht kommerziellen Rundfunk geknackt und den Kommerzfunk erstritten. Jetzt wo das Informationsangebot des öffentlich-rechtlichen Rundfunks über das Internet zur Konkurrenz für die kommerziellen Medien werden könnte, ist das Menschenrecht auf Informationsfreiheit plötzlich nicht mehr so wichtig. Die wirtschaftliche Wettbewerbsfreiheit der EU-Verträge steht über der Informationsfreiheit und dem Wettbewerb der Meinungen.

„Eine Zensur findet nicht statt“ heißt es lakonisch in Art. 5 des Grundgesetzes. Das Zensurverbot ist vor allem gegen den Staat gerichtet, Zensur durch den Markt darf es offenbar schon geben. Nichts anderes als die Einschränkung der Informationsfreiheit ist das Ziel der Eckpunkte für den 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag, auf die sich die Ministerpräsidenten der Länder verständigt haben.

Danach sollen erstens Telemedien- und Onlineangebote öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten verboten sein, wenn sie keinen unmittelbaren Bezug zu den jeweiligen Sendungen haben. Zweitens sollen diese sendebezogenen Informationen über das Internet nur zeitlich begrenzt, in der Regel nur 7 Tage, zur Verfügung stehen dürfen.

Danach dürfen ARD und ZDF die dort vorhandenen Informationen allgemeiner Art nicht mehr über das Internet der Öffentlichkeit anbieten, und den dort arbeitenden Journalisten wird eine Informationsverbot auferlegt, wenn sie über Sachverhalte informieren wollen, die über einen unmittelbaren Bezug zu den ausgestrahlten Sendungen hinausgehen.

In der Welt des Internets und der Informationssuchmaschinen ist es besonders absurd, dass schon einmal verbreitete Informationen nach kurzer Zeit wieder der Öffentlichkeit entzogen werden müssen.

Die aktive Informationsfreiheit, also die Freiheit der Berichterstattung und der freie Informationszugang (die sog. passive Informationsfreiheit) eines jeden Menschen ist die Grundlage für die Meinungsfreiheit und für die Meinungsbildungsfreiheit. Informations- und Meinungsbildungsfreiheit sind deshalb nicht nur elementare Menschenrechte, sondern konstituierende Elemente einer Demokratie. Diese fundamentalen Rechte scheinen aber zurückstehen zu müssen, wenn sie mit der Wettbewerbs- und Marktfreiheit konkurrieren.

So will es jedenfalls das europäische Recht und die Europäische Kommission als dessen Hüterin. Die EU-Kommission hat den nach unserem Grundgesetz verbürgten öffentlich-rechtlichen Rundfunk als im Prinzip unvereinbar mit der in den europäischen Verträgen verankerten Gewerbe- und Wettbewerbsfreiheit angesehen, weil er über Gebühren finanziert wird und somit aus marktwirtschaftlicher Sicht in unzulässiger Weise öffentliche „Subventionen“ erhält.

Dass die Väter des Grundgesetzes und das Bundesverfassungsgericht bei der Ausgestaltung der Rundfunkfreiheit die Lehren aus den bösen Erfahrungen des Hugenbergschen Pressemonopols in der Weimarer Zeit und der Gleichschaltung der Presse und dem Missbrauch des Rundfunks als Propaganda-Instrument durch die Nazis gezogen haben und den Rundfunk als „Faktor und Medium“ einer Demokratie ausdrücklich weder privaten Monopolen noch staatlichem Missbrauch ausliefern wollten, spielte gegenüber den im europäischen Vertragsrecht festgeschriebenen liberalen Wirtschaftsrechten keine Rolle mehr. Schon im Jahr 1971 erklärte der Europäische Gerichtshof den Rundfunk zu „Dienstleistung“ und ordnete ihn damit dem Wirtschaftsrecht zu. Ein Beispiel dafür, wie das europäische Vertragsrecht unser nationales Verfassungsrecht zumindest einschränkt, wenn nicht gar außer Kraft setzt.

Nur mit größter Mühe und mit dem Hinweis, dass Rundfunk in Deutschland eben nicht nur ein gewerbliches Unternehmen darstellt, das eine marktgängige Dienstleistung erbringt, sondern einen öffentlichen Kultur- und Bildungsauftrag zu erfüllen hat, der nicht ausschließlich unter das (gewerbliche) Wettbewerbsrecht und damit unter EU-Recht fällt, wurde ein sog. „Beihilfekompromiss“ gefunden, der den Rundfunkanstalten auferlegt, ihren spezifischen öffentlichen Auftrag (gegenüber den privaten Kommerzsendern) exakt zu definieren, das heißt: einzugrenzen. Damit sollten Wettbewerbsverzerrungen auf dem Markt der elektronischen Medien begrenzt werden.

Dieser Brüsseler „Beihilfekompromiss“ soll nun durch den 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag von den für den Rundfunk zuständigen Ländern auf dem Gebiet der Telemedien und Online-Dienste umgesetzt werden.

Das Kernproblem besteht darin, dass das Internet die technische wie die inhaltliche Abgrenzung zwischen Rundfunk und anderen Informationsquellen, wie etwa der Presse, weitgehend aufgehoben hat. Da nun auch die Zeitungsverleger – angesichts rückläufiger Auflagen ihrer Printmedien – im Internet einen zukunftsträchtigen Markt für die „Ware Information“ sehen, fürchten sie dort die Konkurrenz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und reklamieren mit dem Hinweis auf die Gewerbefreiheit ein spezielles Anrecht auf dieses Verbreitungsmedium gegenüber einem nach ihrer Auffassung marktwidrig durch Gebühren „subventionierten“ Rundfunk.

Am liebsten wäre den Verlegern und den kommerziellen Rundfunkunternehmern, wenn dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk die Verbreitung von Informationen über das Internet gänzlich verboten würde. Das gelingt jedoch (noch) nicht, weil dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk durch eine Protokollanmerkung zum Amsterdamer EG-Vertrag aus dem Jahre 1997 eine „Bestands- und Entwicklungsgarantie“ auch für die neuen audiovisuellen Dienste und Informationsdienste sowie für die neuen Technologien zuerkannt wurde. Wenn die privaten Medienunternehmen nun also den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht gänzlich aus dem Internet heraushalten können, so drängen sie doch auf eine Beschränkung seiner Informationsangebote, so dass ihre Wettbewerbschancen möglichst wenig tangiert werden.

Insoweit folgt der 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag mit seinen Einschränkungen für die Informationsinhalte und für die zeitliche Begrenzung des Informationsangebots des öffentlichen Rundfunks der Wettbewerbslogik des Artikels 87 des EG-Vertrages, wonach staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar sind.

Betrachtet man die von den Ministerpräsidenten vereinbarten Eckpunte aus dem Blickwinkel der aktiven und passiven Informationsfreiheit, so stellen sie sich faktisch als eine staatliche Zensur dar. Die Journalistinnen und Journalisten des öffentlichen Rundfunks dürfen im Internet nur eine eingeschränkte inhaltliche Berichterstattungsfreiheit wahrnehmen, und umgekehrt wird den Bürgerinnen und Bürgern damit ihre Informationsfreiheit eingeengt und der Zugang zu den inhaltlich beschnittenen Informationen sogar noch zeitlich begrenzt. Von „free flow of information“ ist da keine Rede mehr.

Informationsfreiheit wird als Annex bzw. als nachgeordnet zur Wettbewerbsfreiheit behandelt. Im Namen des Wettbewerbs darf die Informationsfreiheit beschnitten werden.Das Paradoxe daran ist, dass die Verleger im Namen des wirtschaftlichen Wettbewerbs gerade den Wettbewerb auf der Angebotsseite, nämlich den Wettbewerb beim Informationsangebot, verhindern oder zumindest einschränken möchten.

Das Makabre daran ist, dass gerade diejenigen, die auf dem Medienmarkt eine Oligopolstellung einnehmen, sich einen lästigen Konkurrenten vom Leibe halten wollen. Statt im Informationsangebot des öffentlichen Rundfunks ein (demokratisches) Gegengewicht zur Konzentration der medialen Meinungsmacht auf vier oder fünf Konzerne zu erkennen, wird mit dem Staatsvertrag der Oligopolisierung der veröffentlichten Meinung nun auch noch bei den neuen Medien Vorschub geleistet.

Dabei wäre angesichts der zunehmenden Meinungsmonopolisierung und angesichts des Verlusts an Meinungsvielfalt es eher umgekehrt eine dringliche Aufgabe, die Meinungsvielfalt auch im Printsektor durch ein öffentliches, pluralistisch organisiertes Angebot wiederherzustellen, als dass die Informationsfreiheit der öffentlichen Rundfunkanstalten zum Schutze und zur Förderung privaten Gewinnstrebens durch den Staat zensiert wird.

Ich bin mir darüber im Klaren, dass meine Position, der Informationsfreiheit den Vorrang vor der Gewerbefreiheit einzuräumen, mit dem Recht der EU nicht vereinbar ist. Dagegen kann ich nur einwenden: Umso schlimmer für diese Rechtsentwicklung und für die demokratische Entwicklung in Europa insgesamt, dass der Kommerz Vorrang vor der Informations- und damit auch der Meinungsbildungsfreiheit hat.

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