„Wer die Korruption beenden will, muss in den USA und im Vereinigten Königreich beginnen. – Dort wird sie in aller Öffentlichkeit geduldet.“

Ein Artikel von Jeffrey Sachs

Das ist die Überschrift eines Artikels des bekannten US-amerikanischen Ökonomen Jeffrey Sachs, veröffentlicht am 12. Mai im britischen Guardian. Wir hielten den Text für so wichtig, dass C.W. ihn übersetzt bzw. den Inhalt wiedergegeben hat. Es folgt die Übersetzung und hier als PDF. Der Artikel von Sachs enthält bemerkenswerte Aussagen. Zum Beispiel sei es schwer, daran zu glauben, dass die großen Finanzfirmen nicht Teil eines globalen Netzwerks organisierter Finanzkriminalität sind. Albrecht Müller

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Die Aussagen von Jeffrey Sachs bestätigen die Sorgen, dass wesentliche Teile der von den USA und Großbritannien betriebenen Politik und ihre weltweite imperiale Einflussnahme gefährlich sind und tödlich sein können. Sie bestätigen auch die Berechtigung, davon zu sprechen, die internationale Politik werde wesentlich von einflussreichen, sehr zweifelhaften Kreisen bestimmt. Und der Beitrag von Sachs sollte jenen ins Stammbuch geschrieben werden, die sofort „Verschwörungstheorie“ rufen, wenn man die bittere Fremdbestimmung der Politik vieler Völker einschließlich des deutschen auch nur andeutet. – Wie das Rennen um die US Präsidentschaft mit den noch vorhandenen Kandidaten auch ausgeht, die hier skizzierten Sorgen werden nicht kleiner, sondern größer.

Und wir sollten endlich sicht- und hörbarer auf die Tagesordnung setzen: Es wäre nicht schlimm, wenn England die europäische Union verlassen würde. Und es ist wichtig, dass sich Europa auf mittlere Sicht von der Vormundschaft der USA befreit. Die letzte Aussage habe ich in öffentlichen Debatten und Reden mehrmals gebraucht und getestet. Mein Eindruck: sie ist mehrheitsfähig in Deutschland.

Nun aber zu dem Artikel von Jeffrey Sachs und der Übersetzung. Dafür herzlichen Dank:

„Wer die Korruption beenden will, muss in den USA und im Vereinigten Königreich beginnen. – Dort wird sie in aller Öffentlichkeit geduldet.“

Vor allem die Duldung von Briefkastenfirmen, Steueroasen und Straffreiheit fördern das Verbrechen. Das sollten die Delegierten des Anti-Korruptions-Gipfels nicht vergessen.

In einem aktuellen Artikel für die englische Tageszeitung The Guardian macht Jeffrey Sachs darauf aufmerksam, dass der Kampf gegen die Korruption absurde Züge trage, wenn die Vertreter großer Staaten wie des Vereinigten Königreichs und der USA jetzt beim Anti-Korruptions-Gipfel über Korruption in Nigeria und Afghanistan schwadronieren, sich der eigenen tiefen und historischen Verstrickung in den schäbigen Klüngel aber nicht annehmen.

Eine allgegenwärtige Form von Korruption sei der Einsatz von Strohfirmen, deren einziges Ziel sei, die Identität der wirklichen Eigentümer zu verschleiern und diese damit vor Verantwortung und Rechenschaftspflicht zu schützen. Die gerne vorgebrachte Argumentation, dass sorgfältige Compliance-Prüfungen der Kanzleien, die die Briefkastenfirmen einrichten, ja dafür sorgten, dass der kleinen Minderheit von Leuten mit üblen Absichten im großen und ganzen erfolgreich ein Strich durch die Rechnung gemacht werde, widerlegt Sachs. Am Beispiel Mossack Fonseca rechnet er vor: Mehr als 300.000 Firmengründungen in den vergangenen vierzig Jahren seien durchschnittlich 37,5 Firmengründungen pro Arbeitstag. Die Zahl allein zeige, erst recht in Kombination mit den aufgedeckten Korruptionsfällen, dass das Gerede von Sorgfalt lächerlich und der Missbrauch von Firmengründungen eklatant sei.

Das Vereinigte Königreich bilde das Zentrum dieses Netzwerks straffreier Korruption, was einerseits ein Vermächtnis des britischen Empires sei, andererseits aber auch ermessen lasse, welch wichtige Rolle die City of London beim Tranfer steuerfreier Gelder rund um den Globus nach wie vor spiele. Die Britischen Jungferninseln zum Beispiel verzeichneten bei 28.000 Einwohnern rund 1 Million registrierte Firmen, also ca. 35 Firmen pro Einwohner, und seien bei weitem die beliebteste Steueroase der in den Panama Papers genannten Firmen. Aktuellen Schätzungen zufolge gebe es auf den Britischen Jungferninseln ungefähr 479.000 aktive Firmen.

Wie tief die Tentakel der Korruption ins britische und us-amerikanische Finanzsystem greifen, zeige sich daran, dass Banken der City of London und der Wall Street in den vergangenen Jahren zig Milliarden Dollar Strafen für Insiderhandel, Finanzbetrug, Preisabsprachen und ähnliches gezahlt haben, aber beinahe kein führender Bänker wegen rechtswidrigen Handelns des Unternehmens angeklagt worden sei. Das mache es schwer, daran zu glauben, dass die großen Finanzfirmen nicht Teil eines globalen Netzwerks organisierter Finanzkriminalität seien.

Das Schlimmste sei aber, dass Steueroasen und Bänker selbst in den schamlosesten Fällen noch öffentlich verteidigt werden. Sachs erinnert an den konservativen Parlamentsabgeordneten Dominic Grieve, immerhin früherer Generalstaatsanwalt von England und Wales und Mitglied des Privy Council (‚Kronrats der Königin‘), der die Auffassung vertritt, die Britischen Jungferninseln seien durchaus dazu berechtigt, ihren Finanzplatz nach eigenem Ermessen zu organisieren.

Das Vereinigte Königreich und die USA, so Sachs, stünden im Zentrum des globalen Missbrauch-Systems. Großbritannien habe das moderne globale Finanzsystem Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts errichtet und nach dem zweiten Weltkrieg zusammen mit der Wall Street weiter ausgebaut. Hunderttausende Anwälte, Bänker, Hedgefond-Manager, Politiker, Rechnungsprüfer und Finanzaufsichten beider Länder hätten bewusst ein System globaler Steueroasen für die Reichen und mit den Reichen aufgebaut, das heute mehr als 20 Billionen (!) US-Dollar vor Besteuerung, Gesetzeshütern, Umweltschutzbestimmungen und Zurechenbarkeit verstecke.

Es sei also gut, dass der Anti-Korruptions-Gipfel im Vereinigten Königreich stattfinde. Man solle aber immer bedenken: So ernst und tragisch die Korruption in Nigeria, Afghanistan und anderswo ist, sie ist langjährig vom Vereinigten Königreich erst ermöglicht worden (auch durch Royal Dutch Shell, nicht nur durch Steueroasen). Es müsse zwischen großen und kleinen Beteiligten unterschieden werden, oder wie es in einer alten englischen Weise heiße:

The law demands that we atone
When we take things we do not own
But leaves the lords and ladies fine
Who take things that are yours and mine.

(Das Gesetz verlangt, dass wir es büßen,
wenn wir Dinge nehmen, die uns nicht gehören.
Lässt aber Lords und Ladies ungestraft,
die Dinge nehmen, die dir und mir gehören.)

Nachbemerkung Albrecht Müllers zur Person und Entwicklung von Jeffrey Sachs:

Dass er früher neoliberale Positionen vertreten hat und anderen Regierungen und Völkern zu Privatisierung und sonstigen Fehlentscheidungen geraten hat, weiß ich auch. Das steht ja im oben verlinkten Wikipedia-Beitrag ausdrücklich drin. Offensichtlich hat er sich geläutert und seine Positionen korrigiert. Auch das ist in dem verlinkten Beitrag angesprochen. Eine solche Veränderung der Position ist doch besser als ein Beharren auf alten Fehlern, wie wir das bei vielen unserer deutschen Ökonomen erleben.