Wirtschaft und SPD für die Senkung der „Lohnzusatzkosten“

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Uni sono plädieren der Direktor des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Bild am Sonntag und der SPD-Vorsitzende Kurt Beck im Sommer-Interview des ZDF an diesem Wochenende für eine Senkung der Abgabenlast. Im Ergebnis würden damit die Leistungen der sozialen Sicherungssysteme weiter gesenkt und die Zusatzkosten einseitig den Arbeitnehmern aufgebürdet. Statt „mehr Netto vom Brutto“ hätten die Leute weniger in der Tasche. Die SPD macht diese Irreführung mit und wundert sich noch, dass ihr die Wählerinnen und Wähler davon laufen.

„Institut der deutschen Wirtschaft: Der Aufschwung ist zu Ende“, so lautet die Überschrift in der BamS. Der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) sagt für das kommende Wahljahr ein Gesamtwirtschaftswachstum von gerade mal 1 Prozent voraus! Hüther fordert, die Wirtschaftspolitik müsse „durch Abgabenentlastungen wieder auf Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit setzen, die Lohnpolitik darf die Grenzen des Verteilungsspielraums nicht ignorieren”.

Ob Aufschwung oder Abschwung, ob Energiepreisexplosion oder Dollarverfall, die deutsche Wirtschaft kennt immer nur ein einziges Rezept: Abgabensenkungen und Lohnzurückhaltung.

Und die SPD plappert diese Parolen einfach nach. Im ZDF-Sommerinterview sagt Kurt Beck:

„Und dann steht eine Senkung der Lohnzusatzkosten an, denn die entlasten die Menschen, wenn wir sie senken, vom ersten verdienten Euro an…
Wir sind die Partei, die die Beiträge senken will und zwar auf unter 36 Prozent, wie dies vor der deutschen Einheit gewesen ist.“

Der Mythos der „Lohnnebenkosten“ wird also von der SPD munter weiter gepflegt. Das ist eine plumpe Irreführung der Öffentlichkeit:

Mit der Senkung der (paritätisch finanzierten) Sozialversicherungsbeiträge sinken ja nicht die Kosten für die Renten-, die Gesundheits- oder die Arbeitslosenversicherung. Noch vor wenigen Tagen meldete das Statistische Bundesamt bei den Sozialkassen ein Einnahme-Minus von 3,7 Milliarden Euro. Die Lücken, die durch die Senkung der „Lohnnebenkosten“ entstehen müssen schon nach den Renten- und Gesundheits-„Reformen“ einseitig von der Arbeitnehmerseite getragen werden, etwa durch die private Riester-Rente oder durch einkommensunabhängige (ausschließlich privat finanzierte) Zusatzbeiträge nach Einführung des Gesundheitsfonds für die Kassen mit vielen Niedrigverdienern.

Durch die Senkung der Beiträge für die Arbeitslosenversicherung von 4,2 auf 3,3 Prozent zum 1. Januar 2008 stieg das Defizit bei der Bundesagentur für Arbeit von 0,3 auf 1,0 Milliarden Euro. Die durch die Beitragssenkungen entstandenen Defizite müssen durch eine weitere Senkung der Leistungen ausgeglichen werden. So wurden u.a. schon im Verlauf der bisherigen Senkungen der Arbeitslosenversicherungsbeiträge die Ausgaben der Bundesagentur etwa für die berufliche Weiterbildung trotz des angeblichen Facharbeitermangels von 7,8 im Jahr 1999 auf 2,3 Milliarden Euro im Jahre 2005 (also um 70 %) vermindert. Im Jahre 2006 gingen sie laut Bildungsbericht weiter auf 1,6 Milliarden zurück.

Oder nehmen wir als Rechenbeispiel die Rentenversicherung:

Von den gesamten Lohnkosten gehen 19,9 Prozent paritätisch finanziert an den gesetzliche Rentenversicherung ab. Vom Bruttolohn der Arbeitnehmer sind das knapp 10 Prozent. Wollen die Arbeitnehmer nach dem Abbau der gesetzlichen Rente eine auskömmliche Altersvorsorge erhalten, sollen sie künftig, um die staatliche Förderung zu erhalten, 4 Prozent ihres Bruttolohnes in die private Riester-Rente einzahlen. D.h. die Arbeitnehmer zahlen heute schon knapp 14 Prozent ihres Bruttolohnes für eine auskömmliche Altersvorsorge, während der Anteil für die Arbeitgeberseite gedeckelt wurde und künftig noch weiter gesenkt werden soll.

Man gaukelt den Arbeitnehmern also vor, durch die Senkung der „Lohnnebenkosten“ mehr „Netto“ in der Tasche zu haben. Dass sie von diesem Netto anschließend erheblich mehr für die private Vorsorge ausgeben müssen bzw. die Leistungen der sozialen Sicherungssysteme gesenkt werden, das wird tunlichst verschwiegen.

Dass die Wirtschaftsverbände und mit ihnen das wirtschaftsnahe Institut der deutschen Wirtschaft für die Entlastung der Arbeitgeber eintreten, versteht sich aus deren Interessenlage. Dass nun aber gerade die Sozialdemokraten in das gleiche Horn blasen, belegt nur, dass sie die Interessen der Arbeitnehmer an der Stabilisierung der gesetzlichen sozialen Sicherungssysteme vor lauter Anpassung an die Arbeitgeberideologie aus den Augen verloren haben. Warum eigentlich?

Vor wenigen Tagen noch musste der Rentenversicherungsanbieter „Postbank“ nach einer von ihm bei Allensbach in Auftrag gegebenen Umfrage feststellen, dass 71 Prozent der Berufstätigen und 76 Prozent der Nichtberufstätigen die gesetzliche Rente für die beste Form der Alterssicherung halten.

Doch die Sozialdemokraten wollen die hohe Zustimmung der Bevölkerung für die gesetzlichen Sozialversicherungssysteme offenbar nicht zur Kenntnis nehmen. Im Gegenteil, sie arbeiten durch weitere Abgabensenkungen kräftig weiter an deren Abbau mit und wundern sich, dass ihre Zustimmung bei den Wählerinnen und Wählern auf die Werte einer Splitterpartei absacken.

Am letzten Freitag hatten wir auf ein Interview in der Zeitschrift „KONKRET“ [PDF – 380 KB] mit Albrecht Müller hingewiesen. Er kritisierte dort, dass die SPD nicht mehr als eigenständig denkende und handelnde politische Kraft erkennbar sei. „Die praktische Politik der SPD-Spitze ist im Kern von der neoliberalen Ideologie bestimmt. Und dies in einer Situation, die eigentlich genuin sozialdemokratische Antworten erfordern würde.“

Die Forderung nach Senkung der „Lohnzusatzkosten“ in einer Phase, in der der schwache Aufschwung zu kippen droht, ist genauso ein Beleg für diese These, wie die Tatsache, dass Kurt Beck, statt energisch den Konjunkturabschwung aufzuhalten, als erstes Ziel der SPD die Haushaltskonsolidierung nennt. Dabei ist die „Staatsquote“ von 49,3% im Spitzenjahr 1996 auf 45,6% in 2006 gesenkt worden. In der Eurozone haben nur noch Irland, Spanien und Luxemburg niedrigere Quoten. Aus der Amtszeit des „Sparkommissars“ Eichel sollte man doch gelernt haben, dass Sparen im Abschwung nur zu höherer Nettoverschuldung führte.

Beck bedient dabei einmal mehr das scheinmoralische Argumentationsmusters der Konservativen, die den Staat möglichst weitgehend zurückdrängen wollen: „Wir können unseren Kindern auf die anderthalb Billiarden nicht noch neue Schulden draufpacken“, sagt Beck dem ZDF. Dabei wird mit moralischem Pathos so getan, als sei die Staatsverschuldung ein Problem zwischen den Generationen und nicht ein sich von der Gegenwart in die Zukunft sich fortpflanzendes Verteilungsproblem innerhalb der Gesellschaft zwischen reich und arm.

„Für jeden Euro, den der Staat als Verschuldung verbucht, entsteht nämlich eine Forderung gegenüber dem Staat in Höhe von genau einem Euro. Das heißt, wir vererben die staatlichen Verbindlichkeiten an zukünftige Generationen, wir vererben aber auch die dem notwendigerweise gegenüber stehenden Forderungen an zukünftige Generationen“, schreibt Heiner Flassbeck [PDF – 52 KB].

Auf eine sozialdemokratische Antwort der SPD auf dieses fortdauernde Verteilungsproblem, wartet man leider vergeblich. Kurt Beck, Peer Steinbrück oder Hubertus Heil wiederholten an diesem Wochenende die längst gescheiterten neoliberalen Konzepte und überließen der CSU mit deren Forderung nach Wiedereinführung der Pendlerpauschale die Schlagzeilen.

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