Deutsche Bank: Eine Parallelgesellschaft

Jens Berger
Ein Artikel von:

Die Deutsche Bank sorgt mit dem höchsten Verlust ihrer Geschichte für Schlagzeilen. Folge auch eines zutiefst maroden Managementsystems. Während die Deutsche Bank einen historischen Verlust bekannt gibt (6,772 Milliarden Euro) und sich der Aktienkurs innerhalb eines Jahres halbiert, gibt sie gleichzeitig bekannt, dass Schulden im Wert von mehr als vier Milliarden Euro vorzeitig zurückgekauft werden sollen. Derweil setzt die Ratingagentur Standards & Poors die Deutsche Bank auf B+, in Anlegersprache eine “hochspekulative Anlage”. Von Manfred Lieb und Daniel Deimling von Makroskop

Dieser Artikel erschien zuerst exklusiv auf Makroskop, dem neuen Blogprojekt von Heiner Flassbeck und Paul Steinhardt.

Vor dem Landgericht Frankfurt hat Mitte Februar ein Prozess wegen “schwerer bandenmäßiger Steuerhinterziehung” gegen einen Manager (Teamleiter) und 6 Beschäftige (ehemalige und derzeitige Mitarbeiter) der Deutschen Bank begonnen. Gegenstand des Prozesses ist ein Umsatzsteuer-Karussell beim Emissionshandel. Bereits in einem früheren Prozess in Frankfurt in derselben Sache hatte einer der Angeklagten schwere Vorwürfe gegen die Deutsche Bank erhoben.

Was ist los mit der Deutschen Bank? Geht es nur darum, dass der neue CEO John Cryan alle Risiken ausgräbt und alle Leichen aus dem Keller holt? Oder ist das Geschäftsmodell der Bank im Gegensatz zum Geschäftsmodell der Commerzbank nicht mehr zeitgemäß, nicht mehr wettbewerbsfähig? Welche Managementkultur und welche Ethik hat das Handeln der Verantwortlichen bestimmt?

Unglaubliches Geschäftsgebaren

Hinsichtlich der Analyse der strukturellen Probleme des Finanzsystems gibt es viele aussagekräftige Analysen, kaum beachtet wird aber der Managementaspekt. Es spricht nämlich vieles dafür, dass die Schwierigkeiten der Deutschen Bank Folge eines zutiefst maroden Managementsystems sind. Die Widersprüche in diesem System sollen an einigen Beispielen aufgezeigt werden.

Ein großer Teil der in der Presse genannten Verluste sind keine tatsächlichen Verluste, die zu einem Abfluss von Ressourcen geführt haben, sondern Rückstellungen, also eine Vorsorge für mögliche Verluste in der Zukunft. Ein großer Teil dieser Rückstellungen – etwa 700 Millionen Euro für Zivilrechtstreitigkeiten und etwa 3.9 Milliarden Euro für Prozesse mit Regulierungsbehörden – ergeben sich aus Rechtstreitigkeiten, die wiederum zu erheblichen Geldstrafen führen können oder bereits dazu geführt haben.

Im letzten vorliegenden Geschäftsbericht für das Geschäftsjahr 2014 werden auf den Seiten 135 bis 149 diverse laufende Gerichtsverfahren aufgeführt. Im vorläufigen Geschäftsbericht für 2015 sind auf Seite 370 bis 384 alle laufenden Einzelverfahren aufgelistet. Diese Verfahren sind kartellrechtlicher und zivilrechtlicher Natur. Sie verweisen auf Geschäfte, in denen gegen Recht und Gesetz verstoßen wurde, respektive ein Verstoß vermutet wird. Jeweils 14 Seiten (in 2014 und 2015) also, auf denen die Deutsche Bank dazu gezwungen ist, ein unglaubliches Geschäftsgebaren offen zu legen. Von den bekannten Liborzinssatzmanipulationen sowie den Auseinandersetzungen mit der Insolvenz der Kirchgruppe, über den Verstoß gegen US Embargobestimmungen, bis hin zum Umgang mit Hypothekenkrediten in den USA, reichen die »Problemfelder« der Bank. Strafzahlungen wegen Manipulationen bei Kreditswaps von über 120 Millionen US-Dollar im Rahmen eines Vergleichs finden sich in den Berichten ebenso wie Strafzahlungen wegen der Manipulation von Euro-Zinssatzderivaten im Vergleich mit der Europäischen Kommission von 725 Millionen Euro. Dazu ein Vergleich in Höhe von 2,175 Milliarden US-Dollar mit dem US Department of Justice bzw. 226.8 Millionen britische Pfund mit anderen Institutionen wegen Fehlverhaltens bei der Festlegung von Libor, Euribor und Tibor.

Die Darlegungen sind eine einzige Dokumentation unethischen Verhaltens, von Regelverstößen und eines problematischen Geschäftsgebarens. Und es scheint so zu sein, dass hier noch nicht einmal alle Probleme dargelegt sind. Kaum verwunderlich ist es da, dass für die Süddeutsche Zeitung der „Kredit verspielt ist“. Die Deutsche Bank selbst schreibt in ihrem Geschäftsbericht über das Jahr 2014, dass der Konzern aus 1485 konsolidierten Unternehmen besteht (2015 waren es dann noch 1217), von denen (ausweislich der ebenfalls veröffentlichten Liste der verbundenen Unternehmen) viele ihren Sitz in den Steuerparadiesen Luxemburg, Wilmington (Delaware USA), Mauritius und auf den Cayman Islands haben. Seit »Luxemburg-Leaks« kann man nachvollziehen, welchem Geschäftszweck solche Konstruktionen dienen. Der schöne und vornehme Begriff »Asset-Management« dient dazu, Steuervermeidung in großem Ausmaß möglich zu machen. Die Niederlassung der Deutschen Bank in Singapur ist ein sehr gutes Beispiel hierfür, wie die Süddeutsche Zeitung und der NDR mit Rückgriff auf geheime Unterlagen darlegen konnten.

Parallelgesellschaft mit eigenen Regeln

Die sogenannten Panama Papers der Kanzlei Mossack Fonseca machen erneut deutlich, wie massiv Banken in die Steuervermeidung involviert sind – insbesondere deutsche Geldinstitute und allen voran die Deutsche Bank. 400 Briefkastenfirmen, davon noch 50 aktive, hat die Deutsche Bank bei Mossack Fonseca laut Presseberichten gehalten.

Dieses Verhalten mag strafrechtlich schwer zu fassen sein. Das ändert aber nichts daran, dass dadurch Vermögensteile, die aus Wertschöpfungsprozessen entstanden sind, der Allgemeinheit vorenthalten werden. Die Wertschöpfungsverteilung wird konterkariert und die allgemeinen Regeln der Ökonomie werden außer Kraft gesetzt. Insoweit geht es nicht nur um strafrechtliche Fragestellungen wie die der direkten Steuerhinterziehung. Bedenklich ist vor allem der Aufbau einer Parallelgesellschaft und -ordnung mit eigenen Regeln. Der Verdienst der Panama Papers ist es, die Verstrickung deutscher Konzerne in dieser Ordnung in Erinnerung gerufen zu haben.

Dass der „Kredit verspielt“ ist, wirkt in Anbetracht des Ausmaßes dieser Enthüllungen beinahe euphemistisch. Es stellt sich die Frage, welche Managementsysteme in einer solchen Organisation zum Einsatz kommen und welche Unternehmenskultur ein solches Geschäftsgebaren zulässt – oder vielleicht sogar fördert.

Selbstverständlich hat die Deutsche Bank, wie beinahe alle Großunternehmen, einen Verhaltens- und Ethikkodex. Im Rahmen der sogenannten Corporate Social Responsibility (CSR), der gesellschaftlich verantwortlichen Unternehmensführung, werden auf der Website der Deutschen Bank eine große Anzahl an Themen angesprochen und eine große Anzahl an Statements produziert. Aber wie sind Aussagen im Verhaltens- und Ethikkodex wie die folgende:

Unsere Reputation ist mit das wichtigste Kapital, das wir besitzen. Jeder Mitarbeiter ist verpflichtet, Handlungen oder Äußerungen zu vermeiden, die der Bank schaden könnten. Keine Transaktion ist es wert, den guten Ruf der Deutschen Bank aufs Spiel zu setzen.

in Einklang zu bringen mit den gewaltigen rechtlichen Problemen, über die der Geschäftsbericht informiert? Auch soll gelten:

Alle Mitarbeiter der Deutschen Bank sind verpflichtet, diesen Kodex zu lesen und sich nach Buchstaben und Geist seiner Bestimmungen zu richten. Die Nichteinhaltung einer Bestimmung dieses Kodex stellt einen schweren Verstoß dar.

Hier klafft eine eklatante Lücke zwischen dem realen Verhalten von Management und Mitarbeitern auf der einen Seite und dem kommunizierten Wertegerüst des Unternehmens auf der anderen Seite. Integrität ist dementsprechend nur ein Scheinbegriff, der dem Anspruch

Wir richten uns stets nach den höchsten Integritätsstandards – in Worten und in Taten. Wir tun das, was nicht nur rechtlich erlaubt, sondern auch richtig ist.

nicht einmal im Ansatz gerecht werden kann oder will. Der Vergleich zwischen den im Geschäftsbericht dargelegten illegalen Geschäften und dem Ethikkodex macht deutlich, dass das Management der Deutschen Bank bei der Aufgabe, die selbstgesetzten ethischen Regeln einzuhalten, eklatant versagt hat. Ethik und ein Geschäftsmodell, das Spielernaturen braucht und ständig neu schafft, geht wohl prinzipiell nicht zusammen.

„Spekulation wird benötigt”

Deutlich wird die Scheinlegitimität, mit der diese Kultur der Verlogenheit aufrechterhalten wird, in der Auseinandersetzung über die Spekulation mit Agrarrohstoffen. Unter dem Stichwort »Verantwortung« geht die Deutsch Bank darauf ein: “Treiben Indexfonds und Agrarspekulationen die Lebensmittelpreise?” Für die Deutsche Bank ist diese Frage nicht zweifelsfrei geklärt. Die Bank beruft sich auf die „überwiegende Mehrheit der Finanzwissenschaftler und Agrarökonomen […], die einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Agrarspekulation und Preisanstieg für nicht gegeben” hält. Indexfonds hätten gar wichtige positive Effekte, indem sie einer „passiven Handelsstrategie“ folgen würden. Da sie „einen Markttrend“ nachzeichnen, ginge hiervon „eine preisstabilisierende Wirkung aus“, so die Deutsche Bank. Unter der Zwischenüberschrift “Spekulation wird benötigt” zitiert sie aus einem Brief von 40 Agrarökonomen an Bundespräsident Joachim Gauck, in dem diese These geteilt wird.

Zwar gibt es auch eine Verlinkung zu einer Studie, die sich kritisch mit dem Thema auseinandersetzt und den Einfluss von Spekulationen auf die Lebensmittelpreise empirisch bestätigt. Ein Ergebnis, welches sich auch aus einer logischen Betrachtung der Zusammenhänge erschließen lässt. Doch diese Studie wiederum wird durch einen Hinweis auf zwei Diskussionsbeiträge des Autors Alexander Horn zu relativieren versucht. „Nahrungsmittelspekulation: Regulierung ohne Substanz“ und ein „Kritischer Essay zur Moral verschiedener NGOs“, wie die Beiträge heißen, liefern aber keine Argumente gegen die empirische Evidenz der Studie (siehe zu einer Diskussion dieser Fragen auf Einladung der Deutschen Bank auch den Bericht von Heiner Flassbeck, hier zu finden).

Doch eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Fragestellung hat Horn, Chefredakteur der Online- und Printpublikation NOVO, auch offenbar nicht im Sinn. Novo zeichnet sich durch das einseitige Werben für Atomkraft aus. Regenerative Energien werden als Strompreistreiber dargestellt. Das renommierte Potsdamer Institut für Klimaforschung rückt man in einen Klimaverschwörungsverdacht. Mit einer ähnlich plumpen Argumentationskette wird das Thema Nahrungsmittelspekulation abgehandelt. In einer Art Diskussionsgemeinschaft mit neurechten Gruppen soll eine Rechtfertigung zweifelhafter Geschäfte hergestellt werden.

Gewinnung und Bindung von Talenten

Das Spiel und die Spekulation prägt in vieler Hinsicht die Geisteshaltung der Bank und ihrer Mitarbeiter. Es gibt eben erhebliche Incentives, um spekulative Geschäfte zu tätigen. Im Bankgeschäft werden nach den Regeln der EBA (European Banking Authority) unter den Beschäftigten sogenannte Material Risk Taker (MRT) identifiziert. Das Handeln dieser Mitarbeiter hat erheblichen Einfluss auf das Geschäftsrisiko der Unternehmung. Dementsprechend werden sie nach speziellen Gesichtspunkten bezahlt. Die Deutsche Bank weist 3005 Mitarbeiter in 2015 in dieser Kategorie aus. Davon erhalten 756 eine Vergütung von einer Million Euro oder mehr, zwei davon eine Vergütung von mehr als zehn Millionen Euro. Zwei Mitarbeiter wohlgemerkt, die keine Vorstandsposition haben.

Diese hohen Vergütungen kommen durch Bonuszahlungen für spekulative Geschäfte zustande. Begründet werden diese hohen Bonuszahlungen damit, dass dies der “Fähigkeit der Bank zur Gewinnung und Bindung von Talenten“ (Geschäftsberichtsentwurf 2015, S.213) dient. Hier wird evident: Zocken lohnt sich. Dass hier die ethische Scheinwelt der Bank auf individuelle Interessen trifft, und dass diese individuellen Interessen leicht mit den rechtlichen Normen kollidieren, weil sie immer in einem Grenzbereich stattfinden, dieser Zusammenhang scheint hingenommen zu werden. Ein ethisches Deckmäntelchen verschleiert so die Gier- und Maximierungsmentalität, die in vielen Geschäftsbereichen nicht nur zu unethischem, sondern gar zu illegalem Verhalten führt.

Keine Frage, auch “normale” Geld- und Bankgeschäfte sind Teil der Deutschen Bank. 101104 Mitarbeiter weist das Institut für 2015 aus. Es ist offensichtlich, dass 97% der Beschäftigten, die ca. 80% des Personalanteils an der Wertschöpfung erhalten, nicht in problematische Geschäfte involviert sind. Spielernaturen sind etwa jene 3% der Beschäftigten, die wiederum ca. 20% des Personalanteils an der Wertschöpfung erhalten und für die sich das Zocken auch individuell lohnt. Doch Geschäftsmodelle, die solche Missstände zulassen, sind gesellschaftlich überholt, für die Gesamtwirtschaft schädlich und aufgrund der rechtlichen und politischen Entwicklungen dringend überarbeitungsbedürftig.

Die NachDenkSeiten sind für eine kritische Meinungsbildung wichtig, das sagen uns sehr, sehr viele - aber sie kosten auch Geld und deshalb bitten wir Sie, liebe Leser, um Ihre Unterstützung.
Herzlichen Dank!