Das Casino kracht zusammen. Croupière Merkel flüchtet durch den Hinterausgang

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

Angela Merkel beschuldigt die US-Regierung der Mitschuld an der Finanzkrise. Sie und die britische Regierung seien nicht bereit gewesen, die notwendige Regulierung mitzumachen. Die Kritik an den USA und Großbritannien ist sicher berechtigt. Aber: Da versucht sich jemand aus der Verantwortung zu stehlen, die im Spiel bisher mitgemacht hat und dieses sogar intensivieren wollte. Albrecht Müller.

Erstens: Deutschland hat zu Merkels und zu Schröders Zeit den Spielern die Tür geöffnet, Regeln abgebaut, das Verbot für Hedgefonds aufgehoben, die Steuern bei Gewinnen von Unternehmenskäufen und Verkäufen abgeschafft, deutsche Banken haben Ramschhypotheken und andere Risikopapiere übernommen, der Deutsche Finanzminister und seine Beauftragten haben die Casinoelemente des Finanzmarktes Deutschland ausgebaut, um, wie sie meinten, den Finanzplatz Deutschland zu stärken.

Deutschland hat unter Gerhard Schröders und Angela Merkels Führung neues Spielmaterial ins Kasino gebracht; der Finanzminister Steinbrück war mächtig stolz darauf: Ein öffentliches Unternehmen nach dem andern wurde privatisiert und dem Aktienmarkt zugeführt; die deutsche Bundesregierung hat 4,5% der Deutschen Telekom an die Heuschrecke Blackstone verkauft und dieser durch ihr Verhalten das Recht eingeräumt, mit dieser Minderheitsposition wesentliche Teile der Unternehmenspolitik zu bestimmen. Auch das war Futter für die Hauptspieler im Casino. Die Bundesregierung hat gerade noch die mit Subventionen von fast 10 Milliarden € gerettete IKB unter Preis an die Heuschrecke Lonestar verkauft und hat ähnliches mit den 24,9% der Bahn AG vor. Gerhard Schröder hat mit dem Schlachtruf „Auflösung der Deutschland AG“ und der erwähnten Steuerbefreiung den Verkauf und das Ausschlachten und deutscher Unternehmen betrieben.

Einer unserer Nutzer erinnerte daran, dass die Nachdenkseiten schon mehrmals über die Mitwirkung der Bundesregierung berichtet haben. So z. B. am 19.3.2008 mit „Steinbrück sagt die Unwahrheit – die Finanzkrise ist nicht nur in den USA verursacht“. Wie wir mittlerweile wissen, ist nichts passiert um “Schaden von deutschen Volk abzuwenden”. Stattdessen folgen jetzt – nachdem die Finanzkrise erst richtig zuschlägt – wieder die starken Worte, das Haltet-den-Dieb-Geschrei der Brandstifter, die sich schnell die Feuerwehruniform übergestülpt haben.’ In diesen Zusammenhang gehört auch der Beitrag vom 18.2.2008: “Ist Gier das richtige Wort zur Kennzeichnung und Erklärung dessen, was unsere Hauptprobleme sind? “. Schon im vergangenen Jahr wurde in den Nachdenkseiten auch an anderer Stelle häufig davon berichtet, wie eng der Bundesminister der Finanzen und seine Mitarbeiter den spekulativen internationalen Kapitalmärkten verbunden waren und sind.

Zweitens: Es ist daran zu erinnern, dass auch deutsche Banken die Fehlentwicklung in den USA nach Kräften gefördert haben. Sie haben gebündelte faule Kredite aufgekauft und sich auch sonst der so genannten innovativen Finanzprodukte bedient. Die exorbitanten Renditeversprechungen von 25 und gar 40 Prozent des Herrn Josef Ackermann gründeten auf der Mitwirkung im Casino der Spekulation.

Drittens: Reihenweise haben ehemalige deutsche Manager und Politiker am Ausverkauf deutscher Unternehmen und öffentliche Einrichtungen zu verdienen versucht. Sie haben für die internationalen Heuschrecken gearbeitet und tun dies auch heute noch, weil daran so besonders gut verdient wird. Vielleicht haben der frühere Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank Otmar Issing, der ehemalige DaimlerChrysler-Chef Jürgen Schrempp und der ehemalige Staatsminister im Kanzleramt Martin Bury inzwischen ihren Job als Berater von Lehmann Brothers verloren. Die anderen werden wie gewohnt weiterarbeiten – zum Beispiel Ron Sommer für Blackstone, Klaus Luft, früher Nixdorf, für Goldman Sachs, der ehemalige Daimler Vorstand Eckhard Cordes beim schwedischen Finanzinvestor EQT, Wolfgang Clement für die Citigroup, Friedrich Merz als Anwalt für den Hedge-Fonds TCI. – Es wäre gut, wenn die Bundeskanzlerin sich zum Treiben dieser Herren äußern würde. Das Wirken dieser Kreise ist nämlich einer der Gründe dafür, dass die Casino-Gemeinde so wirksamen Einfluss gewonnen hat auf die deutsche Politik und auf unternehmerische Entscheidungen.

Viertens: Wenn die Bundeskanzlerin heute versucht, auf Distanz zu den USA und dem dortigen Treiben auf den Finanzmärkten zu gehen, dann muss an einen sehr speziellen Vorgang erinnert werden. Im September 2006, ziemlich genau vor zwei Jahren, erschienen im Spiegel und in SpiegelOnline Auszüge aus einem Buch von Gabor Steingart über den angeblichen „Weltkrieg um Wohlstand“. Sie konnten damals in den Nachdenkseiten eine kritische Würdigung dieser Texte lesen. In der Anlage sind relevante Auszüge aus dem Steingart-Beitrag vom 22.9.2006 „WESTBÜNDNIS GEGEN ASIEN Drei Gründe für eine Nato der Wirtschaft“ wiedergegeben. Steingart beruft sich darin auch auf Angela Merkel und entsprechende Überlegungen im Bundeskanzleramt zu einer transatlantischen Freihandelszone und ein näheres Zusammenrücken der Ökonomien von Europa und der USA. Zu Recht hat Steingart Angela Merkel zitiert. Sie hatte lt. FAZ vom 28.9.2001 schon im September 2001 CDU-Leitsätze verkündet, die überschrieben waren: „Ziel ist transatlantische Freihandelszone“.

Angela Merkel wie auch Steingart wollten die engere Verflechtung Europas mit einem Wirtschaftsraum und einer Volkswirtschaft, die schon damals erkennbar unter großen Wettbewerbschwierigkeiten und dem entsprechenden Ausbau von unendlichen Schulden im Ausland gelitten hat. Damit wollten uns die beiden verflechten. Wir hätten uns dann an der Tilgung dieser Schulden direkt beteiligen können.

Ist Ihnen aufgefallen, dass die damals vehement vorgetragenen Empfehlungen still und leise in der Versenkung verschwunden sind?

Fünftens: Hintergrund der Empfehlungen zu einer „Nato der Wirtschaft“ war die immer wieder lanzierte Vorstellung, die US-amerikanische Volkswirtschaft sei besonders leistungsfähig, von ihr könnten wir lernen, die dort angeblich stattgefundenen Liberalisierungen, De-Regulierungen und Privatisierungen bräuchten wir nur nachzuvollziehen. Das war das grundlegende Credo der Reformer.
Schauen wir uns die Fakten einmal an:

Auf dieser Webseite finden Sie in der Rubrik „Flow of Funds“ Angaben über die Verbindlichkeiten der USA. Sie sehen, wie sich diese im Zeitablauf verändert haben. Im zweiten Quartal 2008 betrug der Gesamtschuldenstand der USA 51 Billionen (!) US-Dollar. Das sind 356,6% des gesamten US-amerikanischen Bruttoinlandsproduktes. 15,2% dieser Schulden werden vom Ausland getragen.
Wir halten die 700 Milliarden US-Dollar, mit denen die US Regierung die faulen Kredite der Banken aufkaufen wollen schon für einen enorm hohen Betrag. Mit Recht. Setzen Sie diesen Betrag aber einmal in Relation zu den 51 Billionen. An dieser Relation wird sichtbar, wie gefährlich es noch werden kann. Und wie gut es wäre, unsere Bundeskanzlerin würde in Zukunft etwas früher aufwachen.

22. September 2006, 11:22 Uhr
WESTBÜNDNIS GEGEN ASIEN
Drei Gründe für eine Nato der Wirtschaft

Von Gabor Steingart

Die Asiaten sind die freundlichsten Angreifer der Weltgeschichte. Trotzdem muss die Politik rasch auf den Aufstieg Chinas und Indiens reagieren. In Angela Merkels Kanzleramt wird über Geschichtsmächtiges nachgedacht: eine europäisch-amerikanische Freihandelszone.

Berlin – 50 Jahre lang wurde es von vielen bestritten, heute weiß es jedes Kind: Ohne die Nato gäbe es kein freies Europa. Hätte das westliche Verteidigungsbündnis nicht mit großer Entschlossenheit immer wieder seine Kampfbomber und Panzerdivisionen vorgezeigt, modernisiert und sie zuweilen auch aufgestockt, wäre der Sowjetkommunismus nicht implodiert, sondern in Richtung Westen expandiert. Am Ende des Kalten Krieges hatten auch die letzten Skeptiker den Clou der Geschichte verstanden: Das Edelste wurde gerade dadurch verteidigt, dass man zum Grausamsten bereit war. Die Friedenstaube überlebte, weil oben auf der Zinne der Falke saß.

Der Weltkrieg um Wohlstand verlangt eine andere, aber nicht minder widersprüchliche Antwort. Und wieder fehlt vielen die Phantasie, sich vorzustellen, dass das Gegenüber anderen als friedlichen Zielen nachhängt. Das Irritierende, den Westen in seiner Entschlusskraft Lähmende, ist die Lautlosigkeit des gegnerischen Vorgehens. Es steht in einem auffälligen Kontrast zu allem, was wir gewöhnlich einen Konflikt nennen.

Zwischen Europa und Amerika auf der einen und Asien auf der anderen Seite wurde bisher nicht gebrüllt, getobt oder geschossen, niemand droht, fordert oder klagt an. Es regiert die reinste Freundlichkeit, wohin unsere Politiker und Geschäftsleute auch reisen. In Peking, Jakarta, Singapur und Neu-Delhi liegen die roten Teppiche ausrollbereit am Flughafen, die westlichen Hymnen werden bei Bedarf akkurat vorgespielt und selbst die westlichen Klagen über Ideenklau, Umweltzerstörung und Menschenrechtsverletzung parieren die Gastgeber mit bewundernswertem Langmut. Die Asiaten sind die freundlichsten Angreifer der Weltgeschichte.
(…)
Eine transatlantische Freihandelszone hätte Größeres im Auge als nur die Interessen der Import- und Exporthändler. Frieden in Freiheit war das Motto der Nato. Ein Wohlstand mit Werten wäre das Ziel der transatlantischen Freihandelszone, und einer dieser Werte wäre der feste Wunsch und Wille, dass dieser Wohlstand für möglichst alle gilt.

Was die Nato im Zeitalter militärischer Bedrohung für den Westen bedeutete, könnte im Angesicht der ökonomischen Herausforderung eine transatlantische Freihandelszone leisten. Zwei Wirtschaftszonen, die EU und die USA, vielleicht noch um Kanada erweitert, würden dem Schwinden ihrer jeweiligen Marktmacht durch die Addition der Kräfte entgegenwirken. Gemeinsam bringen Europäer und Amerikaner noch immer einiges Gewicht auf die Waage. Rund 13 Prozent der Menschheit und rund 60 Prozent der heutigen Weltwirtschaftskraft stünden bereit, nicht nur als Produzenten und Konsumenten von Waren, sondern auch als Nachfrager und Anbieter von Werten aufzutreten.

Es gibt wenige Gründe, gegen Amerika zu sein
Drei Gründe sind es, die der Idee ihren Charme verleihen, und der erste Grund ist ein politischer. Amerikaner und Europäer würden im Licht dieser Kooperation wieder dichter zueinander rücken. Der kindischen und in Anbetracht der asiatischen Herausforderung sogar schädlichen Versuchung, sich auf Kosten des jeweils anderen in Pose zu werfen, würde die Grundlage entzogen. Es gibt viele Gründe, gegen Bush zu sein. Es gibt aber wenige Gründe, gegen Amerika zu sein. Und es gibt viele handfeste Gründe, auch auf ökonomischem Gebiet stärker mit der westlichen Führungsmacht zu kooperieren.
(…)
Der Gedanke eines selbstbewussten und daher wehrhaften Westens bewegt auch die Frau im deutschen Kanzleramt. In den seltenen Momenten, in denen es für Angela Merkel jenseits der Tagespolitik um strategische Weichenstellungen geht, rückt die transatlantische Freihandelszone in ihr Blickfeld: Einen Zusammenschluss der Gleichgesinnten sieht sie dann vor sich. Die asiatische Variante des alten Teile-und-Herrsche-Spiels, das darauf setzt, Europäer und Amerikaner gegeneinander in Stellung zu bringen, könnte auf diese Art zumindest erschwert werden. Die deutsche EU-Präsidentschaft ließe sich womöglich nutzen, dieses Jahrhundertprojekt anzuschieben.

Wenn Merkel von der Idee einer Freihandelszone spricht, denkt sie an das Ökonomische, aber nicht ausschließlich. Der Vorteil der Firmen lässt sich noch am ehesten auf Heller und Pfennig berechnen, wenn man an den Wegfall von Zöllen und die Beseitigung bürokratischer Regularien denkt. Aber zusätzlich tritt ein Nutzen hinzu, der unsichtbar ist, der auf dem Rechenschieber keinerlei Spuren hinterlässt, um dennoch die Topographie der Macht zu beeinflussen. Merkel spricht von den “nicht materiellen Werten”, die auf diese Art erhalten und gestärkt würden. Ein den Nordatlantik umschließender Verbund von Demokratien und Marktwirtschaften würde gut tun nach all den Jahren, in denen die Globalisierungsangst überall in den westlichen Hauptstädten de facto Kabinettsrang besaß. Der Westen erhielte durch das neue Projekt neuen Lebensmut.

Anlage: http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,druck-438372,00.html