Betrifft Hartz IV: Besonders “betroffen” sind Arbeitslose, die auf eine “58er-Regelung” vertraut haben

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Knapp 400 000 Arbeitslose, die 58 Jahre oder älter sind und die von der sog. “58er-Regelung” Gebrauch gemacht haben, müssen sich von der Politik in besonders zynischer Weise getäuscht fühlen. Überwiegend Menschen, die sich mit dem Versprechen, bis zur Rente ohne Abschläge Arbeitslosengeld oder –hilfe beziehen zu können, aus ihrem (ungekündigten oder gar unkündbaren) Beruf haben drängen lassen, sollen ab Januar 2005 unter die Regelungen von Hartz IV fallen. Erinnert sich Wirtschaftsminister Clement eigentlich nicht mehr an seine eigenen Versprechen?

Haben Sie noch die Proteste gegen die Fusion Krupp-Hoesch im Gedächtnis, mit der 1992 der Dortmunder Stahlstandort „platt gemacht“ wurde? Was löste die Fusion von Thyssen und Krupp 1998 und die damit verbundenen Betriebsstillegungen für einen Aufschrei bei den Stahlarbeitern aus? Wie viele Zechenschließungen in den letzten Jahren trieben Kumpel bis zum Hungerstreik? Hunderttausende Menschen verloren dabei ihren Arbeitsplatz. Vor allem die „58er-Regelung“ hat dazu beigetragen, dass es zu sozial verträglichen Lösungen kam und die heftigen Arbeitskämpfe (exakter: Kämpfe um Arbeit) friedlich gelöst werden konnten. Die Presse war über diese Vereinbarungen voll des Lobes und die Politiker von Norbert Blüm bis zu Wolfgang Clement ließen sich gerne dafür loben.
Dass der überwiegende Teil der Medien und die allermeisten Politiker seit sie auf der Hartzer Welle mitschwimmen den Boden unter den Füßen verloren haben, daran hat man sich inzwischen gewöhnen müssen, dass aber der heutige Bundeswirtschaftsminister, der vor nicht all zu langer Zeit als nordrhein-westfälischer Minister und Ministerpräsident solche Vorruhestandsregelungen selbst ausgehandelt hat, sich nicht mehr daran erinnern will, kann man im besten Falle nur noch mit partiellem Gedächtnisverlust erklären.

Die „58er-Regelung“, die heute von der Politik, wie von der Wirtschaft als Teufelswerk abgetan wird, war ein Instrument mit dem sich die Wirtschaft und die Politik die sozialen Probleme des Strukturwandels mit seinen Massenentlassungen und die daraus resultierenden Arbeitskämpfe vom Halse geschafft haben. Vergleichbare „Dienstvereinbarungen“ im Öffentlichen Dienst waren ein willkommenes Mittel, um möglichst rasch Planstellen streichen zu können, die mit einem „kw“ (kann wegfallen)-Vermerk versehen waren. Damit ließen sich die öffentlichen Personalhaushalte zu Lasten der Versicherungskassen entlasten. Man hat hunderttausende Menschen, die in Arbeit, ja z.T. sogar unkündbar waren in den Vorruhestand gedrängt und nebenbei noch die Arbeitslosenstatistik geschönt.

Für 164.000 Betroffene, die eine Zusage hatten, bis zum Eintritt ins Rentenalter wenigstens die Arbeitslosenhilfe beziehen zu können, heißt es nun schon ab kommenden Januar „April, April“: Zusage hin, Zusage her, Hartz IV schiebt euch jetzt – sofern ihr bedürftig seit – ins Arbeitslosengeld II. Rund eine viertel Million „58er“, die derzeit noch Arbeitslosengeld beziehen, werden in absehbarer Zeit von diesem Schicksal ereilt.

Bei einem 58 bis 64-jährigen Arbeitnehmer ist es angesichts der gegenwärtigen Arbeitsmarktlage und dem „Jugendkult“ der Arbeitgeber nur ein makabrer Trost, wenn ihm in einer Übergangsfrist zugestanden wird, dass er immerhin ein Jahr keiner „Arbeitspflicht“ unterliege, nachdem ihm vorher sein Recht auf Arbeit „abgehandelt“ wurde.

Vollends zynisch muss auf ihn aber die Verlautbarung aus dem Clement-Ministerium wirken, dass es allen Arbeitslosengeld- und -Arbeitslosenhilfeempfängern, die die 58er-Regelung in Anspruch genommen haben, frei stehe, von der Vereinbarung zurückzutreten (zit. nach Reuters vom 17.8.2004).
Will sagen: Wir, die Politiker zusammen mit der Wirtschaft, haben euch früher einmal in unserer damaligen (politischen) Not die Vereinbarung aufgedrängt, um euch los zu werden, jetzt da wir eure kollektive Widerstandskraft nicht mehr befürchten müssen, haben wir diese Regelung per Hartz-Gesetz einseitig aufgekündigt und ihr dürft jetzt gerne auch noch „freiwillig“ von dieser Vereinbarung zurücktreten und euch als inzwischen Langzeitarbeitslose kurz vor dem Ruhestand wieder dem Arbeitsmarkt anbieten.

„Spott tötet den Mann“ sagt ein deutsches Sprichwort.