Moskaus Imperium. Wie sich ARTE am Aufbau des Feindbilds Russland beteiligt

Ein Artikel von:

Einer unserer Leser schrieb, dass er sich angesichts zunehmend tendenziöser Berichterstattung in ARD und ZDF immer noch die Hoffnung erhalten hatte, bei ARTE einen kritischen Gegenpol zu haben. Diese Hoffnung sei nach dem Themenabend „Revolution in Russland“ am vergangenen Dienstagabend aber brutal enttäuscht worden. Wir befürchten: Der Leser hat Recht.

Von Carsten Weikamp.

Ein vollgepackter Themenabend sollte vorgeblich durch den Schwerpunkt „Revolution in Russland“ führen. Aber wer sich die drei Sendungen des Themas mitsamt der sie umrahmenden Moderationen bis zum Ende angeschaut hat, der kommt aus dem Kopfschütteln nicht mehr heraus angesichts einer sehr eindimensionalen Darstellung. Und er muss sich fragen, welchen Sinn die Programmmacher darin sehen, wenn nicht den, dabei mitzuhelfen, Russland weiter als Feindbild aufzubauen. Über eine angemessene Geschichtsstunde zum aktuellen Anlass geht der Abend jedenfalls weit hinaus. Und er spottet des eigenen Anspruchs des Senders, der vorgibt, er strahle „ein kulturelles Programm aus, das die Menschen in Europa verbindet“.

Der Abend beginnt mit einer 60-minütigen fiktiven Nachrichtensendung im Stile eines ARD-Brennpunkts, in der die Ereignisse um den Sturz des Zaren und die Revolution 1917 verarbeitet werden. Dann folgt eine 90-minütige Dokumentation, die das Heldenbild Lenins hinterfragt. Beides Programme, die man vom Grundsatz wohl vertreten kann, jährt sich doch die Abdankung des Zaren in diesen Tagen zum 100. Mal.

Daran hängt ARTE dann aber noch eine dreistündige Dokumentation „Moskaus Imperium“ an, die streng genommen schon nicht mehr ganz zum Thema gehört. Im ersten Teil der Dokumentation wird holzschnittartig der Aufstieg und Fall der Sowjetunion dargestellt, und im zweiten Teil wird die Politik Putins seit dessen erster Präsidentschaft nicht weniger grob und immer entlang der im Westen gängigen Klischees ausgemalt.

Macht insgesamt fünfeinhalb Stunden TV am Stück über Russland. Und in denen wird kein gutes Haar gelassen an allem, was sich in und um Moskau zugetragen hat in den vergangenen 100 Jahren. Kaum eine Gelegenheit wird ausgelassen, die politischen Führer, angefangen von Zar Nikolaus II. im Jahr 1917 bis zu Wladimir Putin heute, darzustellen als korrupt, machthungrig, skrupellos, gewalttätig und kriegslüstern; die friedlicheren unter ihnen als naiv oder nicht ernstzunehmen. Alle miteinander jedenfalls nur an Machtpolitik interessiert und weitestgehend unberührt von den Sorgen und Nöten der eigenen bemitleidenswerten Bevölkerung.

Kein Zweifel wird gelassen an der militärischen Potenz Moskaus, und ganz offen wird die These vertreten, Russland wolle sich lieber heute als morgen die unabhängig gewordenen Staaten der ehemaligen Sowjetunion wieder einverleiben.

Mehr als einmal wird in den Beiträgen auch über russische Propaganda geklagt, und hier wird es skurril. Denn die Sendungen des Themenabends sind selbst voller propagandistischer Elemente. Anmerkungen zu den markantesten Propagandaelementen:

  • Warum einen geschichtlich weit zurückliegenden Sachverhalt in das aufgeregte Gewand einer Brennpunkt-Sendung pressen, und warum mit dem Titel „Breaking News“ und mit heutigen Darstellern (Golineh Atai „berichtet“ aus Moskau, Anja Kohl von der Börse) den Eindruck erwecken, er sei brandaktuell? Die Revolution ist lange abgeschlossen und in unzähligen Aspekten längst von Historikern analysiert. Da sollte es doch ein Leichtes sein, sie mit dem gebotenen Abstand nüchtern wiederzugeben und einzuordnen, anstatt sie, Ebenen und Zeiten vermischend, zu inszenieren.
  • Warum unnötig die lange Dokumentation anhängen und es nicht bei den beiden auf das Thema bezogenen Beiträgen belassen? Warum den Zuschauern nicht die eigene Interpretation der Revolutionsvorgänge überlassen und die Freiheit, einen eigenen Bezug zur Aktualität herzustellen? Warum sie stattdessen geradewegs bis in die Gegenwart begleiten?
  • Durch alle drei Sendungen hindurch vergehen fast keine zwei Minuten ohne Einblendung kriegerischer und militaristischer Bilder. Immer wieder marschierende Soldaten, Gefechtsszenen, Paraden, Bilder von Schlachtfeldern und Straßenkämpfen, Flugzeugen und Helikoptern, die Raketen abwerfen, und die unvermeidliche Karte, die illustriert, wie das rote Reich sich ausbreitet bzw. bröckelt. Und immer unterstreichend dazu dramatische Begleitmusik für die Ohren. Die Botschaft: Russland = Krieg.
  • O-Töne stammen beinahe ausschließlich von Zeugen der Anklage, z. B. russland-kritischen Zeitzeugen wie den ehemaligen Staatschefs von Lettland, Litauen und Weißrussland, die einhellig davon berichten können, dass „im Kreml wieder Licht brennt“, eine schönfärberische Variante des „Der Russe steht vor der Tür“. Gegenstimmen kommen so gut wie nicht vor, geschweige denn vernünftige ausgewogene Erörterungen, z. B. zur jeweiligen Lage in den ehemaligen Teilrepubliken oder zur Befindlichkeit Russlands angesichts fortschreitender Annäherung des westlichen Militärbündnisses. Typisch auch, dass nur erkennbar einseitig ausgewählte Wissenschaftler zu Wort kommen.
  • Ein besonders billiger Trick, um Putins Russland in schlechtem Licht stehen zu lassen: Im zweiten Teil der Dokumentation „Moskaus Imperium“ wird ganz unmotiviert auf Weißrussland umgeschaltet, von den Zuständen dort berichtet und dann wieder zurück zu Russland geschwenkt. Offensichtlich soll dadurch das besonders schlechte Image des weißrussischen Präsidenten Lukaschenka auch auf Moskau übertragen werden.

Damit keine Missverständnisse aufkommen: Es geht überhaupt nicht darum, russische oder sowjetische Verbrechen und Missetaten zu leugnen, reinzuwaschen oder aufzurechnen. Die Rote Armee hat wesentlich dazu beizutragen, Europa von den Nazis zu befreien, aber Russland, zwischendrin die Sowjetunion, hat sich in seinen kriegerischen Aktivitäten oft auch nicht mit Ruhm bekleckert in den vergangenen hundert Jahren. Da gibt es nichts zu beschönigen. Es geht auch nicht darum, Ängste der russischen Nachbarn kleinzureden oder abzutun, die aus realen Erfahrungen der Vergangenheit resultieren.

Warum aber „100 Jahre Russische Revolution“ zum Anlass nehmen für eine derart überzogene Darstellung Russlands als eine martialische Militärmacht, die sich dazu noch in großen Teilen aus Bildern vergangener Zeiten speist? Warum Putin als den Gottseibeiuns darstellen? Warum nicht wenigstens auch ein Wort zu seinen Öffnungs- und Kooperationsangeboten an den Westen, wie er sie z. B. bei seiner Rede 2001 im Bundestag gemacht und seitdem mehrfach wiederholt hat?

Zieht man die aktuellen außenpolitischen Diskussionen, z. B. über höhere Militärausgaben und über Militärmanöver und Truppenverlegungen ins Baltikum in Erwägung, dann kann die Antwort darauf wohl leider nur lauten, dass sich nun offenbar auch ARTE am weiteren Aufbau des Feindbilds Russland und damit am Kalten Krieg beteiligt.

Schade. Die Zuschauer wünschen sich zu Recht anderes von einem Sender, der von sich selbst sagt, er strahle „ein kulturelles Programm aus, das die Menschen in Europa verbindet“. Der Beitrag vom 28. Februar verbindet nicht, er spaltet Russland vom Rest Europas ab.

Ein Blick in die Infobroschüre des Senders zeigt aber, dass man sich im Grunde nicht zu sehr wundern darf. Zumindest der deutsche Anteil des Senders ist nämlich zu jeweils 50% im Besitz von ARD und ZDF und wird von dort wesentlich beliefert. So kommen auch zwei der drei in diesem Artikel behandelten Dokumentationen von der ARD, genaugenommen vom mdr.

Unserem Leser können wir also vorsorglich nur raten, ARTE von seiner Liste kritischer Gegenpole zu ARD und ZDF zu streichen.

Die NachDenkSeiten sind für eine kritische Meinungsbildung wichtig, das sagen uns sehr, sehr viele - aber sie kosten auch Geld und deshalb bitten wir Sie, liebe Leser, um Ihre Unterstützung.
Herzlichen Dank!