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Eine Kurzstudie der Nichtregierungsorganisationen Corporate Europe Oberservatory, Friends of the Earth Europe, LobbyControl und Spinwatch kritisiert, dass sich die EU-Kommission bei der Bewältigung der Finanzkrise einseitig auf Experten aus der Finanzindustrie verlasse, die maßgeblich zur gegenwärtigen Krise beigetragen haben. Die Studie „Would You Bank on Them?“ [PDF – 1.5 MB] untersucht die Zusammensetzung und Hintergründe der so genannten de Larosière Expertengruppe, die der EU-Kommission Vorschläge für die Reform der Finanzmärkte unterbreiten soll, die wiederum die Grundlage für eine gemeinsame europäische Position beim Frühjahrstreffen des Europäischen Rates bilden soll. Die Vorschläge des Expertenteams beeinflussen maßgeblich die Verhandlungen des G20-Finanzgipfels, der am 2. April 2009 in London stattfindet. Die eingangs genannten Organisationen haben die achtköpfige Expertengruppe, die extrem einseitig besetzt ist, durchleuchtet. Übertragen von Christine Wicht und Roger Strassburg

Jacques de Larosière war lange Zeit als Berater der französischen Großbank BNP Paribas tätig, die als erste europäische Bank Alarm geschlagen hat, und ist einer der zwei Vorsitzenden der in Paris ansässigen Denkfabrik und Lobbygruppe Eurofi, die sich für die Integration und Effizienz der Finanz-, Versicherungs- und Bankenmärkte einsetzt. Zu den Akteuren dieser Institution gehören Axa, Aviva, BNP Paribas, Cassa Depositi E Prestiti, Caisse des Dépôts et Consignations, Caisse Nationale des Caisses d’Epargne, CNP Assurances, Citigroup, Crédit Agricole, Deutsche Bank, NYSE Euronext, Goldman Sachs, JP Morgan Chase, La Banque Postale, Société Générale, and the European Investment Bank. De Larosière betont, dass die positiven Aspekte der Verbriefungen verstärkt werden sollen. Er meint, mehr Regulierung sei nicht notwendig, sondern nur mehr gesunder Menschenverstand. Jacques de Larosière zeigt seine Präferenz für die Selbstregulierung. Seine Meinung steht im klaren Gegensatz zu der Meinung der meisten unabhängigen Analysten, dass fehlende Aufsicht und Kontrolle der Banken sehr stark zu der jetzigen Krise beigetragen haben.

Otmar Issing, Berater von GoldmanSachs, wird als „Europas hoher Priester der monetaristischen Orthodoxie“ bezeichnet. Nach einer Karriere bei der deutschen Bundesbank wechselte er zur Europäischen Zentralbank (EZB) und wurde einer der Hauptarchitekten des Euro. Issing sitzt im Aufsichtsgremium der deutschen Friedrich August von Hayek Stiftung, die eine neoliberale Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung fördert. 2003 wurde Issing neben Margaret Thatcher der International Price der Friedrich Hayek Stiftung verliehen. Des Weiteren ist Issing Präsident des „Center for Financial Studies“ an der Universität Frankfurt, das von der Gesellschaft für Kapitalmarktforschung getragen wird, die aus über 80 Banken, Versicherungen, Beraterfirmen und Wirtschaftsverbänden besteht. Issing schied im Juni 2006 aus der EZB aus und war vier Monate später als Berater der Investmentbank Goldman Sachs tätig. Für gewöhnlich untersagt die EZB eine solche Tätigkeit innerhalb der ersten 12 Monaten nach dem Ausscheiden. Im Fall Issings wurde eine Ausnahme gemacht, da diese Tätigkeit nichts mit dem Tagesgeschäft des Finanzdienstleisters zu tun habe. Finanzexperte Klaus C. Engelen bezeichnet Issings Ernennung zur Larosière-Kommission als „strategisches Coup“ für Goldman Sachs, da Issings Rolle als Berater von Bundeskanzlerin Angela Merkel zur Finanzkrise, der Wall-Street Gigant in den wichtigsten neuen Expertengremien Europas sitze.
Goldman Sachs profitierte im Gegensatz zu anderen Investment-Banken von der Subprime-Krise, indem sie Leerverkäufe für Subprime-Papiere tätigte. Leerverkäufe wurden in mehreren Ländern vorübergehend verboten, weil sie in erheblichem Maße zur Finanzinstabilität beigetragen haben. Dennoch ließ die Expertengruppe um Issing Leerverkäufe bei ihren ersten Vorschlägen außer Acht, dadurch könnte Issing wegen seines Verhältnisses zu Goldman Sachs in der Larosière-Gruppe in einen Interessenkonflikt geraten.

Onno Ruding ist heute Berater der CitiGroup, während seiner Laufbahn wechselte er zwischen öffentlichen und privaten Sektoren. Ruding war beim Internationalen Währungsfond (IWF) und bei der niederländischen Bank AMRO tätig, bevor er in den 1990er Jahren in die Politik wechselte und Finanzminister unter Premier Ruud Lubbers wurde. Lubbers Regierung war berüchtigt für ihre Deregulierungs- und Privatisierungspolitik, beispielsweise die frühe Liberalisierung des Finanzsektors in den Niederlanden. In den neunziger Jahren war Ruding bei Citicorp und wurde im Jahr 1992 Vize-Vorsizender der Citibank. Er war auch als Lobbyist für niederländische und europäische Arbeitgeberverbände tätig, vorwiegend im Bereich Unternehmenssteuern. Obwohl er 2003 in den Ruhestand trat, ist er Berater bei der Citigroup geblieben und ist darüber hinaus Aufsichtsratsvorsitzender beim neoliberalen Centre for European Policy Studies (CEPS) in Brüssel. Als die Citibank von den amerikanischen Steuerzahlern gerettet wurde, sprach sich Ruding im selben Monat gegen eine zu starke Regulierung aus und begründete dies mit der Krise. Der „Finanzexperte“ hat im Gegensatz zu anderen Experten, die nicht in der Larosière-Gruppe vertreten sind, das Ausmaß der Finanzkrise nicht vorausgesehen.

Rainer Masera ist der ehemalige Geschäftsführer von Lehman Brothers Italy. Der italienische Banker war über ein Jahrzehnt im Aufsichtsrat der European Investment Bank vertreten, die 2004 wegen potentieller Interessenkonflikte bei einigen Direktoren, einschließlich seiner Person und fehlender Intransparenz in die Schlagzeilen geraten ist. Ähnliche Bedenken werden jetzt gegen die Larosière-Gruppe geäußert – fehlende Tranzparenz und Rechenschaft. Des Weiteren war er Zentraldirektor der italienischen Nationalbank, Chef der Italien Sanpaolo INI Bankgruppe und Vorsitzender der ehemaligen Banca Fideuram, einer Privatbank. Sanpaolo IMI war auch Mehrheitsaktionär bei den EIB Zwischenbanken, Slovenias Koper und Ungarns Inter-Europa. Einem Bericht The International Economy zufolge wurde Maseras Nominierung zur Larosière-Gruppe scharf kritisiert.

Callum McCarthy, wird als Chef der britischen Finanzaufsicht FSA grobes Versagen vorgeworfen. Als sich 2007 die Krise abzeichnete, argumentierte McCarthy noch für weiche Regulierung. Bis Herbst 2007 hatte die EZB bereits 95 Milliarden Euro zur Verbesserung der Liquidität in den Markt gepumpt, und Großbritannien hatte einen Run an die Bank Northern Rock hinter sich. Dennoch tat McCarthy die wachsenden Rufe nach mehr Regulierung der Finanzindustrie als Überreaktion ab. Am Anfang der Krise bezeichnete er die FSA Northern Rock als solide. Kritiker werfen der FSA vor, die Entwicklungen verschlafen oder sich gar in ein Koma versetzt zu haben. Einige Kritiker berichten, McCarthy habe ihnen Panikmache vorgeworfen und versucht, sie zum Schweigen zu bringen.

Leszek Balcerowicz, gilt als marktradikaler Gegner der Finanzmarkt-Regulierung. Balcerowicz ist ein polnischer Ökonom und ehemaliger Vorstandsvorsitzender der polnischen Nationalbank. Er ist seit Juni 2008 Vorsitzender der Brüsseler Denkfabrik Bruegel, deren erklärtes Ziel es ist, „zur Qualität der Wirtschaftspolitik in Europa beizutragen“. Ihre Mitglieder sind u.a. die Deutsche Bank, Goldman Sachs, Unicredit und Fortis (eine der ersten europäischen Banken, die nach Rettungsgeldern gerufen hat). Noch im Februar 2008 hatte sich Bruegel nicht als Lobby-Organisation bei der EU-Commission registriert. In seiner Eigenschaft als Finanzminister, in den 1990er Jahren, steuerte Balcerowicz mit dem „Balcerowicz-Plan“ – auch „Schocktherapie“ genannt – Polen aus der Planwirtschaft in die freie kapitalistische Marktwirtschaft. Seine Rezepte klingen heute wie eine Karikatur des Thatcherismus: „Strikte Geldpolitik, freie Preise, Privatisierung, Reduzierung des staatlichen Haushalts“, schrieb The Times 2006. Damals räumte Balcerowicz ein, dass sein Plan reale Einkommensverluste für die polnische Bevölkerung von bis zu 20 Prozent innerhalb eines Jahres, eine Reduzierung der industrielle Produktion um fünf Prozent und die Entlassung Tausender Arbeitnehmer verursachen könnte. Der freie Marktkapitalismus produzierte zudem zahlreiche Finanzskandale. Die Washington Post schrieb, „skrupellose Unternehmer profitierten von Schlupflöchern und korrupte Politiker machten sich mit Milliarden davon.“ Balcerowicz erhielt beispielsweise im Jahr 2000 den Hayek-Preis, 2001 den Bertelsmann-Preis und 2007 den Preis als „Der größte europäische Reformer 2007“. Das US-amerikanische, ultrakonservative Cato Institute, eine der einflussreichsten ökonomisch-politischen Denkfabriken, nannte ihn „einen der größten Helden des Liberalismus in der Welt“. Mit Balcerowicz bekommt die Larosière-Kommission einen Evangelisten der Deregulierung, der gut organisierte neoliberale Netzwerke von Intellektuellen und Denkfabriken hinter sich hat.

EU-Kommissar McCreevy hatte erst kürzlich zugestanden, dass die Finanzindustrie zu viel politischen Einfluss hatte:

In the case of legislators, I am convinced that over the years there has been too much ‘regulatory capture’ by the sell side of the financial services market: Their lobbies have been strong and powerful. (Rede am 9. Februar 2009 in Dublin)

Mit der de Larosière-Gruppe setze die EU-Kommission, nach Ansicht der Verfasser der Studie, diesen Trend fort. Anstelle eine Expertengruppe mit einseitiger Ausrichtung und starken Verbindungen zum Finanzsektor damit zu beauftragen, hinter verschlossenen Türen Vorschläge zur Lösung der Finanzkrise auszuarbeiten, sei ein offener und transparenter Konsultationsprozess nötig. Die EU-Kommission solle zudem eine Untersuchung einleiten, inwiefern die Lobbyarbeit der Finanzindustrie zum Entstehen der Krise beigetragen habe.

Ähnliche Konstellation in Deutschland

Die deutsche Expertenkommission der Bundesregierung zur Reform der internationalen Finanzmärkte, genannt „Neue Finanzarchitektur“, weise dem Bericht zufolge, ein ähnliches Muster auf.

Ihr Vorsitzender, Otmar Issing, sei neben der bereits erwähnten Beratertätigkeit für Goldman Sachs, Präsident des Center of Financial Studies, für ein von der Finanzbranche gesponserten Instituts an der Universität Frankfurt, tätig.

Klaus Regling, ein überzeugter Monetarist, arbeitete für Moore Capital Strategy Group, einem Hedge-Fond.

Außerdem gehöre der deutschen Gruppe Jan Pieter Krahnen, Professor für BWL, insbesondere Kreditwirtschaft und Finanzierung der Goethe Universität Frankfurt und Direktor des Center for Financial Studies, an, der zudem im Beirat der DZ Bank (Zentralbank der Volksbanken Raiffeisenbanken) sitzt und auch Mitglied im TSI-Beirat ist. Krahnen veröffentlichte eine Monographie zum Thema ‘German Financial System’ in der Oxford University Press. Seine Forschungstätigkeiten werden von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Europäischen Kommission unterstützt.

Das Mitglied der Expertengruppe, William R. White, von der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), hatte frühzeitig vor der Finanzkrise gewarnt.

Als Vertreter der Bundesregierung nehmen der Wirtschaftsberater von Angela Merkel, Jens Weidmann, und der Finanzstaatssekretär Jörg Asmussen teil. Asmussen steht als Aufsichtsratsmitglied der Mittelstandsbank IKB und wegen seiner früheren Mitgliedschaft im Gesellschafterbeirat der True-Sale International (TSI) in der Kritik, einer Lobby-Plattform für die Förderung von Verbriefungsgeschäften in Deutschland (siehe hier oder in zahlreichen Meldungen auf den Nachdenkseiten).

Angesichts der Zusammenstellung der Expertengruppe und der Verflechtung der Experten mit der Finanzindustrie ist nicht zu erwarten, dass die Vorschläge der Gruppe Forderungen enthalten werden, den Kapitalmarkt auf notwendige Funktionen zu beschränken oder etwa eine Steuer auf Finanztransaktionen (Tobinsteuer) zu erheben. Ein Anspruch auf mehr effektive Kontrolle und wirkliche Transparenz wird aller Voraussicht nach nicht erhoben werden, deshalb wird sich auch künftig an den Spekulationen, Hedgefonds, Derivaten und Investmentbanken nichts ändern.

Mit der Expertengruppe hat die EU-Kommission auf alte Seilschaften zurückgegriffen und Böcke zu Gärtnern gemacht, in der Illusion, diejenigen, die die Finanzkrise verursacht haben, könnten probate Rezepte erstellen um sie zu beenden.

Siehe dazu auch „Brandstifter als Feuerwehrleute“ und den dortigen Hinweis auf einen Beitrag von Klaus C. Engelen.

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