Das Beispiel „Exportüberschüsse“ zeigt: Merkel betreibt eine Politik gegen die eigene Bevölkerung

Jens Berger
Ein Artikel von:
Angela Merkel

Erst in der letzten Woche haben die Macher der Anstalt dem Publikum vortrefflich erklärt, wie es zu den deutschen Exportüberschüssen kommt und warum diese Überschüsse ein Problem sind. Angela Merkel wird die Sendung wahrscheinlich nicht gesehen haben. Das legen zumindest die volkswirtschaftlichen Thesen nahe, die die ewige Kanzlerin vorgestern an einer Berliner Schule zum Besten gegeben hat. Wieder einmal kommt der Verdacht auf, dass Merkel mit der gesamten Thematik heillos überfordert ist. Kann oder will sie nicht verstehen, um was es bei den Exportüberschüssen geht? Da die Kanzlerin eine promovierte Physikerin ist und auch ansonsten nicht eben auf den Kopf gefallen ist, muss man wohl von Letzterem ausgehen. Das heißt dann aber auch, dass die Kanzlerin eine Politik gegen die unteren 99% der Bevölkerung verfolgt. Warum will der Wähler davon nichts wissen? Von Jens Berger

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Welche volkswirtschaftlichen Kenntnisse darf man von einer Kanzlerin erwarten, die die „schwäbische Hausfrau“ zu ihrem ökonomischen Ideal erklärt hat? Nicht viel, das ist klar. Wenn es eine rote Linie in Merkels ökonomischen Weisheiten gibt, dann ist es wohl die Erkenntnis, dass sie das Konzept einer gesamtwirtschaftlichen Betrachtungsweise nicht verinnerlicht und vielleicht noch nicht einmal verstanden hat. Besonders deutlich werden Merkels intellektuelle Fehlleistungen immer dann, wenn es darum geht, volkswirtschaftliche Probleme mit Argumenten zu verharmlosen, die sie offensichtlich 1:1 von Unternehmenslobbyisten vorgesetzt bekommen hat. Ein vortreffliches Beispiel dafür ist ihre jüngste Aussage zu den deutschen Außenhandelsüberschüssen:

“Der Euro ist zu schwach wegen der EZB-Politik, und damit sind deutsche Waren verhältnismäßig billig.” Zweitens sei der Erdölpreis sehr niedrig. Wenn dieser höher läge, würde die Handelsbilanz des Öl-Importlandes Deutschland sofort anders aussehen.
Angela Merkel – zitiert von Reuters

Das ist gleich ein ganzes Knäuel von teilweise aufeinander aufbauenden Aussagen, die sicher oberflächlich noch nicht einmal falsch klingen. Dieser Eindruck täuscht jedoch. Versuchen wir doch einmal das Merkelsche Knäuel zu entwirren und die Aussagen einzeln zu überprüfen:

  • Der Euro ist schwach

    Eine Währung kann natürlich nie absolut stark oder schwach sein, sondern immer nur in Relation zu anderen Währungen. Um zu beurteilen, ob der Euro nun momentan „stark“ oder „schwach“ ist, muss man sich also die relative Wechselkursentwicklung zu den Währungsräumen anschauen, die für den Außenhandel der Eurozone am wichtigsten sind. Der Euro ist in der mittelfristigen Perspektive beispielsweise schwach gegenüber dem Dollar und gegenüber dem Schweizer Franken, aber stark gegenüber dem britischen Pfund, dem japanischen Yen, dem russischen Rubel, der norwegischen Krone und der türkischen Lira. Eine Sonderrolle nimmt der chinesische Renminbi ein, der nicht frei gehandelt wird. Von einer generellen Schwäche des Euros zu sprechen, ist also falsch. Bestenfalls kann man von einer relativen Schwäche gegenüber dem Dollar sprechen; die USA stehen jedoch auch nur für ein Fünftel der deutschen Exportüberschüsse. Eine monokausale Erklärung bietet der Euro also nicht.

  • Die EZB ist Schuld für die relative Schwäche des Euro

    Die großen Währungsräume befinden sich seit spätestens 2010 in einem offenen Währungskrieg, bei dem jede Zentralbank ihre eigene Währung mit aller Kraft abwerten und die eigene internationale Wettbewerbsfähigkeit auf Kosten der Nachbarn erhöhen will. Die negativen Auswirkungen dieser Kriege sind ein globales Problem – ob dadurch aber wirklich die Wechselkurse auch langfristig beeinflusst werden, ist umstritten. Langfristig bestimmen Angebot und Nachfrage den Wechselkurs einer Währung. Für die relative Schwäche des Euros gegenüber bestimmten anderen Währungen ist daher auch vor allem die deutsche Niedriglohnpolitik verantwortlich.

    Deutsche Produkte und Dienstleistungen sind günstiger, als sie sein müssten und werden daher häufiger international nachgefragt – daraus folgt, die Nachfrage nach Euros, die benötigt werden, um diese Güter zu kaufen, steigt. Gleichzeitig haben die deutschen Konsumenten jedoch weniger Geld in der Tasche – daraus folgt, die Nachfrage nach anderen Währungen sinkt, da relativ weniger Güter importiert werden.Nach dem Prinzip von Angebot und Nachfrage müsste der Euro nun eigentlich aufwerten. Stagnierende Reallöhne führen jedoch dazu, dass diese Effekte konterkariert werden. Nicht der relativ schwache Euro, sondern die zu niedrigen Löhne sind Ursache der Exportüberschüsse. Man sollte hier Ursache und Wirkung nicht vertauschen. Ob die EZB-Politik überhaupt einen Einfluss auf die Außenhandelsbilanz hat, ist eine andere Debatte, die man hier nicht führen muss. Um es kurz zu machen: Ein Einfluss ist zwar vorhanden, man sollte ihn jedoch auf keinen Fall überbewerten, da die realen Güter- und Dienstleistungsströme um ein Vielfaches einflussreicher sind.

  • Ist der Euro überhaupt derart relevant?

    Wenn man – so wie ich es hier tue – nun über den Euro und die EZB debattiert, ist man der Kanzlerin schon in die Falle gegangen, da man unwissentlich das Narrativ akzeptiert hat, dass der Eurokurs überhaupt relevant für die deutschen Exportüberschüsse ist. So klar ist das jedoch keinesfalls. Der Euroraum als Block hat nämlich nur marginale Exportüberschüsse gegenüber dem Rest der Welt und die Überschüsse der EU sind sogar noch geringer. Besonders problematisch sind daher auch nicht die Außenhandelsüberschüsse des Euroraums gegenüber den USA oder der Schweiz, sondern die Überschüsse Deutschlands gegenüber den anderen Eurostaaten. Und dafür kann der Wechselkurs des Euros gegenüber anderen Währungen natürlich nicht verantwortlich sein.

    Richtig ist jedoch auch, dass die deutsche Exportwirtschaft massiv vom Euro profitiert, da Deutschland sich durch den Euro relative Kostenvorteile gegenüber anderen Volkswirtschaften ergattern konnte. Ansonsten wäre die alte D-Mark aufgrund der Verschiebung von Angebot und Nachfrage bereits massiv aufgewertet worden – die Schweiz kann ein Lied davon singen. Die relative Wettbewerbsschwäche von Ländern wie Griechenland, Italien oder auch Frankreich sorgt so dafür, dass die deutsche Währung nicht all zu stark aufwertet und die Wettbewerbsfähigkeit hoch bleibt. Das ist wunderbar für die Aktionäre der exportorientierten Unternehmen, aber gar nicht gut für den Rest der Bevölkerung, da die Kaufkraft der Deutschen dadurch ebenfalls künstlich niedrig gehalten wird.

    Der Euro spielt also schon eine Rolle für die Exportüberschüsse Deutschlands – jedoch nicht im Sinne der Argumentation Merkels.

  • Ist der niedrige Ölpreis für die deutschen Exportüberschüsse verantwortlich

    Angela Merkel hat auch eine plausibel klingende Erklärung für die stetig steigenden Exportüberschüsse: Die Ölpreis soll dafür verantwortlich sein, dass Deutschland immer mehr exportiert und immer weniger importiert. Dieses Argumentationsfragment kennt man auch schon aus den Erklärungen der Arbeitgeberverbände. Und auf den ersten Blick klingt das ja auch durchaus plausibel. Von 2010 bis in den Sommer 2014 lag der Rohölpreis durchgängig über 100 Dollar pro Barrel. Seitdem schwankt er mit Ausreißern um die 50 Dollar pro Barrel – also nur noch die Hälfte. Vollkommen klar – wenn wir weniger für den Importrohstoff Öl ausgeben, steigen automatisch die Exportüberschüsse. Aber reicht das als Erklärung aus?

    Aussenhandelsüberschuss und der Ölpreis

    Nein. Denn dafür ist das Handelsvolumen viel zu gering. Im letzten Jahr hat Deutschland Öl im Wert von 25,9 Milliarden Euro importiert. Der Exportüberschuss war demnach zehnmal so hoch wie der Gesamtwert der Rohölimporte. Selbst wenn man einmal hypothetisch unterstellen würde, dass der Ölpreis immer noch auf seinem Maximum von 2012 (125 US$ pro Barrel, bei 59,8 Milliarden Euro Ölimporten für Deutschland) verharren würde, lägen die deutschen Exportüberschüsse noch bei 228 Milliarden Euro und damit bei 7,3% des Bruttoinlandproduktes – weit oberhalb der 6%-Grenze, die im gesamtwirtschaftliches Ungleichgewichtsverfahren der EU als offizieller Grenzwert festgelegt wurde. Wobei nicht vergessen werden darf, dass dieser absurd hohe Grenzwert nur aufgrund massiver deutscher Lobbyarbeit zustande kam. Die Aussage Merkels, dass die deutsche Handelsbilanz mit einem anderen Ölpreis ganz anders aussähe, ist also eine reine Nebelkerze.

Verharmlosungen, Nebelkerzen und Stammtischparolen

Angela Merkel gibt sich redlich Mühe, das Problem der Außenhandelsüberschüsse als eine Art Naturgesetz darzustellen. Die EZB und der Ölpreis … auch wenn die Erklärungen volkswirtschaftlich wirklich hanebüchen sind, sie haben den Vorteil, dass sie nicht im Handlungsrahmen einer Kanzlerin liegen und dank der chronischen Denkfaulheit der schreibenden Zunft ohnehin nicht hinterfragt werden. Angela Merkel ist also fein raus. Und wer weiß, dass er nicht von kritischen Journalisten, sondern von Hofschranzen umgeben ist, der kann dann auch mal den Populisten herauskehren und zünftige Stammtischparolen zum Besten geben:

Es müssten aber auch in anderen EU-Staaten gute Waren produziert werden, die die Deutschen kaufen wollten. Dies könne eine Regierung nicht anordnen.
Angela Merkel – zitiert von Reuters

Das lässt sich ebenso populistisch kontern: Natürlich trinkt der Michel lieber einen niedersächsischen Doppelkorn anstatt eines schottischen Macallans, verspeist lieber ein Industrieschnitzel aus dem münsterländischen Schweinegürtel anstatt eines abgehangenen amerikanischen Porterhouse-Steaks und bevorzugt das mecklenburgische Rapsöl gegenüber kaltgepresstem Olivenöl aus der Toskana, weil die deutschen Produkte einfach besser sind. Alleine der Gedanke, dass der Erfolg einiger deutscher Produkte für den Massenmarkt auch etwas mit dem Preis und dem bescheidenen Budget der Kunden zu tun haben könnte, scheint im politischen Deutschland ein Tabu zu sein.

Glaubt die Kanzlerin eigentlich selbst, was sie da sagt? Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Angela Merkel ist vieles, aber nicht unbedingt dumm und als Kanzlerin hat sie es auch nicht nötig, opportunistischen Unsinn nachzuplappern, weil dies der Karriereplanung förderlich ist. Wenn aber weder Dummheit noch Opportunismus eine Rolle spielen, dann kommt nur noch eine Lösung in Frage: Merkel ist eine ideologische Überzeugungstäterin, die ihre Halbwahrheiten geschickt einsetzt, um eine Politik zu befördern, die einer kleinen Elite nutzt, dem Großteil der Bevölkerung aber nur Nachteile bringt. Erstaunlich, dass Merkel dennoch von einer absoluten Mehrheit der Deutschen gewählt wird und auch mit sehr viel Fantasie keine Alternative zu ihr greifbar scheint. Offenbar leiden wir an einem kollektiven Stockholm-Syndrom.

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